Buchkritiken - Das Topic für Leseratten, Teil 2

Tolotos

Haluter
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Was ich gerade gelesen habe (ich poste meine Goodreads-Bewertungen dabei, falls jemand die Texte zu lang sind):

James Patterson - Zoo:

Ich habe das Buch mit eher niedrigen Erwartungen in die Hand genommen, weil ich die Prämisse (Tiere überall auf der Welt rasten aus und werden sehr aggresiv dem Menschen gegenüber) interessant fand, da Tierhorror (noch mehr, wenn Dinosaurier vorkommen) ein bißchen mein Guilty Pleasure ist.
Leider war das Buch wirklich sehr schlecht - uninteressante Charaktere, die im Bestfall Klischees, im Schlimmstfall ohne Eigenschaften sind; unlogische Entscheidungen der Charaktere; Logikfehler; alles muss ausbuchstabiert werden und der Schreibstil (hab es aber nur übersetzt gelesen) ist auch sehr schlecht. Das Ende hätte mir in einem besseren Buch und besser gemacht vielleicht gefallen, aber hier fand ich es auch eher albern und plakativ zu gleichen Teilen.
Ich habe vor allem deshalb zu Ende gelesen, weil ich eben das Thema mag. Definitiv keine Empfehlung.
2/5 (mehr als einen Star nur weil ich es wegen meiner Schwäche fürs Thema zu Ende gelesen habe)

Thomas Galli - Die Schwere der Schuld:
Ein langjähriger Gefängnisdirektor erzählt von seinen interessantesten Erlebnissen und verbindet damit ein Playdoyer gegen unsren momentanen Umgang mit Straftätern. Das Buch ist interessant, vor allem weil man weiß, dass die Fälle real sind. Das merkt man auch durchaus, denn besonders spektakuläres sollte man nicht erwarten. Ich fand den Einblick in eine Welt, zu der man sonst in der Realität wenig Bezug hat, spannend. Die zusätzliche Botschaft befindet sich vor allem im Epilog und der Einleitung, selten in den einzelnen Kapiteln, d.h. wenn man sich dafür nicht interessiert kann man sie durchaus sehr einfach ignorieren. Inhaltlich hat er mich mit seinen Argumenten zu dieser Botschaft zwar nicht überzeugt, aber zumindest zum Nachdenken gebracht.
3/5

Joe Abercrombie - First-Law-Trilogie
Ich habe noch nicht viele Fantasy-Reihen außer ASOIAF gelesen (Spiel der Götter, Kingkiller, Witcher und den Anfang von Locke Lamorra), daher weiß ich nicht wie aussagekräftig der folgende Satz ist, aber von denen die ich kenne, war First Law dem Lied am nächsten. Ich würde es insgesamt vielleicht als "etwas leichtere" Version von ASOIAF beschreiben. Gemeinsamkeiten gibt es im Setting (Krieg an allen Ecken, im Reich, in dem die Handlung hauptsächlich spielt, hält man Magie eher für Aberglauben) und in dem was erzählt wird (Kriege und Intrigen bilden einen großen Bestandteil) sowie im "Tonfall" (düster, wobei es etwas mehr (oft schwarzen) Humor gibt). Weiter heißt das auch, dass die größte Stärke die Charaktere sind. Wie vermutlich viele habe ich Glokta faszinierend (nicht sympathisch!) gefunden. Klar ist auch er nicht der komplexeste/tiefgründigste Charakter, aber über ihn zu lesen, ist schon deshalb faszinierend, weil er ungewöhnlich (als POV-Charakter in einem Roman) ist. Logen ist zwar ein etwas klassischerer Charakter, aber deutlich besser ausgearbeitet als für einen solchen Charakter üblich. Jezal und Ferro sind etwas klischeehafter, fühlen sich aber immer noch einigermaßen wie realistische Menschen an und sind konsequent charakterisiert. Sehr gut als Nebencharakter gefiel mir auch Bayaz. Der Plot ist ziemlich Standard
, bis vielleicht auf das Ende.
Der Schreibstil ist sehr einfach gehalten und nichts besonderes, was aber nicht schlecht sein muss, da man die Bücher so schnell und gespannt verschlingen kann. Gegen Ende des letzten Bandes waren wir waren mir die actionhaltigeren Szenen etwas zu lang, aber sie waren in allen drei Bänden immer sehr übersichtlich beschrieben und spannend.
Insgeamt hat mir die Trilogie sehr gut gefallen, der deutlich beste Band war dabei der zweite (der erste leidet etwas darunter, dass er im Wesentlichen keinen eigenen Plot hat, das wird aber durch die interessanten Charaktere, die man dort ja noch kennenlernt ganz gut ausgeglichen, im dritten war mir die Phase kurz vor dem Ende wie oben beschrieben etwas zu lang, das (kontroverse) Ende an sich fand ich sehr gut).
The Blade Itself 4/5 (aber knapp an der 3); Before They Are Hanged 4/5; Last Argument of Kings 3/5.

Jerry Hopkins - Thailand Confidential
Ein Auswanderer nach Thailand, der dort vor Schreiben des Buches 10 Jahre gelebt hat, erzählt in von einander unabhängigen Kapiteln von Aspekten seines Lebens in Thailand, die seiner Einschätzung nach nicht so oft in verschiedenen Medien rüberkommen. Ich habe das Buch gekauft und gelesen, weil ich derweil in Backpackerurlaub in Thailand war. Daher fand ich die Informationen darin sehr interessant. Es sind tatsächlich größtenteils Sachen, die zumindest nicht im Reiseführer stehen oder direkt auffallen. Allerdings war mir der Autor, wenn er mal (was zum Glück selten war) einen Eindruck von seinen Einstellungen gab, sehr unsympathisch und gerade im Kapitel über Backpacker (dem einzigen, in dem ich sinnvolles eigenes Wissen hatte) hat er offenbart, dass er davon sehr wenig Ahnung hat. Daher sollte man das Buch wohl besser als Buch über seine Erlebnisse in Thailand denn als Buch mit objektiven Wahrheiten über das Land lesen.
3/5
 

Shao

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Wofür gibts du 5/5 wenn First Law nur 3,5 von 5 kriegt? Ich hoffe du hast First Law auf Englisch gelesen?
Ich meine, das meiste, was du über First Law sagst, stimmt. Die Charaktere sind die Stärke, der Plot ist...naja, Standard würd ichs nicht nennen, aufgrund des Endes, aber revolutionär ists natürlich nicht. Ich sehe in deinem Review halt kaum nen Kritikpunkt außer die für dich zu lange Endphase. Die Meinung teile ich zwar absolut nicht, aber dann frage ich mich eben, was bei dir eine 5/5 verdient. :D
 

Tolotos

Haluter
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Ja, war auf Englisch.

