[Schreibwettbewerb - Runde III] Rote Zora / Timestop

Wer hat die bessere Geschichte geschrieben?

  • Rote Zora

    Stimmen: 7 46,7%
  • Timestop

    Stimmen: 8 53,3%

  • Umfrageteilnehmer
    15
  • Umfrage geschlossen .

Enigma

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Es geht weiter, Paladin gegen Schwertmeister. :)

Das Thema für diese Runde solltet ihr nun kennen. ;)

 
 

Enigma

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Rote Zora

Generationenkonflikte

EPISODE EINS: Herrenzimmer auf Burg Starkenfels, Schwertküste.

„Ich weiß nicht, ob es nicht ein großer Fehler gewesen ist, dass ich mich deiner angenommen habe“, der Mentor blickte von dem Prüfungsbogen auf, und warf seinem Schüler Pelegrinus Luminiszentius einen Blick zu, in dem viel Enttäuschung zu lesen war.

Pelle zuckte die Schultern: „es war doch nur ein Test“, versuchte er seinen wütenden Lehrer zu beschwichtigen, „es ging doch nur um die Ehre“

„Nur. Um. Die. Ehre?“ die Enttäuschung war eindeutig in Zorn umgeschlagen „ein angehender Paladin der Luminiscenti scheint sich also nicht besonders für die Ehre zu interessieren, für die seine Brüder bereit sind zu töten und zu sterben, verstehe ich dich richtig?“

„Nein, Herr, ich...“ Pelle suchte nach Worten.

„Oh doch! Dieser Test ist eine Schande. Eine Schande“. Der Ritter ließ das Papier sinken.

Pelle wunderte sich über den schnellen Wechsel der Stimmungen bei seinem Mentor, denn normalerweise war er die Ruhe selbst, nun hatte er ihn innerhalb eines Gespräches erst enttäuscht, dann zornig und nun fast resigniert erlebt. Er musste sehr aufgewühlt sein. Dennoch kam es ihm nicht in den Sinn klein beizugeben: „Meine Paladinehre hängt nicht ans so einem Blatt Papier auf dem lauter theoretische Fragen stehen. Das alles hat doch für die Praxis kaum eine Bedeutung!“

„Keine Bedeutung?“ der Ritter hob die Augenbrauen in gespieltem Erstaunen: „Ihr haltet es also für irrelevant, wenn man keine Ahnung hat, wie man den heiligen Priester eines Tempels korrekt anredet, obwohl einem Ritter Höflichkeit nicht nur gut steht, sondern auch Herzen und Türen öffnet?“

„Bei welcher Frage ging es denn um sowas?“ Pelle konnte sich nicht erinnern.

„Hier!“, der Mentor zeigte auf einen Bogen, und las daraus mit gehobener Stimme vor: „Welche Bezeichnung ist für die Priester der Tymora üblich? - Antwort Pelegrinus: 'Glückkeks'“

Pelle musste unwillkürlich losprusten. Das machte die Stimmung nicht besser. Er versuchte sich dennoch zu rechtfertigen: „Ich hatte einen Aussetzer, es fiel mir einfach nicht mehr ein, ob die Glücksbringer, Glücksjünger, Glückskinder oder Glückssterne heißen – aber ich hab' mal einen davon kennengelernt, der war so dermaßen verfressen, dass er nicht mehr aus seinem Stuhl hoch kam, und da bin ich dann auf Glückskeks gekommen. Fand' ich lustig.“

„Schweig!“ donnerte der Mentor: „Was bist du nur für ein undankbares Kind! Was habe ich alles geopfert, um dich aus deinen Schlamassel zu ziehen. Was habe ich verhandelt und gekämpft, dass du trotz deiner Herkunft in den Orden aufgenommen wurdest, was habe ich gerungen und diplomatisiert, um dich nach diesem - - - Zwischenfall nicht vor die Hunde gehen zu lassen, und dir noch eine Chance zu geben. Alles Mögliche habe ich in die Wege geleitet und was ist der Dank? Was investiert der Herr Jungpaladin Pelegrinus Luminiscentius? Einen Dreck investiert er, er findet offenbar, das ganze sei eine Spaßveranstaltung für Halbstarke hier.“
Pelle starrte seinen Lehrer verständnislos an. So aufgebracht hatte er ihn bislang nur erlebt, wenn er sich über die alten Pfeffersäcke im Orden aufregte, aber dass er, Pelle, einmal. Ziel eines solchen Zornesausbruchs werden würde, hatte er sich nicht träumen lassen: „Es war doch nur ein Test“ wiederholte er kleinlaut. Und fügte etwas trotziger hinzu: „Die anderen verhauen doch auch mal ein Test, im Gegenteil, der Pius von Zinnenberg kalkuliert seine gesamten Prüfungen so, dass er das mit exakt der notwendigen Mindestpunktzahl schaffen wird. Nachher fragt keiner wie, sondern nur ob, behauptet er immer.“
„Aber du bist nicht die Anderen“ der Mentor wirkte müde und ernst: „Klar, Pius kann sich nach der Prüfung in das gemachte Nest setzen, egal wie sie ausgeht, solange er besteht, hat er ausgesorgt. Papa wird ihm einen Prunkharnisch überziehen und von Onkel und Tante kriegt er Pferd und Schwert, und alles ist in bester Ordnung. Aber du,“ jetzt blickte er seinem Schüler direkt in die Augen: „Du musst durch Leistung überzeugen, du musst zeigen, dass du die Ehre dieses Namens, dieses Ordens wirklich verdienst, und wenn du hier etwas werden willst, musst du es ihnen allen zeigen. Du kannst, du darfst nicht zufrieden sein, wenn du mit den anderen mithältst. Du musst besser sein. Besser als sie alle.“
„Aber das ist doch ungerecht!“ Nun spürte Pelle, wie der Zorn in ihm aufstieg: „Nur weil ich keinen Von-und-Zu als Papa habe, nur weil ich eben irgendwie 'anders' bin als die anderen, nur deshalb kann man also von mir außerordentliches verlangen. Habe ich denn was verbrochen? Bin ich hier nur geduldet, solange ich 150% gebe, während andere schon mit der Hälfte gelobt und gehätschelt werden? Das ist doch einfach unfair!“
„Ja, mein Sohn, das ist unfair, aber so ist das Leben! Gerechtigkeit, das ist ein Ideal, nach dem wir streben, aber...“
„Was 'aber'? - warum bin ich denn Paladin? Damit Gerechtigkeit Theorie bleibt, oder damit sie in der Praxis umgesetzt wird?“
„Aber du musst doch verstehen dass...“
„Was gibt es da zu verstehen? Dass wir es nicht mal in unserem eigenen Laden hinkriegen, dass Menschen gerecht behandelt werden?“
„Darum geht es nicht!“
„Ach ja? Worum geht es dann?“
„Es geht darum, dass ich mich mit meiner ganzen Person, mit meiner Würde und Ehre für dich eingesetzt habe, und du mir nichts als Schande bereitest!“ Wütend zerknüllte der Mentor den missratenen Test und warf ihn Pelle vor die Füße
„Ach darum geht es dir. Um dich. Um dein tolles Ansehen. Ich habe also nur den Zweck, dass du mal wieder aus einem armen Nichtsnutz den tollsten Paladin Faerûns formen kannst, und alle dir schön auf die Schulter klopfen. Tut mir leid, zu diesem Zweck stehe ich nicht zu deiner Verfügung“

Pelle erhob sich. Auch der Mentor war aufgestanden. In diesem Moment kam seine Frau in die Tür, in den Händen ein Tablett mit Tee und Keksen. „Was ist denn hier los?“ fragte sie, als sie die beiden wütenden Männer einander gegenüber stehen sah.

Und beide schütteten ihr Herz aus. Der Mentor sprach wieder von dem großen Fehler, dass er sich in Pelegrinus getäuscht habe, von Undankbarkeit und Arroganz der Jugend, Pelle hielt dagegen, schwang das Banner der Gerechtigkeit und empörte sich über Diskriminierung und verkrustete Strukturen, und dass sein großartiger Mentor kein Menschenfreund sondern ein egoistischer Kerl auf der Suche nach Erfolg und Ehre sei.

„Nun mal ganz langsam ihr zwei Hitzköpfe!“ die Dame des Hauses schlug einen mütterlichen Ton an, gegen den beide irgendwie nichts ausrichten konnten: „In Wirklichkeit wollt ihr doch beide das selbe, oder?“

Die beiden glotzten sie verblüfft an.

