So, hier ist die Geschichte dann also mit Ende.
Die Zweite Spur — Familienbande
Seine kräftigen Hände streichen zärtlich über ihre Haut. Ein Lächeln. „Bist du dir sicher?“ Sie lächelt zurück und—
Eine endlose, öde Ebene. Scharfkantiges Gestein bedeckt den Boden. Asche regnet vom Himmel. Die Ebene ist von gigantischen Rissen durchzogen; Schluchten, in denen unvorstellbare Schrecken lauern. Sie weiß, dass die Steine Knochen sind, die Asche verbranntes Fleisch.
Er ist hier. An einem verkrüppelten Baum aus Knochen gekreuzigt. Sein Fleisch wie von unzähligen Peitschenhieben zerfetzt. Das Blut, das seinen Körper bedeckt ist schwarz. Er sieht sie mit schwarzen, leeren Augen an und fragt: „Warum?“
***
Es schien schon, als wäre Baldurs Tor endgültig von allen guten Göttern verlassen worden. Vom Meer her brach wochenlang ein Unwetter nach dem anderen über die Stadt herein. Darauf folgten dunkle, kalte Tage, an denen kein Sonnenstrahl durch die dichte Wolkendecke brach und der Wind den allgegenwärtigen Regen in jeden Winkel trug. Der Seehandel der Stadt kam zum Erliegen, die Bauern der umliegenden Gemeinden fürchteten um ihre Ernten und die Flammende Faust wurde den Schrecken, die aus der Kanalisation nach oben gespült wurden, nicht mehr Herr.
Eine Gruppe besonders verzweifelter Bürger hatte sogar schon ein Opfer an den verachteten Gott Talos vorbereitet, als von einer Sekunde auf die andere die Wolkendecke aufriss und die Stadt in Sonnenlicht gebadet wurde. Während zwischen den Klerikern der verschiedenen Kirchen ein heftiger Streit darüber entbrannte, welchem Gott man nun für seine unermessliche Gnade zu danken habe, strömten die Bewohner der Stadt auf die Wiesen vor den Toren der Stadt. Dort vereinigten sich zahlreiche Hochzeiten, Dankesgottesdienste und Märkte zu einem großen, tagelangen Sommerfest.
Vicky bekam von alledem nichts mit. In der letzten Nacht der Stürme war sie von einem solchen Alptraum geplagt worden, dass sie verwirrt und entkräftet ihr Kontor für zwei Tage nicht verlassen konnte.
Als Vicky mit einem Schrei aus dem Alptraum erwacht war, hatte sie sich auf der Spitze des Turmes des Eisernen Thrones wiedergefunden, ohne jede Erinnerung, wie sie dorthin gelangt war. Ihre Succubus-Natur hatte die Oberhand gewonnen; der Regen peitschte wirkungslos gegen ihre Flügel. Ihre Sinne waren auf übernatürliche Art und Weise geschärft. Sie spürte die Menschen in der Stadt unter sich, konnte ihre Lebensenergie fühlen, und für einen Moment drohte sie sich völlig zu verlieren.
Dann kehrte das Bewusstsein wer und wo sie war zurück, und damit Schmerzen als würden sich Messer in ihren Schädel bohren.
Während sie das Dach hinabstieg, drohte sie mehrfach das Gleichgewicht zu verlieren. Über eine verschlossene Luke konnte man in den Turm gelangen. Vicky riss sie aus ihren Angeln und taumelte durch das Treppenhaus zu ihrem Kontor, zu keinem klaren Gedanken fähig, glücklicherweise ohne einem anderen Bewohner des Turms oder einer der Wachen zu begegnen.
Vicky war zu schwach, sich wieder in eine rein menschliche Form zu verwandeln.
Sie kauerte sich auf ihrem Bett zusammen, die Flügel schützend um sich gelegt.
Sie versuchte vergeblich sich selbst davon zu überzeugen, dass es sich bei dem nächtlichen Schrecken nur um einen Alptraum gehandelt hatte.
