@Arodon: Ich bezog mich wegen der "wohlfeilen Toleranz" auf dieses bestimmte "grüne" Milieu. Wenn's einem gut geht und man mit den Problemen nur per Frankfurter Allgemeine-Abo in Berührung kommt, dann kann man leicht die desintegrativen Entwicklungen als "nicht relevant" verstehen. Und wenn in der Schule der eigenen Kinder eben niemand in den Pausenräumen demonstrativ betet, ist es auch leichter, da Toleranz einzufordern. Interessanterweise handelt es sich bei der Schule in Wuppertal, die hier der Diskussionsanlaß war, um ein Gymnasium. Und dazu kann ich aus Erfahrung aus dem Freundekreis sagen: Zwei Freunde von mir, die ihre Kinder (Töchter) auf ein Gymnasium schickten, haben, obwohl der eine von ihnen ziemlich entschiedener Atheist ist, ihre Mädels auf ein katholisches Gymnasium geschickt. Begründung (schon vor - warte, lass mich rechnen... 9 Jahren): Naja, da gehen zumindest nicht so viele Schwarznasen (Bezeichnung für südeuropäische Ausländer, wir haben hier neben Türken und Arabern auch sehr viele Griechen und Italiener...) hin. Tatsächlich weiß ich von einem der beiden Mädels, dass eine ihrer besten Schulfreundinnen eine Türkin ist. Die aber eben kein Kopftuch trägt, fließend und akzentfrei deutsch spricht und ganz gewiß nicht - falls überhaupt religiös - fromm ist.
Wenn man aufgrund seines Milieus solche voll integrierten Türkinnen für "normal" hält, dann ist es leicht, Toleranz gegenüber solchen "normalen" Minderheiten zu predigen. Da ist dann eine "andere Religion" auf einer Stufe mit einer anderen Schuhmarke, einer "traditionellen" Frisur oder dem handgefertigten Musikinstrument von Opa, das über dem Kamin hängt und von der Tochter des Hauses bei Besuch runtergenommen und ein wenig malträtiert wird.
Wo der Islam solcherart zu einem Folkloreelement zusammengeschrumpft ist, kommt einem die Idee, da handele es sich um eine totalitäre Ideologie, abwegig vor. So, wie es ja bezüglich des Christentums auch den meisten von uns ergeht, die wir längst vergessen haben, wie sich diese Ideologie darstellte, als ihre Repräsentanten an der Macht waren.
Ich kann diesen Übertragungs-Kurzschluß ja durchaus verstehen. Ein Kurzschluß ist es dennoch, denn der Islam ist eben - darüber hatten wir ein paar Seiten vorher ja schon ausführlicher diskutiert - in zwei wichtigen Punkten vom Christentum zu unterscheiden. Erstens programmatisch: Er hat wesentlich einen Geltungsanspruch im Diesseits (keine Zwei-Reiche-Lehre wie im Christentum). Zweitens entwicklungsgeschichtlich: Es gab und gibt keine relevante Aufklärung im Islam. Die Entwicklung, die man m.M.n. beobachten kann, geht weltweit nicht etwas in Richtung Liberalisierung, sondern sogar eher in die andere Richtung.
Den Islam also wie die christliche Religion zu betrachten und zu behandeln, beruht auf der Ignoranz dieser zwei m.M.n. grundsätzlich wichtigen Unterscheidungsmerkmale. Wobei ich noch nicht mal gesagt haben will, dass die christliche Ideologie nicht auch immer noch gewaltige inhärente Probleme hat, die jederzeit reaktivierbar bleiben (siehe solche Absonderlichkeiten wie die 12 Stämme, die es für ein göttliches Gebot halten, Kinder mit Schlägen zu erziehen), solange nicht die zugrunde liegenden "heiligen" Texte ihres Heiligkeitsstatus beraubt werden.