„Nun, mein Gatte, du willst doch, dass deine jungen Schüler eine heiß brennende Liebe zur Gerechtigkeit haben, dass sie sich dafür verzehren, und das sie selbstverständlich zu erst vor ihrem eigenen Haus kehren, bevor sie die Welt verbessern? Ist es nicht gut, dass unser Pelle deinen Orden schon als seine Heimat ansieht, die es zu allererst von Ungerechtigkeiten zu reinigen gilt? Du kannst stolz sein auf diesen Bengel!“ Der Mentor seufzte.

Nun wandte sie sich Pelle zu: „Und du! Erzähl mir doch nicht, dass du glücklich und zufrieden wärst, wenn du am Ende irgendein mittelmäßiger Paladin unter vielen bist, die das Wappen der Luminiscenti im Siegelring tragen. Du willst nicht mal nur einer der besseren sein. Du willst der Beste sein, oder?“ Pelegrinus sah betreten auf den Boden. Natürlich hatte sie recht.

„Aber sich sehe schon, das mein Alter Herr hier momentan nicht der richtige Lehrer für dich ist. Der war in der Theorie selber keine große Leuchte. Du musst jetzt mal richtig ran an den Stoff. Morgen früh geht eine Fuhre von unserem Landgut nach Kerzenburg. Gorion ist ein alter Freund unseres Hauses. Der soll dir mal Nachilfestunden geben. Und beim nächsten Test machst du die ganzen Lackaffen aus den Adelshäusern mal so richtig nass, hm?“

Pelle strahlte. Kerzenburg! Gorion! Was für phantastische Namen. Und er würde dort hin kommen. Plötzlich hatte er wieder dieses Gespür, etwas besonderes zu sein, eine Berufung zu haben, am Ende etwas wirklich Bedeutendes tun zu können. „Einverstanden, wenn es auch in Eurem Sinne ist, mein Meister?“ Der Mentor nickte.

„Na wunderbar, dann gebt euch die Hand und vertragt euch wieder. Und dann gibt es Tee, der wird uns sonst noch kalt!“



EPISODE ZWEI – Bibliothek von Kerzenburg, Schwertküste.

Die Erste Stunde bei Gorion war verwirrend. Der alte Magier hatte offensichtlich einen ganz eigenen Humor. Dinge, derer sich Pelegrinus eigentlich sicher war, stellte er in Frage, und sah ihm mit amüsiert hochgezogenen Augen zu, wie er versuchte, sein gepflegtes Halbwissen gegen die ketzerischen Fragen zu verteidigen suchte. Am Ende hatte er ihm eine lange Literaturliste gegeben.

„Da arbeite dich erstmal mit ein, welchen Bereich wir vertiefen wollen, können wir später sehen. Und grüße den alten Kensai von mir, wenn du in die Bibliothek gehst“

Die Bibliothek von Kerzenburg suchte tatsächlich ihresgleichen Hohe und Heilige Hallen des Wissens und der Weisheit nannte man sie, gewaltige Regale mit alten Folianten, Truhen mit Karten aus den entferntesten Gegenden, brandneue Zeitschriften und Berichte aus allen Himmelsrichtungen – kurz, es war atemberaubend.

„Hier bekommst du auf alle Fragen eine Antwort, junger Freund“ hörte Pelegrinus eine hohe aber bestimmte Stimme sagen. Er senkte seinen Blick von den hohen Regalen auf einen niedrigen Schreibtisch im Eingangsbereich. Auch diese Bibliothek hatte also eine Aufsicht, damit keiner etwa auf die Idee käme, eines der vielen unschätzbar wertvollen Bände zu stehlen.

Allzu ehrfurchtgebietend sah das Männchen allerdings nicht gerade aus, das da mit seinen verknautschten Sachen, seinem runzeligen Gesicht und seinem dürren Bärtchen hinter dem ausladenden Schreibtisch aus massivem Holz saß. Allein das Katana, das über seinem Kopf an einem Nagel baumelte, ließ ahnen, dass das wohl der Kensai sein musste, den es zu grüßen galt.

„Gorion lässt euch schön grüßen, mein Name ist Pellegrinus Luminiscentius, und ich bin hier um zu lernen!“

„Oh, mein junger Freund, das sind wir doch alle. Ja, auch ein alter Mann wie ich kann immer noch dazu lernen“ dabei lächelte das Männlein verschmitzt, „zeigt mal her, junger Freund, was euch der gute Gorion auf die Liste geschrieben hat... hrrmmm.... Monsterkompendium, Heldenhandbuch, Demons and Deities... jajaja, der ganze Anfängerkram, liegt gleich da vorne, drittes Regal links, unterstes Brett, bei dem Tisch mit den Würfeln.“

„Würfeln?“ fragte Pelle ungläubig, aber da hatte sich das Männchen schon seinerseits in ein Buch vertieft. 365 Kartoffelrezepte für jeden Tag las er auf dem Titel. Kurz entstand in seinem Kopf das Bild von einem alten Kensai, der mit seinem Katana Kartoffeln schält. Er schob den Gedanken beiseite und machte sich auf den Weg zum bezeichneten Regal. Tatsächlich war da auch ein Tisch, wo er sich einen Arbeitsplatz einrichten konnte. Nun, dann konnte es ja los gehen...

Die ersten Stunden des Studiums waren eine herbe Enttäuschung. Statt in tiefe Abenteuerwelten einzutauchen boten ihm die Bücher lauter Abkürzungen mit denen er wenig anzufangen wusste. RW, TW, ETW0 und RK schwirrten in seinem Kopf. Und zu jeder Abkürzung gehörten Zahlen, plus und minus, Bonus und Malus, dazu komplizierte Formeln woraus sich das eine aus dem anderen ganz „mühelos“ errechnen ließ.

„Sag mal bin ich hier im Mathe Unterricht?“ Pelle rauchte der Kopf. Kaffee! Er brauchte irgend etwas, was ihm das Gewicht aus den Augenliedern vertrieb, sonst verschlafe ich hier die Lernzeit mit dem Kopf auf der Tischplatte. Zum Glück hatte er bei der Kerzenburger Mamsell einen Stein im Brett, so dass er vielleicht in der Küche eine Aufguss von diesen gerösteten Bohnen abstauben konnte.

Seine Bücher wollte er nicht wieder ins Regal räumen und also brachte er den Stapel zu dem alten Kensai, um zu fragen, ob er ihn dort liegen lassen konnte, bis er wiederkommen würde.

„Na, schon müde?“ fragte der Greis heiter, und sah von seinem Buch auf. Jetzt las er Hui Fui für das letzte Lebensdrittel – aktiviere dein Qi gegen Rheumatismus und Blasenschwäche. Pelle runzelte die Stirn, der Alte bemerkte das.

„Jahaa, mein Jungchen, da kommst du auch noch hin, jedenfalls, wenn nicht vorher ein Drache auf die Idee kommt, seinen Karies mit deiner Rüstung zu stopfen! Drachenzahn Helmkrone eines gescheiterten Paladins mit +2 gegen Zahnfleischentzündung, hihihi“ Der kleine Mann lachte ein eigenartig helles fröhliches Lachen, das es Pelle verbot, sich wirklich zu ärgern. Also lächelte er.

„Hört mir auf mit plus zwei, minus drei und 20%. Ich bin kein Mathe-Genie, und ich ahnte nicht, dass man einen Rechenschieber dabei haben muss, wenn man ein paar lumpige Orks vermöbeln will!“

„Aaach junger Freund, das ist doch auch alles nur die Theorie!“ der alte klopfte mit seinem krummen Finger an seine lichte Stirn. „Meinereiner hat noch die Zeit der Sorgen miterlebt. Das waren noch Abenteuer, mein Junge!“

„Wirklich? Die Zeit der Sorgen?“

„Oh ja!“ die Augen des Männleins glänzten. „Heute sitzt ihr euch hier in wohlgeheizten Bibliotheken den Hintern platt und ballert euch den Kopf mit irgendwelchen Tabellen voll. Und wenn ihr Abenteuer erleben wollt, dann nehmt ihr euch ein Pferd, ein Schwert, eine tolle Rüstung, eine treue Gefährtenschaft und zieht raus in die gefährliche Welt. Woaaahh, wie spannend!“ Der Greis verdrehte die Augen.

Pelle schwieg.

„Bei uns, in meiner Jugend meine ich, da war das ganz anders. Da musste man nicht in die böse gefährliche Welt hinaus ziehen um Abenteuer zu erleben. Die böse gefährliche Welt kam direkt zu uns. Sie stand förmlich morgens in deinem Schlafzimmer, und brachte dich mir nichts, dir nichts um, wenn du nicht rechtzeitig hellwach warst, und wusstest, wie du ohne Rüstung und Klimbim allein mit deinem Schwert unter dem Kopfkissen deine Haut rettest.“

„Jaja, die gute alte Zeit...“ Pelle konnte eine gewisse Ironie in seiner Stimme nicht unterdrücken.