Ich bewerte erst seit zwei Jahren Bücher, um mir selbst einen Überblick zu verschaffen, mit Punkten, aber dabei habe ich von etwa 120 Büchern genau einem 5/5 Sterne gegeben: Das Kartell (Don Winslow).

Ich habe aus meiner Erinnerung an die Zeiten vor goodreads noch einige weitere Bücher mit einer 5/5-Bewertung eingetragen:
A Song of Ice and Fire (George R.R. Martin), 1984 (George Orwell), Jurassic Parc (Michael Crichton), And then there Were None (Agatha Christie), Fight Club (Chuck Palahniuk), Der Prozeß (Franz Kafka).

Ich würde also schon sagen, dass ich mit 5/5-Bewertungen eher zurückhaltend umgehe.

Dabei bewerte ich hauptsächlich, als wie gut ich selbst das Buch empfunden habe, versuche aber auch vor mir selbst, die Bewertung halbwegs zu rechtfertigen, das heißt ein Buch, das mir sehr gut gefallen hat, bei dem mir aber objektive Problem auffielen (Logikfehler, schlechter Schreibstil, unrealistische Handlungen,...), wird (nur) minimale Abzüge kriegen.

Bei First Law war es so, dass der erste Band in meinen Augen deutliche Probleme mit dem Plot hat (die verschwinden nur, wenn man ihn als "Einleitungsteil" der Trilogie lieset, nicht als eigenständiges Buch) - in dem Buch passiert prinzipiell sehr wenig. Durch die sehr guten Charaktere fand ich mich trotzdem sehr gut unterhalten und habe daher mit 4/5 Sternen bewertet.

Beim zweiten Teil gefiel mir die Glokta-Storyline mit Abstand am Besten (wohl auch aus Geschmacksgründen, ich mag solche Intrigenplots sehr). Dort hat mich beim Lesen nur minimal gestört,
dass das Geld von der Bank aus dem Nichts und sehr gelgen kam. Da das aber nachher auch Nachteile hatte und vernünftig erklärt wurde, verschwand dieser Punkt im Nachhinein für mich wieder."
Der Plot im Norden hat mir auch sehr gut gefallen, allenfalls waren die Adligen um Ladisla vielleicht etwas zu klischeehaft.
Der Bayaz&Reisegruppe-Plot hat mir am wenigsten gefallen. Ich mag solche typischen "Questerfüllungsplots" eigentlich gar nicht, und war überrascht, wie sehr mir dieser Teil dann trotzdem noch gefallen hat. Das Zusammenspiel der Charaktere und ein bißchen auch das Ende haben da Einiges rausgeholt.
Müsste ich die Teile einzeln bewerten, würde das wohl etwas so aussehen:
Bayaz-Plot: 3,5/5; Norden: 4/5; Glokta: 5/5. da Ersterer einen Großteil des Buches ausmacht, pendelt sich das bei einer guten 4 ein.

Im dritten Teil war mein Hauptproblem wohl wirklich die Längen, die ich am Schluss empfunden habe. Während
der Belagerung von Adua, spätestens als West, Logen&Co ankamen, eventuell auch schon etwas vorher
hat mich die Action irgendwann ermüdet (
da wieder ein Eater, dort wieder Eaterzwillinge, da ein Kampf mit anonymen Truppen,...
). Ich kann da auch nicht wirklich den Finger drauflegen, wahrscheinlich kann man das dem Buch auch nicht objektiv vorwerfen, aber so war jedenfalls mein Leseempfinden und das bewerte ich ja hauptsächlich.
Minimal gestört hat mich am Anfang übrigens noch:
so sehr ich auch mochte wie der Kroy-/Poulderplot endete und von West aufgelöst wurde, so fand ich es doch etwas absurd, wie die beiden auf den Tod von Lord Marshal Burr reagierten. Bei allem Verständnis für ihre Feindschaft und ihren unbedingten Willen, die Armee im weiteren Verlauf anzuführen, wurden sie vorher doch als militärisch sinnvoll denkend beschrieben. Dass sie dann nicht eingesehen haben, dass eventuell das Gelingen des ganzen Feldzuges davon abhängt, ob man jetzt die Falle zuschappen lässt, war zwar dramaturgisch praktisch, hat mich aber nicht unbedingt überzeugt.
 
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Tolotos

Haluter
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Was ich seit meinem letzten Post gelesen habe:

Im Rahmen meines Projekts alle Christie-Bücher in chronologischer Reihenfolge zu lesen (viele zum zweiten oder dritten Mal, aber viele das letzte Mal als Kind, also mit sehr vager Erinnerung) war an der Reihe:

Agatha Christie - Peril at End House

Vorweg: Ich liebe Agatha Christie. Ich liebe den Charakter Hercule Poirot. Ich liebe seine leicht überhebliche Art, die er versucht zu zügeln, seine etwas arroganten Kommentare gegenüber Hastings und seine meistens kryptisch wirkenden, aber am Ende sinnvollen Fragen an Hastings (und damit den Leser). Vor allem liebe ich es, wie er oft am Ende die beteiligten Charaktere versammelt und dann alle Arten erzählt, wie es gewesen sein könnte, schließlich wie es war und dann oft noch, wie er selbst darauf gekommen ist.

Damit ist mein Urteil meistens (Ausnahmen sind aus anderen Genres, etwa Passenger to Frankfurt, The Big Four) zwischen gut, sehr gut und ausgezeichnet, und die Unterschiede dazwischen hängen absolut am Ende, wie befriedigend und wie überraschend ich dieses finde.

Dabei hat mich "Peril at End House" ziemlich überzeugt. Einige kleinere Auflösungen wirkten recht konstruiert/absurd, aber die Lösung des Hauptfalles war brillant. Durch viele ihrer Romane gut vorbereitet, hatte ich sogar mal an die richtige Person als Täter gedacht und war auch in der Nähe des Motivs, aber dennoch war ich am Ende irgendwie überrascht. Gleichzeitig schafft es das Ende sehr gut, die Vorkommnisse vorher sehr befriedigend zu erklären. (Spoiler auf keinen Fall lesen, ohne das Ende gelesen zu haben)

Mal ehrlich - die Grundprämisse ist schon ziemlich absurd - eine Frau, die fünf- bis sechs mal einem Mordversuch entgangen ist, teilweise mit unverschämtem Glück...


Leichte Abzüge gibt es bei mir für die "Nebenerklärungen". Daher 4/5 und eine klare Empfehlung.

