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Das Los hat entschieden,
ein Drache ist zu besiegen,
fehlt nur noch ein Plan,
für Größenwahn.
Um einen Stein zu zertrümmern muss die Hand nicht aus Stahl sein,
sie muss nur wie Stahl wirken.
- alte Weisheit eines alten Mannes
Der Gott strich sich über seinen Bart, übersah noch einmal das im schwarzen Nichts schwebende Spielfeld und schob dann das Pferd und den Kensai nach vorne, die, wie alle Figuren dort, winzig im Vergleich zu ihm wirkten. “Angriff auf den Drachen.”
“Du Anfänger.”, höhnte sein dämonischer Gegenüber. “Dein lächerlicher Krieger hat keine Chance.”
Der Gott lächelte süffisant. “Du hast vergessen dass ich ihn mit der Furchtkarte spiele und zudem der Magier aufgedeckt ist, der jedem Mitstreiter eine Steinhaut gibt. Vernichte ihn!”
Der Kensai galoppierte nach vorne, das Katana erhoben, grausige Masken umtanzten ihn, während eine erdfarbene Haut sich um Reiter und Tier schloss. Noch einige dutzende Meter vom Feind entfernt sprang das Pferd mit einem gewaltigen Satz auf den Drachen zu. Die Masken flogen voraus, trafen den Drachen und zerplatzen.
Der Teufel lachte hallend auf, während die Szene auf dem Spielfeld einzufrieren schien. “Tölpel. Du vergisst, dass ich der größte Stratege des Multiversums bin und mein Drache immun gegen Geistesbeeinflussung. Und ich besitze die Konterkarte.” Er wirbelte seine 4 Arme dramatisch umher und warf die Karte auf den Boden. “Odemangriff!”
Der Drache bog sich unter Geschrei zurück, holte tief Luft und liess einen zielgerichteten Flammenschwall auf Reiter und Pferd herniedergehen, die noch im Flug sofort zu Asche zerfielen.
“Huch.”, der alte Schwertmeister schreckte hoch als ihn eine Pferdezunge durch mehrfache Massage des Gesichtes weckte. Es war heller Tag und er lag auf dem Boden am Waldrand. “Habe ich schon wieder verschlafen? Das wird ja richtig häufig in letzter Zeit.” Es war ruhig, die Vögel zwitscherten und die Sonne legte sich beruhigend warm auf alles. “Ich gehe Wasser abschlagen und danach reiten wir weiter.”, gähnte der Kensai und streckte sich, bevor er sich zum nächsten Baum aufmachte.
Ziva hatte schon seit Tagen das Gefühl einer konstanten Bedrohung. Instinkte die sie weder verstehen noch kontrollieren konnte verwirrten sie und machten ihr Angst. Ein Mensch hätte es in der Hilflosigkeit das Ganze nicht ergründen zu können wohl so formuliert: Irgendetwas stimmte nicht. Ziva war dagegen einfach nur angespannt ohne sich mitteilen zu können.
Sie ritten auf ein kleines Dorf zu, über weiche Wege die von Feldern und grünen Wiesen gesäumt waren. Eine Idylle. “Das Dorf erinnert mich an die Geschichte als ich die Queste zur Rettung der Welt annahmen. Ein Freund bestellte sich zu mir, aber es begann in einem kleinen Dorf...”, erzählte der Alte gerade. Ziva war recht gut im Zuhören. Sie konnte unterscheiden ob jemand ihr etwas erklären wollte, sie beleidigen, befehlen oder nur plaudern. Was der genaue Zusammenhang dieser Worte ergab, war ihr meist unklar und so bemerkte sie auch nicht, dass ihr Mitreisender ihr die Geschichte bzw. eine modifizierte Abhandlung schon zum 18. Mal erzählte.
“..und schliesslich lag die Priesterin vor mir nieder und die Welt war mal wieder gerettet. Oh, wir sind da.”
Das Dorf war mit freundlichen Menschen gefüllt, die sie gerne willkommen hiessen und ihr Abendbrot mit ihnen teilten. Es gab eine Abreibung für Ziva (mit Stroh) und sie konnte vom Stall aus hören, wie der Alte eine neugierige Familie mit seinen Geschichten unterhielt. Das energische werben eines heissblütigen Hengstes namens Drake musste sie jedoch mit einer Kopfnuss beenden um in Ruhe eindösen zu können, als sich auch der Schwertmeister später neben ihr im Stroh zur Ruhe legte.