„Pah, gar nicht gut war diese Zeit. Es war wirklich eine Zeit der Sorgen. Viele Menschen, die mir lieb und teuer waren, hat es dahingerafft. Bei jedem Abschied wusstest du nicht, ob er nicht für immer war. Gehungert haben wir, gedürstet, geblutet und gekämpft. Jeden verdammten Tag. Aber dafür“ der Alte machte eine effektvolle Pause „Kommt es sonst im Leben ja auch nicht so oft vor, dass du einen leibhaftigen Gott mit deinem eigenen Katana in zwei Hälften haust“

„Ihr habt – was?“

„Oh ja, mein junger Freund. Die Zeit der Sorgen war ja im Grunde so, dass die im Himmel ein kleines Entsorgungsproblem für ausgediente Götter hatten. Da wurden sie eben auf die Erde geschickt, und es oblag uns, den Herren und Damen den Garaus zu machen. Und nun, man hilft ja wo man kann, nicht war?“

Er erzählte das mit einer Beiläufigkeit, dass er entweder ein unglaublich cooler Held oder ein geradezu perfekter Aufschneider war. Pelle entschied sich intuitiv für das erstere. Ehrfurchsvoll blickte der junge Paladin erst zu dem hutzeligen Männlein, dann zum Katana und wieder zurück.

„Dann müsst ihr ein sehr, sehr mächtiger Krieger sein...“

„Papperlapapp“ grantelte der Alte. „Weißt du, was der größte Fehler in diesen Büchern ist? Sie behaupten, du steigst immer nur auf. Mit jedem Kampf, mit jedem Sieg wirst du stärker und mächtiger, bis du es mit den Göttern aufnehmen kannst.“

„Und ihr habt es mit den Göttern aufgenommen!“

„Ja!“ funkelte der Alte. „Und dann? Was kommt dann? Keines dieser tollen Bücher erzählt dir etwas vom Abstieg. Von den Zipperlein und Wehwehchen, die sich mit der Zeit einstellen. Dass plötzlich dir die Puste ausgeht, wenn du nur ein paar Stockwerke die Treppen hochsteigst. Dass deine Knochen morsch werden und dir der perfekte Halbkreis nicht mehr gelingt, mit dem du deine Waffe gegen die Feinde geführt hast. Dieses Buch hier – er wedelte mit dem Hui-Fui Band vor Pelles Gesicht herum – habe ich selber geschrieben, weil sich keiner etwas zu diesem Thema zu sagen traut.“

„Mein Mentor sagt immer, man ist so jung wie man sich fühlt, und der ist wirklich noch fit“

„Schmarrn. Wie alt ist der? 45? Da belügt man sich noch selbst. Ich hab den Fehler auch gemacht, ich sag dir, das ist ein großer Fehler“

„Was?“

„Sein Alter zu ignorieren. Einfach sich 'jung zu fühlen' und dann lauter Dummheiten zu machen, die man um so mehr bereut. Ich habe es bis zu Letzt versucht. Wirklich, es ist ein Fehler!“

Der Alte blickte kurz an Pelle vorbei in eine imaginäre Ferne.

„Weißt du, ich habe mir noch vor gar nicht so langer Zeit noch so ein junges Ding angelacht. Ich dachte, es macht mich jünger. Weißt du, wenn du mit so einem vitalen, rassigen Wesen mit schwarzer Mähne auftrittst, dann siehst du selber auch gleich viel dynamischer und fitter aus. Dachte ich.“

Pelle konnte auch bei Aufwendung seiner gesamten Phantasie kein stimmiges Bild von einer schwarzhaarigen Schönheit neben diesem Greis vorstellen. Es kam ihm ehrlich gesagt sogar ziemlich geschmacklos vor. Der alte Herr, den er eben noch hemmungslos bewundert hatte, sank spürbar in seiner Achtung. Der war aber ganz in seinen eigenen Gedanken.

„Das Gegenteil ist richtig, mein Freund. So ein junges Pferdchen macht dich nur noch älter als du bist. Du spürst neben einem solchen Bündel von Jugend, Kraft und Frische alle deine Grenzen und Gebrechen doppelt. Du spürst hier, in deinem Innern,“ er klopfte sich auf die Brust, „wie weit weg das schon von dir ist. Und wenn du so eine Stute dann reitest“

Der Alte war zu einem vertraulichen Flüstern übergegangen, Pelle roch den fauligen Geruch aus dem Mund, in dem die letzen wackeligen Zähne vergammelten, und nicht nur deshalb wurde ihm übel. Diese Anzüglichkeiten gingen ihm definitiv zu weit. Aber der Greis war völlig unbeirrt.

„wenn du sie reitest, weißt du, dann hast du wirklich das Gefühl, als würden alle deine Knochen klappern, es ist, als wärst du untot, das ist echt schrecklich.“

Die Vorstellung von kopulierenden Zombies oder Skeletten war nun wirklich zu viel für Pelle, der die Gabe – aber auch die Last – hatte, sich immer alles bildlich vorzustellen. „Entschuldigt bitte aber, ich muss...“

Der Alte fasste ihn mit einem erstaunlich festen Griff am Arm: „Und das Schlimmste ist: du spürst unter dir, sie will mehr. Sie hat richtig Hunger, richtig Feuer, sie ist wie eine gespannte Bogensehne und würde voll abgehen, wenn du sie ließest. Aber du bist schon voll am Limit. Also zügelst du sie, und weil sie artig ist, bringt sie dich zahm im Schritttempo nach Hause. Und du kommst dir sowas von alt vor, das glaubst du gar nicht.“

Der Alte fiel in sich zusammen, sein Griff lockerte sich. Pelle riss sich los. „Ich weiß nicht was Euch dazu bringt, mich mit Euren gesammelten Abenteuern und Alterswehwehchen zu traktieren, aber an Euren sexuellen Eskapaden habe ich nun wirklich gar kein Interesse“

Der Alte wirkte ehrlich verblüfft. „Sexuelle... Eskapaden?“ fragte er ungläubig. Dann brach er wieder in sein helles kicherndes Gelächter aus. „Ha, da habe ich Euch aber ganz schön ins Boxhorn gejagt, was? Ich glaube, ich muss Euch etwas erklären“

So gingen die beiden in den Stall.

Es war Liebe auf den ersten Blick.

EPISODE 3 (folgt außerhalb der Wertung)
 

Enigma

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Das Rechtssystem kennt zwei wichtige, voneinander abhängige Behörden, die dem Schutz der Stadt dienen: die Paladine, die begangene Straftaten aufklären, und die Wache, welche die Täter umknüppelt und verhaftet.
Im Kampf gegen das Verbrechen werden die schlimmsten Straftäter von der Bruderschaft der Luminiscenti gejagt und gefoltert. Dies sind ihre Geschichten.



Der alte Schwertmeister saß in dem Raum des Sekretärs und schaute sich neugierig um, während er eine Teetasse in den Händen hielt und gelegentlich daran nippte. Sein Gegenüber wirkte zwar etwas jünger, aber weitaus weniger agil und fit. Er setzte sich mit einer langsamen, vorsichtigen Bewegung in seinen Sessel, während er in aller Ruhe einen Schluck aus seiner Tasse nahm, den fremden Gast dabei studierte, die Tasse wieder auf den Tisch stellte und eine Pause abwartete.
“Es ist recht ungewöhnlich, völlig Unbekannte mit heiklen Arbeiten zu betrauen, Herr...”
“Ich habe meinen Namen nicht genannt.”, antwortete der Alte feucht-fröhlich.
Das Gesicht des Gastgebers verriet leichten Unmut, aber er fuhr fort.
“Aber da ein guter Bekannter für euch gebürgt und mir wahre Heldentaten von euch versprochen hat, scheint ihr der geeignete Kandidat für den Auftrag zu sein.”
Er schob zwei Zeichnungen zu seinem Gast hinüber.
“Diese beiden Personen haben uns Ärger bereitet. Ich kann dafür sorgen, dass ihr an sie herankommt und zähle auf Eure Fähigkeiten, dass ihr das Problem dann permanent löst.”
“Und dafür habt ihr kein eigenes Personal?”
“Die dafür geeignetste Person ist gerade abkömmlich und aus bestimmten Gründen wollen wir dafür einen Außenstehenden nutzen.”
Der Alte sah sich die Bilder an und nickte. Sein Gegenüber rieb sich die Schulter.
“Ich denke damit ist alles gesagt. Mein Stellvertreter wird euch weiter instruieren, ich fühle mich etwas unwohl und möchte mich daher zurückziehen. Berichtet mir wenn es getan ist. Belohnung wie vereinbart.”

