Buchkritiken - Das Topic für Leseratten, Teil 2

Darghand

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@ Tolotos

Um mich mal zu outen: nach ein paar Versuchen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mit Boyle nicht wirklich was anfangen kann. Das genannte "Tortilla Curtain" z.B. kenne ich. Man muss Boyle zu Gute halten, dass er ein Talent für das akkurate Beobachten und Beschreiben von bestimmten Milieus hat und die gut in glaubwürdigen Personen verdichten kann. Ok. Aber der Rest kommt so unglaublich fußlahm daher. Delaney ist wieder so eine gelungene Verdichtung des grün-liberalen, kalifornischen Bürgertums und den Widersprüchen, in und mit denen sie so leben. Wie für Boyle üblich gibt es immer ein Ereignis, dass diese vorher übertünchten Widersprüche offen hervortreten lässt. Fußlahm ist das Ganze deshalb, weil Boyle immer eine Äquidistanz zu allen seinen Figuren pflegt, weshalb Delaney nichtmal zur treffsicheren Satire taugt, sondern genauso langweilig ist wie seine Milieuangehörigen aus der "realen" Welt.

Am besten gefallen haben mir deshalb immernoch die Kurzgeschichten, weil die Stärken immernoch vorhanden sind, aber nicht in eine langatmig breitgetretene Geschichte eingebettet sind. Gute Kurzgeschichten zu schreiben ist eine unterschätzte Meisterschaft, die Boyle wirklich gut beherrscht! Wenn du mehr von Boyle lesen möchtest, würde ich schlicht danach entscheiden, welches Setting dir am interessantesten erscheint. Das Spektrum reicht ja von kolonialer Expeditionsgeschichte ("Water Music") über Hippie-Subkultur ("Drop City") und die Anfänge der Wellness-Bewegung bis zu aktuellen Umweltschutzfragen.

Abraten würde ich von "World's End", von dem ich bis heute nicht weiß, warum ich den Schinken überhaupt zu Ende gelesen habe. Wer gerne generationenübergreifende Familiengeschichten, von der Zeit der Gründerväter der USA über die kommunistische Bewegung bis zur Gegenwart, liest, mag damit was anfangen können. Ich fand's nur langweilig.

Hank ist Boyle-Leser, der wird nicht nur anderer Meinung sein als ich (und die auch gut begründen können), sondern noch mehr zu einzelnen Büchern von Boyle sagen können.
 

Tolotos

Haluter
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@Darghand:

Interessant, du hast glaube ich eine ähnliche Einschätzung wie ich zu den Stärken und Schwächen von "Tortilla Curtain", wir gewichten diese aber so verschieden, dass wir zu einer ganz anderen Bewertung kommen... Die Äquidistanz zu allen Figuren, die du als fußlahm empfindest, empfand ich genau umgekehrt ja sogar als Stärke, da der Umgang mit dem Thema auf mich dadurch differenziert wirkte.

Ich habe mich jetzt an deinen Ratschlag gehalten, nach Thema ausgewählt und mir erstmal "Talk Talk" gekauft. Wird aber vermutlich noch ein Weilchen dauern, bis ich das lesen. Ich werde auch den Tipp mit den Kurzgeschichten im Hinterkopf behalten.

Was ich seitdem gelesen habe:

Terry Pratchett - Guards! Guards!
Ich habe einmal ein Buch von Terry Pratchett versucht, als ich etwa 16 war. Damals bin ich an meinen mangelnden Englischkentnissen und einer viel zu geringen Anzahl an gelesenen Fantasy-Büchern gescheitert, ich fand es aus diseen Gründen nicht lustig genug (bzw. habe es nicht gut genug verstanden), und habe es abgebrochen.
Wie erging es mir heute? Prinzipiell ähnlich (in Bezug auf meine fehlenden Kenntnisse, nicht die Qualität des Buches), aber auf einem besseren Niveau. Ich würde behaupten, dass mein Englisch leider immer noch zu schlecht ist, um wirklich alle Anspielungen und Wortspiele, die Pratchett macht zu verstehen. Manchmal fällt es auf und man fragt sich, wie etwas gemeint ist, und zusätzlich fällt es vermutlich oft nicht mal auf. Daher erstmal meine Frage an euch: Sind die Übersetzungen der Terry-Pratchett-Bücher gut genug, dass man sie auch vernünftig auf Deutsch lesen kann? Kann man diesen Humor überhaupt gut übersetzen?
Nun aber dazu, wie ich das Buch fand: Hinsichtlich des Plots und der Charaktere wurde ich klar positiv überrascht: Carrot und vor allem Vetinari sind sehr interessante Charaktere, Vimes ist zwar etwas klischeehaft (aber soll er ja auch sein), und seine
Abkehr vom Alkohol geht etwas plötzlich und umkommentiert
, aber auch er ist ein sympathischer und interessanter Protagonist. Außerdem passiert viel mehr als ich erwartet hätte, ich wusste nicht, dass mich bei allem Humor und aller Satire auch eine sinnvolle Handlung und ernsthafte und treffende (wenn auch natürlich nicht sehr innovative oder tiefgehende) Aussagen/Beobachtungen zu bestimmten Themen (z.B. Mitläufertum der Masse; möglicherweise nötigen Pragmatismus von Machthabern) erwarten würden.
Gleichzeitig war ich über einen Großteil des Buches allerdings vom Humor negativ überrascht: Das Buch war weniger oft witzig, als ich das erwartet hätte. Die Betonung liegt dabei auf weniger oft (d.h. nicht einfach "weniger"), denn wenn ich etwas lustig fand, dann meistens sehr (z.B. vieles bei der Vorstellung Carrots, die Zeugung von Colons Kindern, einige (aber nicht alle) der vielen Wortspiele a la "You had to hand it to the Patrician, he admitted grudgingly. If you didn't, he sent men to come and take it away." und einige Fußnoten). Gegen Ende des Buches hat aber auch die Anzahl an sehr gelungenen Witzen deutlich zugelegt. Von Million-to-one-Chances über die "Genre-savyness" der Palastwachen, den Patrician
in seinem Dungeon
bis zu Vimes'
Konfrontation im Stile entsprechender Filme/Bücher mit Wonse, die völlig sinn- und planlos ist, was auch thematisiert wird.
Später habe ich auch gemerkt, dass ich einige der sehr gelungenen Witze vorher einfach nicht verstanden habe (etwa Anspielungen auf Dirty Harry und andere Filme oder den "love-in-a-canoe coffee"), was wieder den Bogen zu meinem 16-jährigen Ich vom Beginn dieser Kritik schlägt.
Alles in allem tue ich mich mit der Bewertung sehr schwer. Der letzte Teil (etwa das letzte Fünftel oder Viertel oder so) ist für mich sogar eine knappe 5/5 (die ich nur sehr selektiv vergebe). Dafür ist der erste Teil eher eine solide 3/5 (weil die Haupstärke trotz guten Charakteren und solidem Plot eben doch der Humor ist und der dort [zumindest von mir bemerkt und das ist bei meinen subjektiven Bewertungen das relevante Kriterium] zu selten vorkommt).... Aber wie mittele ich das jetzt vernünftig... Ich denke, ich gebe eine sehr starke 3/5, sehr nahe an der 4/5 und mit weiter hohen Erwartungen für zukünftige Pratchetts.
 