Im Kopf behalten sollte man immer, dass die Romane von Agatha Christie natürlich nicht mehr zeitgemäß sind. Möglicherweise waren sie für ihre Zeit noch fortschrittlich (kann ich schlecht einschätzen), aber aus heutiger Sicht kommen sowohl leicht sexistische als auch leicht rassistische Stellen vor. Diese spielen aber so gut wie nie eine Rolle und können sehr leicht überlesen werden.


Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken

Der sich selbst als Kleinkünstler vorstellende Autor erzählt in Kurzgeschichten über die Absurditäten, die er erlebt seit ein kommunistisches, faules Känguru neben und dann bei ihm eingezogen ist. Die Reihe wurde mir im Freundeskreis und auch im Internet sehr oft empfohlen. Noch besser sollen die Hörbücher sein, auf die ich ab dem zweiten Teil auch wechseln werde. Ganz ist die große Begeisterung auf mich noch nicht übergesprungen. Bis etwas 75 % des Buches empfand ich die meisten Geschichten als amüsant/zum Schmunzeln, aber eben nicht mehr, laut Loslachen oder kritisch über was nachdenken musste ich am Anfang selten, nur einige wenige (1 oder 2) gefielen mir sehr gut, und etwa gleich viele ließen mich völlig kalt. Ab der 75%-Marke gab es für mich dann eine klarere Steigerung (vielleicht zufällig aus Geschmacksgründen, vielleicht wird es dann wirklich besser) und die für mich sehr guten Geschichten häuften sich. Insgesamt 3/5 und die begründete Hoffnung, dass mir die beiden weiteren Bücher (vielleicht auch, weil ich sie hören statt lesen werde) noch besser gefallen werden.

Schließlich noch eine absolute Empfehlung, die hier im Thread schon erwähnt wurde (bin auf das Buch auch dadurch gekommen):

Sergej Lukianenko - Spektrum

Es geht um eine nicht allzu ferne Zukunft, indem eine außerirdische Rasse, die sogenannten Schließer, den Menschen und anderen intelligenten Wesen mit Portalen erlaubt, durch die Welten zu reisen. Der Clou bei dieser soweit bekannten Prämisse besteht darin, dass die Bezahlung fürs Reisen darin besteht, den Schließern eine Geschichte zu erzählen. Nach welchen Kriterien die dann angenommen wird, ist völlig unklar, aber ohne Geschichte kommt man nicht weiter. In diesem Setting muss der Hauptcharakter, ein im Geschichtenerzählen (und damit Reisen) begabter russischer Privatdektiv einen scheinbaren Routinefall lösen.
Highlight des Romans ist aber nicht der Plot (obwohl der auch sehr gut ist), sondern definitiv der Weltenbau. Spätestens in der zweiten Hälfte werden die geschilderten Lebensformen, Welten und Ideen so fantasievoll, abgedreht, aber in sich schlüssig, dass die Beschäftigung damit schon sehr viel Spaß macht. Sehr gut gefallen hat mir auch der Schreib- und Erzählstil, der (in der deutschen Übersetzung, die englische kenne ich nicht) etwas altmodisch und ausschweifend, aber gerade wegen Letzterem faszinierend ist (es wird für einige Beobachtungen oder Beschreibungen von alltäglichen Dingen oft ausgeholt, aber immer mit interessantem Inhalt).
Der Plot ist lange Zeit recht unvorsehbar und dadurch spannend, man sollte aber (zum Glück) keine filmreifen Verfolgungsjagden oder dergleichen erwarten. Am Ende wurde für mich auch alles angemessen aufgelöst, lediglich die Art, wie die Hauptcharaktere im zweiten Teil auf manche Vermutungen/Schlussfolgerungen kamen, schien mir etwas unrund. Gerade im Kontrast dazu, dass die Ideen, die Martin zu Beginn hatte, immer sehr nachvollziehbar begründet und geschildert wurden (Stichwort Homer*2).
Schließlich sollte man erwähnen, dass auch philosphische Ideen mal etwas subtiler, oft aber sehr direkt aufgegriffen und diskutiert werden. Meistens hat mir das sehr gut gefallen und mich zum Nachdenken gebracht. Es gab aber auch Stellen dieser Art, die ich nicht so sehr machte. Das und die oben erwähnte "Nicht-ganz-Schlüssigkeit" mancher Folgerungen gegen Ende bringen mich schweren Herzens dazu, nur 4/5 Punkten zu vergeben. Allerdings sehr knapp an 5/5, und wie man in meinem letzten Beitrag nachlesen kann, will das für mich einiges heißen.
Wer noch eine zweite, etwas schöner geschriebene Perspektive auf den Roman braucht, kann einfach schauen, wie Hank/Chinasky ihn fand: https://kerzenburg.baldurs-gate.eu/showthread.php?p=1042368&highlight=spektrum#post1042368.
Dazu ist nur anzumerken,
dass es später doch ein Love Interest gibt. Allerdings ist der entsprechende Teil der Geschichte nicht zu aufdringlich und dadurch zumindest nicht störend.

An dieser Stelle, noch eine Bitte, falls Hank hier immer noch mitliest: Empfiehl mehr Bücher! Ich bin bisher dreimal deinen Empfehlungen gefolgt, und habe dreimal ein Buch gelesen, dass ich herausragend fand (Don Winslow - Das Kartell, Neal Stephenson - Cryptonomicom und jetzt Spektrum). Am meisten interessieren würden mich zeitgenössische Empfehlungen, nicht weil ich Klassiker nicht lese, aber dazu gibt es ja sogar schon einen Beitrag von dir in einem Thread in der Schatzkiste, den ich auch am "Abhandeln" bin; außerdem kommt man leichter an Empfehlungen von guten Klassikern. Natürlich habe ich mir die Imperium-Saga schon auf mein Kindle geladen, das ist die letzte Empfehlung von dir hier im Thread, die die Suchfunktion zu Tage bringt.
 
