1984: Eure Meinung?

Fabian

Hefti
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Für die Matura im Fach Englisch habe ich mir unter anderem das Buch "1984" von Georg Orwell ausgesucht.

Ich habs jetzt fertig gelesen und muss sagen, dass das Buch ganz schön erschreckend und deprimierend ist.

Irgendwie fand ich aber den Anfang am bedrückendsten, den Schluss empfand ich als nicht mehr so Schlimm.
Denn mit der Zeit gewöhnt man sich fast an diese Welt, und je krasser sie wird desto so abstrakter (und voller Logikfehler) wird sie auch und desto unwahrscheinlicher hält man es, dass so etwas wirklich auch passieren könnte.

Auch denke ich, dass man das Buch immer im Kontext sehen muss, vor allem zu welcher Zeit der Autor lebte (1903 - 1950), und was er wohl alles (an Schrecklichem)erlebt hat.

Auch erlebte er nicht den Zusammenbruch des kommunistischem russischem Regimes.
Meiner Meinung nach hat uns die Geschichte nämlich gezeigt, dass Reiche die sich in einer Stagnation befinden immer zerstört werden. Sei's von innen oder von außen. Und auch wenn von Außen in der Welt von 1984 nicht möglich ist, so denke ich, ja bin ich überzeugt davon, dass das Regime, sprich in diesem Fall die Partei, von ihnen aus zerbrechen würde.

Auch wenn hierbei natürlich immer von dem fraglichen Fall ausgegangen wird, dass irgendwie die Revolution und die Machtübernahme der Partei schon klappen würde, so bleibt die Grundproblematik doch bestehen und die Nachricht ist zeitlos und aktuell.

Besonders wenn man bedenkt welche neuen Schritte nach den Terroranschlägen des elften Septembers einfach so hingenommen werden, wie z.B. verpflichtende Fingerabdrücke in den Pässen.
Schritte die "vorher" absolut undenkbar gewesen wären.

Nun noch zwei Fragen:

1. Welchen Sinn hat der Aufenthalt im "Ministry of Love"?
Sicher, dem Leser wird gezeigt welche unglaubliche Macht Folter, Schmerzen etc. auf einen Menschen haben. Und dass man selbst den treusten, diszipliniertesten Menschen zum Verräter machen kann.
Aber innerhalb des Buches, dieser Welt, macht der Aufenthalt für mich keinen Sinn. Das einfache Exekutieren der "Verbrecher" in einem stillen Hinterzimmer wäre bei weitem simpler und kostengünstiger.
Warum der ganze Aufstand um das Ganze "to make him sane" Zeugs?
Wenn er tot ist, kostet er die Partei wenigstens kein Geld mehr.

2. Was haltet ihr von dem Buch? :)
 

Advocate

Defender Of Steel
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2, Es ist zwar schon 2 Jahre her, dass ich das Buch gelesen habe (auf Deutsch), aber dennoch kann ich mich an ein paar Dinge erinnern:

Ich empfand vieles in 1984 zu modellhaft. Dadurch wird die entworfene Staatsutopie in eine unrealistische Ferne gerückt und damit genau das Gegenteil von dem, was der Autor bezwecken (imo) wollte, erreicht. Man kann dann leider viele Befürchtungen, die er äußert, nicht mehr so ganz ernst nehmen.
 

Darghand

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Ist schon 'ne Weile her, dass ich's gelesen hab. Das war allerdings die deutsche Ausgabe, und im Nachhinein glaube ich auch nicht, dass ich das damals alles richtig verstanden habe und nachvollziehen konnte.

Und das Buch... na ja, ich hab schon Leute kennengelernt, die der Meinung sind, "1984" und ähnliche Bücher sollten verboten werden - sie glauben weniger (oder nicht) an die abschreckende Wirkung der Szenerie, sondern befürchten, dass die Ideen Nachahmer finden könnten, und die Bücher deshalb gefährlich seien. :rolleyes:

Ich schätze, ich muss das Buch nochmal lesen - aber erst, wenn ich Brave New World durch hab. Auf englisch.
 