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Rhonwen

Forumsköchin
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"Die kulinarischen Anwendungsmöglichkeiten einer Kanonenkugel" von Eli Brown.

Ich habe es gerade durch.
Der Koch eines feinen Mannes landet nach einem Überfall auf einem Piratenschiff und soll um sein Leben kochen. Mit den Vorräten, die er auf dem Schiff findet, soll er ein opulentes Mahl herrichten.

Es ist kein Buch, dass ich spontan irgendwie einordnen könnte: weder Jungend- noch Erwachsenenbuch, keinem bestimmten Genre zuzuordnen, aber nett zu lesen. Im Internet kursieren noch andere Bewertungen, aber meine lautet: mir knurrte nach dem Lesen der Magen.
 

Tolotos

Haluter
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Julian Baggini - The Duck that Won the Lottery - 100 New Experiments for the Armchair Philosopher
Gleich vorneweg - der Titel, unter dem ich das Buch gekauft habe, ist grob irreführend. Ich hatte vorher vom gleichen Autor 'The Pig that Wants to be Eaten - 100 Experiments for the Armchair Philosopher" gelesen (in diesem Fall passte der Titel perfekt, denn es ging um verschiedene (Gedanken-)Experimente für philosophisch interessierte Laien. Anscheinend fand der Verlag, dass es publikumswirksam ist, an diesen Titel anzuknüpfen, denn anders kann man sich das Ganze absolut nicht erklären. Mehr als die "100" stimmt im Untertitel definitiv nicht.
Dabei wurde das Buch früher durchaus unter einem passenden Titel vermarktet: 'The Duck that Won the Lottery and 99 other Bad Arguments'. Genau darum geht es in dem Buch: Schlechte Argumente zu benennen, zu kategorisieren und über das damit verbundene Thema zu reflektieren. Dazu pickt sich der Autor jeweils ein Zitat aus dem Zeitgeschehen heraus (mal aus einem Interview, einem Buch, einer Rede o.ä.) und illustriert beispielhaft, warum ein bestimmtes Argument keines ist oder aber (weg vom philosphischen, hin zum rhetorischen), wie ein gewisser sprachlicher Trick funktioniert. Diese Auseinandersetzung ist sehr interessant, lehrreich, teilweise auch amüsant geschrieben (aber nur wenn es angemessen ist) und es wird stets (mir sind nur zwei kleine Lapsi aufgefallen) sehr schlüssig und stringent argumentiert. Was das Buch dann aber (für mich) wirklich herausragend macht ist, dass am Ende des jeweiligen Kapitels noch eine Einordnung des bisher geschriebenen folgt - wann oder warum ist es vielleicht doch ok, mit Autoritäten zu argumentieren oder mit Tradition? Diese Schlusskapitel sind absichtlich offen geschrieben und regen tatsächlich zum Reflektieren des entsprechenden Themas und der eigenen Haltung dazu an.
Insgesamt fand ich das Buch dementsprechend herausragend, sehr gute 5/5 Punkten von mir. Man sollte aber dazu sagen, dass man es nicht "am Stück" lesen, sondern eher in Abschnitten konsumieren sollte (sonst fehlt die Zeit zum Reflektieren, und sogar wenn einem das ohnehin zu mühselig ist, verschwimmen die gelesenen Inhalte und man wird dem Thema vielleicht auch irgendwann überdrüssig). Außerdem noch einen kleinen Verbesserungsvorschlag: Die oben erwähnten Zitate sind leider nicht immer Zitate, die dann auch "an sich" kritisiert werden. Manchmal braucht man mehr Kontext und manchmal sind sie nur Ausgangspunkt für Argumente anderer Leute (teilweise gegen diese Zitate), die dann kritisiert werden. Das ist etwas schade, denn würde immer (meistens ist es so, aber eben bei weitem nicht immer) das entsprechende Zitat kritisiert werden, so hätte es mir sehr viel Spaß gemacht (das habe ich am Anfang versucht) nur anhand der Überschrift den genauen Denkfehler im entsprechenden Zitat zu finden. Das funktioniert auf die Art wie es geschrieben ist, leider zu selten (und dann ist es oft trivial), als dass es Spaß macht...

Wie meistens lese ich parallel auch noch einen Roman. Da werde ich noch ein bißchen mit beschäftigt sein, aber ich kann jetzt schon einmal eine ganz klare Empfehlung für Diamond Age von Neal Stephenson aussprechen. Genaueres, wenn ich durch bin.
 

Mindriel

Traumläufer
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Die Bücher von Julian Baggini scheint es nur auf englisch zu geben, weiß jemand gute Alternativen mit ähnlichem Inhalt (insbesondere was Argumentationstechniken/-fehler angeht, aber auch sonst philosophisches) auf deutsch?

Angenehme Träume,
Mindriel
 

Tolotos

Haluter
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Hallo,

genau passendes kann ich dir leider nicht empfehlen. Das erste Buch von Baggini scheint es als "Das Schwein, das unbedingt gegessen werden möchte" auf deutsch zu geben, aber es ist überall, wo ich es finde, leider vergriffen...

Ich hab irgendwann mal "Der Hund, der Eier legt" von Hans-Hermann Dubben und Hans-Peter Beck-Bornholdt gelesen, da ging es auch um Argumentationsfehler, es ist aber schon lange genug her, dass ich mich nicht mehr genau genug erinnere, um es ernsthaft empfehlen zu können. Ich glaube, dass ich es auch ganz nett, aber viel poplulärwissenschaftlicher und dem Stil entsprechend auch uninteressanter in den vorkommenden Problemen (da mir oft schon bekannt und gefühlt etwas oberflächlicher behandelt) fand.

Ich habe außerdem mal "Bad Science" von Ben Goldacre gelesen, das gibt es wohl als "Die Wissenschaftslüge: Wie uns Pseudo-Wissenschaftler das Leben schwer machen" auf deutsch. Das geht aber in eine deutlich andere Richtung und es werden eher bestimmte Argumentationsfehler (teilweise sehr offensichtlich, teilweise nicht) in bestimmten (pseudo-)wissenschaftlichen Bereichen/Gebieten als allgemeine Kategorien von Argumentationsfehlern dargestellt. Außerdem ist laut Amazon-Rezensionen die deutsche Übersetzung eher mäßig.