***
Vicky saß an ihrem Sekretär und zerlegte ihr Schreibset. Eine missachtete Zigarette qualmte langsam in ihrem Aschenbecher vor sich hin. Mono saß mit diversen Putzutensilien, Polituren und Feinwerkzeugen bereit einzugreifen, sollte ein Teil des Sets nicht seinen hohen Anforderungen genügen. Das Set bestand im Prinzip aus einem ebenhölzernen Kästchen, welches beim Ausklappen mehrere Fächer und Laden enthüllte, in denen sich alle erdenklichen Schreibutensilien finden ließen. Es enthielt natürlich einen großen Anteil an Schreibwerkzeugen mit den üblichen magischen Verbesserungen wie immervolle Tinte; das besondere an Vickys Schreibset war allerdings die fantastische Verarbeitung der exquisiten Materialen, von denen sie selbst nur den wenigsten einen Namen zuordnen konnte. Die Innenseite des Deckels zierte eine Gravur: „Für Vicktoria, meinen allerliebsten Schatz. —V.“
Einer der Söldner ihres Vaters hatte ihr verraten, dass der Goldschmied, der die Gravur anbrachte, dies nur unter Tränen und nach der nachdrücklichsten Androhung von Gewalt getan hatte. Der Gedanke brachte Vicky kurz zum Lächeln.
Das Schreibset auseinanderzunehmen, die Teile zu ordnen, zu reinigen, und alles wieder zusammenzusetzen war eine Konzentrationsübung, die Vicky in der Vergangenheit schon oft geholfen hatte. Während ihre Finger automatisch durch die vertrauten Bewegungsabläufe glitten, liefen ihre Gedanken auf Hochtouren. Einen derartigen Kontroll— und Gedächtnisverlust wie zwei Tage zuvor hatte sie seit ihrer frühesten Jugend nicht mehr erlebt. Konnte Skeiras Erscheinen in ihrem Leben tatsächlich solche Auswirkungen haben? Die junge Frau hatte in der Zeit in denen sie zusammen gelebt und gearbeitet hatten tatsächlich zu einigem Gefühlswirrwarr bei Vicky geführt, aber nun war sie schon seit Wochen in Sigil um den besseren Umgang mit ihrer wölfischen Natur zu trainieren. Alles in allem war Vicky eher erleichtert gewesen, wieder allein zu sein (mono ausgenommen), und sie hielt es für unwahrscheinlich, dass Skeira etwas mit den Ereignissen der Nacht zu tun hatte.
Wichtiger wäre wohl, dass Vicky sich ihrer Vergangenheit stellte und versuchte herauszufinden, was damals in Sigil geschehen war und wie viel Realität in ihrem Traum steckte aber— Vicky streifte mit ihrer Hand unachtsam ein Kästchen voller silberner Schreibfedern, die sich über den Teppich ergossen. Mono klickte resigniert (und ein wenig besorgt?) und hüpfte zu Boden um sein Werk zu beginnen.
Vicky seufzte. All diese Grüblereien waren letzten Endes sinnlose Zeitverschwendung, solange sie sich in Baldurs Tor aufhielt war eine Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit nicht möglich. Sie hatte zwei Tage verschwendet, mitten in einer laufenden Ermittlung, und diese war bisher schon ausgesprochen frustrierend verlaufen.
Vicky beschloss, den Alptraum hinter sich zu lassen und ihre Arbeit mit umso größerem Eifer fortzusetzen. Es gab einen Namen, der wieder und wieder gefallen war, bevor der Traum sie außer Gefecht setzte. Aramand.
Zeit, mehr über ihn herauszufinden.
***
Vicky ging mit einer gnadenlosen Bestimmtheit vor, die sie so auf dieser speziellen Welt noch nie an den Tag gelegt hatte. Der Traum hatte eine Veränderung in ihr ausgelöst die sie, falls sie sie überhaupt selbst bemerkte, ärgerlich beiseite wischte. Sie nutzte ihre Schönheit und ihre Fähigkeiten eiskalt aus und verwandelte gestandene Männer in winselnde und bettelnde Häufchen Elend, die bereit waren, ihr für die Andeutung eines Lächelns alles zu verraten, was sie wissen wollte.