Fabian

Hefti
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@Advocate
Jep so ging es mir auch. Ich finde er hat einfach übertrieben. Der Anfang war sehr beeindruckend aber irgendwann wurde es einfach viel zu abgedreht, so dass die Botschaft (leider) immer unglaubwürdiger wurde.
Besonders ab dem Zeitpunkt seiner Verhaftung wird das Buch doch ein wenig skuril und unlogisch.


@Darghand
Brave New World... Hmm, das wollte ich eigentlich auch noch lesen, denn dann könnte ich diese Dark Future Bücher vielleicht als Spezialgebiet nehmen.
Nun bin ich mir aber nicht mehr so sicher, ein Buch in der Art reicht mir erstmal. ;)
 
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Sol

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Es war schon ewig her als ich das Buch mal auf deutsch gelesen hab, aber es zeigt ja auch, dass Diktaturen manchmal einfach nicht "logisch" sondern nur grausam sind. Die KZs haben ja auch eine Menge Geld gekostet haben von den Nazis und statt Soldaten an die Front zu schicken hat man sie gegen oft wehrlose und unschuldige Juden eingesetzt :rolleyes: :( . Außerdem lebt eine Tyrannei von Propaganda und Lügen, und von dem verbreiten von Angst und Schrecken zb. Auch Gehirnwäsche wird dort sehr oft betrieben.
 

Ubertin

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zu 1.: Wozu lies Stalin Gulags und Umerziehungslager einrichten? Warum gab es in der DDR Bautzen? Auf diese Weise schafft man sich die treuesten Anhänger, da sie gebrochen sind. Und was will man mehr als blinden Gehorsam und gleichzeitig eine 100% zuverlässige Arbeitskraft/Überwachungskraft?

zu 2.: Ich habe es schon lange nichtmehr gelesen, allerdings kommt mir vieles schon erschreckend realistisch vor. Die Überwachungsmethoden erinnerten stark an die StaSi.

Mfg Ubertin
 

Sol

Mönch/Assassine
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Das Buch wurde doch 1948 herausgegeben oder hab ich das irgendwie falsch in Erinnerung? (Viele Diktaturen erfüllten jedoch diese Klischees teilweise, wenn ich mir die ehemalige DDR so anschaue schon manches könnte man fast sagen... :rolleyes: )
 
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Achilleus

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Sicher ist das Szenario manchmal etwas übertrieben modellhaft und auch das "politische Umfeld" ist nicht mehr aktuell. Aber darum geht es ja meiner Meinung nach nicht.
Der zentrale Punkt ist doch der absolute Überwachungsstaat, der seine Untertanen bis ins kleinste Detail kontrollieren will. Und das wird doch sehr gut geschildert. Darum halte ich das Buch, genauso wie andere des Genres (z.B. Brave New World), sehr wichtig für die (politische) Meinungsbildung unserer Zeit. Wer sich damit beschäftigt, sollte auch eine differenziertere Meinung gegenüber der aktuellen "Sicherheits"politik habe, die ja langsam aber sicher in die Richtung eines Überwachungsstaates zielt, ob bewusst oder unbewusst ist da irrelevant.
 

Caswallon

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Schon eine Weile her, daß ich das Buch gelesen habe...
Natürlich ist es übertrieben, aufs Ganze gesehen. Viele Details, von Nachrichtenzensur und -fälschung über gegenseitige Denunzierung zu Umerziehungsanstalten, haben dagegen durchaus ein reales Gegenstück. *So* weit von der Wirklichkeit entfernt ist das Buch nun auch nicht...
Und auch wenn der größte Teil der totalitären Systeme in letzter Zeit untergegangen ist, so doch erstens nicht alle. Und zweitens bezieht sich das Buch keineswegs nur auf den Kommunismus, sondern beschreibt eine Zukunft, die alle Gesellschaftssysteme in der ein oder anderen Form treffen kann.