Wenn mir irgendwann wieder was wirklich philosophisches über den Weg läuft, werde ich sicher hierdrin posten, wenn ich dran denke, schreib ich dann dazu, ob es das meines Wissens auf deutsch gibt.
 

Tolotos

Haluter
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Was ich zuletzt gelesen haben:



Neal Stephenson - Diamond Age
Im Science-Fiction-Roman Diamond Age geht es hauptsächlich darum, wie eine Welt mit funktionierender Nanotechnologie aussehen würde, sekundär, wie man Kinder mit einer KI erziehen könnte und tertiär um ganz viele andere Sachen.
Die riesige Stärke liegt dabei im Weltenbau, der sehr glaubwürdig und durchdacht wirkt und einem nicht aufgezwungen, sondern im Vorbeigehen mitgeteilt wird. Was für eine Auswirkung die von ihm erdachten Technologien auf unsere Gesellschaft hätten wird komplex in den verschiedensten Ausprägungen bedacht und ausgeführt. Auch sehr schön ist der Plot mit Nell um die titelgebende (im englischen) Fibel, eine Art K.I., die sie erzieht. Was diese K.I. kann, wie sie es macht, und die Verbindung zum restlichen Plot - das alles ist sehr interessant. Die Hauptcharaktere selbst sind nicht die Interessantesten, aber jedenfalls sympathisch. Sehr gut war auch sowohl der Stil (wobei ich nur zur Übersetzung was sagen kann, da ich einem alten Post von Hank gelesen habe, dass Stephenson auf Englisch wirklich schwer ist) als auch die Tatsache, dass man nie unterschätzt wird, sondern immer mitdenken muss.
Leider geriet der Plot in der zweiten Hälfte für mich etwas aus den Fugen -
Die Einführung der Trommler, die als Idee interessant sind, aber für mich nicht unbedingt 'reinpassten'; dass dadurch der vorher angedeutete Doppelagentenplot um Hackworth kaum zur Gelteung kommt; das plötzliche realtiv lange Verschwinden von Miranda und komplette Verschwinden von Richter Fang (den ich interessant fand); der Ausbruch des Krieges, auf den zwar vorher nebenbei durchaus hingearbeitet wurde, der aber dann doch eine überraschend große Rolle spielt; auch das Ende war für mich nicht wirklich befriedingend, da sehr offen.
Im ersten Teil des Buchs war ich überzeugt, dass ich 'Diamond Age' als herausragend einschätzen würde. Durch meine Probleme mit dem Plot in der zweiten Hälfte bleibt es bei einer sehr guten 4/5 für einen Weltenbau, Ideen, einen Schreibstil und eine erste Hälfte, die ich absolut überragend fand.

Chesley B. Sullenberger - The Highest Duty
Dabei handelt es sich um die Autobiographie von Sullenberger, kurz Sully, der der Pilot des Flugzeugs ist, das vor ein paar Jahren sicher im Hudson River landete. Ich habe sie gelesen, weil ich nach dem Anschauen des entsprechenden Films ("Sully"), der angeblich darauf beruht, wissen wollte, wie es aus Sicht von Sully selbst lief. Wissen sollte man dabei (was ich zum Glück wusste), dass nur ein kleiner Teil (vielleicht ein Viertel) vom bekannten Flug handelt, der Rest sonstiges Leben und auch seine Einstellung zum Leben, zur Pflich etc. darstellt. Dabei erhält man ganz nette Einblicke ins Leben eines Piloten, sowohl bei der Air Force, als auch bei einer Airline, einen Einblick in eine vernünftige Perspektive aufs Leben, die aber sicher nicht sonderlich innovativ sind. Sehr geärgert (aber nicht am Buch, sondern nach der Lektüre am Film) hat mich, dass die im Film dargestellte Untersuchungskomission über die Schuld von Sully, die im Film den Hauptantrieb der Handlung darstellt, dort anscheinend völlig übertrieben dargestellt wird. In seiner Autobiographie sieht es eher so aus, als wäre diese nur eine Routineuntersuchung gewesen, ohne ernsthafte Vorwürfe, wie es im Film rübergebracht wird (daher schreibe ich oben auch, dass der Film nur angeblich auf der Autobiographie basiert).
Das Buch selbst war ganz nett, aber mehr eben auch nicht. 3/5

Agatha Christie - Death in the Clouds

Wie schon mal dargelegt, bewerte ich Romane von Agatha Christie immer hauptsächlich nach dem Ende, da ich den Rest eh top finde. Hier ist das Ende zwar prinzipiell schön, da passend zu allen Indizien und vor allem auch selbst erschließbar (alles wird transparent erwähnt). Allerdings ist es einerseits sehr nahe am Ende von
Three-Act Tragedy
und andererseits meine ich einen kleinen Logikfehler gefunden zu haben:
Ich habe das Ende so verstanden, dass Norman Gale ohne Absprache (!) mit seiner Frau Anne Morisot geplant hat, deren Mutter zu töten. Dazu hielt er sich in einem Flugzeug auf, in dem kurzfristig entschieden und ohne, dass er es wusste, auch seine Frau war (kurzfristig ist wichtig, weil er wollte, dass seine Frau, die durch das große ERbe ein offensichtliches Motiv hatte, ein ALibi hatte). An seinem Plan ändert das nichts, aber warum soll seine Frau, die sich auch in seiner Nähe aufhält ihn nicht erkennen und ansprechen? Wäre sie Komplizin, was aber m.E. im Buch nicht rauskommt, könnte ich das verstehen, aber so war ich wirklich irritiert...
Wenn jemand von euch eine bessere Erklärung hat oder ich etwas falsch verstanden habe, sagt es mir gerne - würde mich interessieren!
Wegen diesen Problemen gebe ich dann nur ein 3/5, habe mich aber trotzdem gut unterhalten gefühlt.
 