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Tolotos

Haluter
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Als letztes gelesen habe ich die nächste Empfehlung von Hank und den nächsten Volltreffer

Robert Harris - Imperium
Imperium ist der Beginn der Cicero-Trilogie von Robert Harris und behandelt die römische Geschichte 80-64 v.Chr aus Sicht des Leibsekretärs (+Sklaven) Ciceros, Tiro. Dabei wird Ciceros früher Werdegang und der Wahlkampf zum Konsul beleuchtet.
Ich fand das Buch überragend gut. In der ersten Hälfte ist es ein Justizthriller Marke John Grisham aber eben im Setting des alten Roms, und im zweiten Teil, der mir noch besser gefiel, ist es ein Politthriller mit Intrigen, Bündnissen und Verrat, wie man es sich nur wünschen kann. Jeder, der die Tyrion-Kapitel in CoK wegen der Politik darin mochte und nicht nur wegen Tyrions Schlagfertigkeit und Gedanken, der wird sich hier sehr wohl fühlen.
Das Buch hat sicher auch Nachteile (der Schreib- und Erzählstil ist recht trocken, da die ganze Geschichte als von Tiro geschriebene Biographie Ciceros inszeniert wird; die realen Gegenstücke, die man mit den vorkommenden Piraten assoziiert werden vielleicht etwas zu unsubtil angedeutet; die Charaktere sind nur in seltenen Fällen komplex, auch bedingt durch die Erzählweise), aber der Inhalt bzw. der Plot haben mich so sehr gepackt, dass ich es verschlungen habe. Geholfen hat mir sicher auch, dass mir Cicero, wie er hier dargestellt wird, durchaus sympathisch ist - ein zwar ehrgeiziger und oft auch sehr pragmatisch handelnder (braucht man wohl, um weit zu kommen) Politiker, der zwar seine Prinzipien hat, aber eben nur sehr grobe, und sich auch selten komplett an diese halten kann.
Außerdem kam mir sicher entgegen, dass mir von dieser Epoche des römischen Reiches aus meiner Bildung nur bekannt war, dass die römische Republik Probleme hat, und dass und wie (der schon vorkommende) Cäsar irgendwann stirbt. Außerdem wirkte auf mich (als historischen Laien) alles sehr gut recherchiert. Ich werde das sicher noch ausführlicher prüfen, wenn ich keine Angst vor Spoilern mehr haben muss.
Absolut klare Empfehlung - von mir sogar, sicher sehr subjektive 5/5.

Ich bin jetzt natürlich schon mitten im zweiten Band, Lustrum. Und da ich die Geschehnisse wirklich faszinierend finde, überlege ich schon, ob ich danach nicht die "Masters of Rome"-Serie von Colleen McCullough lesen soll. Die behandelt die gleiche Zeit wohl teilweise aus der anderen Sicht.
 

Lazarus

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Lies doch erst noch den dritten Teil "Dictator" der Cicero Trilogie. Der ist auch super.
Ich fand allerdings den ersten Teil am allerbesten. Die anderen beiden sind dagegen "nur" sehr gut!
 

Tolotos

Haluter
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Sorry, habe mich schlecht ausgedrückt - klar, "Dictator" danach hatte ich fest eingeplant. Mit "danach" meinte ich eher "nach der Trilogie" nicht "nach dem nächsten Band" ;)
 

Tolotos

Haluter
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Robert Harris - Lustrum
Der zweite Teil der Cicero-Trilogie ist in Erzählweise, Aufbau etc. natürlich sehr nah am ersten Teil. Die Geschehnisse sind ähnlich faszinierend, der Plot hat mich erneut größtenteils absolut überzeugt und begeistert. Es bleiben natürlich auch die alten Schwächen (möglicherweise trocken wirkender Schreibstil, nicht immer perfekt dreidimensionale Charaktere), die mich aber nicht wirklich gestört haben.
Eine Schwäche im Plot ist aber leider neu hinzugekommen, diese ist vermutlich aber Geschmackssache.

Ich fand die kurze Phase, in der Cicero größenwahnsinnig wird (nachdem er die Catilinische Verschwörung aufgedeckt hat), nicht sehr überzeugend. Mag sein, dass er damals wirklich so gedacht und agiert hat, aber es hat einfach nicht zu meinem Bild von Charakter Ciceros gepasst, das sich vorher durch die Beschreibungen Tiros/Harris' entwickelt hatte. Dabei hat mich nichtmal so sehr gestört, dass Cicero in dieser Phase absolut von sich überzeugt und zwar über jedes gesunde Maß hinaus war, denn dafür gab es vorher durchaus Andeutungen - er war schon immer sehr ehrgeizig und wollte am liebsten ewigen Ruhm. Was mir überhaupt nicht gepasst hat, war, dass er damit absolut leichtsinnig umging, und sämtliches Intrigieren, Taktieren gegen politische Gegner usw. einfach ignorierte. Ob so ein Verhalten bei einem derart pragmatischen und vorher sehr kalkuliert handelndem Politiker vielleicht doch realistisch ist (wer weiß, wie man mit soviel Lob und Erfolg umgeht), kann ich natürlich nicht beurteilen, aber zumindest hat es auf mich unrealistisch gewirkt , und damit etwas an Lesefreude genommen.

Explizit meine ich übrigens nicht, dass mich gestört hat, dass Cicero auch Fehler macht und Schwächen hat, solange das plausibel wirkt (z.B. sein Ausraster im Hybrida-Prozeß oder seine Prinzipien, wenn er Caesars Angebot nicht annimmt), finde ich es sogar sehr gut, aber eben nicht mehr, wenn es nicht konsisten zur vorherigen Charakterisierung wirkt.

Wegen der im Spoiler erwähnten Schwäche nur noch 4/5 Punkten bei erneut sehr kurzweiligem Lesevergnügen.
 

Tolotos

Haluter
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Robert Harris - Dictator

Habe jetzt also die Cicero-Trilogie beendet. Wie die beiden Bücher zuvor, fand ich auch dieses Buch hauptsächlich wegen der faszinierenden Geschehnisse, sehr interessant. Es leidet allerdings etwas darunter, dass Cicero lange Zeit eher eine Zuschauer- bzw. wenig einflussreicher Mitwirkerrolle hat. Dadurch fällt es für mich, trotz der wieder sehr spannenden und guten Schlussphase im Vergleich vor allem zum ersten Buch etwas ab. Immer noch starke 4/5.

Wenn ich alle Teile (jedes Buch besteht aus zwei Teilen) beurteilen sollte, dann wie folgt:
Am mit Abstand besten fand ich Part Two: Praetorian (Ciceros Weg zum Konsul, gespickt mit allerlei Intrigen) und Part Three: Consul (Die Amtszeit als Konsul, insbesondere also die Catilinische Verschwörung), sehr gut war auch Part One: Senator (Verres-Prozess und die Anfänge), sowie mit Abstrichen Part Six: Redux (vor allem die Geschehnisse ab Caesars Ermordung, natürlich sehr tragisch). Etwas abgefallen sind Part Four: Pater Patriae (wegen der oben erwähnten Charakter-Inkonsistenzen) und Part Five: Exile (trotzdem, dass sehr viel interessantes passiert, ist Cicero, also der eigentliche Protagonist halt nur Zuschauer).