Die Ermittlerin schritt durch die Straßen einer feiernden, sommerlichen Stadt die gefüllt waren mit glücklichen und zufriedenen Menschen, aber sie nahm davon nichts wahr. Was sie spürte, was sie förmlich riechen konnte waren nur Korruption und Zerfall. Schwarze Flecken auf der Seele der Menschen drängten sich gewaltsam in ihr Bewusstsein.
Zuhälter, Lotushändler, Schwarzmagier, Mörder— sie nutzte ihre Fähigkeiten um sie aufzuspüren wie ein Bluthund seine Beute.
Aramand war kein Unbekannter in den Straßen Baldurs Tors. Es dauerte nicht lange um herauszufinden, dass er seine Finger im lukrativen Lotushandel der Stadt hatte. Einige der Zuhälter unterhielten ebenfalls Geschäftsbeziehungen mit ihm, jedoch schien er selber keine Mädchen oder Freudenhäuser zu besitzen. Aramand hatte den Ruf, ein kriminelles Netzwerk entlang der ganzen Schwertküste zu betreiben und Feinde schnell und effektiv beseitigen zu können. Es kursierten auch wenig überzeugende Gerüchte, dass es sich bei ihm um einen mächtigen Schwarzmagier handeln solle; andere behaupteten, er wäre ein gefürchteter Duellant und Frauenheld.
Interessanter wurde es, als Vicky begann sich im Rahmen ihrer Ermittlungen von der Straße stufenweise in die besseren Kreise der Stadt hinaufzuarbeiten.
Nachdem Vicky ihm erlaubt hatte, ihr den Staub von den Stiefeln zu lecken, verriet ihr ein hoher Beamter, dass Aramand in Baldurs Tor praktisch Narrenfreiheit genoss, da er gegen jeden wichtigen Entscheidungsträger der Stadt etwas in der Hand habe.
Von einem jungen Adligen, der das gesamte Vermögen seiner Familie für schwarzen Lotus verschleudert hatte, erfuhr sie, dass Aramand der auf Abwege geratene Spross eines unbedeutenden Landadelsgeschlechts sei, kaum besser als die Bauerntölpel, die sie regiert hatten.
Das Bild, das sich für Vicky zusammenzusetzen begann, war das eines Herumtreibers und Halsabschneiders, der es irgendwie geschafft hatte, sich als Selbstständiger Mann für Alles Schritt für Schritt in der Schattenwelt der Schwertküste hochzuarbeiten. Durch Skrupellosigkeit, gewissenlosen Opportunismus, und glückliche Fügungen des Schicksals konnte Aramand irgendwann genügend Gefallen einfordern und sich sicher genug fühlen um ein eigenes kleines Verbrechensimperium aufzubauen, gedeckt von den Teilen der gesellschaftlichen Elite, die hin und wieder seine speziellen Dienste benötigten.
Natürlich war es einem wie Aramand nicht erlaubt worden, aus den besten Töpfen der Schwertküste zu schöpfen. Die Kontrolle des Lotushandels in Baldurs Tor war eher als ein gnädiges Altenteil zu betrachten.
Aramand besaß das —und residierte im— Orkus, eines der besseren aber auch verrufenen Etablissements der Stadt.
Die bessere Gesellschaft verkehrte dort, um Geschäfte der sensibleren Art in Ruhe zu besprechen; unter jungen Adligen war das Orkus aufgrund des anrüchigen Rufes und der exklusiven Atmosphäre der letzte Schrei.