~~OoO~~

Erster Zehntag - Morgendämmerung - Hafenviertel

Ein Wächter hockte über dem Opfer und strich sich durch seinen Bart. Vom Kopf der Frau war nicht mehr viel übrig. “Und, was denkst du?”, meinte sein zwergischer Kollege, während er in eine Stulle biss.
“Ich bin mir nicht sicher.”
“Worüber?”
“Ob Zwergenbier wirklich besser ist.”
Dem kleinwüchsigen Wächter fiel fast das Brot aus der Hand.
“Das kannst doch wohl nicht ernst meinen. Du bleibst einfach ein unwissender Barbar, Langer.”
“Ich mags halt einfach nicht so gerne. Könnt ichs mir leisten, wär ich sowieso Weinsäufer. Ach ne, verdammt.”, er rollte mit den Augen und zog sich an seiner Hellebarde hoch. “Wieder einer der Palas.”
Sein zwergischer Kollege hob die Augenbrauen. “Super, dann können wir ja einpacken.”
“Ich hab von dem gehört, ist einer von den ganz Netten.”
Der junge, blondhaarige Mann, der dort auf sie zuspazierte, war mit seiner lockeren Kleidung und einem freundlichen Lächeln tatsächlich sofort sehr einnehmend.
“Guten Tag die Herren. Mein Name ist Peregrinus, ich wurde von der Bruderschaft geschickt um die Stadtwache zu unterstützen. Es tut mir wirklich Leid mich so plötzlich einzumischen. Könnte mich bitte jemand über die Lage aufklären?” Er ließ den Worten ein so gewinnbringendes Lächeln in seinem hübschen Gesicht folgen, dass die Wächter einen Moment perplex waren.
“Äh, ja, eure Lordschaft...”, begann der Mensch.
“Keine Förmlichkeiten nötig, ich bin keiner von den hohen Adligen, nennt mich Pelle.”
“Äh...ja, eure...Pelle. Äh... das Opfer ist ein Frau, eher jünger, man kann es schwer sagen, denn jemand hat ihren Kopf so zermatscht wie ne Stampfkartoffel, vielleicht hat sie versucht, engere Bekanntschaft mit dem Knüppel eines Ogers zu schließen...”, er unterbrach sich rasch mit einem Seitenblick auf den Paladin.
Vom Paladin kam ein zustimmender Laut, was den Wachmann zum Weitersprechen ermunterte.
“...äh, gefunden hat sie eine Kollegin der Dame dort. Eine bekannte ... Bordsteinschwalbe. Sie sagt sie hätte nichts angefasst. Hat über die Kleidung des Opfers gelästert, konnte sie aber auch nicht ideni..idenfi...erkannte sie nicht. Hat sich beschwert, dass die Gilde nichts gegen Eigenständler unternimmt. Sonst keine Zeugen. Wir waren in der Nähe und daher kurz nach der Entdeckung sofort vor Ort.”
Pelle kniete über der Leiche und tastete sie ab, schaute Arme und Hände an.
“Hm, feine Hände. Keine klaren Kampfspuren, aber das Opfer wurde bewegt. Ein Ring fehlt. Wer immer das gemacht hat, er hat mehrere Schläge mit einer stumpfen Waffe mit Spitzen gebraucht, vielleicht ein Morgenstern. Hm, wirklich nicht gerade die Kleidung der örtlichen Dirnen. Sieht eher nach Unterwäsche der gehobenen Mittelschicht aus.” Er stand wieder auf.

“Sie haben die Pferdespuren vergessen!”
Alle drei drehten sich um. Mit verschränkten Armen stand hinter ihnen eine Frau, rotes, lockiges Haar wallte von ihrem Kopf und die schwere Rüstung und Auftreten wollte so gar nicht zum niedlichen Gesicht passen. Pelle sprach sie an, konnte aber den überraschten Unterton nicht verbergen.
“Darf ich fragen wer ihr seid?”
“Paladin Zora, vom Orden hierher beordert, Bruder.”
“Ich bin erfreut. Paladin Peregrinus, genannt Pelle.”
Die beiden Wächter flüsterten sich zu.
“Gleich zwei von denen. Wo sind wir hier bloß hineingeraten?”
“Keine Ahnung, ich finds spannend.”
Die Paladinin wandte sich an die beiden.
“Namen?”
“Leutnant Heinrich, Stadtwache, Hafenviertel.”, ließ der Mensch prompt folgen.
“Leutnant Kiril, Stadtwache, Hafenviertel.”, schloss der Zwerg und salutierte mit dem Brot an der Stirn.
Ein kurzer Moment des unangenehmen Schweigens und Musterns entstand. Pelle ergriff das Wort.
“Was meintet ihr mit den Pferden?”
“Die Spur hier. Ein kräftiges Pferd. Gute Beschlagung, dreikernig, nicht aus der Region. Sieht wie ein Ackergaul aus, aber der Abdruck lässt auf ein schnelles Pferd schließen. Kein Gespann, sondern ein Reiter, er ist abgestiegen. Vielleicht hat er sich noch an dem Opfer vergangen? Dann ist er wieder aufgestiegen und in die Gasse getürmt.”
Pelle war beeindruckt. Eine Frau die etwas von Pferden verstand. Und Spurenlesen.
“Dann sollten wir vielleicht der Spur folgen, solange sie noch da ist.”, schlug er vor.
“Eine ausgezeichnete Idee.”, spottete Zora.
Während sie der Spur folgten, versuchte Pelle das Eis zu brechen.
“Seid ihr schon länger in der Stadt?”
“Nein, ich wurde gerade erst hierher versetzt. Ich habe mich beeilt gleich an dem gemeldeten Ort des Mordes zu erscheinen.”
“Ja, das ging wirklich schnell. Versteht das nicht falsch, aber habe ich euer Gesicht schonmal gesehen?”
Sie seufzte.
“Ihr habt dann vermutlich ein wirklich gutes Gedächtnis. Eine meiner Vorfahrinnen war ein bekannter Pirat. Ihr Bild ist sicher in den Archiven verzeichnet. Sie war mir sehr ähnlich.”
“Interessant. Dann seid ihr also nicht von blauem Blut?”
“Man kann auch Adelstitel erbeuten.”
Pelles Frage, die sich in seinen Kopf bohrte, wurde von einem Fingerzeig unterbrochen.
“Seht nur was dort gelagert ist.”
In einem offenen Fass lagen neben halb verfaultem Essen und alten Kleidungsstücken eine hochqualitative Lederrüstung, Schmuck und ein blutverschmierter Flegel.
“Was man doch immer wieder in scheinbar zufällig herumstehenden Fässern und Kisten findet. Das könnte doch unsere Waffe sein. Seltsam, dass unser Mörder sie hier versteckt hat. Und die Rüstung. Ausgezeichnete Stiefel.”
“Weg von meinen Sachen, ihr Diebe! Diebe!”. Ein dürrer Mensch mit Holzbein kam angehumpelt. Sein fettiges Haar, Geruch und abgerissene Kleidung bestätigten seinen Berufsstand als Bettler.
“Wir sind Paladine und untersuchen einen Mordfall, guter Mann.”, beschwichtigte ihn Pelle.
“Darf ich fragen woher ihr die Sachen habt?”
“Gefunden. Und wers findet dem gehörts. Ich habs gefunden, also gehörts mir. Mir!”
“Schon gut, wo habt ihr sie gefunden?”
Der Mann brummelte vor sich hin.
“Lag hier so rum. Muss jemand verloren haben. Jetzt ist es meins!”
“Jemand auf einem Pferd?”, schlug Zora bittersüß vor.
Der Mann schwieg. Pelle fiel etwas an seiner Hand auf. Ein goldener Ring, mit einem eingefassten Edelstein, rot-grün.
“Und den habt ihr auch gefunden?”
“Der gehört mir. Hab ich gekriegt, geerbt von meiner Mutter.”
“Und die Waffe hier auch?”, Pelle hob den Flegel aus der Tonne.
“Gehört mir. Immer. War bei der Armee. Hab immer ne Waffe gehabt. Sie heißt Else. Und sie gehört mir.”
“Sieht aus wie frisches Blut. Besser ihr sagt die Wahrheit, sonst schleppe ich euch wegen Mordes in den Kerker.”, drohte Zora.
Der Mann brach zusammen. Er plapperte etwas von Kriegsgefangenschaft und seinem Bein, dass er im heldenhaften Kampf gegen die Reiter aus dem Osten verloren hätte. Unter gutem Zureden Pelles und bohrenden Nachfragen Zoras gab er zu, dass eine kleine Gestalt, einem dieser Hordenreiter aus dem Osten gegen die er die Heimat verteidigt hatte nicht unähnlich, aber ziemlich alt und mit weißem Bart, das alles in einem Sack von seinem Pferd geworfen hatte. Ein mächtiges, großes schwarzes Pferd, mit einer Brandnarbe hinten, größer als die der wilden Hordenreiter aus dem Osten, gegen die er tapfer gekämpft hatte. Er hätte nur alles eingesammelt.
Sie nahmen alles als Beweise mit, nicht ohne dass Pelle dem Mann vorher ein Goldstück gab.