Tolotos

Haluter
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Andreas Edmüller/Thomas Wilhelm - Manipulationstechniken
Typisches Bahnhofs-Buchladen-Mitbringsel. Beim Titel kann man noch hoffen, dass es darum geht, dass man lernt zu manipulieren, aber man lernt dann doch nur, Manipulationen abzuwehren (das wusste ich natürlich, bevor ich es gekauft habe).
Das passiert auf eine solide Art, ist durchzogen von Wiederholungen (was zum Einprägen der Ratschläge vermutlich sinnvoll ist, für einen aufmerksamen Leser aber trotzdem ermüdend ist) und geht kaum in die Tiefe: Ich habe eigentlich nichts darin gelesen was ich nicht schon wusste. Zusätzlich sind im Übungsteil am Ende (in dem man Manipulationen erkennen und bennennen soll) m.E. einige (wenige) Lösungen unvollständig (es kommen manchmal Dinge vor, die nicht besprochen wurden oder umgekehrt). Auch der Versuch Manipulation zu definieren als "bewusster oder unbewusster Einsatz unfairer Verhaltensweisen" ist für mich nicht schlüssig. Wenn ich jemand offen vor Leuten erschieße, weil ich sein Erbe will (und weiß oder hoffe dass ich damit durchkomme oder doof bin und es trotzdem mache), dann ist das Erschießen "bewußter Einsatz einer unfairen Verhaltensweise", aber die wenigsten würden das Erschießen selbst als Manipulation begreifen (das Beeinflußen von Zeugen oder der Justiz später vielleicht schon). Irgendwie muss in so eine Definition noch rein, dass man zumindest die Intention hat, dass das entsprechende Verhalten zumindest von einigen nicht bemerkt oder zumindest nicht richtig eingeordnet wird. Vielleicht muss auch noch mehr rein, über eine vollständige Definition will ich mir gerade keine Gedanken machen.
Alles in Allem war das Buch für mich etwas enttäuschend, aber im großen und ganzen (trotz meiner inhaltlichen Kritik oben) durchaus ordentlich und richtig, nur eben oberflächlich. Von mir 2/5, anderen könnte es durchaus ein wenig mehr bringen.

Dave Eggers - The Circle
In diesem Roman geht es um eine nahe Zukunft, in der der fiktive Konzern "The Circle" die Rolle eines Monstrums spielt, das Google/Facebook & Co vermischt und weiterentwickelt. Das Thema finde ich sehr interessant, leider konnte der Inhalt da absolut nicht mithalten. Hauptgrund dafür ist die Protagonistin Mae, die für mich in keiner Weise, wie eine reale Person wirkte.
Entweder Mae ist mehr oder minder mit unseren Werten aufgewachsen, dann schaltet sie sehr schnell auf manche absurderen Ideen aus Reihen von The Circle um oder sie ist schon vorher in einer Gesellschaft/Umgebung aufgewachsen, in der sie mehr oder minder damit indoktriniert wurde - dann ist sie zu Anfang überraschend unwissend, was genau diese Ideen überhaupt sind.
Außerdem ist ihr Verhalten, fast jedem anderen Mensch gegenüber absurd (Francis: eine sexuelle Beziehung aus ... was empfindet sie ihm gegenüber spätestens nach dem ersten Vorfall? Macht? Begehrtwerden? Annie: Umschlagen von beste Freundinnen in komprimisslose Neider, dann gelegentliche Ausrutscher zurück zu den Freundinnen - hä? Mercer: Wird gegen Ende völlig absurd - er hätte sich freuen sollen, was sie für Mittel zur Verfügung hat?).
Leider ist die Kritik an der Transparenz- No - Privacy - Kultur und anderen Dingen (zu viel Macht in einer Hand etwa) auch recht plump geraten. Es gibt eigentlich kaum eine Idee dazu im Buch, die nicht in einer beliebigen Forendiskussion zu dem Thema von jemand vorgeschlagen wird. Und die Kritik am Circle durch Mercer ist so schwach (er verwendet nur manchmal sinnvolle Argumente), dass ich mich da sogar gefragt habe, ob der Autor die Entwicklung jetzt wirklich anprangern will. Durch den Rest des Buches wird es aber klar.
Auch das Ende ist allenfalls mäßig -
Zwar tut es dem Buch gut, dass es kein "Happy End" ist. Aber Ty's Plan erschließt sich mir nicht ganz - dachte er wirklich, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine simple Erklärung von Mae (so beliebt sie auch vorher war) viel geändert hätte? Warum hat er was ähnliches nicht vorher selbst umgesetzt? Den Rückhalt in der Bevölkerung und im Circle (sagenumwobener Gründer) scheint er zu haben, die technischen Möglichkeiten auch (immerhin kann er andauernd Maes Abhörgeräte stören und weiß auch sehr viel). Alles sehr dubios.
Schließlich gibt es auch immer mal wieder schlampige Unglaubwürdigkeiten. Wer glaubt z.B. ernsthaft, dass man einer Firma wie The Circle die brandneue Idee "He - gebt doch Leuten Rabatte und Vorteile, wenn sie euch dafür eure Daten geben" nicht nur als neu verkaufen kann, sondern sogar als so brillant und schützenswert, dass man dafür eingestellt wird, dass man diese Idee hatte (um die Idee quasi aufzukaufen)?

Was bleibt also? Ein interessantes Thema, eine ordentliche Schreibe (die aber in den Sex- und Romantikszenen auch eher furchtbar wird) und ein einzelner Dialog (allerdings recht lang), der mich durchaus zum Denken über das Thema angeregt hat (was optimalerweise das ganze Buch gemacht hätte).
Dabei geht es mir um Bailey's Dialog dazu, ob nicht eine Welt besser wäre, in der jeder immer die Möglichkeit hätte alles zu wissen. Nach anfänglichem instinktivem starkem Unbehagen bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Klar ist, dass es keinen moralisch vertretbaren Übergang von unserer Welt in eine solche gäbe. Aber wenn wirklich von Anfang (des Lebens eines jeden an) an jeder alles wüsste bzw. wissen könnte - würde man sich dann überhaupt noch wegen Verhaltensweisen genieren und wirklich in seiner Entfaltung/Privatsphäre eingeschränkt fühlen? Vielleicht ja, vielleicht nein. Hat stark damit zu tun, ob man glaubt, dass entsprechende Bedürfnisse hauptsächlich oder sogar nur kulturell geprägt sind, oder auch einen anderen (biolog./genet.) Anteil haben... Wird man also wohl nie abschließend beantworten können.
Fazit: Schwer enttäuschendes Buch mit hochinteressantem und -aktuellem Thema aber völlig absurder Protagonistin. 2/5

P.S: Irgendwo habe ich gelesen, dass eine Möglichkeit, die schwache Persönlichkeit von Mae zu retten ist, sie gar nicht als Person sondern nur als Metapher auf eine insgesamt eher naive Menschheit zu lesen. Das ist mit Sicherheit wesentlich besser, als sie wirklich als Person zu verstehen. Ob das Buch mit dieser Lesart wirklich gut wird, ist aber im Nachhinein schwer zu sagen.
 