Letztere wurde zum einen dadurch gewährleistet, dass nur geladene Gäste das Etablissement betreten konnten. Die schweren Tore, die in den Hauptsaal der Lokalität führten, waren dauerhaft verriegelt; wer hinein wollte, musste sich von einem Adepten der Magiergilde hineinteleportieren lassen. Wer bereit war, tiefer in die Tasche zu greifen, konnte seinen Eintritt in das Orkus von weißen Tauben oder bunten Luftschlangen oder ähnlichem begleiten lassen. Je ausgefallener der Auftritt, desto größer der Applaus der anderen Gäste.
Zum anderen zeichnete sich das Orkus durch die etwas eigenwillige aber einzigartige Dekoration des Hauptsaales aus. Diese bestand aus den versteinerten Körpern unzähliger Abenteurer und Glücksritter, welche auf ihren Unternehmungen Basilisken, Medusen, schlechtgelaunten Magiern oder anderen gängigen Gefahren der Schwertküste zu nahe gekommen waren. Ab und an wurden im Orkus Spenden gesammelt und einer der Abenteurer wurde zurück in Fleisch und Blut verwandelt: jedoch nicht ohne unter höhnischem Gejohle und Gespött vor der versammelten Gesellschaft zum Narren gehalten zu werden.
Aramand pflegte von einem erhöhten Plateau aus Hof über sein Herrschaftsgebiet zu halten, stets bewacht von einem angemieteten Schlachtenmagier und den diversen Wachleuten der Anlage, gekleidet in schwarzem Samt mit einem goldenen Adlerwappen auf der Brust.
Vicky benötigte wenig mehr als eine höfliche Bitte und ein freundliches Lächeln, um in den Besitz einer der exklusiven Einladungskarten zu gelangen.
***
Alle ihre Nachforschungen hatten Vicky Elisa Silberschild nicht näher gebracht, also hatte sie sich für eine direkte Konfrontation entschieden.
Ein Besuch im Orkus wollte natürlich standesgemäß vorbereitet werden. Vicky kleidete sich mit einem roten, enganliegenden Kleid in Drachenschuppenoptik, dazu raffinierte, lange Handschuhe in schwarz und passende Stiefel, vervollständigt von einem eleganten, schwarzen Cape mit Kapuze, alles ebenfalls in Drachenschuppenoptik. Simulierte Drachenhaut war zwar seit einiger Zeit nicht mehr en vogue unter den jungen Damen der Stadt, dafür hatten Vickys Kleider den Vorteil tatsächlich aus der Haut eines roten Drachen und seines schwarzen Artgenossen geschneidert zu sein.
Die elegante Abendgarderobe war eine effektive Rüstung; die schwarzen Damenhandschuhe machten ihre Klauen zu vollends tödlichen Waffen.
Es war nicht so, dass Vicky tatsächlich eine gewalttätige Auseinandersetzung erwartete, aber das Drachenschuppenkleid war ganz einfach das beste Kleidungsstück, dass sie auf diese Ebene hatte hinüberretten können. (Für einen Moment wunderte sich Vicky, wieso sie überhaupt aufgehört hatte, rotes Leder zu tragen. Es stand ihr doch ausgezeichnet.) Zudem war Vorsicht immer besser als Nachsicht.
Vicky verstaute ihre Rauchutensilien und ihren treuen Begleiter Mono in einem kleinen Klammertäschchen (Monos Klicken musste wohl als indigniert bezeichnet werden) und machte sich auf den Weg zur Magiergilde.
***
Ihre Einladung beinhaltete den besten Service, den die Magier zu bieten hatten. Vicky entschied sich aus einer Laune heraus für einen Regen aus schwarzen und roten Rosenblättern für ihren Eintritt in das Orkus.
Das Etablissement war nicht überfüllt, aber gut besucht, als sie unter dem Applaus der Gäste ihren Weg vom Teleportpodest in den Hauptsaal machte.
Vickys Art zu rauchen war in Athkatla populär, hatte sich im Nachtleben dieser Stadt jedoch noch nicht durchsetzen können. Die Rauchschwaden, die zwischen den Statuen der unglücklichen Helden hindurchwaberten, stammten hauptsächlich von Wasserpfeifen der Art wie sie aus Calimsham nach Baldurs Tor gekommen waren.