Sie standen vor der dunklen Höhle, während Regen unaufhörlich auf ihre Köpfe niederprasselte. “Das Ungeheuer ist dort drin.”, wisperte der Bauer, während er untertänigst wieder und wieder den Kopf vor dem Krieger beugte, der gewandt vom Pferd stieg. “Das ist gleich kalter Fisch.” Unter den Augen der sich gespannt bückenden Dorfbewohner betrat der Kensai die Höhle, deren Dunkel ihn sofort verschluckte. Nach ein paar Sekunden kam er wieder zurück um eine der Fackeln mitzunehmen die die Dorfbewohner in der Hand hielten.
Die Fackel schien gerade genug Helligkeit zu spenden um ihm etwa den Weg zu weisen. Er konnte nicht einmal die Wände erkennen, nur schemenhaft sichtbare, sehr geordnete Stalaktiten und Stalagmiten an den Seiten, er fühlte den weicher werdenden Boden, der schmatzende Geräusche bei jedem Schritt verursachte und der grausame Geruch fiel ihm auf. Dann klappte der Drache sein Maul zu, zerkaute ihn und schluckte. Ein feuriges Aufstoßen zeigte den Bauern vor der Höhle dass ein weiterer Held diese Welt verlassen hatte.
Ziva war wieder die 1. die erwachte und musste den alten Mann mehrfach anstupsen bis er endlich mit weit aufgerissenen Augen erwachte, den Kopf schüttelte und erstmal den Kopf in einen Eimer Wasser tauchte, fluchte, weil er ihn mit einem Mistkübel verwechselt hatte und die Prozedur nochmal mit richtigem Wasser wiederholte.
“Elende Träumerei. Ist es schon wieder Tag?” Ziva hätte es bestätigt, hätte sie seine Sprache gesprochen, obwohl ihre innere Uhr etwas anderes behaupten wollte, was sie aber ignorierte, denn obwohl absonderlich, schien es ihr nicht seltsam.
Sie verliessen das Dorf mit freundlichen, ausgesuchten Geschenken ihrer Gastgeber. Dill, Reis, Aepfel, Curry, Honig, Essig. Es war ein zu freundliches Völkchen. Man verabschiedete sie winkend und 3 Kinder liefen lachend mit ausgebreiteten Armen neben ihnen her als würde es fliegen.
Die Landschaft blieb wunderschön, das Wetter herrlich und nur Zivas Stimmung fiel trotz langsamen Trabs durch die unverändert malerischen Wälder und Felder, während der Alte eine Geschichte von seinem Fluchtversuch mit einem Fluggerät aus Stoff aus einem Berggefängnis erzählte.
Sie blieben an einem kleinen Bächlein stehen um zu rasten. Während der Alte Wasser schöpfte und sich dann an einen kleinen Baum lehnte, graste Ziva etwas von den der grünen Wiese ab, saftiges, leckeres Gras. Aus ihrem Augenwinkel bemerkte sie einen Vogel, der auf einem Ast des Baumes saß und fröhlich vor sich hin zwitscherte. Sie beobachtete ihn.
“Drila. Chiep.”
Die Stute schnaubte ihn drohend an und er verschwand flatternd. Sie glaubte ein kichern zu hören das in ihrem Kopf nachhallte. Ihr mitreisender Zweibeiner hatte ebendiese inzwischen hochgelegt und war am Stamm eingenickt.
Der Wind wurde stärker und die Wolken verdüsterten sich. Der Himmel war fast leer, bis auf einen letzten Raubvogel der weit über ihnen nahe einer Bergkette rechts von ihnen segelte, sie hielten auf die Berge vor ihnen zu. Der Wind zerrte nun auch an den Bäumen, die sich bogen und ächzten. “Wir müssen bis zu den Bergen kommen, vielleicht gibt es da Schutz!”, rief der Reiter, während sie sich dorthin vorkämpften. Sie bückten sich gerade weiter gegen den Wind, als eine mächtige Böe von der Seite den Reiter vom Pferd riss und auf die Nase fallen liess. Der Kensai rappelte sich auf und versuchte sich wieder auf das Pferd zu schwingen. Doch sein Reittier war nicht mehr dort. Sprachlos starrte er auf die Stelle wo es eben noch gestanden haben musste. Hinter sich hörte er das angstvolle wiehern, wie es erstarb und als er sich umdrehte, sah er den kopflosen Körper des Pferdes einige dutzende Meter entfernt zu Boden stürzen. Im Gleitflug kam der Drache auf ihn zu, ruhig, majestätisch geradezu, hätte er den Mund nicht voll gehabt und wäre nicht Blut aus seinem Maul getropft.