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Tolotos

Haluter
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Brandon Sanderson - Elantris
In Elantris geht es um die gleichnamige vormals von sehr mächtigen gott-nahen Menschen bewohnte Stadt, wobei normale Menschen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt entsprechend mächtig werden und dort leben konnten. Nach einem Zwischenfall werden die zufällig ausgewählten Menschen aber nicht mehr mächtig sondern mit einer Krankheit bzw. einem Fluch gestraft. Gleichzeitig geht es um einen religiös/machtpolitisch motivierten Eroberungsfeldzug.
Die Plotstränge der drei Protagonisten hören sich eigentlich vielversprechend an: Der ehemalige Kronprinz Raoden, der jetzt aber mit dem Fluch von Elantris belegt ist; seine Verlobte Sarene, die ihn aber nicht kennt und politisch intrigieren und kontrollieren will und Hrathen ein hoher Priester der religiösen Macht, der das Königreich gewaltlos erobern soll.
Leider sind Raoden und Sarene sehr klischeehaft und "perfekt" beschrieben und daher nicht sehr interessant. Bei Sarene kommt dazu noch Problem, dass sie als clever, gewitzt usw. usf. beschrieben wird, dass ihr Verhalten aber eher als dreist und manchmal etwas gedankenlos einzuordnen wäre, und trotzdem jeder so reagiert, als hätte sie eine enorme Autorität/Intelligenz/...
Für mich hat es einfach nicht realistisch gewirkt, dass nach sehr kurzer Zeit jeder in Raodens Verschwörung zumindest oberflächlich nach ihrer Pfeife tanzt oder dass sie das Hofleben komplett umkrempeln kann, jeweils wenn der Staat wirklich so patriacharlisch wie sonst beschrieben, ist.
Hrathern hingegen ist ein sehr interessanter Protagonist, aus dessen Sicht ich gerne gelesen habe,
der aber am Ende mit einer unnötigen Schärmerei/Verliebtheit unnötigerweise auch nochmal Sarene huldigen muss.
Das Worldbuilding ist oberflächlich interessant, aber vieles wirkt bei genauerem Überlegen einfach nicht glaubwürdig.
Teoras hat wirklich so wenig Informationen von Arelon, dass Sarene nicht sicher weiß, wie die Gesellschaftsform ist? Nichtmal Spione dort?
Händler waren zu Zeiten von Elantris unnütz, das die Elantrianer ja alles herstellen und verteilen konnten - aber dennoch mächtig genug um später die Macht zu übernehmen?
Ein König meldet sich nicht bei seiner Tochter, die auf diplomatischer Mission ist, "weil sie ihre Freiheiten braucht"?
Außerdem ging das Buch zweimal mit Charaktertoden sehr unsensibel um:
Raoden erwähnt den Tod von Leuten, mit denen er angeblich befreundet war in einem Atemzug damit, dass er so glücklich wie noch nie ist.
Das hört sich alles sehr negativ and, und leider war ich von Elantris auch enttäuscht. Es ist nicht ganz so schlimm, wie meine Kritikpunkte klingen, weil ich mich trotz allem noch ordentlich unterhalten (aber eben ohne jeglichen Anspruch) fühlte und weil das Magiesystem sowie die Prämisse ganz nett waren (aber auch nicht so innovativ, wie ich sonst manchmal lese).

Schließlich noch zum Ende - irgendjemand hat es als Achterbahnfahrt beschrieben, und das trifft es ganz gut. Aber auch wenn ich mich dort durchaus unterhalten gefühlt habe, bedeutet das, dass es am Ende ein, zwei Wendungen zu viel gab. Man muss nicht jedem noch so kleinen Plötchen, dass im Buch vorkommt, einen eigenen Twist verpassen.

Mein Fazit - 3/5 Punkten, weil ich mich unterhalten gefühlt habe, aber am unteren Ende von 3/5.

Ich werde sicher noch einmal was von Sanderson lesen, aber nur weil ich insgesamt so viel Gutes gehört habe. Rein durch die Kostprobe Elantris wäre mir meine Zeit dafür zu schade...
 

Vernochan

Schabrackentapir
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Das war auch immerhin sein Erstlingswerk.
Auch in den ersten 3 Büchern der Mistbornreihe hat er einige Sachen falsch gemacht. Aber IMHO ist die Magie in seiner Welt ziemlich spannend. Er hat auch ziemlich klare Vorstellungen davon, was ein gutes Magiesystem ausmacht. (Dazu hat er einige Blogeinträge verfasst, die ich ziemlich Spannend fand 1 2 3 Zusammenfassung (nicht geprüft))
Die nächsten Bücher der Reihe waren deutlich geiler.
Da es bei mir schon was her is, kann ich jetzt kein detailiertes Review mehr schreiben.

Eines seiner aktuellen Projekte ist das "Stormlight Archive". Ist auf 10 Bücher ausgelegt von denen erst 2 erschienen sind (Deshalb habe ich die noch nicht gelesen). Diese sollen aber extrem gut sein. Damit hat er auch einige Awards gewonnen (wobei ich keine Ahnung habe, wieviel das wirklich aussagt... :D

IMHO definitiv lohnenswert noch mehr von ihm zu lesen.
 

Tolotos

Haluter
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@Vernochan: Bewertungen/Einschätzungen wie deine sind es, die mich zum Schlussatz bewogen haben, dass ich Sanderson weiter auf dem Schirm habe ;) Mistborn werde ich definitiv irgendwann lesen. Allerdings jetzt erst mal etwas nach hintengestellt, da ich noch einiges anderes lesen will und grade keine Lust auf eine längere Fantasy-Serie habe...

Den Text über Magiesystem habe ich schonmal gelesen und als sehr gut (weil zutreffend) und interessant in Erinnerung. Vielleicht lese ich ihn die Tage nochmal, jetzt wo du mich dran erinnert hast.

Mit Stormlight Archive fange ich bewußt nicht an, da ich mir seit der mit ASOIAF einhergehenden Traumatisierung (und dabei habe ich erst [kurz] nach Erscheinen von ADWD damit angefangen, musste also bisher erst einmal warten) vorgenommen habe, keine nicht beendeten Serien mehr anzufangen. Diese Wartezeit ist absolut nichts für mich. Gut möglich, dass ich diese Serie aber in einigen Jahren lese, wenn sie fertiggestellt ist.

