Aramand
Aramand
Freue dich nur, Frauenschläger!
Als Aramand durch die kleine Seitentür des Gefängnisses von Atkatla trat, war sein erster Gedanke, dass er seine Auftraggeber verfluchen musste, weil sie ihn an diesen Ort gezwungen hatte.
An sich hatte er ja nichts gegen Dunkelheit und die rund zweihundert Verbrecher, die dieses niederklassige Etablissement bevölkerten. Der beißende Geruch hingegen, diese gewagte Mischung aus Blut, Stroh und menschlichem Dreck, würde ihm noch für Tage anhaften. Was tat man nicht alles für tausend Goldmünzen.
Jona, der untersetzte Wachmann der Seitentür, kam ihm entgegen, mit diesem gehetzten und verzweifelten Gesichtsausdruck, den Aramands Freunde alle trugen.
„Komm schon, ich hab' dir doch gesagt, du kannst hier nicht einfach auftauchen, wie du lustig bist“, sagte Jona, während er seine schlecht sitzende Uniform in dem Versuch gerade rückte, wenigstens den Hauch von Autorität zu versprühen. „Hauptmann Mjarn hat mir beinah den Kopf abgehauen, als du das letzte mal mit 'nem Insassen gesprochen hast!“
„Als ob du den Unterschied merken würdest“, erwiderte Aramand nur und schob sich an dem Wächter vorbei. Natürlich ohne ihn dabei zu berühren.
„Wenn mein Kopf weg ist, merk' ich das schon, dann bin ich nämlich tot“, sagte Jona und setzte ihm nach.
„Gut kombiniert“, lobte Aramand und betrat das kleine Wachstüblein. Er öffnete die kleine Truhe, die neben einem Messer und einem unfertig geschnitzten Holzsoldaten auf dem Tisch stand. Sie war gefüllt mit Dokumenten.
„Man, Aramand, lass das doch“, flehte ihn Jona an, einen panischen Blick über seine Schulter werfend. „Ich bekomme tierisch Ärger!“
Aramand zuckte mit den Schultern und zog ein Stück Papier heraus, auf dem „Lord Neywes Bevrin“ in nahezu unleserlicher Schrift stand. „Ja, aber das wäre dann dein Problem.“
Jona nickte. „Verdammt richtig -“
„Danke.“ Aramand versuchte auf dem schmutzigen, tintenreichen Dokument etwas zu erkennen, das wie eine Zellennummer aussah. Was war so schwierig daran, einfach einen Namen und eine Nummer nebeneinander aufzuschreiben?
„Ich meins ernst“, setzte Jona an. „Das letzte mal hat Hauptmann Mjarn -“
„- dir beinah den Kopf abgehauen, ich habe verstanden“, unterbrach Aramand ihn wieder. „Nimm es gelassen.“ Da, das könnte eine Nummer sein: 141. Oder hatte da einer einen Igel gemalt?
„Das sagste so einfach“, meinte die Wache. „Meine Familie braucht das Geld, meine Frau ist wieder schwanger und -“
„Was steht da?“, fragte Aramand und drückte Jona den Igel unter die Nase. Beim besten Willen hatte er nicht das Bedürfnis, sich die Geschichte von Jona und seinem Wurf anzuhören.
Jona kniff die Augen zusammen und starrte so angespannt wie ein Mann auf dem Nachttopf auf die unleserliche Zahl. Aramand wusste, das Jona nicht lesen konnte, aber so gab er wenigstens einen Augenblick lang Ruhe.
Jona schüttelte den Kopf.
„Beim nächsten Mal dann“, seufzte Aramand, faltete das Dokument und schob es in seine Weste. Nur für den Fall, das es tatsächlich ein Igel war.
„Lass das doch“, bettelte der Wachmann wieder. „Wenn das morgen fehlt, dann haut -“
„Wo ist die Zelle 141?“, fragte Aramand. Dieses mal war er sich nicht sicher, ob der tölpelhafte Soldat die Antwort kannte, aber einen Versuch war es wert.
„Irgendwo da“, antwortete Jona und warf den Arm dabei schräg nach hinten. In Richtung Ausgang.
Aramand hob die Augenbrauen. „Die Wache kann froh sein, dass sie dich hat“, meinte er und verließ die Wachstube. Jona trottelte ihm hinterher.
„Wo rennst du denn jetzt hin?“, jammerte er.