Während sie darauf warteten, dass die Leiche abgeholt wurde, unterhielten sie sich.
“Glaubt ihr dem Mann? Er scheint ziemlich verwirrt.”
“Es ist zumindest unsere beste Spur. Warum verstümmelt der Mörder das Gesicht der Frau, klaut ihre Sachen und wirft sie dann weg?” Für Pelle ergab das keinen Sinn.
“Er wollte wohl, dass wir den Fall als einfachen Mord an einer Straßenhure abtun. Aber warum macht er sich die Mühe und wirft das Beweismaterial dann doch weg? Wenn er es im Fluss versenkt hätte oder besser versteckt...”
“Wir sollten auf jeden Fall der Spur folgen, solange sie noch halbwegs auffindbar ist. Vielleicht haben wir ja Glück.”, meinte Zora.
Die Leichenbestatterin erschien
.
“Versuchen wir es.”, stimmte Pelle zu. “Heinrich, Kiril, ihr kommt bitte mit. Vielleicht können wir Verstärkung brauchen.”
Sie marschierten eilig los, wobei Zora die Führung übernahm und den Spuren zielsicher folgte, als mache es ihr keine Mühe, sie auf dem schlammigen Boden zu entdecken.
“Glaubt ihr, dass der Täter so gefährlich ist?”, murmelte sie nebenbei.
“Es kann zumindest nicht schaden, wenn man Hilfe zur Hand hat.”
“Ihr seht nicht so aus, als ob ihr euch nicht selbst zu helfen wüsstet.”
“Oh, aber ich ziehe es vor offenen Kämpfen aus dem Weg zu gehen und konnte mich auch nie an diese schweren Rüstungen und Waffen gewöhnen. Ihr dagegen seht sehr gut gepanzert aus.”
“Wie nett ihr das sagt.”, schmunzelte Zora.
“Ich wollte damit nicht andeuten...”
“Oh, macht euch keine Sorgen, ich hab euch gut verstanden.”
“Nehmt euch ein Zimmer.”, brummelte der Zwerg hinter ihnen leise. Heinrich stieß ihn an.
“Seht nur.”, rief der Wächter. “Dieses schwarze Pferd vor der Taverne.”
“Und die Spuren passen auch. Da ist er nicht weit gekommen.”
Pelle ging auf das Pferd zu, das mit dem Rücken zu ihnen stand, den Kopf drehte und ihn argwöhnisch betrachtete.
“Eine Brandnarbe. Ich glaube das ist es.”, meinte er strahlend. Und sah wie Zora die Waffe zog und die Wächter ihre Hellebarden senkten.

~~OoO~~

“Deine Schwester erwartet dich.”, flüsterte der Alte dem Dieb ins Ohr, dann ließ er seinen Kopf los und zog sein Schwert aus dessen Bauch. Die schockstarren Augen des Opfers entsprachen fast denen seiner umstehenden Untergebenen. Mitten in einem kleinen Kellerraum, im eigenen Reich, umgeben von Freunden, hauchte er sein Leben aus.
Als die ersten reagierten und nach dem Attentäter griffen, verschwand dieser schon Richtung Tür, stieß die Schnellsten nieder, rollte für sein Alter ungewöhnlich behände unter den Armen eines Riesen hindurch, öffnete die Tür, flog hindurch und stieß sie hinter sich zu. Mit zwei taktisch platzierten Fässern blockierte er sofort den Zugang zu dem kleinen Raum voller Bier- und Weinfässer, bevor sich die ersten Meuchler und Heuchler dagegenwerfen konnten.
Der Schwertmeister ging in aller Ruhe in Richtung der verborgenen Falltür nach oben, als er aus dem Augenwinkel einen sich bewegenden Schatten erspähte. Mit einer Drehung ließ er den Schatten an sich vorbeifliegen, zwei Dolche in dessen Händen schlugen ins Nichts und der Alte verpasste ihm einen Schlag gegen den Hals, der diesen zu Boden gehen ließ. Die Wache am geheimen Ein- und Ausgang zur Diebesgilde unter der Taverne blieb regungslos liegen.
Dann näherte sich der Alte weiter vorsichtig der Treppe zur Falltür, stieg sicher über einen gespannten Faden und öffnete diese. Pfeifend schlenderte er in die Küche, grüßte den Koch, der ihn aber nur kurz musterte, ging in die Taverne und atmete durch.
Er verließ die Gaststätte durch die Vordertür, schaute in das blendende Licht, blinzelte, schloss die Tür und hob die Arme.
“Ich ergebe mich.”

Die zwei Wächter und Paladine die ihm gegenübertraten, schauten verwirrt.
“Was hat er gesagt?”
“Muss eine dieser Fremdsprachen sein.”
“Na, das kann ja heiter werden.”
“Ich glaube er hat sich ergeben. Ich hoffe es.”
Ein blondhaariger Mensch kam auf ihn zu.
“Könnt ihr mich verstehen?”, fragte ihn dieser.
Der Alte starrte ihn nur an und wiederholte seinen Satz.
Man bedeutete ihm mit vorgehaltener Waffe in eine bestimmte Richtung zu gehen. Er leistete keinen Widerstand.

~~OoO~~

Erster Zehntag - Mittag - Hafenviertel - Wachstube

Heinrich schloss die Tür und legte die Hellebarde beiseite.
“Werte Gäste aus Nah und Fern, dies ist unsere Wachstube.”
Der Raum hatte eine wackelige Treppe, die nach oben führte, ansonsten wirkte es sehr aufgeräumt, ein paar Tische, Stühle und Betten machten den Eindruck, dass hier mehr als ein Dutzend Wachen Platz fanden, abgesehen davon, dass keine da waren und nur zwei einsame Becher und Teller einen Tisch mit ihrer Anwesenheit bedachten. Fackeln an den Wänden und ein Ofen waren der Rest an Komfort den die Stube bot. Etwas Licht fiel durch die wenigen Fenster und enttarnte mit den Strahlen den herumfliegenden Staub.
“Alle anderen auf Patrouille?”
“Krank bzw. Urlaub. Alle beide.”
“Ihr seid nur zu viert?”
“Tja, die Einsparungsmaßnahmen des Rates haben das Hafenviertel am härtesten getroffen. Warum auch immer.”
“Wo ist das Verhörzimmer?”
Heinrich und Kiril sahen sich an.
“Man könnte einen Tisch und Stühle in eine der Zellen oben bringen.”
“Das wird reichen. Ich muss kurz zur Bruderschaft zurück, bereitet derweil alles vor.”

~~OoO~~

Erster Zehntag - Mittag - Hafenviertel - Garnisonsgebäude

Pelle öffnete die Tür zur Garnison und sah Kiril gemütlich bei einem Humpen Bier an einem der Tische sitzen.
“Wo ist der Rest?”
“Zora ist oben und redet mit dem Gefangenen. Sie hat Heinrich losgeschickt, um einen Übersetzer zu suchen.”
“Und ihr lasst sie mit dem Mann alleine?”, echauffierte sich der Paladin.
“Sie hat darauf bestanden.”, rechtfertige sich der Wächter. “Der gute Heinrich wird jetzt sicherlich alle Tavernen gewissenhaft nach einem Übersetzer absuchen. Hehe.”
Pelle stürmte mit ungutem Gefühl nach oben. Als er die Zellentür erreichte, wo Zora auf den Alten einredete, ging er mit einem stillen Seufzer der Erleichterung hinein. Der Alte setzte gerade zu einer Antwort an, verstummte dann aber.
Pelle stellte drei Becher auf den Tisch.
“Schon irgendein Erfolg?”, fragte er.
“Er scheint kein Wort zu verstehen. Wo wart ihr?”
“Ich habe etwas in den Archiven besorgt. Sie sind bemerkenswert, man findet dort fast alles. Könnt ihr euch an den Ring erinnern, den wir gefunden haben?”
“Soweit reicht mein Gedächtnis noch gerade zurück.”
“Er war sehr ausgefallen und ich glaubte, ich hätte ihn schon einmal bemerkt. Tatsächlich gab es da mal einen Steckbrief.”. Er zeigte Zora ein Blatt Papier auf dem nach einer Frau gefahndet wurde. Merkmale unter anderem ein Ring mit rot-grünem Edelstein. Mord, Raub, Diebstahl, eine hohe Belohnung. Die Haarfarbe passte.
“Der Steckbrief verschwand allerdings in den Archiven, als die Frau einen hohen Posten in der Diebesgilde bekam. Ihr Bruder hatte ihr dazu verholfen und schon wurden all ihre Straftaten erlassen und sie ein ehrenwertes Mitglied der Gildenfraktionen.”
“Ihr meint, diese Frau, ein hohes Mitglied der Diebesgilde, wurde getötet?”
“Nun, noch besser, die Taverne, aus der er kam, ist einer der Unterschlüpfe für die Diebesgilde, munkelt man.”
“Tee?”, wandte er sich nebenbei an den Alten.
“Gern.”, antwortete dieser.
Dann schlug er sich die Hand vor die Stirn.
“Das war einfacher als gedacht.”, freute sich Pelle.