Mein letztes Buch:

Heinrich Böll - Die verlorene Ehre der Katharina Blum
In dem recht kurzen Roman von Heinrich Böll geht es hauptsächlich darum, die üblichen Vorgehensweisen von manchen Boulevardjournalisten aus der Ecke der Bild-Zeitung anzuprangern. Dazu wird von einer Frau erzählt, die durch die Berichterstattung über sie ziemlich leidet. Gleichzeitig wendet sich der Roman in Nebenschauplätzen auch gegen Seilschaften, übereifrige Ermittlungsarbeit sowie (glaube ich) ein RAF-bedingt deutlich linksfeindliches Klima in Deutschland [wobei ich letzteres schwer einschätzen kann, da ich historisch zu wenig bewandert bin].
Die Sprache des Buchs beinhaltet einige sehr schöne Konstruktionen und gefällt daher, ist aber prinzipiell (sicher bewußt) eher nüchtern gehalten, um den Eindruck eines (zumindest meist) möglichst neutral gewollten Berichts zu erwecken. Das wird auch mal aufgebrochen (daher "zumindest meist"), vermutlich um zu unterstreichen, dass auch der Berichterstatter subjektive Eindrücke mit reinbringt. Dieses Stilmittel (also die Nüchternheit der Sprache an sich, nicht das Aufbrechen davon) kann ich verstehen, es dient vermutlich dazu, die Geschichte authentischer wirken zu lassen. Gleichzeitig sorgt es aber auch dafür, dass weniger Spannung aufkommt und wird dabei unterstützt von dem sehr vorsehbaren und dadurch spannungsarmen Plot.
Alles in allem ist "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" damit ein gut durchdachtes Buch, dass eine sinnvolle Aussage (bzw. mehrere davon) trifft, mich aber bis auf gelegentlich stilistische Höhepunkte nicht allzu sehr unterhalten hat. Da die Aussagen nicht allzu überraschend/innovativ/zum Nachdenken anregend waren [die Missstände, die angeprangert werden, sind zumindest heute und zumindest für mich nichts wirklich neues], bringt mich das zu einer soliden 3/5. Ein Buch, von dem ich gut verstehe, dass es in der Schule gelesen wird; das mich persönlich aber nicht viel weitergebracht hat.
 
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Tolotos

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Bernd Kaufholz - Der Todesengel mit den roten Haaren
Ein Sachbuch voll mit Gerichtsreportagen über für den Autor besonders interessante Fälle. Hörte sich gut an, aber leider ist das ganze so nüchtern/trocken geschrieben, dass es anstrengend zu lesen und nicht sehr unterhaltsam ist. Die Fälle sind teilweise interessant und teilweise eher gewöhnlich, der Einblick darin, wie ein echtes Urteil zum jeweiligen Fall aussehen würde, ist ganz nett.
Sehr schade ist auch, dass die für mich sehr langweilige Geschichte "Die Mitverdiener" über irgendwas mit Korruption (die einzige Geschichte, die ich nach kurzem Anlesen ausgelassen habe, weil sie mich zu sehr gelangweilt hat) sechsmal so lang ist wie viele der anderen Geschichten, die teilweise wesentlich interessanter waren.
Insgesamt ein Werk, bei dem es noch ok ist, es nebenbei zu lesen, von dem aber nichts besonders im Gedächtnis bleibt. 2/5.
 

Tolotos

Haluter
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T. C. Boyle - Talk Talk
In Talk Talk geht es um Identität und um Identitätsdiebstahl. In einer klassischen Thrillerhandlung wird die Geschichte der Gehörlosen Dana Halter erzählt, die die Erfahrung machen muss, dass jemand ihre Identität gestohlen hat, in dem Sinne, dass unter ihrem Namen Dinge gemacht wurden, mit denen sie nichts zu tun hatte.
Der Anfang des Romans ist unfassbar packend und zieht einen förmlich in die Handlung hinein. Die beiden Hauptcharaktere Dana und ihr Freund Bridger wirken absolut glaubwürdig und schlüssig, und was ihnen zu Beginn geschieht ist sehr packend beschrieben.
Von Boyles Schreibstil bin ich nach wie vor sehr überzeugt. Er schafft es, alles mögliche auf eine packende, spannende Art zu erzählen und mitzureißen.
Der weitere Verlauf der Handlung
ist weiter spannend, aber nicht mehr ganz so interessant wie der Anfang. Später wird auch der Antagonist Peck Wilson als POV-Charakter eingeführt. Nach seinem ersten Kapitel hatte ich nur den Gedanken "Was für ein *********" (der im weiteren Verlauf bestätigt blieb, und nur ganz am Ende ein wenig aufweichte [aber in seiner Essenz immer noch meine Meinung beschreibt]). Wenn das Ziel war, einen hassenswerten Antagonisten aufzubauen, dann ist es sicher gelungen. Trotzdem wirkte er nicht wie eine reine Karikatur, sondern glaubwürdig, wenn auch nicht besonders innovativ. Ein narzisstischer, von Konsum und oberflächlichen Zielen/Idealen getriebener Mensch, der zu wenig oder keiner Empathie fähig, sich dessen aber selbst nicht wirklich bewußt ist. Zwischendrin waren mir die Kapitel aus seiner Persepektive etwas viele bzw. etwas lang. Es macht zwar im Kontext des Endes und des Themas durchaus Sinn, so viel von ihm zu erfahren, aber seine Kapitel waren die Stellen, die mich am ehesten "gelangweilt" haben (in Anführungsstrichen, weil der Ausdruck übertrieben ist, mir aber grade nicht schwächeres einfällt, was den gewollten Sinn vermittelt).
Schließlich ist das Ende
völlig unerwartet, regt aber zum Nachdenken an. Ich kaufe den Figuren ihre Entscheidungen am Ende zwar durchaus ab, wenn ich etwas darüber nachdenke, ganz organisch wirkte es beim Lesen aber nicht. Ob das jetzt an der Tatsache lag, dass ich von gängigen Tropes und Klischees verdorben bin, oder ob es wirklich etwas konstruiert war, kann ich nur sehr schlecht beantworten (versteht man denke ich, wenn man das Ende selbst liest). Durch das Ende wird noch einmal aufgezeigt, dass das Hauptthema des Buchs eher "Identität" als die Thrillerhandlung ist.
Zwischendrin etwas gestört hat mich
die sehr zufallsgetriebene Wendung, dass Dana instinktiv wusste, wo man abfahren muss, nachdem der Sprit ausgegangen war. Absolut unrealistischer Unfug, der noch dazu unnötig war (Sprit hätte ja in Sichtweite ausgehen können, so dass man ihn abfahren sieht, oder man stricht dieses "Sprit geht aus"-Element ganz)
Gut gefallen hat mir dafür, wie eher beiläufig durch die Protagonistin die Perspektive einer Gehörlosen eingeflochten wurde.
(beiläufig zumindest mit Bezug auf die Thrillerhandlung. Das erwähnte Thema Identität hat natürlich viel mit dem Thema Gehörlosigkeit zu tun)
Auf mich wirkte das sehr glaubwürdig und wunderbar unaufdringlich.
Alles in allem ein Buch, dass mich durchaus überzeugt hat, wenn es auch nach dem sehr starken Beginn etwas abbaut. Als reiner Thriller gelesen, ist es außerdem vermutlich nicht ganz so überzeugend, wie ich es es einordne, man muss sich auf das Thema "Identität" einlassen. Leichte Abstriche für die mittlere Hälfte, mein erstes Gefühl beim Ende
(ich werde ja aus meiner Perspektive, es gibt also durchaus auch dann Abstriche, wenn meine eigenen Sehgewohnheiten und nicht die in irgendeinem Sinn "objektive Qualität" mir das Ende etwas verleiden)
sowie den oben erwähnten Zufall machen eine gute 4/5.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Danke Tolotos, dass du diesen Thread so fleißig am Leben erhälst. Ich habe sogar Lust bekommen mal wieder eine eigene Rezension zu verfassen ;).
 