„Zu deiner Frau. Ich will ihr sagen, sie soll sich ihre neue Liebe eingestehen, dich verlassen und endlich zu mir kommen, wie wir es schon vor Jahren ausgemacht haben“, antwortete Aramand und trat in den Kerkertrakt. Wer dumme Fragen stellte, bekam dumme Antworten.
Jona blieb stehen. „Was war mit meiner Frau?“
„Gar nichts.“ Aramand wusste, dass die Einhunderter-Zellen ein Stockwerk höher waren, also nahm er die enge Wendeltreppe am Ende des Zellentraktes. Bald hörte er auch Jona wieder hinter ihm herdackeln.
„Was ist, wenn eine andere Wache dich sieht?“
„Was ist, wenn eine andere Wache dich sieht? Die meldet, dass du nicht auf deinem Posten bist. Du weißt noch, was Hauptmann Mjarn dann mit deinem Kopf macht, oder?“ Die anderen Wachen waren Aramand egal, sie würden ihn nicht beachten oder sogar grüßen.
Wieder verhallten Jonas Schritte.
„Wahrscheinlich besser, wenn ich zurückgehe, oder?“, murmelte er, dass Aramand ihn nur schwer verstehen konnte.
„Wahrscheinlich“, antwortete er und betrat den ersten Stock. Jona folgte ihm nicht mehr.
Als Aramand die Zellenreihen entlang ging und die Nummern auf den Türen las – 111, 113, 115 - , überlegte er, dass er in Jona schon einen merkwürdigen Freund hatte. Einmal hatte Jona im Suff einen Mann umgebracht. Aramand hatte die Sache für Jona wieder hinbiegen können. War es da zu viel verlangt Dankbarkeit zu zeigen.
Aramand schüttelte für sich den Kopf. 123, 125, 127. Hatte Jona nun lange genug für seinen Gefallen gezahlt? Nein, er hatte eine Strafe verdient, wenn er dabei einem Zweck diente, umso besser.
Ein Soldat kam ihm entgegen und grüßte artig. Aramand beachtete ihn nicht weiter. 135, 137, 139.
Da war die Zelle 141.
Aramand klopfte kräftig an der Tür. „Brevin!“, rief er. „Aufstehen!“ Niemand antwortete.
Er betrachtete das Schloss genauer. Irgendein Wachmagier hatte einen Schutzzauber darüber gelegt. Irgendein schlechter Wachmagier.
Eine Handbewegung, der Riegel schnappte auf und die Tür schwang auf.
Die Zelle war düster, der Mond schien von der anderen Seite, also fehlten auch die üblichen vier Streifen, die er sonst durch die Fenstergitter in die Zelle warf. Er beschwor ein schwaches, grünes Licht, das ihm über dem Kopf kreiste.
Auf einem Haufen Stroh lag ein zusammengerollter Mann und schnarchte. Im schwachen Schein der Licht erkannte Aramand das Gesicht von Lord Brevin. Sofort bemerkte er, dass der Mann wach war; er schnarchte zu unregelmäßig.
Außerdem hatte er gerade seinen Namen gerufen und auf der Tür herumgehämmert. Der Mann war wach.
Also beschwor er eine kleine Schneekugel, schleuderte sie dem Adligen ins Gesicht und rief: „Aufstehen, euer Gnaden!“
Brevin sprang sofort auf. „Wer wagt es...?“, begann er aufbrausend. Eine nette Einlage, sie sollte Achtung heischen. Eine gewagte Rolle, die der verhärmte und halbnackte Adlige mit viel Enthusiasmus spielte.
Aramand grinste abfällig. „Hab ich Euch geweckt, mein Herr?“ Er verachtete Brevin, auch bekannt als Lord Frauenschläger. Auch deswegen konnte er seine Arbeit heute genießen.
„Ihr“, stöhnte Brevin, als der das Gesicht seines Störers erkannte. Ein Lachen dröhnte aus seiner heiseren Kehle. „Hah, ich wusste, dass Ihr kommen würdet. Ich wusste es. Seid gekommen, um dem Freund Eures Vaters zu helfen, was? Hah! Was hat euch aufgehalten?“
„Eure Tochter“, antwortete Aramand trocken. Und natürlich meine Unwille, euch zu treffen...
„Hat sie euch geschickt? Meine gute Evea?“, fragte Brevin, das Grinsen wurde immer breiter.