“Du hast das was im Mundwinkel!”, schrie der Kensai, rannte seinem überraschten Gegner kurz vor dem Aufprall entgegen, sprang und stach ihm sein Schwert zwischen die geschlossenen Zähne, bevor die Klauen ihn erwischen konnten. Er wurde durch die Wucht der Begegnung hochgeschleudert und landete auf dem Rücken der riesigen Echse, sein Schwert im Maul verbleibend. Verzweifelt zückte er einen Dolch und versuchte durch die Schuppen zu stechen um sich Halt zu verschaffen, während die Kreatur ihn im Flug abzuwerfen versuchte. Beide schrien zornig, während der Mann auf dem Rücken herumgeschleudert wurde, bis er durch Zufall mit dem 8. Stich am Schwanzbereich eine Stelle fand in die sich der Dolch tief bohrte. Er trotzte allen schwindenden eigenen Kräften und denen die ihn vom Rücken zerren wollten und hielt sich eisern fest während er dem Drachen drohte. “Jetzt wirst du mich nicht mehr los!” Schlingernd und schreiend stieg die Kreatur auf und ab, versuchte den Mensch mit dem Maul wegzureissen, bis sie in Zorn und Schmerz unbedacht gegen eine Felswand krachte und sie überschlagend in die Tiefe stürzten.
Ziva stand auf. Sie konnte sich nicht erinnern sich hingelegt zu haben. Sie fühlte sich ganz kopflos. Sie suchte ihren Begleiter und fand ihn. Er lehnte immer noch an dem Baum, bewegungslos. Sie stupste ihn an. Und erneut. Erneut. 5 Mal. Sie verharrte. Minutenlang. Kein Wind wehte. Die Sonne schien sanft und angenehm auf das perfekte Naturschauspiel. Alles war ruhig. Nichts geschah. Keine Regung ausser dem leichten Atem des alten Mannes.
Sie ging zum Wasser und trank, wo ihr gewohntes Spiegelbild, verursacht durch ihr schlürfen, verzerrt wurde, als ihr eine Art Erleuchtung kam. Kein Verständnis, aber die Ausführung der Vorstellung einer Idee.
Sie stellte sich vor wie sie loslaufen würde, immer im Kreis, immer schneller, schneller, schneller als Geräusche oder Licht, bis sich die Umgebung in einen verschwommenen Schemen verwandelte, wie ein farbiger Strudel der alles in sich aufsog und in den Himmel fasste, dorthin wegspülte und mit sich riss.
Es war zu Absurd um zu klappen und was eigentlich klappen sollte war ihr gar nicht klar.
Der alte Mann erwachte. Für einen Moment hatte er geglaubt sein Körper wäre zerschmettert, doch dann war es nur die Gicht, die sich bemerkbar machte. Die Verwirrung die ihn nach dem Erwachen oft sanft an der Hand hielt wie eine Muse, war ihm nicht neu und so wunderte es ihn auch nicht, dass er, ohne zu überlegen, an seinem Pferd vorbei sofort in die riesige Höhle ging. Wie lange lagerten sie hier schon im Gebirge? Egal. Sein Weg führte ihn ohne ein Zögern direkt zu dem großen, rot-golden geschuppten Drachen, der eingekringelt auf seinem Hort schlief. Er zog sein Schwert, legte es am gewaltigen Nacken der Bestie an, hob es an und verharrte. Nach einer Weile steckte er es wieder weg und durchsuchte den Hort. Er fand eine hervorragend geschmiedete Zwergenaxt, den rächenden Vergelter, wog sie prüfend in der Hand, ging wieder zum Drachenkopf herüber und hob die Axt.
Dann legte er diese auch weg.
Der Drache liess sich langsam neben Ziva herab und schaute sich um. “Das ist mit Abstand das ermüdenste was ich seit langem gesehen habe. Ich könnte sogar schwören, dass alles in Schwarz-Weiss ist. Enttäuschend.” “Es war ein eher gemütlicher Traum. Und jetzt entspricht er vermutlich zudem dem Gemützustand des Träumers.”, antwortete Ziva.
