So, nach längerer Abwesenheit hier im Thread kommt endlich meine Antwort. Ich hoffe, ihr seid inzwischen nicht schon eingeschlafen bzw schlaft nicht jetzt ein, der Text ist etwas länger geworden.
Also, hier mein Kontra:
Napoleon hat für damalige Verhältnisse gewaltige Kriege geführt. Noch nie zuvor hat eine europäische Nation solche Größenverhältnisse erreicht, noch nie zuvor standen so viele Menschen unter Waffen, und mit Ausnahme des 30jährigen Krieges waren auch noch nie zuvor so viele Menschen ums Leben gekommen. Wenn man bedenkt, dass allein beim Russlandfeldzug Napoleons 700.000 Soldaten ums Leben gekommen sind (die Verluste auf russischer Seite nicht mit eingerechnet), so waren die Kriege sehr wohl auch für damalige Zeiten blutig. "Normal" waren sie auch nicht, denn die "Kabinettkriege" zuvor hatten immer einem Mächtegleichgewicht gedient, zumindest im europäischen Maßstab. Napoleon aber brachte mit seinen Eroberungen diese "balance of power" vollkommen durcheinander. Österreich am Boden, Preußen vollkommen besiegt, Spanien und Italien erobert. Gut, Spanien und "Italien" waren keine Großmächte (mehr), und Preußen galt auch nicht wirklich als Großmacht (erst später, nach der Schlacht von Königsgrätz). Aber Frankreich hatte unbestreitbar das absolute Übergewicht in der "Alten Welt".
Was die Demokratie angeht: Es gab sehr wohl eine Demokratie, gemessen an den damaligen Maßstäben. Wagen wir einen kurzen Rückblick: 1789 Beginn der Revolution, 1791 trat die erste Verfassung in Kraft, mit Zensuswahlrecht, mit einem Parlament, dessen Mitglieder alle zwei Jahre neu gewählt wurden, einer Regierung, die zwar vom König abhing, aber andererseits war auch der König auf sie angewiesen (z.B. bei der Gegenzeichnung von Gesetzen). Vor allem aber gab es eine unabhängige Justiz, sprich wir haben zum ersten Mal eine Gewaltenteilung, die in dieser Verfassung fundamental war. Dann kam es zur Gefangennahme und Hinrichtung des Königs, mit Ausrufung der Ersten Republik 1792. Diese hatte nicht lange Bestand, zumindest nicht in der Praxis. Die radikalen Jakobiner rissen 1793 die Macht an sich, und es kam zur schrecklichen, zwei Jahre währenden "Terreur", der Schreckensherrschaft Robespierres. Schließlich wurde er gestürzt und ebenfalls enthauptet. Es herrschte nun das Direktorium, das auf stabile Machtverhältnisse aus war und immer noch die Gewaltenteilung hochhielt. Die Beschränkungen gingen sogar noch weiter als z.B. bei uns in Deutschland. So wurden die Parlamentsmitglieder (also die Abgeordneten beider Kammern, des Rates der 500 und des Ältestenrates) alljährlich neugewählt, und nach Ablauf einer zweiten Amtszeit mussten sie eine Zwangspause einlegen, nach der sie sich erst wieder zur Wahl stellen durften. Und das wohlgemerkt bei Parlamentariern, bei uns ist das ja nicht mal für den Bundeskanzler so. Dann kamen Napoleon und Tallyerand. Sie wurden nach dem Staatsstreich, den Bonaparte ausführte (bzw. Es versuchte
) zu fast allmächtigen Konsuln ernannt, und bald riss der Korse die alleinige Macht an sich und ließ sich per Referendum zum Konsul auf Lebenszeiten wählen (bei der Auswertung der Stimmzettel eine besondere Art des Rechnens benutzt, nämlich das absichtlich-falsch-Rechnen). Das war 1799. Bereits wenige Jahre später reicht ihm das nicht, und so krönte er sich in Anwesenheit des Papstes zum Kaiser. Das war ein symbolisches Zeichen dafür, dass die Revolution geendet hatte, und zwar durch Versagen. Eine ihrer wichtigsten Errungenschaften, nämlich die der Souveränität des Volkes, war sichtbar über Bord geworfen worden. Natürlich war Frankreich zur Zeit des Direktoriums keine Demokratie, wie wir es verstehen. Aber dazwischen und zwischen dem despotischen Regimes Napoleons war dennoch ein himmelweiter Unterschied, denn nun gab es nicht mehr nur 755 Menschen an der Spitze des Staates, sondern Einen. Die Beschränkungen seines Amtes durch die Verfassung, die Napoleon erarbeiten ließ, existierten, wenn überhaupt, nur auf dem Papier. Und die Bürgerrecht und –pflichten waren keine Erfindung von Napoleon.