Auf einer leicht erhöhten Empore spielte eine dunkelhäutige Bardenkombo aus den amnischen Kolonien dezente, aber ansprechende Musik. Flankiert wurden sie von zwei versteinerten halbelfischen Kriegerinnen, die offensichtlich in ihr Verderben gelaufen waren ohne sich vorher Gedanken an funktionale Rüstung oder gar Kleidung zu verschwenden.
In Vicky kam spontan der Verdacht auf, dass viele der Statuen eher der Phantasie einsamer Bildhauer entsprungen waren, als den Umtrieben böser Magier.
Aramand hatte es sich auf seinem Plateau auf einem Diwan bequem gemacht.
Flankiert wurde er von zwei halb sitzenden halb liegenden leichtbekleideten Mädchen, die ihm aus diversen Schälchen und Bechern von diversen Beistelltischchen Erfrischungen und hin und wieder das Ende einer Wasserpfeife reichten. Vicky brauchte ihre geschärften Sinne nicht, um den allgegenwärtigen schwarzen Lotus auszumachen. Hinter Aramand stand einer der Bediensteten in seiner schwarzen Livree, eine reich verzierte Schwertscheide aus der ein vergoldetes Heft ragte in der Hand. Einen Schlachtmagier konnte Vicky jedoch nicht ausmachen.
Auf einem Podest neben Aramand befand sich dafür ein seltsames Gefäß, welches sie nicht zuordnen konnte. Es war eine gläserne Glocke, ungefähr von der Größe eines Kindskopfes, welche auf einer Art runenverziertem Schraubverschluss ruhte. Innerhalb des Gefäßes waberte ein gräulicher Nebel, nicht unähnlich den Rauchschwaden der Wasserpfeifen. Für einen Moment meinte Vicky, in den Schwaden ein Gesicht ausmachen zu können.
Vicky Auftritt hatte auch Aramands Aufmerksamkeit erregt. Während sie von den bewundernden Blicken der Gäste verfolgt ihren Weg zum Fuße seines Plateaus machte, erhob er sich leicht und verzog seine von einem zündholzdünnen Bärtchen gekrönten Lippen zu einem hämischen Grinsen. Der ehemalige Problemlöser und Mann für Alles war nicht gut gealtert. Das Gesicht unter den öligen, zurückgekämmten Haaren mochte einmal verwegen und charmant gewirkt haben, war nun aber verquollen und verbraucht. Der Lotus hatte Aramands Zähne gelblich verfärbt und seine Augen waren trübe und blutunterlaufen.
„Vicktoria Vicktory!“ sagte er, „Ich habe dich erwartet!“ Er schnippte mit den Fingern, worauf dramatischer Donner den Raum erfüllte und die Kerzen und Lampen im Saal kurz flackerten. Die Gäste applaudierten höflich. Vicky stockte für seine Sekunde. Dass Aramand wusste, wer sie war, bedeutete vermutlich auch, dass er wusste, warum sie hier war. Und das bedeutete— sie sprang auf den Magier zu, genau in dem Moment, als er ein einziges Wort heraustieß:
„Belalia!“
Ihr wahrer Name.
***
Vicky war gefangen. Ihre Ausrüstung hatte man ihr abgenommen. Sie war gezwungen, in einer lächerlichen, entwürdigenden Aufmachung bestehend aus einem goldfarbenen Untergewand auf einer Liegewiese zu Aramands Füßen zu kauern. Um die Kissen herum war ein krudes Pentagramm in die marmornen Bodenplatten geritzt; Aramand hatte den äußeren Kreis des Symbols mit einer Illusion belegen lassen, so dass es nun aussah, als Stünde er in Flammen. Von einem Halsband führte ein dünnes, symbolisches Goldkettchen zu Aramands Sitz.
Seit drei Tagen war sie nun seine Sklavin, hilflos und über jedes Maß gedemütigt. Aramand hatte sie nicht nur erwartet und ihre Gefangennahme vorbereitet, er hatte sie praktisch vor speziell geladenem Publikum durchchoreographiert.