Außerdem habe ich ein Sachbuch zu Ende gelesen, dass ich vorher parallel zum jeweiligen Roman las. Die Cicero-Trilogie war aber zu eifersüchtig (d.h. spannend) für Nebenbuhler, und daher konnte ich mich erst jetzt wieder diesem Sachbuch widmen):

Lori Gruen - Ethics of Captivity
Sachbuch mit mehreren philosophischen (durchaus wissenschaftlichen, nicht populärwissenschaftlichen) Essays zu Gefangenschaft, mit Schwerpunkt auf Tieren, aber auch Menschen in Gefangenschaft kommen vor. Im ersten Teil geht es um eine Bestandsaufnahme, welche Arten von Gefangenschaft es überhaupt gibt, und was das für die jeweilige Tierart bzw. die jeweiligen Menschen bedeutet. Dabei geht es um Hunde; Meeressäuger; Elefanten; Schimpansen; Hasen; Schutzgebiete allgemein; Gefängnissinsassen (auch von Häftlingen selbst geschrieben, die anscheinend unter Lori Gruen Philosophie studiert/gelernt (konnte "study" nicht zuordnen) hatten) und eine Insassin eines Frauengefängnisses. Dieser Teil ist schon sehr interessant und informativ, man lernt einiges, sowohl über die Bedingungen der Gefangenschaft als auch über die Auswirkungen auf die und die Bedürfnisse der jeweiligen Tierarten (inkl. Mensch).
Im zweiten Teil wird sich dann ethisch mit verschiedenen Themen aus diesem Kreis auseinandergesetzt. Das war der Teil, der mich mehr interessiert hat, dann meine (nach dem ersten Teil hohen) Erwartungen aber leicht enttäuscht hat. Da die Essays absolut unabhänig voneinander sind, sage ich am besten kurz zu jedem etwas:
9: For their own Good - Sollte man Katzen immer Zugang nach draußen gewähren bzw. ist man dazu verpflichet? Sehr interessantes Essay zu einer Frage, die in den USA sicher akuter ist als in Europa, da bei uns die Fronten in der öffentlichen Meinung klarer verteilt sind. Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob man manchmal autonome Lebewesen einschränken sollte, wenn man ihnen damit (angeblich) eigentlich einen Vorteil verschafft/Gefallen tut (d.h. Fälle, in denen Katzen aus Bequemlichkeit o.ä. der Zugang nach draußen verwehrt wird, werden eher ausgeklammert, da ethisch viel eindeutiger und leichter zu bewerten). Dieses Essay hat mir sehr gut gefallen.
10. Born in Chains - Die Frage ist, was Domestikation überhaupt ist und ob diese moralisch vertretbar ist. Ich glaube (ist schon etwas her), ich fand es ganz interessant und schlüssig, aber die Hauptkonklusion (Domestizierte Tiere sollten weder als Sklaven noch Artefakte, Bürger oder Strategen sondern einfach als Tiere mit entsprechenden Interessen betrachtet werden und daraus ergeben sich entsprechende moralische Implikationen) so wenig überraschend, dass ich mich echt gewundert habe, dass das anscheinend was neues in dieser Debatte war/ist.
11. The Confinement of Animals Used in Laboratory Research - Hier geht es explizit nicht um die Frage, ob Tierversuche für gewisse Forschung (z.B. Medikament o.ä.) legitim sein können, sondern eher darum, ob für Tiere, die für die Forschung gehalten werden nicht nur die Bedingungen, in denen sie gehalten werden,ein Schaden und damit verwerflich sind, sondern auch schon allein die Tatsache an sich, dass sie überhaupt in Gefangenschaft sind. Damit ist der Bezug zu Laboren sehr vage, man hätte das Essay mMn auch ein gutes
Stück allgemeiner schreiben können. Eine Zeitlang wird auch erst mal definiert, was Gefangenschaft überhaupt ist und was daran intrinsisch (also nicht durch Auswirkungen aufs Wohlbefinden) schlecht sein könnte. Das ist alles ganz nett, aber auch sehr grundlegend und war für mich nur mäßig interessant.
12. Captive for Life - Es soll prinzipiell darum gehen, ob und welche Arten von "Züchtung zur Arterhaltung" moralisch legitim sind. Dabei geht es aber in einem Großteil des Essays
eher darum "In-Situ" und "Ex-Situ"-Züchtung (d.h. "in der Wildnis", d.h.Schutzgebieten o.ä. vs. in Zoos) zu differenzieren, und zu erklären, warum eine klare Trennlinie schwierig ist. Es geht nur ganz am Rande um die entsprechenden ethischen Fragestellungen. Dieses Essays war für mich eher anstrengend und hat mich daher enttäuscht.
13. Sanctuary, Not Remedy - im Wesentlichen geht es darum, dass Schutzgebiete, während sie beim momentanen Status quo nötig und für einige Individuen die beste Option sind, trotzdem nicht optimal sind und in einer optimalen Welt nicht moralisch vertretbar und damit abschaffungswürdig wären. Der Gedanke ist interessant, und es wird auch schlüssig
argumentiert/berichtet. Vielleicht ist das Essay für die eher simplen Argumente etwas zu lang. Trotzdem hat es mich durchaus interessiert.
14. Diginity, Captivity and an Ethics of Sight - Es geht um die Frage, was Würde überhaupt ist, es wird eine relationale Definition eingeführt und damit erklärt, warum nach dieser Definition auch Tiere Würde haben können. Schließlich werden die Implikationen für ethische Bewertungen von Gefangenschaft kurz besprochen. Ich fand dieses Essays sehr
interessant, da ich als philosophischer (Halb-)Laie nicht mal die verschiedenen klassischen Würde-Konzepte kannte, und die Auseinandersetzung mit diesen interessant fand. Ich würde nicht alle Thesen des Essays (Würde hängt genauso vom "Die Würde respektierenden" wie vom "Würdeträger" ab u.ä.) in dieser Form unterschreiben, kann die
Argumente aber nachvollziehen und habe das Gefühl durch dieses Essay einiges neues gelernt zu haben. Bezug zum Hauptthema (insbesondere über Tiere in Zoos, aber auch Häftlinge in Gefängnissen) war da und auch plausibel, wenn auch der kleinere (Anwendungs-)Teil des Essays.
15. Coercion and Captivity - Es geht um die Frage, ob Gefangenschaft immer mit Zwang (bzw. Coercion; mir kam "Zwang" nicht wie eine gute Übersetzung vor, mir ist aber keine bessere eingefallen) einhergeht, diesmal geht es hauptsächlich um Menschen. Dazu wird zunächst differenziert, welche Arten von Gefangenschaft es überhaupt gibt (phys.
(Gefängnisse, Entführungsopfer,...), psych. (Teil einer Missbrauchsbeziehung; manche Einwohner polit. Diktaturen, z.B. Nordkoreas; ...), sozial (Sklaven, wenn dies legalisiert ist)), danach definiert, was man unter "Coercion" versteht und überprüft, wie "Coercion" und Gefangenschaft zusammenhängen. Das Essay ist wie angedeutet sehr theoretisch, ich fand es dennoch sehr lesenswert. Es gab interessante Gedankengänge sowohl zu Gefangenschaft allgemein als auch zur Beziehung Gefangenschaft/Coercion. Man muss sich aber für das Thema erwärmen können, sonst kommt es einem sicher eher "überflüssig" vor.
Insgesamt hat mir das Buch trotz der 1,2 etwas enttäuschenden Essays im zweiten Teil sehr gut gefallen. Pflichtlektüre für jeden, den das Thema prinzipiell interessiert und der Philosophie mag. 4/5.
 
