Nicht traurig sein, Zelon! Es gibt Schönheit in dieser Welt da draußen.
Zum Beispiel, och ich weiß nicht...
Die Hyperion-Gesänge
Was für ein verdammtes Epos, und ich fürchte, ich muss ein bisschen ausholen, um zu erklären, warum es so großartig ist, wie es ist.
Literatur beschäftigt sich in der Regel mit dem Konzept von 'Was wäre, wenn'. Science Fiction macht da keine Ausnahme, und gewinnt ihren Reiz in der Regel daraus, dass sie die jetzige technologische und/oder soziale Entwicklung betrachtet, und dabei schaut, in welche Richtung das weitergehen könnte. Meistens sind die Autoren dann auch Mathematiker oder Physiker, Menschen vom Fach, die sich entsprechend in den Gebieten auskennen, die sie da beschreiben.
Das Ergebnis sind in der Regel intellektuell sehr spannende Konstrukte, die sich (in der Regel) dann doch eher trocken lesen. Wer sich tagein, tagaus in den Gefilden theoretischer Physik bewegt, kriegt eben nicht eine derart geschliffene Sprache hin wie jemand, der die gleiche Zeit damit verbringt, sich durch Yeats gesammelte Werke zu lesen.
Dan Simmons, Autor der Hyperion-Gesänge, hat englische Literatur studiert. Man merkt's.
Achthundert Jahre in der Zukunft hat die Menschheit die Erde von Einst verlassen und ein riesiges Reich gegründet, das Weltennetz, hunderte von Planeten, die durch Farcasterportale in Sekundenbruchteilen zu erreichen sind. In Allianz mit dem TechnoCore, einem KI-Verbund, lebt die Menschheit in Frieden, bis sie von den Ousters, einer Splittergruppe der menschlichen Rasse, angegriffen werden.
Als der Krieg langsam immer verzweifeltere Züge annimmt, wird eine Gruppe von sieben Pilgern zur Kolonialwelt Hyperion entsendet, um vom Wächter dieser Welt, dem Shrike, Hilfe zu erbitten. Es heißt, nur einem der Pilger wird sein Wunsch erfüllt. Der Rest muss sterben.
Auf der Fahrt beginnen die Pilger, sich gegenseitig ihre Geschichte zu erzählen. Alle sind sie seltsamerweise mit der Welt Hyperion verbunden, und sie beginnen zu begreifen, dass die Dinge um einiges komplizierter sind, als sie bisher glaubten...
Und wen der letzte Teil ein bisschen an die Canterburry Tales erinnerte, der ist grade mal am Anfang.
Die Hyperiongesänge bestehen aus zwei Büchern, Hyperion und Hyperion's Fall. Zusammen sind die beiden Bücher eine Hommage an das unvollendete Gedicht 'Hyperion' des englischen Dichters John Keats, in dem der Kampf der olympischen Götter mit den Titanen beschrieben wird. Ich weiß das nicht, weil ich einen abgeschlossenen Master in Anglistik hätte, sondern weil diese Referenz in der Geschichte selbst immer wieder anerkannt wird. Unter anderem läuft dort ein geklontes KI-Konstrukt von Keats herum, der einem entsprechend auch ein paar Sachen dazu erzählen kann.
Und das alles hätte so unglaublich leicht ein fantastisches Anschauungsobjekt in intellektueller Masturbation sein können... aber das wird es nicht. Simmons ist zu gut dafür.
Die Hyperion-Gesänge sind aufgeladen mit literaischen Anspielungen, voll von Tiefe und inneren Verweisen... und sie funktionieren auch dann noch, wenn man keinen einzigen davon mitkriegt. Ganz große Leistung.
Der erste Teil, Hyperion, ist ein Paradebeispiel für gelungenes World Building. Jede der erzählten Geschichten fügt neue Details zu der Welt, in der die Handlung spielt, und am Ende kennt man dann auch die weltpolitisch wichtigen Figuren, ihre Beziehungen zueinander, die Bedeutung einzelner Welten, und, insgesamt, wie dieses ganze Universum eigentlich funktioniert. Und, natürlich, fügt jede Geschichte neue Puzzlestücke zu dem Rätsel hinzu, das Hyperion darstellt.
Außerdem ist Simmons ein derart fantastischer Autor, dass jede Geschichte in einem ganz eigenen Stil geschrieben ist - was Sinn ergibt, schließlich wird jede von einer anderen Person erzählt. Quasi nebenbei ist dann jede Geschichte auch noch einem anderen Subgenre der Science Fiction geschuldet, denn warum auch nicht...
Die Geschichte von Pater Hoydt ist im Prinzip klassische Genre Fiction. Landung auf einem fremden Planeten mit fremdartigen Eingeborenen, die zu erforschen es sich lohnen könnte.