Chinasky

Dirty old man
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Danke für den T.C.Boyle-Tipp. War früher ein großer Fan von ihm, hab jetzt aber schon bestimmt zehn Jahre keins seiner neueren Werke mehr gelesen, vermutlich, weil "Ein Freund der Erde" mir schon wie eine Art Niveauabsenkung gegenüber dem grandiosen "America" erschien. Das war aber irgendwie unfair, ich werde also "Talk Talk" demnächst mal eine Chance geben. :)

Eigentlich platze ich aber nur in diesen Thread weil ich gerade minutenlang schallend lachen mußte, schon nach einer guten Stunde Hörens des Audiobooks "Geister" von Nathan Hill. Den Autor kannte ich vorher nicht, ich hab einfach mal, um meine Guthaben bei Audible.de etwas abzubauen, eins der vorgeschlagenen Hörbücher genommen, bei dem die Hörermeinungen fast einhellig positiv waren. Und schon jetzt bin ich vollständig und komplett begeistert. Ich weiß gar nicht mal, wohin die Story überhaupt führen wird, hab mir keine Kurzbeschreibung oder sowas reingetan, sondern sofort und ohne lange zu überlegen auf "kaufen" geklickt (oder wie der Buttom beschriftet sein mag, ist ja schon wieder so lange her...). Meine Begeisterung rührt von einer Szene her, in welcher ein Literaturdozent mit seiner Studentin darüber diskutiert, dass, ob, und falls ja, wie das zu interpretieren sei, sie eine gekaufte Hausaufgabe abgegeben hat. Die Szene ist so witzig und so echt und so dramatisch, wie man es nicht für möglich halten würde, bis man es selbst liest, bzw. vom kongenialen Sprecher (Uve Teschner - der wird scheinbar wirklich mit "v" geschrieben) vorgeführt bekommt.

Also: keine Ahnung, worum genau es in dem Buch geht, aber schon die ersten knapp 10 Prozent (insgesamt dauert die Lesung knapp 24 Stunden, ich hab jetzt 1,5 Stunden hinter mir) machen mich sicher, dass ich demnächst nicht um Bücher von Nathan Hill herumkommen werde. Demnächst, wenn's durchgehört habe, mehr, im Moment wollte ich nur kurz meine Begeisterung in's Internet schreien. :D
 

Tolotos

Haluter
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@Zelon Engelherz: Das freut mich zu hören. Ich habe festgestellt, dass es mir selbst sehr viel bringt, wenn ich nach jedem Buch festhalte, wie ich es fand. Früher habe ich viel zu oft viel zu schnell vergessen, was ich gerade eigentlich gelesen habe. So ist das ganze deutlich reflektierter. Wenn es dann dazu noch anderen was bringt, ist das natürlich umso besser.

@Chinasky: Fairerweise muss man sagen, dass rein inhaltlich "Talk Talk" schon etwas von "Tortilla Curtain" bzw. übersetzt "America" entfernt ist (das sind bisher leider die einzigen Bücher, die ich von ihm gelesen habe). Es ist wohl nicht nur vordergründig, sondern auch hauptsächlich ein Thriller.
Oder meintest du die Niveauabsenkung sprachlich/stilistisch? Ich glaube nicht, dass ich das "objektiv" gut beurteilen kann, aber zumindest auf mich wirkte es in dieser Hinsicht auf gleichem Niveau.

Mich würde übrigens sehr interessieren, was du am Ende von "Geister" hältst - da deine Lese-Empfehlungen bisher immer sehr gut waren, wäre das für mich stark kaufentscheidend.
 

Chinasky

Dirty old man
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@Tolotos: Oh, ich habe überhaupt nix gegen das Thriller-Genre, ganz im Gegenteil: die meisten (Hör-) Bücher, die ich in den letzten Monaten und Jahren konsumiert habe, waren Thriller. Und dass sich Bücher von T.C. Boyle teilweise sehr krass unterscheiden und man nur sehr schwer von einem auf die anderen schließen kann (ausser, dass er nicht wirklich schlechte Erzeugnisse "raus läßt), war mir bei ihm schon nach den zwei ersten Romanen, die ich von ihm las ("Hot Water Music" und "Wellcome to Wellville" - eine Entdecker-Abenteuer-Geschichte und eine Satire über den Erfinder der Corn Flakes und eine Art Gesundheits-Sanatorium unter seiner Leitung), klar. Und wurde mit jedem weiteren Buch klarer ("Samurai von Savannah", "World's End" und so fort). Dass er so (thematisch) unterschiedliche Bücher schrieb und schreibt war letzten Endes der Grund, weswegen ich irgendwann (ab "Ein Freund der Erde") nicht mehr jede neue Publikation von ihm sofort kaufte, weil ich vor rund 15 Jahren oder so anfing, gewissermaßen binge zu lesen, d.h. von Autoren, deren eines Buch mir gefiel, gleich immer alles zu lesen. Und da wurde das Kriterium, schon ungefähr zu wissen, was mich bei einem neuen Buch erwartet, irgendwie wichtig. Völliger Blödsinn eigentlich, und mir fällt gerade auf, dass ich mir über diese Art literarischen "Serienkonsums" mal etwas gründlichere Gedanken machen sollte. Na, jedenfalls verdrängte John Irving irgendwie T.C. Boyle in meinem Leser-Leben und dann kam ja noch Neal Stephenson hinzu, dessen Barock-Zyklus leider nach wie vor nicht in einer vollständigen deutschen Hörbuchausgabe vorliegt, den man also, wenn man nicht wirklich fließend anspruchsvolles Englisch versteht, auf Deutsch richtig lesen muß, was viel Zeit braucht... Dass Bücher als Hörbücher vorliegen, ist für mich inzwischen ein wichtiges Kriterium, da ich so gewissermaßen en passant bei der Arbeit lesen kann. Die Mitgliedschaft bei audible.de ist eine der besten - durch einen User dieses Forums, nämlich Shaolin, angestoßenen - Entscheidungen, die ich je getroffen habe. ;)