Als er Vickys wahren Namen gesprochen hatte, war sie von einer Sekunde auf die andere unfähig, sich zu bewegen. Sie stand in das Pentagramm zu ihren Füßen gebannt, beherrscht von einer Macht, die direkt aus dem Abbys floss.
Aramand war unter dem Gejohle und den Zurufen seiner Gefolgsleute und Verbündeten um sie herumstolziert und hatte mit einem selbstgefälligen Grinsen um Ruhe gebeten.
„Schnüffler!“ wandte er sich an den Saal „es gibt nichts schlimmeres auf dieser Welt. Ich muss es wissen, denn ich war selber einer!“
Gelächter, Applaus. Eine ironische Verbeugung.
„Diese hier,“ er deutete auf Vicky, „zeichnete sich jedoch durch besondere Penetranz aus. Normalerweise—“ wieder das widerwärtige Grinsen— „normalerweise habe ich ja nichts dagegen, wenn mir solch reizende Damen hinter her steigen…“
Gelächter.
„…aber, wie ihr alle wisst, sollte man immer zuerst die Motive einer Verehrerin überprüfen. Also bat ich unseren speziellen Freund, Draugr“ — begleitet von einem Tusch fiel ein Lichtschein auf die merkwürdige Glasglocke— „sich das Fräulein Vicktory einmal näher anzusehen.“
In dem neuen Lichtschein sah Vicky nun deutlich menschliche Züge, die sich in dem grauen Nebel abzeichneten. Eine gequälte, verzerrte Fratze. Auf einmal setzte sich das Bild zusammen. Das Ding war in meinem Kopf! Vicky wollte schreien, konnte aber ihren Mund nicht öffnen.
Aramand fuhr nonchalant fort. „Leider hat der gute Draugr den Besuch in Fräulein Vicktorys… Privatgemächern… nicht gut überstanden. Tatsächlich scheint ein Teil von ihm in Fräulein Vicktorys alte Heimat gesogen worden zu sein, und der Rest erfreut sich... nicht der besten geistigen Gesundheit. Ich fürchte, er wird die spezielle Heimat, die ich ihm hier großzügig zur Verfügung stelle, so bald nicht mehr verlassen.“
Aramand schien nun mehr zu sich selbst zu sprechen, und dem fragenden Gemurmel der Gäste zufolge hatte sich ihnen die Situation nicht wirklich erschlossen.
„Jedenfalls!“ fuhr Aramand nach einem Zug an der Lotuspfeife nun wieder laut und bestimmt fort, „konnte ich dem guten Draugr genug wichtige Informationen entnehmen, um euch nun die neueste Attraktion des Orkus vorzustellen! Ich präsentiere: DEN SUCCUBUS!“
Und untermalt von theatralischem Donner und flackernden Lichtern hatte Vicky keine andere Wahl, als sich zu verwandeln.
Früh am morgen, als die letzten Gäste gegangen waren, war Aramand noch einmal zu ihr gekommen. Sie konnte sich wieder bewegen, aber es war ihr unmöglich, den Bannkreis zu verlassen oder irgendetwas zu tun, das Aramands Willen entgegenlief. Er trug nur ein nachlässig übergeworfenes Nachtgewand aus roter Seide, verziert von goldenen Adlerapplikationen, und schwankte bedenklich, als er sich ihr näherte.
Aramand musterte sie aus rotunterlaufenen, müden Augen. Diesmal lächelte er nicht.
„Ich wollte dir danken,“ sagte er. „Du weißt besser, als jede andere, was nach dem Tod auf Menschen wie mich wartet.“ Vicky wollte ihm eine Verwünschung entgegenschleuden, konnte aber nach wie vor nicht sprechen. Anscheinend stand Aramand der Sinn nach wie vor mehr nach Monologen.
Er öffnete den Seidenmantel ein wenig und legte einen silbernen Pentagrammanhänger frei.