Und dann wird die Geschichte böse, und sie schlägt dabei bereits das Grundthema des Buches an: Das von Hoffnung in einer hoffnungslosen Welt (etwas, was George R. R. Martin vermutlich in Song of Ice and Fire versucht, aber mit jedem neuen Buch weniger gut hinkriegt).
Brawne Lamias Geschichte auf der anderen Seite, ist tief verwurzelt im Cyberpunk (und Halbgott William Gibson kassiert dann auch gleich mehrere Namedrops). Wir lernen die wesentlichen Fakten über die Core-KIs, über die Farcasterverbindungen zwischen den Welten und die enorme Abhängigkeit der Welten voneinander, und wir lernen John Keats kennen, den KI-Hybriden, der eine Schlüsselposition in diesem Spiel zu haben scheint, auch wenn wir lange brauchen werden, um zu verstehen, welche.
Die Geschichte des Dichters, Martin Silenius, ist wiederum eine, in der Simmons sämtliche Register seines schreiberischen Könnens zieht. Die Geschichte ist sprachlich wunderschön geschrieben und erzählt, quasi am Rande, die Geschichte des Planeten Hyperion, und die des Shrikes, dieses seltsamen Monsters, das das Ziel der Pilger darstellt. Es ist hier auch sehr interessant zu sehen, wie Simmons aus der bisher durch und durch unsympathischen Figur des Martin Slienius eine tragische Gestalt macht, die anschließend zu meinem Lieblingscharakter wurde (zusammen mit Brawne, weil Amazonen cool sind
).
Wir haben die Geschichte von Fedmahn Kassad, feinste Military SciFi, die uns vom Krieg mit den Ousters erzählt, die unglaublich traurige Geschichte von Sol Weintraub und den Kampf um das Leben seiner Tochter Rachel, in der quasi nebenbei eine philosophische Abhandlung über das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen stattfindet - und auch diese Abhandlung ist keine philosophische Fingerübung, sondern hat ihren Platz in der Geschichte. Alles fügt sich am Ende zusammen, auch und vor allem das Element des Brandopfers, das in allen Geschichten in irgendeiner Form auftaucht.
Und dann, wenn am Ende alle Geschichten erzählt sind (abgeschlossen von der Geschichte des Konsuls, eine Art Romeo und Julia in Space, selbstverständlich auch wieder mit einem bösartigen Twist - "Die Pest möge über eure beiden Häuser kommen"), endet das erste Buch. Und das zweite beginnt nahtlos, und jetzt, wo wir die Welt kennen, in der das alles spielt, fängt die Story dann auch an, Gas zu geben.
Und der Krieg entfaltet sich, die Pilger kommen dem Shrike immer näher, und Simmons fängt an, die Fäden zu entspinnen, die er da gewebt hat. Es ist nicht immer ganz leicht, den Wirrungen und ihre vollen konsequenzen nachzuvollziehen, die da auftauchen, aber dafür wird das Buch eben auch nie langweilig.
Natürlich leistet sich selbst ein Autor wie Simmons Schnitzer. Man merkt gerade im zweiten Buch, dass er mit manchen Figuren nicht gar so viel anzufangen wusste wie mit anderen, was entweder dazu führt, dass sie für lange Zeit von der Bildfläche verschwinden, oder... ja. Oder sie tun es eben nicht, und das ist manchmal echt schade. So viel Potential Kassads Figur auch hat, so gelingt es SImmons einfach nicht, ihm außerhalb seiner eigenen Kurzgeschichte Leben einzuhauchen. Was bitter ist, weil er eine enorm wichtige Funktion hat und an ihn auch die Figur der Moneta gekoppelt ist - die andere große Schlüsselfigur, die dummerweise von der Charakterisierung her nicht den geringsten Sinn ergibt. Und so besteht die große Liebesgeschichte zwischen den beiden dann auch aus leidenschaftlichem Sex, grenzwertigen Vergewaltigungen und dem sinnlosen Massakrieren von Oustersoldaten - manchmal dann auch in sehr seltsamen Kombinationen. Ich weiß nicht, was genau Simmons damit ausdrücken möchte (vielleicht die Unertrennlichkeit von Erschaffen und Zerstören, dargestellt durch Krieg und Sex), aber meiner Meinung nach gelingt es ihm nicht.
Das ist der nicht ganz so gelungene Teil der Geschichte, die gegen Ende dann auch etwas esoterischer wird, als sie müsste. Screw it. Es verblasst angesichts dieses opulenten literaischen Mahls, das einem da vorgesetzt wird, an der Tiefe der Figuren (im zweiten Band noch ergänzt durch Meia Gladstone, die auf ein verdammtes Podest gehievt gehört), an diesem wunderbaren Beispiel des World Buildings, und einfach der Tatsache, dass wir hier einen Epos zu lesen bekommen, der sich mit den Klassikern von Milton und, natürlich, Keats voll messen kann.
Fünf von fünf Sternen und eine volle Empfehlung.