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Tolotos

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Cody McFadyen - Shadow Man

Ein klassischer Serienmörderthriller, las sich von Inhalt und Explizität her wie ich mir Tess Gerritsen oder Karin Slaughter vorstelle (hab von denen aber noch nichts bzw. schon lange nichts mehr gelesen). Hauptfigur ist eine starke Frau beim FBI, die aber traumatisches mitgemacht wird. Es geht in Shadow Man dann zum einen darum, dass sie wieder in ihren Job findet, zum anderen, dass sie einen aktuell aktiven Serienmörder überführt.
Das Buch hat klare Schwächen (sehr klischeehafte Nebencharaktere; eher offensichtlicher Twist; viel zu viel "Tell", zu wenig "Show" bei Einführung der Charaktere [Highlight dabei: die Frau eines Ermittlers wird als persönliche Begegnung eingeführt mit "she is Mom", obwohl sie keine Mutter ist, d.h. "Mom" als Beschreibung/Adjektiversatz. Entsprechend verhalten sich natürlich auch alle ihr gegenüber]; furchtbare Sexszene (mehr im Spoiler unten)) aber auch Stärken (Hauptperson ist zwar auch klischeehaft, aber ich konnte mit ihr trotzdem meist mitfiebern, sie war mir also sympathisch; dort wo es um Details aus einzelnen Richtungen ging (IT, Körpersprache, Spurensicherung, u.ä.) blieben die Details zwar oberflächlich, wirkten auf mich (=ohne eigenes Fachwissen) aber immer richtig - das ist ja auch nicht immer selbstverständlich), sowie natürlich die Hauptstärke, die bei solchen Büchern üblich ist, dass es verflucht spannend ist. Durch den Inhalt sowie den Stil (Präsenz aus Sicht der Hauptperson - zwar nicht toll geschrieben, aber eben spannend geschrieben) will man immer wissen, wie es jetzt weitergeht. Also typischer Vertreter der Sparte "Fastfood-Literatur": Schnell und gerne ausgelesen, aber ohne ernsthaften Genuss und ohne viel Gehalt. Reicht bei mir, da ich es ja immer gerne gelesen habe, gerade noch für eine 3/5.
Spoiler zur Sexszene und allgemeinen "Anstands"-Untertönen:
Während ich mir noch vorstellen kann, dass man so kurz (= 6 Monate) nach dem gewaltsamen Tod des Ehemanns (über den man absolut noch nicht hinweg ist), wieder Sex
haben will, sei es, weil man sich wieder begehrt fühlen will (wie hier) oder weil man einfach Lust darauf hat. Dass man dann aber direkt über eine gemeinsame Zukunft nachdenkt erschien mir sehr seltsam. Vielleicht ließen die Moralvorstellungen des Autors was anderes nicht zu? [auch an ein zwei anderen Stellen merkte man die Haltung "eigentlich bin ich ja aufgeklärt und man sollte das alles nicht schlimm finden, aber..." an. - Bsp: Eine Ex-Stripperin (oder Ex-Amateur-Porno-Darstellerin, weiß nicht mehr genau) hat es nach Ansicht einer Figur, die nicht reflektiert wird, nicht verdient zu sterben, weil sie ja die Kurve gekriegt hat (d.h. eben nichts unanständiges mehr macht). Achso, und sonst hätte sie es verdient?! Soll das wirklich mitschwingen?!?]


Oliver Sacks - The Man Who Mistook his Wife for a Hat
Buch eines Neurologen über einge sehr interessante neurologische Fälle. Er beschreibt dabei immer nur die Situation und philospohiert ein wenig darüber. Die ersten drei Fälle (unter anderem der titelgebende) fand ich dabei so interessant, dass ich nach jedem eine Zeit lang reflektieren und mit mehreren Freunden (die das Buch nicht gelesen haben) ausführlich über den entsprechenden Fall reden musste - das ist eines der höchsten Lobs, die so ein Buch von mir kriegen kann (dass ich das Bedürfnis habe, nicht nur mit einer, sondern mit mehreren Personen, die von sich aus keinen Bezug dazu haben, über den Inhalt des Buches zu reden). Leider hat das Ganze in der Folge etwas abgebaut. Fälle, die mich so fasziniert haben, wie die ersten, kamen zwar noch vor, aber selten (vielleicht 2 bis 3 weitere) und verstreut über das Buch. Die anderen Fällle waren größtenteils gut bis ok, ganz selten (vielleicht auch zwei oder drei mal im ganzen Buch) hat mich ein Fall eher gelangweilt. Ein deutlicher Kritikpunkt ist, dass manchmal etwas zuviel medizinisches/neurologisches Fachwissen und vor allem -Vokabular vorausgesetzt wird (nie so viel, dass man gar nichts versteht, aber manchmal so viel, dass man einzelne Nebensätze oder Begründungen nicht versteht).
Wäre das ganze Buch so wie sein Anfang, so hätte es eine deutliche 5/5 verdient, und zwar am oberen Ende. Wären diese 5,6 herausragenden Fälle nicht gewesen, so hätte ich vermutlich eine 3/5 für ganz nette Unterhaltung/Information, aber nicht mehr vergeben. Bleibt hier wohl als Kompromiss 4/5.
 