Zu "Geister" kann ich nun - ich hab die letzte Nach quasi "durchgehört" - schon etwas mehr sagen. Es scheint mir hier ein weiterer großartiger us-amerikanischer Erzähler a la Irving & Co am Werke zu sein. Der Roman dürfte wohl in die Rubrik "Entwicklungsroman" fallen, falls ich die Genrebezeichnung richtig verstehe. Mehrere Figuren werden über Jahre hinweg verfolgt, in Rückblenden und Erinnerungen. Wie genau sie alle zusammengehören, ist auch nach der Hälfte des Buches noch nicht so ganz genau klar, auch wenn ihre Beziehungen nach und nach deutlicher werden. Eine (die?) Hauptfigur ist - mal wieder, möchte man fast sagen - ein Schriftsteller. Der, wie häufig in solchen us-amerikanischen Romanen, eher durchschnittlich und, gemessen an seinen Anfängen, künstlerisch enttäuschend ist, sodaß er sich als Literatur-Dozent an einer Hochschule durchschlagen muß und dort mit dem Desinteresse der Studenten an Literatur konfrontiert wird. Eine dieser desinteressierten Studentinnen spielt eine ebenfalls gewichtige Rolle - die erste "Konfrontation" der beiden Figuren war jener Dialog, dessentwegen ich gestern hier so begeistert berichten mußte. Der war von einer satirisch-saftigen Art und Witzigkeit, wie man sie übrigens auch bei T.C. Boyle häufig findet... Das Buch ist aber nicht durchgängig satirisch, sondern über weite Strecken ziemlich ernst und gar traurig-melancholisch. Andere wichtige Figuren sind die Mutter des Schriftstellers, ein Onlinegame-Süchtiger (ich kenne keine Literatur, in welcher diese spezielle Sucht derart gnadenlos und treffend geschildert wird, fast kommt es mir so vor, als hätte der Autor Überwachungskameras in meinem Leben installiert gehabt...) und ein (zweieiiges) Zwillingspärchen: eine hochbegabte Violinistin (in die sich der Schriftsteller seit Kindheitstagen unsterblich verliebte) und ihr soldatischer, überaus charismatischer Bruder. "Auslöser" der Geamtgeschichte, soweit von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, ist eine für unsere Zeit typische Shitstorm-Episode, die am Anfang in Form eines Youtube-Clips angerissen wird: eine Frau (später stellt sich, soviel sei gespoilert, heraus, dass es sich um die Mutter des Schriftstellers handelt) wirft eine Handvoll Kies auf einen republikanischen als zukünftiger Präsidentschaftskandidat gehandelten Gouverneur undwird so zu einem Medien-Hype/Skandal. Was sie zu dieser Aktion motiviert haben mag, ist auch nach der Hälfte des Romans noch ziemlich unklar, aber ich bin mir sicher: am Ende weiß man Bescheid. :)

Später mehr dazu, jetzt will ich erstmal weiterle-... äh ... hören. :shine:
 

Tolotos

Haluter
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@Chinasky: Ich merke gerade, ich habe missverständlich (bzw. eigentlich sogar unverständlich) formuliert. Ich meinte oben, dass "Talk Talk" inhaltlich auch auf einem anderen (vermutlich niedrigeren) Niveau als Tortilla Curtain ist [in dem Sinne, dass es zwar schon ein tieferes (soll heißen "mit Aussage versehen" bzw. "zum Nachdenken anregendes") Thema abseits der Thrillerhandlung gibt, dass dieses aber eher die Neben- als die Hauptrolle spielt], nicht nur, dass es rein thematisch von letzterem entfernt ist.

Hast du bei den anderen Bücher von Boyle eigentlich Favoriten? Habe mir nämlich auch vorgenommen, noch deutlich mehr von ihm zu lesen, und tue mir schwer mit der Reihenfolge, in der ich das tun will.
 

skull

Thronfolger
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Einwurf von der Seite: Ich war von 'World's End' recht angetan, sicherlich auch aus historischem Interesse. Allerdings war ich damals noch begeisterungsfähiger als heute.

Andere Boyle-Romane (Budding Prospects, East is east) fand ich dann noch ganz nett, aber mehr auch nicht - mir fällt aber eben auch auf, dass es sich dabei ausschließlich um bereits in den 80ern verfasste Texte handelt.

Von der Thematik her (Einwanderung, Umwelt) hatte ich bei den neueren Texten immer etwas Sorge, dass sie zu didaktisch und dann auch aus US-Perspektive daherkommen könnten, und habs dann im Endeffekt gar nicht mehr probiert. Insofern wäre der hier vorgestellte Thriller vlt ganz interessant, hmm.
 

Rhonwen

Forumsköchin
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Momentan quäle ich mich durch "The great Zoo of China" von Matthew Reilly.

Quälen deshalb, weil ich es auf Englisch lese.

Vier Reporter zweier angesehener Zeitungen (National Geographic und eine New Yorker Zeitung) werden eingeladen, in China einen neuen, weltweit angeblich einzigartigen Zoo vor der Eröffnung zu besichtigen, um der Welt davon zu berichten. Die Protagonistin ist eine Tierärztin, spezialisiert auf Krokodile.
Zu den 4 Journalisten stoßen ein chinesisches Fernsehteam, mehrere Funktionäre sowie der amerikanische Botschafter in China samt Assistenten. Die Chinesen wollen diese Gelegenheit nutzen, um der ganzen Welt zu zeigen, dass sie ebenso große Attaktionen schaffen können wie Amerika mit Disney-Land.

Die Präsentation im mehrere Kilometer langen sowie breiten künstlichen Krater läuft von Anfang an nicht ganz wie geplant, die Tiere nutzen die ganze Aufregung, um ihre eigenen Pläne durchzusetzen. Dumm bloß, dass es keine niedlichen Koalas oder händelbare Krokodile sind...


Dies ist ein Buch mit einer weiblichen Hauptperson, was ungewöhnlich für Reilly ist. Wie alle seiner Hauptakteure hat sie einen Knacks in der Vergangenheit bekommen, der sie auch aktuell noch beeinflusst. Das Buch ist schnell, aber nicht rasend schnell geschrieben und zu lesen.
Reilly beschreibt vieles gern in Einzelheiten und fügt Zeichnungen ein, damit man bestimmte Wendungen der Story nachverfolgen kann. Ein paar kleine Ungereimtheiten habe ich gefunden, alles in allem aber nett zu lesen.

4 bis 4,5 von 5 Punkten.
 
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