Interessant fand ich auch die Überlegungen Orwells zur Rolle der Sprache. Durch Einschränkung und Veränderung der Sprache werden auch die Gedanken eingeschränkt und verändert. Das Beispiel mit "all men are created equal" ist mir da besonders hängengeblieben.

Das Töten eines Dissidenten schafft Märtyrer. Die Umerziehung dagegen schafft bessere Untertanen...

Cas
 
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Fabian

Hefti
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Ich finde das Buch auch ziemlich gut und sehr, sehr wichtig damit man mal erkennt wohin wir kommen könn(t)en, wenn wir so weiter machen wie bisher.

Allerdings finde ich, dass Orwell im letzten Drittel ein wenig über das Ziel hinaus geschoßen ist, so dass man ihn gar nicht mehr vollkommen erst nehmen kann/will.

zu 1)
Nun, wenn das Ziel ist treue Anhänger zu haben, warum werden sie nach dem Abschluss der Umerziehung erschoßen?
 
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Caswallon

Chronist
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Ich hab das nicht mehr direkt im Kopf... was wird geschlossen?

Cas
 

Fabian

Hefti
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Ups, sollte erschoßen heißen. :rolleyes:
 

a Vecha

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Kann mal einer kurz erläutern, worum das Buch handelt, und warum/ob es lesenswert ist, bekannter scheint es ja jedenfalls zu sein, ist es also empfehlenswert?
Und wenn ja, ist englisch viel besser? Und wie ist es in englisch zu verstehen? :D
 

Slartibartfaß

Nörgelnder Gnom
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@Fabian:
Habs vor kurzem gelesen und bin - offensichtlich im Gegensatz zu Dir ;) - sehr wohl der Meinung, daß das, was Orwell da beschreibt, Realität sein könnte. Teilweise ist es Realität. Beispiel: "Laßt uns mal von innenpolitischen Fehlern ablenken, indem wir eine [durchaus existente] außenpolitische Gefahr bis ins Unendliche aufbauschen und ein Feindbild aufbauen, das sich durch geschickte [ :rolleyes: ] Außenpolitik dem angeblichen Feind gegenüber dann selbst bestätigt." Klingt wirr? Gut, dann mit realen Gegebenheiten:
Der unglaubliche Haß, der den USA (und damit - in einer unzulässigen, aber durchaus verständlichen Verallgemeinerung - allen oder zumindest den meisten Verbündeten und Partnern dieses Staates) entgegenschlägt, fußt zu einem Gutteil auf der Außenpolitik der USA verschiedenen islamischen Ländern gegenüber sowie auf der einseitigen und unreflektierten (weil u.a. von strategischen Zielen geprägten) Parteinahme für Israel im Nahostkonflikt.
Vorteil für die Regierungen (Und zwar beileibe nicht nur die jetzige! Auch Clinton hat nicht wirklich andere Positionen vertreten, er hat sie nur besser bemäntelt...):
Das Volk erhält ein Feindbild, an das es seine Wut verschwenden kann. Wut, die eigentlich denjenigen ins Gesicht geschleudert gehört, die dafür sorgen, daß die amerikanische Durchschnittsfamilie 3 oder gar 4 besch... eiden bezahlte Jobs annehmen "darf", um über die Runden zu kommen, daß Polizisten nahezu immer ungeschoren (oder mit lächerlichen und die Opfer regelrecht verhöhnenden Strafen) davonkommen, wenn sie ihre Rassenressentiments ausleben usw usf.
Wobei die Vorurteile eigentlich auch wieder der jeweiligen Staatsführung angelastet gehören, die ebenjene auch noch unterstützt. Denn hey, wenn der Iraki im Nahen Osten ein fieser mieser Terrorist ist, dann ist es bestimmt auch der Irani um die Ecke. Und wenn die Äthiopier (waren es die? Mist, meine Bildung war auch schon mal besser :rolleyes: ) die "USS Cole" angreifen, dann sollte man den Schwarzen in den ärmeren Teilen von (nur als Beispiel) New York vielleicht lieber gleich paar überziehen, damit sie gar nicht erst auf dumme Ideen kommen. :rolleyes:

Nachteil:
Die so verunglimpften Völker (bzw. die ganze muslimische Welt, denn unter George dem Superpräsidenten gilt ja offensichtlich eine angepaßte Version der ebenso alten wie menschenverachtenden Formel "Nur ein toter Indianer...") fühlen sich (imo völlig zurecht) verletzt, zurückgesetzt, nicht ernst genommen, als Menschen zweiter Klasse behandelt. Und das Gefühl des Gedemütigtseins ist der beste Nährboden für radikale Eiferer, die in ihrem Christenhaß dem Kreuzzugswahn bestimmter amerikanischer Kreise in nichts nachstehen.

@Ubertin:
Wieso eigentlich immer nur die Stasi? Glaubst Du wirklich, daß Mossad, KGB, CIA, MI5 (oder 6? :confused: ) oder irgendein anderer Geheimdienst komplett mit sauberen Methoden arbeitet?
Über Präsidentschaftskandidaten Kerry existiert ein 20.000 (in Worten: zwanzigtausend) Seiten starkes CIA-Dossier - über seine Verbindungen zur Friedensbewegung z.B. Die halbe UNO wurde und wird so offensichtlich ausspioniert, daß deren betroffene Mitarbeiter von den Enthüllungen alles andere als überrascht waren.
In Europa gabs vor gar nicht langer Zeit einen (meines Erachtens erstaunlich kleinen) Skandal um ein amerikanisches System namens Echolon. Brauchst Du noch mehr Beispiele?
Ganz ernsthaft: Es k...zt mich an, daß bei jeder Schweinerei, die auf diesem Planeten abläuft, immer gleich wieder dieser Vergleich aus der Schublade geholt wird.
Ja, auch in der DDR gab es genügend Beispiele für Dinge, die man nicht mal mit fest zugedrückten Augen als "zumindest gut gemeint" oder "paßt scho" abtun kann. Aber die DDR war weder ein einziges, komplettes Unrechtssystem noch war sie gar die Spitze der Menschenverachtung.
Und die unterschwelligen Suggestionen, daß es eben doch so gewesen sei, noch dazu von Leuten, die die DDR gar nicht erlebt haben (korrigiere mich, wenn ich mich irre :)), jagen mich mit schöner Regelmäßigkeit auf die nächsterreichbare Palme.
Wie gesagt, es geht mir mit Sicherheit nicht darum, 1949-1989 schönzureden, aber ich hab was dagegen, daß man uns vorschreibt, an was wir uns erinnern dürfen und vor allem wie wir uns daran zu erinnern haben.


[@Cas: Hast ja recht. *grummel* Zumindest mehr oder minder. :D *editier*]


Zurück zum Thema. :rolleyes:

"1984" ist in seiner Art, den Wahnsinn komplett zu überzeichnen, sicherlich an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen, aber vorstellbar ist eigentlich alles, was dort beschrieben wird. Leider.
 
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Chiburi

Kampfhase
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hmm...

wie Cas schon sagte..
Das Töten eines Dissidenten schafft Märtyrer...
Es sei denn natürlich, dieser Dissident gesteht vor seiner Hinrichtung schlimme Verbrechen... dann erzeugt er Hassgefühle gegen andere Oppossitionelle, und ein Gefühl der Sicherheit der Regierung gegenüber..

("die schützen uns vor solchen Subjekten..")

Das sollte es einer Diktatur schon wert sein... billiger, als noch mehr Militär ist es auf alle Fälle, und Sicherer auch...
Denn das Militär/ die Polizei kann meutern, aber zufriedene Untertanen erheben sich nicht so schnell..
 

Ubertin

Logiker
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@Slarti: Bj 75, Sachse ;)
Warum soll ich ein Beispiel von sonstwo nehmen, wenn es direkt vor der Haustür liegt? Über die Stasi und ihre Methoden kann man sich wesentlich besser und vor allem leichter informieren als über jeden anderen Geheimdienst. Also, wozu in die Ferne schweifen?
Übrigens, eine derart massive Bespitzelung wie durch die StaSi gab und gibt es kaum woanders, insbesondere in diesem umfassenden Ausmass für alle Bevölkerungsteile.