„Sie hat mich mehrfach kommen lassen, ehe sie überzeugt war, dass ich der geeignete Mann bin“, meinte Aramand mit einem freundlichen Lächeln. Freue dich nur, Frauenschläger!
„Ja, sie ist schon ein gutes Mädchen“, meinte Brevin gedankenverloren. Aramand widerstand dem Drang, ihm widersprechen. Evea war ein böses, ungezogenes Mädchen! „Sie soll den Sohn Firecam heiraten, wisst Ihr?“
Aramand hüstelte amüsiert. „Ja, kehren wir in die Wirklichkeit zurück, in Ordnung?“ Er wusste, dass der alte Lord schon vor der Festnahme nicht ganz auf der Höhe gewesen war, also musste er streng mit ihm sein.
„Ja“, keuchte der Narr, die Augen vor Begeisterung geweitet. „Habt Ihr einen Plan? Wisst Ihr, wie Ihr meine Unschuld beweisen könnt? Oder wollt Ihr mit mir ausbrechen?“
Er hatte keinen Zweifel, dass er zusammen mit alten Mann einfach aus diesem Gefängnis spazieren könnte. Einzig Jona würde ein wenig jammern. Das wäre nur beim besten Willen nicht zweckdienlich.
Auch seine Unschuld konnte er beweisen, war er es doch gewesen, der die verräterischen Dokumente auf den Schreibtisch des Mannes gelegt hatte – Dass der Mann seine Dienstmägde misshandelte, war dem Magistrat nicht genug. Das wäre nur noch viel weniger zweckdienlich.
„Ich arbeite an Eurer Freilassung“, log Aramand daher. „Doch Ihr müsst mir noch ein paar Tage geben“ Sollte der Mann doch denken, er wäre um seinetwillen hier, dass machte die Sache viel einfacher.
„Ja, ein paar Tage, nur ein paar Tage“, rief Brevin fröhlich. „Ein paar Tage kann ich aushalten.“ Schon erstaunlich, dass diese jammervolle Kreatur tatsächlich einmal der gewalttätigste Adlige in ganz Atkatla gewesen war.
„Gut, das ist sehr gut“, sagte Aramand und nickte dem Narren zu. „Aber dafür brauche ich Eure Hilfe. Ihr müsst mir eine Frage beantworten.“
„Alles, alles, mein Bester.“ Mittlerweile ging ihm dieses Gejauchze ganz schön auf die Nerven. Der Alte sollte den Mund halten, zuhören und dann eine kurze, aber aussagekräftige Antwort geben.
„Bevor man euch verraten hat,...“, begann Aramand. „... wart Ihr dabei, ein Geschäft mit der Händlerliga abzuschließen. Erinnert ihr euch?“
„Ja, ein Geschäft“, meinte Brevin. „Ein karger Landstrich nördlich von de'Arnises Land gegen 30.000 Goldmünzen. Gutes Geschäft! Aber ich habe den Vertrag nicht unterschrieben. Nicht unterschrieben!“
„Nachdem man euch verriet, kamen Männer der Stadtwache in euer Haus und stahlen euer Hab und Gut“, fuhr Aramand ruhig fort. Das stimmte. Es war das notwendige Übel, dass er über Evea hatte bringen müssen, um einen alten Auftrag zu erfüllen. Nun machte er es natürlich wieder gut. „Evea braucht nun dringend Geld. Auch um Eure Freilassung zu veranlassen.“ Während er es sagte, holte er ein Stück Papier und eine Feder aus seiner Weste. Er entfaltete das Papier, auf dem das Wappen der Brevins und das Symbol der Silbermünze. „Ihr müsste den Vertrag jetzt unterschreiben. Andernfalls landet Eure Tochter im Armenhaus. Und Ihr werdet für immer hier bleiben.“
Brevin stierte ihn lange an. Aramand sah, wie es hinter dem fahlen, ausgemergelten Gesicht arbeitete. Durchschaute der Mann sein Spiel etwa? Nicht, dass es einen Unterschied machen würde, er würde diese Zelle so oder so mit einer Unterschrift verlassen. Dennoch hatte er es nicht gerne, wenn alte, halbverrückte Gefangene seine Fassade durchblickten.
Plötzlich griff Brevin nach der Feder und dem Vertrag. Aramand hielt ihm ein Tintenglas hin.
Als Brevin fertig war, nahm Aramand den Vertrag und verstaute ihn wieder sicher.