“Nein. Zuerst hab ich nur den Traum des Menschen beobachtet. Er schien so voller Geschichten und Erinnerungen zu sein, Puzzleteile aus Erlebtem, Erzähltem und Erfundenen, dass ich mich wunderte wie es dem Geist eines einzelnen Menschen entspringen könnte. Bis ich merkte, dass dort noch etwas in der Nähe war, etwas was einsickerte, dein Traum, der diese Komposition, diese spezielle Note, erst ergab. Aber jetzt ist er so leer. So einsam.” Ziva graste weiter.
“Das liegt daran, dass es nun dein Traum ist.”, sagte sie beiläufig. Der Drache lächelte milde. “Das ist unmöglich.” “Es ist dein Traum von ihr und deshalb ist er öde und leer. Du hast keine Vorstellung von dem Wesen dieses Pferdes, also kann dein Traum nichts widerspiegeln als dein Selbst, deinen Intellekt, deine Weisheit.” Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu. “Sie spricht hier scheinbar mit dir. Aber das kann sie nicht. Ziva kann nicht sprechen. Nichtmal in ihrem Traum. Ihre Träume sind ganz anders.” Der Drache verharrte unsicher und verwirrt. “Wie soll das möglich sein?” “Wenn ich es dir umbedingt erklären muss. Du hast versucht, oder bist versucht worden, den Traum zu wechseln. Und in deiner Eile hast du nicht bemerkt dass Reiter und Pferd einen Traum teilten. Und bist so stattdessen in deinem eigenen Traum gelandet, der ein Echo des Traums des Pferdes ist. Das Trugbild eines Traumes quasi. Mit ein paar Erinnerungen als Köder. Um es mal simpel darzustellen.” Es war unmöglich Mimik im Gesicht eines Pferdes auszumachen und dennoch hätte er schwören können dort ein grinsen zu sehen. Dann verwandelte sie sich in ein Abbild des Drachen. “Du hast dich selbst ausgetrickst, großer Meister. Du hast die Kontrolle über den Schlaf und Traum abgegeben und bist in eine einfache Gedankenfalle gelaufen. Die eines Vierbeiners mit weniger Hirn als das eines Orks. Und jetzt solltest du lieber schnell aufwachen.” Der andere Drache berührte ihn, sie wurden eins, Erkenntnis machte sich in ihm breit, er fluchte, richtete sich zornig auf und sein Schrei liess die Welt erzittern und in Scherben zersplittern als wäre sie eine auf Glas gemalte Landschaft.
Der alte Schwertmeister war gerade dabei einige Goldmünzen und Edelsteine zu begutachten als der Drache emporfuhr. Er wandte sich dem Mann zu. “Ihr! Ihr wolltet mich in meinem eigenen Traum einschliessen und mich derweil bestehlen.” Der Alte liess die Schätze fallen und hob die Hände. “Was? Wir? Aber nein. Also, bis auf das stehlen.” “Ich könnte euch mit einem einzigen Atemzug oder Schlag vernichten.”, grollte der Drache. “Hey, immer langsam. Ich war immerhin so nett dir nicht den Kopf abzuschlagen als du geschlafen hast. Und das nachdem du in meinen Träumen herumgespukt bist. Und die waren überhaupt nicht angenehm. Vermutlich dank dir!”
“Du hast das also bemerkt, hm?” “Sagen wir, ich hab es geahnt. Es war so ähnlich wie damals als mich der Sandmann...” “Oh, verschone mich mit deinen Geschichten, Menschlein. Ich habe heute tatsächlich etwas gelernt was ich nicht erwartet habe. Als Dank schenk ich euch euer Leben. Wenn ihr sofort verschwindet.” “Hab ich nicht noch einen Wunsch frei?” Der Drache kam bedrohlich näher und zischte: “Dein Leben.”
“Gut, wie du meinst.”, der Schwertmeister zog sich schmollend zurück und verliess die Höhle. Plötzlich klimperte etwas hinter ihm. Als er sich umdrehte sah er ein paar Hufeisen. “Sie sind magisch verzaubert, vermutlich um höhere Geschwindigkeit zu erreichen. Vielleicht gefallen sie deiner .. Begleiterin.”, meinte der Drache.
Ziva und der Alte ritten noch am selben Tag zum nächsten Schmied um sie anzuprobieren. “Sag mal, Ziva.”, fragte der Schwertmeister auf dem Weg dorthin. “Können Pferde eigentlich träumen?” Als sie diese Frage hörte, musste Ziva kotzen, weil ihr eine alte Kartoffel hochkam.