MfG Ubertin
 

Chinasky

Dirty old man
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Der Titel bezieht sich nicht auf das Jahr 1984, ich bin mir aber nicht mehr sicher, durch welche "Verwechslung" er entstand. Wird man wohl im Web recherchieren können, wenn es einen interessiert. ;)

Und die "Übertriebenheit" des Buches würde ich mit der schönen Formulierung begründen: Zur Kenntlichkeit entstellt.

Es handelt sich bei 1984 meiner Meinung nach um eine Fabel, die nahezu zeitlos ist, alle totatlitären Systeme scheinen sich hier die Hand zu reichen. Die Nazis, die Sowjetkommunisten, die chinesischen Maoisten, die geliebten Führer der Nordkoreaner, die roten Khmer...
Und dann sind da einige Details geschildert, die mich stark an unseren "Konsum-Totalitarismus" erinnern, vor allem die Absicht der "Mächtigen", das Denken der Menschen selbst zu ändern. Cas hat schon auf diesen Aspekt hingewiesen (auch wenn "all men are created equal" eher in der "Farm der Tiere" pervertiert wird, wo alle Tiere gleich sind, und nur einige von ihnen - wie die Schweine - noch gleicher sind als die anderen...), wie die Herrschenden sich die Gewalt über die Sprache aneignen und so direkt in die Gehirne der Beherrschten eindringen. Das Ministerium (Wahrheitsministerium? Ich hab das Buch schon länger nicht mehr gelesen), in welchem die Neu-Sprache entwickelt wird, ist dafür ein Bild. Dies wäre ja für die Herrschenden das Angenehmste, wenn Kritik an ihrem Handeln nicht einmal mehr formuliert werden könnte...
Übertrieben ist das Buch, um all die Aspekte überhaupt in einem überschaubaren Rahmen abhandeln zu können. In der Realität laufen die Dinge subtiler ab, es ist noch schwieriger, überhaupt wahrzunehmen, wo Werte peu a peu von den Füßen auf den Kopf gestellt werden (schon mal über das positiv aufgeladene Wort "Fitness" nachgedacht? "Angepaßtheit" - nämlich an die Erfordernisse einer konsumorientierten Leistungsgesellschaft... Oder "liberal" - inzwischen in den USA ein Schimpfwort, das für "unpatriotisch, sozialistisch, drogenbefürwortend usw." steht...)