„Ich habe ein Geschäft gemacht… mein bestes Geschäft, würde ich sagen.“ Nun lächelte er traurig.
„Man vermisst dich in deiner Heimat. Dafür, dass ich dich nach Hause bringe, wird man mir später einiges Ungemach ersparen.“ Er deutete auf den Anhänger. „Oh, und ich darf dich eine kurze Weile selber beherbergen.“ Nun wieder das selbstgefällige Grinsen. „99 Jahre! Ihr Dämonen habt ein besonderen Zeitempfinden.“
Aramand zwinkerte Vicky zu und schwankte aus dem Saal.
***
Am folgenden Tag war das Orkus berstend gefüllt. Vicky wurde begafft wie ein Tier im Zoo, aber das war nicht das schlimmste. Als die Stimmung sich ordentlich aufgeheizt hatte, war Aramand, nun wieder ganz Herr der großen Gesten, in das Pentagramm getreten um Vicky zu küssen. Das Publikum tobte.
Vicky meinte in seinen Augen das kleinste Anzeichen einer Entschuldigung zu sehen, aber der Gastgeber zog seine Schau unbarmherzig durch und presste seine Zunge zwischen ihre Lippen.
Danach wandte er sich mit einem breiten Grinsen an die Gäste. „Der einzige Mann, der dem gefürchteten Dämon widerstehen kann!“
***
Als Aramand sich ihr am dritten Tag unter Anfeuerungsrufen näherte, bereitete Vicky sich auf das schlimmste vor. Es kam schlimmer.
„Wer von euch“, rief Aramand nachdem die Menge sich ein wenig beruhigt hatte, „will den Tanz mit dem Succubus wagen?“
Vom Teleportpodest ertönte ein lauter Knall. Inmitten von einem Schwarm bunter Schmetterlinge erschien der Transportmagier— und fiel tot zu Boden, das Heft eines Dolches im Rücken.
„ICH!“ rief Varg Blutaxt.
***
Vickys Adoptivvater war eine imposante Erscheinung, auf welcher Ebene auch immer er sich aufhielt. Fast zwei Meter hoch, und ebenso breit, das narbenzerfurchte Gesicht von einem wilden, grauen Bart eingerahmt. Gehüllt in die obsidianschwarze Rüstung der Legion V, in der einen Hand die Axt Frostbringer, in der anderen Weltentod, stapfte er vom Podest hinab in den Saal.
Auf einer stachelbewehrten Schulter saß Mono und klickte triumphierend.
Dann barsten die schweren Flügeltore des Orkus.
Im Saal brach Panik aus.
Aramand schien kein Mann zu sein, der Loyalität in seinen Angestellten hervorrief. Diejenigen seiner Wächter, die nicht im Schock niedergemäht wurden, ließen ihre Waffen fallen und flohen.
Der Magier begann fluchend, den Saal wie von Sinnen mit Eiszaubern zu beschießen. Mehrere seiner Gäste gingen schreiend zu Boden. Dann erschien Skeira hinter ihm, in Wolfgestalt. Ein Prankenhieb— und das Amulett fiel zu Boden.
Vicky war frei.
„Verdammt!“, sagte Aramand.
***
Epilog:
Felix Feuerschild verließ die sonnegefluteten Straßen und stieg hinab in die Kerker der Flammenden Faust.
An seinem Ziel öffnete er den Metallschieber und warf einen Blick auf den Wahnsinnigen in der Zelle.
Das Gesicht, völlig entstellt, war von blutgetränkten Verbänden bedeckt.
Der Gefangene war an Händen und Füßen gefesselt, warf sich aber dennoch hin und her soweit sein Bewegungsspielraum es zuließ und gab unverständliche Laute und Schreie von sich, als wäre er in einem nie endenden Alptraum gefangen.
Der Wächter neben Felix schüttelte den Kopf. „Magier, völlig durchgedreht. Hat ein Blutbad unter den Gästen einer Abendveranstaltung angerichtet. Nennt sich Draugr.“