Tolotos

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Zuletzt gelesen habe ich:

Karl Edward Wagner - Bloodstone

In Bloodstone geht es um eine Episode rund um den mysteriösen Bloodstone aus dem Leben des Unsterblichen Kane. Ich glaube mehr sagen, würde schon zu viel verraten, mir gefiel es jedenfalls besser, dass ich nicht genau wusste, um was es geht. Minimalste (!) Spoiler sind im folgenden Text trotzdem enthalten.
Hervorragend gelungen sind K. Wagner dabei vor allem die Charakterisierung der Hauptcharaktere (Kane, Teres, mit Abstrichen auch Dribeck), sowie die Atmosphäre, die das Buch aufbaut. Normalerweise geht es mir zumindest bei Science-Fiction und Fantasy (Genres, in denen es auch auf die Welt ankommt, die vorgestellt wird, und nicht nur auf den Plot) so, dass eine epische Länge eher meinem Geschmack entspricht. In Bloodstone ist der Weltenbau zwar aufgrund der Länge (200 Seiten) offensichtlich nicht episch (es gibt zwei Stadtstaaten, und nur sehr vage erfährt man zwischendrin etwas über die Welt drumherum), aber die Atmosphäre, die aufgebaut wird (vermutlich durch den Schreibstil und die Art der Beschreibung von Menschen und Orten - wobei es natürlich schwer ist zu sagen, aus welchen Gründen man genau eine gewisse Atmosphäre beim Lesen empfand) ist überzeugend genug, dass einem die Welt lebendig vorkommt.
Der Plot an sich ist zwar im Endeffekt nicht allzu überraschend oder faszinierend (was auch mein einziger Kritikpunkt ist), aber während dem Lesen ist die Geschichte trotzdem zumindest in den Details nicht vorsehbar, was für mich auch ein klarer Pluspunkt war. Die Länge des Buchs hat natürlich auch einen Vorteil - es passiert ständig etwas. Passagen, in denen die Handlung nicht vorankommt und die einem langweilig vorkommen, gibt es schlicht nicht.
Eine weitere Hauptstärke, die ich oben schon angesprochen habe, ist die Figur des Kane. In den Gesprächen mit Teres erfährt man etwas auch über seine Philosophie/sein Leben, was ihn sehr interessant macht. Zunächst hatte ich etwas die Befürchtung, dass er für mich zu "overpowered" ist. Dadurch, dass er m.E. gar nicht wirklich der Protagonist der Geschichte ist (oder zumindest nicht immer so wirkt, ich weiß nicht wie man Protagonist definieren würde), wird diese zunächst zu befürchtende Schwäche aber direkt ausgehebelt. Also - ja, als Protagonist wäre Kane zumindest im Setting dieser Geschichte und für mich, ein Minuspunkt gewesen - aber da ich ihn nicht so wahrnahm, haben mich seine Fähigkeiten überhaupt nicht gestört.
Schließlich sollte man noch etwas zum Schreibstil sagen, der mir deutlich positiv aufgefallen ist. Ich kann nicht genau den Finger darauf legen, warum, aber ich empfand ihn (ohne das er hochtrabend war) als eine Stufe besser als das, was ich in vielen anderen Büchern aus den Bereichen Fantasy oder Thriller lese.
Insgesamt hat mir Bloodstone sehr gut gefallen und ich vergebe 4/5 Punkten.
 
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Tolotos

Haluter
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Robert Bevan - Kritische Fehlschläge [Original: Critical Failures]

Es geht um die vermutlich altbekannte, aber für mich zumindest in Buchform neue Prämisse, dass die Spieler eines Pen&Paper-Rollenspiels (offensichtlich und stark an D&D angelehnt), in der Realität in die Welt des Rollenspiels reingezogen werden. Das heißt insgesamt ist eine Mischung aus (vorrangig) Humor und (ein wenig) Abenteuer.
Dabei ist das Buch durchaus kurzweilig geraten und hat einiges an wirklich lustigem Humor bei dem Anteil des Humors, der Rollenspiel an sich und D&D im speziellen persifliert bzw. Anspielungen darauf macht. Zugute kam dem Buch bei Letzterem für mich sicher auch, dass ich eben noch kein Buch mit dieser oder einer ähnlichen Prämisse gelesen habe, und auch von Terry Pratchett noch nichts gelesen habe, dadurch also an Witzen über Fantasy noch nichts für mich ausgelutscht, sondern alles neu war.
Nachteile gab es aber auch klare - zunächst mal die Charaktere: diese sind zum Einen Klischees, aber das wäre in diesem Setting locker zu verschmerzen. Das Problem ist vielmehr, dass die Charaktere durchweg mindestens ein wenig und bis hin zu extrem unsympathisch sind. Das ist nicht gerade angenehm, wenn man irgendwie mit den Protagonisten mitfiebern will, aber zumindest einige wirklich gar nicht mag...
Außerdem gibt es leider auch einen nicht allzu kleinen Anteil des Humors, der ziemlich platter und in dieser Fülle auf mich unangenehmer Fäkal- und Furzhumor ist. Dass die Charaktere mal deftigere, dümmere (bis hin zu "Deine Mutter") oder natürlich in moderner Sprache geäußerte Sprüche machen, gehört zum Setting und zum Witz und schwankt zwischen "ganz witzig" und "eher nervig". Aber dass ein Running Gag ist, dass einer der Charaktere sehr niedriges Charisma hat und daher laufend rülpst, popelt, furzt oder scheißt [sic!], ist dann doch deutlich eher nervend als lustig. Entgleisungen dieser Art kann man leider nicht ganz überlesen, da sie öfter auftauchen.
Schließlich ist natürlich auch der Plot nicht umwerfend, aber für diese Art von Buch durchaus zweckmäßig. Das Ende hat mich sogar positiv überrascht/überzeugt.

Insgesamt komme ich auf ein eher durchschnittliches Buch (objektiv vielleicht etwas schlechter als ich es fand, aber das Thema/die Prämisse war wie geschrieben neu für mich und reizt mich sehr), dass mich aber durchaus gut unterhalten hat - 3/5
Vermutlich werde ich irgendwann sogar in der Reihe weiterlesen, es sei denn, ich finde bis dorthin deutlich besseres zum gleichen Thema.
 

Tolotos

Haluter
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Sybille Tamin - Nachmittage mit Mördern