Der einzige Vorwurf, den man dem Buch machen kann, ist die "Mystifizierung und Personalisierung des Bösen". Der Staat, der Big Brother, ist - zumindest für den Leser - eindeutig der böse Junge, welchem der "Held" des Romans entgegengestellt wird, auch wenn dieses Mal die Geschichte nicht gut ausgeht. In dieser Hinsicht steht Orwell noch in der Tradition z.B. de Sades, in dessen Romanen es ja auch immer die Bösen gibt, die Spaß daran haben, die Guten zu quälen und gleichzeitig zu verderben.
Hier macht er es sich eventuell zu leicht, denn viele Probleme, die in dem Buch abgehandelt werden, sind eigentlich struktureller Natur. Wenn wir heute Tendenzen in unserer Politik entdecken, die Richtung Überwachungsstaat gehen (ob sicherheitspolitischer, innenpolitischer oder wirtschaftspolitischer Art), dann ist es kaum möglich, da die "bösen Mächte" zu benennen, die uns armen Bürgern unsere Freiheiten beschränken wollen. Denn alles geschieht ja aus "guten Gründen". Um die Wirtschaft anzukurbeln und den "freien Warenverkehr" zu erleichtern, werden Patentgesetze nach den Erfordernissen der Großkonzerne umgeschrieben, um uns vor Kriminalität und Terror zu schützen, werden wir mit Kameras beobachtet, kann man unsere Spuren im Internet oder über unsere Handy-Verbindungen nachverfolgen, müssen wir demnächst unsere Fingerabdrücke und - weit ist es bis dahin nicht mehr - genetischen Codes speichern lassen. Und es sind nicht böse Diktatoren, die das wollen, sondern unsere "frei gewählten" Politiker. Und manche haben gar nichts dagegen, übewacht zu werden, frei nach dem Motto: "Wieso? Ich habe doch nix zu verbergen und ob man mir beim In-der-Nase-Pulen zuguckt oder nicht, ist mir wurscht, wenn ich dafür sicherer lebe." Ich weiß schon nicht mehr, in welchem Thread es hier im Forum war, irgendwo äußerte sich z.B. David in dieser Weise, daß er nix dagegen hätte, wenn öffentliche Plätze und Straßen per Video überwacht würden...
In 1984 gibt es noch die "dunkle Seite", gegen die man theoretisch kämpfen könnte (wenn man sich sicher wäre, daß die "Widerstandsbewegung" nicht von dem Großen Bruder selbst schon initiiert sei). In der Realität kann man nicht gegen eine Gesellschaft kämpfen, welche sich selbst so lange in Sicherheits-Maßnamen einhüllt, bis sie bewegungsunfähig darauf wartet, daß jemand diese Instrumente gegen sie selbst verwendet. Das muß nicht der böse Despot sein, der pornogeile koreanische Führer - das kann auch der smarte Unternehmer sein oder der Börsenzocker, der einfach nur Gewinne machen möchte und dafür das Leiden von Millionen (wie z.B. während der "Asien-Krise" vor wenigen Jahren) billigend in Kauf nimmt.
In 1984 wird andauernd Krieg geführt, am Ende weiß man schon nicht mehr, wer jetzt eigentlich gegen wen kämpft und mit wem man verbündet ist. Und das ist ja auch der Sinn dieser Kriege: die Bevölkerung soll einen Grund geliefert bekommen, weswegen sie darben muß, und dieser Grund muß ein äußerer Feind sein, denn ein solcher läßt die Leute "zusammenrücken". Dieser simpelste aller politischen Taschenspielertricks ist wohl selten so wie hier auf den Punkt gebracht worden. Ob es Napoleon war, der die in sich zusammenbrechende Revolution mit Kriegen zu "sarnieren" versuchte (und den revolutionären Gedanken der Gleichheit zu pervertieren, indem er sich selbst zum Kaiser krönen ließ), ob es Hitler war, dessen ach so tolle Wirtschaftspolitik sich darin erschöpfte, auf Pump Autobahnen für die deutschen Panzer zu bauen, um hernach unter dem Zeichen des "totalen Krieges" die letzten Schweißtropfen aus seinen blonden Herrenuntertanen herauszupressen, ob es ein G. Bush ist, der heute die Mudschaheddin gegen den pösen Sowjetimperialismus mit Waffen unterstützt, um dann später seinem Sohnemann zu raten, dieselben Gotteskämpfer zu plätten (über die us-Irak-Politik sei in diesem Topic mal der gnädige Mentel des Schweigens gebreitet)... Es funktioniert immer: der Burgfrieden scheint den Menschen als etwas Heiliges zu gelten, das muß in den Genen liegen. Die deutschen Sozialdemokraten bewilligten dem Willemzwo die benötigten Gelder, die "auf Linie gebrachten Unternehmenssoldaten" Nippos (Motto: wir sind mehr als ein Wirtschafsunternehmen, wir sind eine Familie) stellten sich allmorgendlich zum Appell auf, um Kampflieder im "Wirtschaftskrieg" zu singen - bis sie von ihren Obermotzen in den Bankrott und die Arbeitslosigkeit geführt wurden...
Aber ich schweife ab und hab eigentlich gar keine Zeit dazu. Parallelen und Anknüpfungspunkte zu 1984: "Brave New World", "Animals Farm", "Brazil" (der Film) - und die sehr gute "1984"-Verfilmung mit Antony Hopkins als "Mephisto"...
 