„Eure Freilassung ist nur noch eine Frage von Tagen.“ Er ging zur Tür.
„Ihr kommt wieder, oder?“
„Natürlich“, sagte Aramand, als er die Tür hinter sich schloss. Sein Schutzzauber war deutlich stärker. Niemals würde Brevin dieses Gefängnis lebend verlassen.
Im Eilschritt marschierte er durch das Gefängnis in Richtung Ausgang. Er brauche dringend etwas Frischluft.
Am Seitenausgang drückte er Jona die Papiere in die Hand, der sich vor Freude, dass er seinen Kopf behalten durfte, beinah überschlug, und trat ins Freie.
Als die Frischluft wieder in seine Nase stieg, fühlte es sich unendlich gut an.
Alles im allem war das eine gute Nacht gewesen. Sein Auftraggeber bekam das Goldvorkommen im kargen Landstrich nördlich des Landes de'Arnise. Evea bekam ihr Gold und konnte nach Tiefwasser ziehen. Weg vom Ruf ihres Vaters.
Und Aramand bekam Gold und das gute Gefühl nicht nur böse zu sein. Und natürlich Evea – heute nacht.
Charakter
Aramand ist gemeinhin jedem Menschen, Zwerg oder Elf überlegen. Der letzte Spross eines amnischen Adelsgeschlechts ist mit der Gewissheit aufgewachsen, dass niemand schöner oder klüger ist als er. Er teilt dies seinen Mitmenschen auch gerne mit, wenngleich die meisten seine kleinen Bemerkungen sowieso nicht verstehen.
Die Verständigeren hingegen hätten nichts lieber, als den arroganten Schnösel im Dreck liegen zu sehen. Doch hier liegt das Problem: Aramand scheitert nicht. Sei es in einer Debatte, beim Werben um eine Frau, im magischen Duell oder wenn es darum geht, einen unliebsamen Gegenspieler möglichst diskret verschwinden zu lassen. Aramand spielt nur Spiele, die er beherrscht, allen anderen geht er aus dem Weg.
Denn Aramand ist ein Problemlöser. Seit das Fürstentum seines Vaters erobert, sein Volk unterdrückt und seine Familie geschlachtet wurde, lebt Aramand ein entspanntes Leben in der Oberschicht jeder großen Stadt, von Niewinter bis Calimhafen. Und wo der Adel und die reichen Bürger aufeinander treffen, da entstehen Probleme zu Hauf. Und die Reichen zahlen gut, um diese Probleme gelöst zu bekommen.
Aramand findet die Affäre in der Vergangenheit jedes Paladins, den geheimen Stecher jeder Jungfrau und das dämonische Almanach jedes Priesters. Und sollte die andere Partei tatsächlich keine Leiche im Keller haben, dann legt Aramand sie eben selbst dort ab. Gerade bei Jungfrauen hinterlässt er gerne seine Spuren.
Von Kämpfen hält er sich nach Möglichkeit fern, aber schon so mancher Meuchler fand ein jähes, höchst frostiges Ende durch die Hand dieses Magiers. Von Feuerzaubern hält er nichts, lassen sich Rußflecken doch so schwer aus der Kleidung entfernen.
Aramand ist Mitte dreißig, 1,85m und stattlich. Seine dunklen Haare sind stets ordentlich frisiert und er kleidet sich natürlich geschmackvoller als alle anderen. An seinem Gürtel hängt ein verziertes Langschwert, das er noch nie verwendet hat. Seine täglichen Übungen haben ihm einen straffen, sehr attraktiven Körper beschert, ein höchst männliches Adlertatoo schmückt seine Schulter.
Auf drei Dinge reagiert Aramand gereizt: Dreck, Tölpel und hässliche Frauen.
Hinter seiner so perfekten Fassade versteckt Aramand seine größte Schwäche, von der niemand jemals erfahren darf. Er hat ein Gewissen! Gemeinhin lässt es sich gegen Bares für eine Weile ausschalten. Aber nach jedem erfüllten Auftrag, in welchem er einen Vater hinter Gitter gebracht, eine Mutter und eine Tochter entweiht, sowie einen Sohn in den Krieg gezwungen hat, fühlt er sich schuldig. Um nicht anfangen zu müssen, sich durchgehend zu hassen, versucht er, seinen Aufträgen etwas Gutes abzugewinnen.
Es ist nicht so, dass Aramand gerne macht, was er macht. Er macht es nur so unglaublich gut.