Die Autorin hat sich mit verschiedenen verurteilten Mördern getroffen und diese ihre Geschichte (meist die ganze Lebensgeschichte mit Schwerpunkt auf ihrer Tat) erzählen lassen. Dabei merkt man bei der Lektüre extrem, dass die Autorin versucht so objektiv wie möglich zu berichten, was ihr erzählt wurde. Sie kommentiert nicht oder kaum [durch die Reihenfolge und Art, wie man aufschreibt, kommentiert man natürlich automatisch und manchmal, aber selten ist sie auch nicht ganz sorgfältig mit ihren Formulierungen] was erzählt wird, lässt auch Selbstwidersprüche und dadurch inkonsistente Darstellungen unkommentiert (die Autorin bestätigt auch im Nachwort, dass das bewußt geschieht). Insbesondere stellt sie nie die "andere Seite", d.h. z.B. die Gründe, aus denen das entsprechende Urteil gefällt wurde dar. Obwohl es ein Sachbuch ist, packe ich mal den Rest zu diesem Thema in einen Spoiler, damit jemand, der das Buch lesen will, unbeeinflußt(er) seinen Eindruck gewinnen kann.
Das ist sehr interessant, denn dadurch habe ich bei der Lektüre an mir selbst bemerkt, dass ich in fast allen Geschichten erstmal auf der Seite der Täter wahr. Viele fühlten sich zumindest ungerecht behandelt, wenn nicht sogar komplett unschuldig an der Tat. Erst relativ spät im Buch habe ich reflektiert, dass hier bewusst nur eine Seite präsentiert wird und dass ich darauf nicht mein Urteil basieren sollte.
So sehr der Erkenntnisgewinn durch diese Entscheidung gefördert wird, so sehr leidet andererseits der Unterhaltungswert.
Spätestens wenn man merkt, dass man nicht alles unbedingt in dieser Form glauben kann, wirkt der Inhalt der einzelnen Kapitel natürlich auf eine gewisse Art belanglos.
Auch sonst ist es kein Buch, dass ich wegen der Spannung, der Dramaturgie oder, um überrascht zu werden, lesen würde. Dazu sind die Fälle zu gewöhnlich und zu real (d.h. zu wenig mit einer Dramaturgie versehen).
Aus diesem Grund gebe ich auch nur eine bedingte Leseempfehlung, die deutlich stärker wird, wenn man das Buch aus den Gründen lesen will, die ich oben als Stärken beschrieben habe. 3/5
 

Mantis

Heilende Hände
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Hallo zusammen :)

Ihr habt ja viel gelesen, vielleicht könnt ihr mir weiterhelfen.
Ich habe (damals, im Englisch-LK) von einem Buch gehört, das ich jetzt gern wiederfinden würde. Ich weiß allerdings nicht viel darüber, außer, dass es sich um eine Dystopie handelt, in der in regelmäßigen Abständen alle Berufe (und damit die entsprechenden sozialen Rollen und das damit verbundene Ansehen) ausgelost und umverteilt werden.
Sagt das hier jemandem etwas? :)
 

Tolotos

Haluter
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Hallo,

mir sagt es leider nichts, aber ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, auf goodreads eine entsprechende Anfrage zu stellen (da dort ja der Pool an Leuten nochmal deutlich größer ist als hier).

Ich habe das mal für dich gemacht: https://www.goodreads.com/recommendation_requests/162543. Du kannst dann ja, wenn du willst, einfach dort in regelmäßigen Abständen zusätzlich nachschauen, ob jemand was einfällt.
 

Mantis

Heilende Hände
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Hej Tolotos,

Vielen Dank fürs weiter-nachfragen, es könnte tatsächlich das erste dort vorgeschlagene Buch (The Giver von Lois Lowry) sein. Klang jetzt leider beim Durchlesen (Wikipedia...) nicht mehr so spannend wie es in den letzten paar Jahren in meinem Kopf wohl geworden ist :D
(muss ich wohl meine eigene Dystopie schreiben ^_^)

Grüße :)
 

Mindriel

Traumläufer
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Mantis schrieb:
(muss ich wohl meine eigene Dystopie schreiben ^_^)

Wird das die nächste Cthulhu Runde? :D

Angenehme Träume,
Mindriel
 

Tolotos

Haluter
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Kein Problem. Schade, dass es dir im Endeffekt nichts bringt. Kommt dein "Hej" übrigens aus dem Dänischen?

Um noch etwas zum Thema beizutragen:

T.C. Boyle - The Tortilla Curtain

In diesem Buch geht es um illegale mexikanische Immigranten in Kalifornien. Abwechselnd wird aus der Persepektive eines mexikanischen Paares und eines amerikanischen Paares aus dem gehobenen Mittelstand geschrieben. Gelegentlich überlappen sich deren Leben, aber größtenteils wird aus ihrem jeweiligen dramatischen bzw. eher belanglosen Alltag erzählt.

Gelungen ist dabei vor allem, dass die Situation differenziert betrachtet wird - alle vier Hauptcharaktere sind zwar prinzipiell als Stereotypen bekannt (wobei ich über den Typus Delaney nicht wirklich oft lese, das kann aber auch an meiner Auswahl liegen), erhalten aber deutliche menschliche Züge durch Kleinigkeiten. Nach Lektüre eines Buches lese ich meist auch viele Kritiken/Rückmeldungen von anderen und ich war überrascht, dass in dem Buch nicht jeder eine differenzierte Beschäftigung mit dem Thema sieht. Allein die Tatsache, dass dabei Vorwürfe in beide Richtungen etwa gleich oft vorkamen, ist aber ein Indiz dafür, dass hier vielleicht nur ein emotional besetztes und wichtiges Thema extreme Meinungen anzieht und meine Wahrnehmung gar nicht so verkehrt ist. Auch der Schreibstil des Romans hat mir sehr gut gefallen. T.C. Boyle beschreibt sowohl die Umgebung als auch das Innenleben seiner Protagonisten detailliert, nachvollziehbar und spannend. "Spannend" ist an dieser Stelle vielleicht etwas seltsam, aber sonst kann ich mir kaum erklären, warum ich das Buch selten gerne aus der Hand legen wollte, obwohl es plottechnisch nicht immer ganz so mitreißend war (s.o., fast zur Hälfte wird inhaltlich eher belangloser Alltag beschrieben). Nachteil ist sicherlich der Plot, der, wenn es aufs Ende zugeht doch etwas sehr konstruiert bzw. over-the-top wirkt, zumindest im Vergleich zu den sonstigen geerdeten Ambitionen des Buches. Empfehlung mit nur leichten Abstrichen - 4/5

Zusätzlich an eine Frage an euch: Da mir (auch) der Schreibstil sehr gut gefallen hat - kennt sich jemand mit dem restlichen Werk T.C. Boyles aus und kann davon irgendetwas besonders empfehlen?
 

Mantis

Heilende Hände
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@Mindriel: nee, das eher weniger, aber keine Sorge, die Idee für die nächste Cthulhu-Runde schmort auch schon ;)
Bis zum nächsten FT ist die bestimmt auch ausgearbeitet :D

@Tolotos: och, es hat mir schon was gebracht, nur nicht das, was ich ursprünglich beabsichtigte. ^^
Abseits von der unerwarteten Inspiration kann ich jetzt zumindest - hoffentlich - endlich den Gedanken an dieses Buch beiseite legen.
Und nah dran, ich hab das 'hej' (über Umwege) aus dem Schwedischen/Norwegischen. Die Ausdrucksweisen von Leuten, mit denen man viel Zeit verbringt, prägen einen dann wohl doch auf Dauer und über den eigentlichen Kontakt hinaus...^^'
 
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