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Slartibartfaß

Nörgelnder Gnom
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@Ubertin:

Gut, Landsmann und Gleichaltriger (me: Bj 75, [inzwischen Exil-] Sachse :D), dann nehm ich den entsprechenden latenten Vorwurf von oben natürlich sofort zurück und behaupte das Gegenteil. :D:)

Aber diese massive Bespitzelung der kompletten Bevölkerung gabs eben doch auch sonst schon. Und nein, ich spreche dabei nicht von deutscher Geschichte (der Vergleich regt mich nämlich noch viel mehr auf. :rolleyes: ), sondern dem aktuellen Amerika oder halt dem der McCarthy-Ära. ;)
Wobei die Diskussion eigentlich müßig ist. Zum einen gibts inzwischen weiß der Geier genügend entsprechende Threads hier (und mit Sicherheit liegen sie zusammengerechnet etwa 1567% über der Toleranzgrenze eines gewissen Drow :rolleyes::D), zum anderen hab ich meinen Standpunkt ja deutlich gemacht und muß mich nicht völlig sinnfrei hier streiten und zum dritten ist mir eh grad die Palme zusammengebrochen. Und ohne Palme kann ich mich nunmal nicht adäquat aufregen. :D
 

Caswallon

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Hank, nur zur Erläuterung: Kann sein, daß das mit dem "equal" im Anhang zu Newspeak war... Sinngemäß ging es so: Die politisch-gesellschaftliche Dimension des "gleich" wird dem Wort völlig genommen. Selbst wenn jemand in Zeiten des Newspeak auf das ketzerische Dokument der Unabhängigkeitserklärung stoßen würde, hätte es einen guten Teil seiner Brisanz verloren - "alle Menschen sind gleich geschaffen" hätte in etwa denselben Aussagewert wie "alle Menschen sind rothaarig geschaffen".

Cas
 

Fabian

Hefti
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@Slarti
Also ich glaube schon, dass etwas in dieser Art passieren könnte, nur glaube ich nicht, dass so ein Regime lange Zeit bestand hätte.
Denn meiner Meinung nach würde es entweder von innen oder von außen zerbrechen.
Früher oder später zumindest, aber das ist ja leider ein dehnbarer Begriff. ;)

Aber du hast recht, im Grunde geht es ja nicht um kleine Logikfehler im Buch sondern um die Botschaft.
Um die Botschaft, dass wenn wir nicht ständig ordentlich aufpassen wir irgendwann in einem Alptraumstaat leben aus dem es praktisch kein entkommen geben wird.

Zwar wird dieser "Staat" nicht durch einen plötzlichen radikalen Umsturz zustande kommen, wie es in 1984 vermutet wird, sondern (wie Hank schon ausgezeichnet dargelegt hat) durch eine langsame stückchenweise Opferung unsere Freiheit für falsche Sicherheit vor fiktiven, überzogenen Gefahren, die man mit diesen Handlungen nur noch vergrößert. Zur Zerstörung dieser Gefahren müsste man man kausal vorgehen, doch dadurch würden die Mächtigen an Macht einbüßen und darum wird diese einzige Lösung so weit es nur möglich ist ignoriert, herabgespielt und totgeschwiegen.

@Chiburi
Ah, ok, jetzt hab ichs kapiert.
Sie haben ihn "umgedreht" und dann VOR PUBLIKUM erschossen. Ok, dann macht das Sinn.
Danke für die Erklärung.:)


@a Vecha
"1984" ist neben "Animal Farm" das berühmteste Buch von Georg Orwell, es geht um die negative Utopie eines Überwachungsstaates.
Für mehr Informationen siehe hier. :)
Ob du es im englischen Original lesen kannst?
Ich weis nicht, ich fands nicht soo schwer zu verstehen, allerdings bin ich soweit ich weis auch zwei oder drei Jahre älter als du und ich habe auch schon ein paar englische Bücher gelesen.
Wie viele englische (nicht Schulbücher!) Bücher hast du denn schon gelesen?
 
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