Zora und Pelle unterhielten sich außerhalb der Zelle.
“Ich glaube es wird Zeit für guter Paladin, gefallener Paladin.”, meinte Pelle.
“Wie funktioniert das?”
“Einer versucht das Vertrauen des Beklagten zu gewinnen, während der andere etwas radikaler bis brutal vorgeht. Der gute Paladin zeigt Verständnis für ihn und bringt ihn so zu einem Geständnis.”
“Klingt interessant. Ich glaube, ihr seid eher der vertrauenswürdige Typ.”

Sie betraten den Raum, Zora legte den Ring vor den Alten hin, wartete einen Moment, lächelte freundlich und schlug dann auf den Tisch, dass die Becher in die Luft sprangen.
“Wir wissen alles! Wir haben Zeugen, die dich gesehen haben, wie du die Waffe weggeworfen hast. Wir kennen dein Opfer, uns ist bekannt, dass du für jemanden arbeitest. Du hast es als Mord an einer Hure tarnen und dich dann aus dem Staub machen wollen. Wer sind deine Hintermänner? Wer hat dich beauftragt?”
Pelle schritt ein.
“Ho. Immer langsam, ihr müsst nicht gleich mit den glühenden Eisen und Daumenschrauben anfangen. Vielleicht will er uns ja alles gestehen.”
“Das wäre auch besser für ihn. Sonst landet er im miesesten Kerker der Stadt, nach der peinlichen Befragung. Und da sind sie nicht nett zu Fremden. Da hört man Sachen über die man nichtmal etwas in Folterkunde gelernt hat.”
“Ihr hattet Folterkunde?”
“Zwei Semester. Mit Auszeichnung bestanden und besonderer Belobigung für unglaublich unglaubwürdige Gnadenlosigkeit und Gefühlskälte. Ich habe damals zudem ein neues theoretisches Modell zur Geständnismotivierung erfunden.”
Der Alte schaute stumm zwischen den beiden hin und her.
“Das ist ja grausam. Das habe ich immer abgelehnt, diese menschenverachtenden Verfahren sind aus einer anderen Zeit.”
“Im Gegenteil. Man hat sogar neue, kreative Ideen verwirklicht. Sowohl auf physischer und psychischer Ebene im Detail, als auch auf langfristig-strategischer Basis, mit enormem Furcht- und Schmerzfaktor und variablen Möglichkeiten was Spätschäden angeht.”
“Äh.”, sagte der Alte.
“Das ist monströs.”, rief Pelle aus. “Dabei ist der Mann doch schon erledigt, wenn wir einfach verlauten lassen, er hätte seine Auftraggeber verraten und ihn dann in den Kerker sperren.”
“Sicher, aber das wird nur der Knackpunkt, nachdem ihn die Behandlung zermürbt hat. Bevor wir dann zur wirklich schlimmen Endphase übergehen müssten, die noch nie versagt hat.”
“Äh...”, versuchte es der Alte wieder.
“Noch schlimmer? Und das wäre?”, hakte Pelle entsetzt bei der Kollegin nach.
“Hallo. Ich rede ja, ich sage alles.” Damit erlangte der Alte endlich ihre Aufmerksamkeit.

~~OoO~~

Der Alte nahm einen Schluck Tee aus dem Becher und begann zu plaudern.

Er sprach die hiesige Gemeinsprache ziemlich gut, obwohl er öfter nach Wörtern suchen und das Nuscheln und der Akzent es etwas schwierig machten, ihm zu folgen und Nachfragen nötig machte.

Es stellte sich heraus, dass der Alte ein Schwertmeister, Abenteurer und Söldner war, der Aufträge annahm, wie z. B. Mordanschläge. Er wurde von einem Mitglied der Verhüllten Magier engagiert, um zwei hochrangige Diebesgildenmitglieder zu ermorden, ein sadistisches Geschwisterpaar. Er hatte ihm guten Zugriff auf die Zielpersonen ermöglicht. Die Frau war dafür bekannt, jeden zehnten Zehntag in einem Warenladen Kätzchen und junge Hunde zu erstehen, um diese dann in einem Teich oder Brunnen zu ertränken. Es war eines ihrer kuriosen Hobbies, bei welchem ihr der Schwertmeister auflauerte und sie töten konnte, was ein Glück für die Tiere war. Um ein schnelles Auffinden zu erschweren und die Behörden abzulenken, hatte er sie danach entkleidet, das Gesicht “unkenntlich” gemacht und sie in einer nahen Gasse abgelegt.
Nachdem er sich ihrer Sachen und der plumpen Mordwaffe entledigt hatte, war er sofort zu seinem zweiten Opfer in dessen Kellerversteck unter der Taverne vorgedrungen, mit dem er aufgrund der Verbindungen des Sekretärs einen Termin hatte. Dabei hatte er auch den Bruder erledigen und dank erhaltener Kenntnisse über das Gebäude die Flucht ergreifen können. Den Rest kannten sie ja. Er war wohl zu langsam gewesen und zu unvorsichtig, gab er zu.

Um so mehr Pelle darüber nachdachte, um so dümmer und unnötig kompliziert kam ihm der Plan vor. Und er war dann auch noch fehlerhaft ausgeführt.
“Wie hieß der Sekretär?”
“Hugo von Hohenstein. Er residiert im Handelshaus Maus im Regierungsviertel.”, gab der Alte ohne Zögern preis.
Pelle überlegte.
“Ihr beide bewacht den Gefangenen. Ich werde mal ein Wörtchen mit diesem Sekretär reden.”
Beim hinausgehen schärfte er Kiril noch einmal ein besonders wachsam zu sein. Dieser nickte und nahm sich grimmig eine Armbrust.