Zum nächsten Punkt, dem Adel. Ja, es stimmt, dass der alte Adel abgeschafft war, und dass Napoleon den Verdienstadel einführte. Doch anders gefragt: Was war zwischen Erbadel und Verdienstadel? Genau, Nichts. Napoleon hat den Adel nicht etwa abgeschafft, er hat ihn wieder eingeführt! Und dieser neue Adel war sehr gut zu kontrollieren, da man die Entscheidung über Titel oder Vergessen allein Napoleon unterstand. Materiell schlechter als dem alten Adel ging es dem neuen auch nicht, denn für den Verdienstadel galten nicht mehr die Beschränkungen wie für den Erbadel. Letzterer durfte sich nicht in irgendeiner Weise in der Wirtschaft betätigen, ansonsten verlor er sofort seinen Titel und wurde zum Bürgerlichen “degradiert”. So brachten die Neuen das, was für Napoleon mit am Wichtigsten war, nämlich Geld.
Weiter: Der “Code Civil”. Schön, dass Du ihn ansprichst. Dieser “Code Civil”, oder sollte ich besser “Code Napoleon” sagen, ist eine der größten Betrügereien, wenn nicht sogar DIE größte, die Napoleon zu verantworten hat. Was wissen wir denn von diesem Gesetzbuch? Dass er modern war, umfangreich, ein gutes Beispiel eben für ein demokratisches Gesetzbuch. Und natürlich von Napoleon. Aber was war der „Code Civil“ denn wirklich?
Die Anfänge dieses Werkes liegen bereits in den Anfängen der Revolution 1790, denn bereits damals wollte man die unzähligen verschiedenen Rechtsysteme vereinheitlichen. Doch infolge der rasch aufeinanderfolgenden Regierungen und der vielen Putsche war es nicht möglich, diese Idee zu verwirklichen. So dauerte es tatsächlich bis1799, nämlich bis Napoleon als Alleinherrscher feststand, dass sich vier Spezialisten zusammensetzten und eine für ganz Frankreich geltende Gesetzessammlung austüftelten. Allerdings wurde das Ergebnis noch einmal von Napoleon überprüft und alle ihm nicht genehmen Passagen herausgestrichen und das ohne Zweifel kolossale Werk stark reduziert. Diese zensierte Fassung wurde dann gegen den Willen des Tribunals, welches dagegen war, weil es den „Code Napoleon“ zu konservativ fand, durchgesetzt, womit wir wieder ein Beispiel für Bonapartes Verständnis von Parlament haben. Der „Code Napoleon“ ist also nichts anderes als ein zensierter „code civil“, der in vielen Punkten die Errungenschaften der Revolution rückgängig machte, wenn auch bei weitem nicht alle. So blieb zum Beispiel die Rechtsgleichheit der Bürger erhalten und wurde nur in speziellen Fällen missachtet, wenn Napoleon z.B. wieder einmal ein paar tausend seiner politischen Gegner loswerden wollte.
Zur Wirtschaft: In der Tat waren seine Reformen gut für die Wirtschaft, allerdings muss man da noch einige Sachen hinzufügen. So basierte dieser relative Boom der Wirtschaft (der französischen wohlgemerkt) auf der Kontinentalsperre. Somit wuchs der Binnenmarkt sprunghaft an, die Konkurrenz aus England war nahezu ausgeschaltet, und die Handwerker erfreuten sich an ihren Gewinnen. Doch wie gesagt, das war kein natürlicher Zustand, sondern ein durch Zwang herbeigeführter. Was passierte also, nachdem Napoleon besiegt war und die Kontinentalsperre aufgehoben wurde? Genau, die Märkte brachen zusammen, denn die Leute wollten nun mal gute Waren, und die kam nicht nur aus Frankreich, sondern zum großen Teil aus England und den Kolonien. Wie gewonnen, so zerronnen, kann man da nur sagen.
Zum letzten Punkt, der Vereinigung deutscher Länder und dem Hinweis auf die Vereinigung Deutschlands. Napoleon hat nicht etwa etwas zusammenhangloses vereinigt und somit gestärkt, nein, er musste davor etwas zerstören, und zwar das „heilige römische Reich deutscher Nation“, indem er den Kaiser vollends zum Narren machte. Die geistlichen Gebiete wurden säkularisiert, die meisten Reichsstädte mediatisiert, viele Kleinstaaten anderen, größeren Staaten einverleibt. Für die Menschen nicht unbedingt ein Vorteil, denn unter dem Krummstock lebte es sich bekanntlich besser. Dass am Ende dieser „Flurbereinigung“ deutlich weniger und dafür größere Staaten dastanden, ist außer Zweifel. Aber warum hat Napoleon das denn getan? Sicher nicht aus Liebe zu den deutschen Händlern, denen nun größere Wirtschaftsräume zur Verfügung standen. Sein Ziel war es einzig und allein, mächtigere Staaten zu schaffen, und zwar zu seinem Nutzen. Dazu ein Zitat: „Die Kleinen in Deutschland möchten gegen die Großen geschützt werden. Die großen wollen nach ihrer Phantasie regieren. Nun, da ich von dem Bündnis nur Menschen und Geld haben will und da es die Großen sind und nicht die Kleinen, die mir das eine und das andere verschaffen können, so lasse ich die Großen in Ruhe und den Kleinen bleibt nichts anderes übrig, als sich mit den Großen zu arrangieren, so gut sie können.“ Muss ich dazu noch etwas sagen?
Gruß, Raldaf!