~~OoO~~

Erster Zehntag - Abend - Regierungsviertel - Handelshaus Maus

Pelle hatte mehrfach auf seinen Status als Paladin und Mitglied der Bruderschaft der Luminiscenti hinweisen müssen, bevor man ihn endlich vorließ.
Er betrat das Zimmer des Sekretärs und bewunderte die schöne Einrichtung, die Möbel aus edelstem Holz, die geordneten Bücher, exotische Zierpflanzen und den weichen Teppich. Ein Bild mit vielen Rosen darauf faszinierte ihn am meisten. Als ein Mann mittleren Alters eintrat und ihn freundlich grüßte, kam er gleich zur Sache.
“Wie kann ich der Bruderschaft helfen?”
“Hugo von Hohenstein, nehme ich an?”
“Leider nein.”, lächelte der Mann milde. “Mein Vorgänger hat leider einen Herzinfarkt erlitten. Er war nicht mehr der Jüngste. Was wolltet ihr von ihm?”
Pelle stutze. “Herzinfarkt? Wann war das?”
“Oh, wohl etwa gestern. Am Abend wurde er gefunden.”
“Kann ich die Leiche sehen?”
“Leider wurde er schon wie gewünscht eingeäschert. Er war kein gläubiger Mensch und huldigte keinem Gott. Nun, das war wohl ein Fehler, aber wir wählen alle unseren Weg. Kann ich euch vielleicht helfen?”
“Das war eine schnelle Kremation.” Pelle überlegte.
“Ihr seid nun sein Nachfolger? In allen Bereichen seiner Tätigkeit?”
“Ja.”. Der neue Sekretär lächelte nachsichtig. “Ihr glaubt, ich hätte etwas mit seinem Tod zu tun? Er war schon recht alt und hatte in letzter Zeit öfter über Brustschmerzen geklagt. Ich glaube nicht, dass etwas anderes dahintersteckt. Wenn ihr mich fragen wollt, ob ich über meine neue Stellung froh bin, so lautet die Antwort: Ja.”
Pelle versuchte irgendetwas Verräterisches in dem Gesicht des Mannes zu lesen, fand aber nur Güte und Freundlichkeit vor.
“Wisst ihr etwas über die Gäste, die er in letzter Zeit empfangen hat?”
“Als sein Stellvertreter habe ich Kenntnis über viele Sachen, aber nicht alle. Ich werde mich wohl in den nächsten Stunden und Tagen sehr viel einlesen müssen, was meine Zeit begrenzt. Aber selbst dann wird das meiste Verschlusssache der Verhüllten Magier bleiben.” Wieder dieses freundliche Lächeln in dem vertrauenswürdigen Gesicht.
“Vielleicht könntet ihr mir einen Wink geben, ob er einen exotischen Gast hatte? Vielleicht einen älteren Mann aus dem Osten?”
Der Sekretär faltete die Hände, schürzte die Lippen und schaute zur Decke. Dann nickte er.
“Und was sie besprochen haben, ist euch vermutlich nicht zu Ohren gedrungen?”
“Nein, er war sehr darauf bedacht, dieses Gespräch unter vier Augen und Ohren zu führen. Es tut mir leid.”
“Wie sind eigentlich eure Kontakte zur Diebesgilde?”
Der Mann schien überrascht.
“Das ist eine ganz andere Gilde. Wir mischen uns da nicht ein. Es gab sicherlich schon einmal Berührungspunkte und bestehende Vereinbarungen, aber offiziell gibt es da keine Beziehungen oder Ansprechpartner. Und auch keine Inoffiziellen die mir bekannt sind.”
“Es gibt also keine Probleme zwischen den beiden Fraktionen?”
“Im Moment nicht.” Er lächelte sein ehrliches Lächeln.

Pelle verabschiedete sich und machte sich grübelnd auf den Weg zurück zur Wachstube. Fast wäre er in seiner Unachtsamkeit von einem schnellen Reiter umgeritten worden, er entschuldigte sich abwesend und versuchte, das Puzzle zusammenzusetzen.
War da ein Krieg zwischen Magiern und Dieben zugange? Würden die Straßen bald in Blut ertrinken, wenn deren Anhänger sich gegenseitig auf der Straße meuchelten? Oder würde es über angeheuerte Attentäter laufen? War es eine Intrige weniger Personen? Oder spielte etwas anderes eine Rolle?

~~OoO~~

Erster Zehntag - Nacht - Hafenviertel - Garnisonsgebäude

Er betrat die Wache und sah Kiril an einem vogelgroßen Stück Fleisch kauen. Zora stand mit verschränkten Armen daneben.
“Ist das die empfohlene starke Bewachung?”, stöhnte Pelle auf.
“Das hat sich erledigt.”, kommentierte der Zwerg kauend.
“Er ist entkommen.”
“Wie?”, brachte der Paladin nur hervor.
“Fragt das eure Kollegin hier.”, grummelte der Zwerg.
Zora blickte ihn nur stumm an.
“Was ist passiert?”
Der Zwerg stand auf und winkte ihm mit einem übriggebliebenen Knochen nach oben.
“Nun, ich habe hier Wache gehalten, weil Eure Zora meinte ich sollte den Eingang bewachen. Ich tat das auch, bis mich Geräusche oben aufschreckten. Ich flitzte also nach oben und sah das zerbrochene Fenster. Ich sage schon seit Jahren, dass die Fenster auch außerhalb der Zellen massive Eisengitter haben sollten, jeder Zwergenschmied kann einem da was Vernünftiges schmieden, aber auf mich hört niemand. Ich renne hin und sehe wie der Alte auf seinem Gaul davonreitet, wie auch immer der dahingekommen ist. Ich lege mit meiner Armbrust an um einen Glücksschuss auf die Entfernung zu versuchen, da reißt sie mir die Waffe nach oben und ich treffe stattdessen eine Taube.”
Er winkte mit dem Knochen.
“Wer?”
“Zora! Sie hat ihm zur Flucht verholfen, verdammich.”, stöhnte der Zwerg.
“Lasst euch den Rest von ihr erzählen.” Er stapfte nach unten, um sich ein Bier zu genehmigen.

Pelle starrte die Paladinin an, die ihn bat, sich zu setzen. Sie hatte ihm eine Geschichte aufzutischen.

Die Handlung begann schon mit einem Attentatsbefehl auf zwei Personen.
Die beiden Opfer waren ein semiberühmter Barde und ein weiblicher Mönch, die Auftraggeber das Geschwisterpärchen der Diebesgilde. Die Hintergründe waren unklar, aber offenbar hatten die beiden erstgenannten die Geschwister blamiert.
Ungewöhnlich war, dass ein Attentäter der Magiergilde dafür engagiert wurde und dieser nach der Ausführung spurlos verschwand.
Ungewöhnlich, dass beide Opfer eine Lobby hatten. Dass eines der Mitglieder der Bruderschaft der Luminiscenti ein Fan des Barden gewesen und der Orden des Mönchs natürlich überhaupt nicht erfreut war über die Ermordung eines seiner Mitglieder.

Dennoch wäre wohl alles im Sande verlaufen und nichts wäre passiert, hätte der Sekretär Hugo von Hohenstein, der den Attentäter losgeschickt hatte, nicht einen großen Fehler begangen. Er vertraute sich einem loyalen Freund an, seinem Stellvertreter. Berichtete ihm davon, dass er einen alten Gefallen hatte einlösen müssen, dass nun einer ihrer besten Attentäter verschwunden und zwei mächtige Institutionen gar nicht erfreut waren über die Geschehnisse. Dass auch die beiden Geschwister bekanntermaßen äußerst unbeliebt waren, selbst in den eigenen Reihen. Dass die eigene Gilde sein einschreiten nicht gutheißen würde, wenn die ganze Geschichte jemals herauskäme.

Der Freund beruhigte ihn und ging schnurstracks zu einer Bekannten bei der Bruderschaft im Aussendistrikt, Paladinin Zora. Da diese der erwähnte Fan des Barden gewesen war, empfahl sie ihm einen ihr bekannten Abenteurer, einen Fremden aus dem Osten, der schon öfters für den Orden gearbeitet hatten und “über große Erfahrung verfüge”.
Diesen alten Haudegen empfahl der Freund von von Hohenstein diesem nun für die Lösung der Probleme. Dessen Beziehungen zur Diebesgilde öffneten dem Abenteurer noch Tür und Tor für die Infiltration der Gilde und die Ermordung der Geschwister, kurz nachdem dem alten Sekretär ein Herzinfarkt, verursacht durch den Inhalt einer Tasse Tee, zum Verhängnis wurde.

Noch während dessen Ableben würde der Abenteurer den Auftrag ausführen und die Schwester ermorden und ihre Leiche so verstümmeln dass ihr Bruder nicht rechtzeitig von ihrem Tod gewarnt werden könnte. Dann würde er sie so platzieren, dass Zora, die sich extra dafür hatte versetzen lassen, bei der Untersuchung den gestreuten Beweisen folgen und ihn nach dem Mord am Bruder sofort mithilfe der Stadtwache in Gewahrsam nehmen konnte, falls es nötig würde ihn aus den Klauen der Diebesgilde zu retten. Das ganze endete natürlich mit einer überraschenden Flucht seinerseits.
Die Ermordung des Barden und der Mönchin wären gerächt, der Stellvertreter konnte ohne viel Widerstand und im guten Licht stehend, den Posten seines Freundes als Sekretär übernehmen und die Diebesgilde bekäme neues Führungspersonal.

Etwas kompliziert wurde das Ganze durch das überraschende auftauchen des Paladins Peregrinus, den man eigentlich noch woanders wähnte. Auch das ungewöhnlich forsche Auftreten von Wachmann Kiril hätte beinahe noch zu einem weiteren Verletzen geführt.
Zora hatte also Erklärungsnotstand und als Paladin war lügen in solchem Umfang nicht ihre Spezialität.
Also versuchte sie es mit der Wahrheit.

“Eigentlich ist nicht wirklich etwas passiert. Politisch hat sich nicht viel verändert und der Gerechtigkeit wurde über Umwege genüge getan.”
Pelle sah das anders.
“Aber das hätte man doch auf dem Weg des Gesetzes lösen können. Man hätte den Fall untersuchen, die Mörder stellen, die Machenschaften aufdecken müssen! Es gab doch sogar Beweise, zumindest Zeugen.”
“Der jetzt neue Sekretär hätte sich nie für einen Prozess zur Verfügung gestellt. Vermutlich wäre das Ganze auch versumpft im Machtspiel der korrupten Gilden. Oder hätte zu noch mehr Toten in einem offenen Konflikt geführt.”
“Das mag sein.”
Pelles Augen schauten ins Nichts. Er seufzte.
“Aber das ist nicht der Weg, den Paladine betreten. Ihr seid verhaftet! Kiril, sperrt sie weg.”
Zora schrie verblüfft auf.
“Was? Ich habe mich euch geöffnet. Ich habe darauf vertraut, dass ihr etwas mehr Menschenverstand besitzt, als diese anderen Paladine, diese ergrauten, fanatischen Relikte. Ihr schient mir aufgeschlossen.”
Pelle schüttelte traurig den Kopf, während Kiril die Paladinin entwaffnete und in die Zelle sperrte.
“Ja, das bin ich. Aber nicht in diesen Dingen.”
“Ihr macht einen großen Fehler.”
“Vielleicht, aber ich mache ihn auf meine Art. Den Rest sollen die Götter entscheiden. Ich habe noch eine Untersuchung weiterzuführen.”
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Wahnsinn!!!

Schon mit diesem Zitat aus Law and Order am Anfang hattest du mich eigentlich schon im Sack. Und dann diese wunderbaren Stadtwachen, dieser so herzig sympathische Peregrinus, diese Crime Scene mit den üblichen Sprüchen, und zwischendurch diese aufblitzende anarchische Komik "und salutierte mit dem Brot an der Stirn"

Wahnsinn.

Dann ein herrlicher Plot (der mir am Schluss etwas zu hektisch aufgelöst wird, aber hallo, dies ist ein Zeitdruck-Projekt, da zählt auch gute Absicht und gute Idee, wenn die Umsetzung am Schluss nicht vollständig gelingt, ist das eben so). Und du hast die Stirn, Zora als Dosenheilige auftreten zu lassen, die erst etwas Strenge umweht, am Ende aber das Chaos perfekt macht, weil irgendetwas an ihr eben doch intrigant und nicht so ganz lawful good ist.

Wahnsinn

Pelle steigt aber - und ja, genau so ist er! - eben nicht auf diesen faulen Deal ein, sperrt Zora (er tut es wirklich!) in den Knast und macht sich auf die Jagd nach dem entrittenen Schwertmeister.

Wahnsinn.

Das hat unglaublich viel Spaß beim Lesen gemacht, wunderbar!
ZORA
 

Timestop

Running out of Time
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Dass die zwei Schreiberlinge sich zuerst melden ist sicherlich auch selten.:D

Du glaubst wohl du könntest dauernd mit Komplimenten um dich werfen und würdest nichts zurückbekommen? Da hast du dich aber geirrt, Mädel.

Meine Story krankt natürlich an Länge, etwas wirrer Inszenierung, der nicht klaren oder nennen wir es lieber (da ja auch Intrigenplaner Menschen sind die Denkfehler machen) nicht stylishen Auflösung.

Deine Geschichte ist dagegen von vorne bis hinten ein Lacher (höhö), sogar mit Kartoffeln. Es mangelt nur an etwas Schleifzeit. Das fällt sogar mir in einigen Details auf und die dritte Episode fehlt, schade, aber kein Wunder, wenn du das, wie viele hier, während der Nachhausefahrt auf der Windschutzscheibe notierst, wie macht ihr das? Aber der Humor schlägt (diesmal) für mich alles, dafür ist der Alte einfach zu schön dargestellt und die Persiflage des Genres an sich. Toll gemacht, du Glückskeks.:D
 

Kraven

Lernender
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Da traut sich vermutlich sonst keiner.
Also zumindest ich fühle mich nach der Lektüre der beiden Beiträge dann doch leicht eingeschüchtert... Wahnsinn. Da haben beide Schreiber nochmal richtig angezogen.

Allgemeine Beobachtung: Timestop scheint bei Schreibern den panischen Reflex auszulösen, Komödien zu schreiben. Und punktet dann damit, selbst bodenständiger zu bleiben.

En detail: Zoras Geschichte ist klasse. Pelles Darstellung variiert dabei ein bisschen von dem, was ich bis hierhin über ihn gelesen habe, passt aber super zu dem Tonfall, den Zora anschlägt. "Glückskeks. Fand ich lustig!" Ich seh ihn dabei derart hohl grinsend vor mir, dass ich es dem Mentor hoch anrechne, dem Jungpali nicht einfach eine gescheuert zu haben :D
Denn das ist etwas, das Zora sehr gut hinkriegt: Die Charaktere müssen nicht groß über das Gesagte des Gegenübers reflektieren, man merkt die Reaktion an ihren eigenen Dialogen, an ihrer Art, zu sprechen. Zur Kunstform erhoben, als der Alte über die heiße junge Stute spricht, die er sich da zugeritten hat :D
Und irgendwie fühlte ich mich bei der Litanei über den nicht mehr perfekt gelingenden Halbkreis angesprochen ;)

Also: Ja, das ist gut. Timestop hat es schon erwähnt, stilistisch hätte ein bisschen mehr Zeit gut getan, aber die Lacher helfen über diese Schnitzer hinweg.

Ja... und dann kommt Timestop.
Ich weiß nicht, ob es wirklich nur an den besser gegliederten Dialogen liegt. Falls doch, hat Zelon da ein Monster erschaffen.
Das ließt sich alles so herrlich flüssig, unterhält mit jeder Zeile und ist einfach alles, nur nicht langweilig. Nirgends ist da etwas mühselig oder hat seine Längen, und bis jetzt hatte Timestop immer irgendwo Passagen, die nicht ganz so packend waren wie der Rest.
Hier nicht. Hier möchte ich nach jedem Satz wissen, wie es weitergeht.
Was dabei auch enorm hilft, ist, dass er den Humor ein weiteres Mal zurückgefahren hat. Das hier ist keine Screwball-Komödie mehr, das ist eine liebevolle Parodie, die gleichzeitig aber auch als reguläre Law&Order Story durchgehen kann. Der alte Schwertmeister ist auf einmal ein ernstzunehmender Killer, Pelle verhält sich ziemlich clever und ist Zora gegenüber herrlich ungeschickt...
Und ich fühle mich sehr geehrt, dass du meinen Plot aufgenommen hast :)

Also ja... ich bin halt mehr oder minder sehr begeistert. Natürlich ist dei Auflösung ziemlich hektisch, aber das verblasst angesichts dieses Berges an Text, der mir an keiner Stelle lang vorkam.

Punkt für Timestop.
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Also zumindest ich fühle mich nach der Lektüre der beiden Beiträge dann doch leicht eingeschüchtert
Nö.

Ich kann mich einfach nur beim besten Willen nicht entscheiden, wem ich den Punkt gebe.

Andererseits habe ich auch das Gefühl, mich hier nicht einfach enthalten zu können.

Und wo die Stärken und Schwächen der beiden Geschichten liegen, wurde ja schon gesagt und ist eigentlich auch ziemlich offensichtlich.
 

Christa

Universaldilettantin
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Wow :eek: Dickes Lob an beide Schreiber. Mir haben beide Geschichten super gut gefallen und es fiel mir wirklich schwer, mich zu entscheiden.

Mein Punkt geht an Timestop. :up:

Seine Geschichte gefiel mir ein kleines bisschen besser und bei Zora habe ich das Pferd so lange vermisst. ;)
 

Micha

Kutte
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Hm ich werd mich enthalten, weil mir irgendwie beide Geschichten leider nicht so zusagen. Ich kann nichtmal sagen, woran das genau liegt. Vielleicht kann ich grad mit Lustigem nicht so viel anfangen, wer weiß.

Dooferweise kann ich der Kritik nichtmal "Substanz" hinzufügen, denn stilistisch gibts nix zu mängeln.
 

Toran

Schattenritter
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Beide Geschichten sind super. Die Einleitung von Timestop ist kaum zu toppen, das Ende von Zora klasse. Ihrem Beitrag fehlt ein wenig der Feinschliff, trotzdem gefällt mir ihre Geschichte besser, ich will Episode 3 :D)

One Point from Toran to Rote Zora. ;) :)
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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06.05.2002
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5.247
:eek:

Dass ich dem Meister einen so spannenden und epischen Kampf liefern konnte, beschämt mich beinahe. Episode 3 ist noch nicht fertig. Irgendwie steht das Storyboard, aber die Umsetzung ist hakelig,

Sorry für alle die warten...
ZORA
 
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