[Schreibwettbewerb - Runde III] Kraven / Scot d'Arnd

Wer hat die bessere Geschichte geschrieben?

  • Kraven

    Stimmen: 6 42,9%
  • Scot d'Arnd

    Stimmen: 8 57,1%

  • Umfrageteilnehmer
    14
  • Umfrage geschlossen .

Enigma

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Viel Vergnügen! :)

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Enigma

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Kraven

Sich langsam ausbreitend rann das Blut über den Boden, die Fugen der Bretter füllend, die feine Maserung auslöschend.
Langsam durchdrang es den Raum, bis es sich in einer einzelnen Spalte, die nicht ganz sauber eingepasst war, sammelte. Sich verdichtete. Und schließĺich, große, schwere Tropfen formend, nach unten fiel, auf ein kleines Bündel Mensch, das sich dort zusammengekauert hatte.
Alissa konnte sich nicht rühren. Sie versuchte es, konzentrierte ihren ganzen Willen darauf, sich zu regen, doch alle Kraft, alle Stärke war aus ihrem Körper gewichen, seit dem Moment, in dem die Schreie begonnen hatten, die Schreie ihrer Mutter, ihrer Schwestern, ihres kleinen Brüderchens.
Sie hatte hier unten gelegen, zwischen den schweren Tongefäßen, in denen sie die Kartoffeln lagerten, und hatte alles mitangehört, das Poltern von schweren Stiefeln, das Rufen und das Flehen, und das Geräusch von Stahl auf Fleisch, mit dem es erlosch.
Außer bei ihrer großen Schwester. Bei ihr hatte es länger gedauert.
Die Männer hatten ihr weh getan.

Die Stille, die jetzt herrschte, war vollkommen. Alissa wollte sie durchbrechen, irgendwie, auf irgendeine Art, wollte irgendetwas tun, um das Leben wieder an diesen Ort zu bringen.
Alissa wollte schreien.
Sie wollte schreien und um sich schlagen, die Tontöpfe in tausend Scherben zerschlagen und das Klirren hören, mit denen sie zerbrachen, wollte heulen und toben.
Sie konnte es nicht. Sie wusste, irgendwann würde sie es können, bald schon. Tief in ihr baute er sich auf, der Schrei, und sie konnte spüren, wie er bald aus ihr heraus brechen würde.
Bald würde sie schreien können.
Bald.

Doch gerade, als sie glaubte, loslassen zu können, mit dem Schrei die Stille zu vertreiben, ihren Kopf auszufüllen und die Bilder in ihrem Kopf fortzunehmen, hörte sie das Getrappel von beschlagenen Pferden.

Ihre Hände huschten zu ihrem Mund und verschlossen ihn, hielten den Schrei drinnen.
Kein Laut. Bleib still, denn vielleicht ist es Hilfe, aber vielleicht sind die Männer auch zurückgekommen.
Alissa hatte in den letzten Wochen gelernt, dass Menschen wie sie und ihre Familie nicht viel Hilfe zu erwarten hatten.

Die Pferde näherten sich langsam, blieben stehen. Undeutliche Stimmen drangen zu ihr in ihr Versteck.

„... ein echter Trend“, hörte sie eine Stimme sagen. „Wer seine Steuern nicht rechtzeitig bezahlt, wird von den Räubern überfallen. Zufälle gibt es, nicht wahr?“
Der Besitzer der Stimme lachte meckernd.
Eine zweite Stimme antwortete ihm, so leise, dass Alissa sie nicht verstand. Die Antwort jedoch war wieder laut und deutlich zu vernehmen.
„Naja, ist ja auch eine sinnvolle Investition. Billiger, als eine Streitmacht gegen diese verdammten Paladine aufzustellen, die einem Mann erzählen wollen, wie er mit seinen Untertanen zu verfahren hat.“
Alissa hörte diese Worte, doch weder ihr Körper noch ihr Geist fanden einen Weg, auf sie zu reagieren. Sie hörte diese Laute, sie erkannte ihre Bedeutung, doch nichts – nicht Trauer, nicht Wut, nicht einmal Angst – rührte sich in ihrem Herzen. Selbst der Schrei gab seinen Versuch auf, sich aus ihrem Hals herauszukämpfen. Alissa war einfach
da, reglos und apathisch.

Dann hörte sie hölzerne Stiefelabsätze über den Boden schreiten, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Langsam, ohne jede Hast, kamen die Schritte näher, ihr Rhythmus nicht immer gleichmäßig, und Alissa begriff, dass der Fremde unterschiedlich große Schritte machte.
Er versuchte, nicht in die Blutlachen zu treten.

Der Gedanke brachte sie zum Zittern, und sie biss sich auf die Fäuste, um nicht zu schluchzen, oder zu lachen, oder zu schreien; sie konnte spüren, wie der Schrei wieder in ihr anschwoll.
Alissa lag ihm Dunkeln, den Geruch von Blut und kalter Erde in der Nase, und hörte den Schritten zu, die sich ihr näherten.
Sie erreichten.
Und stehenblieben.

Bitte, dachte sie, bitte geh weg, bitte geh weg, bitteohbitteohbitte-
Als die Luke mit einem Ruck aufgerissen wurde und Alissa spürte, dass sie sterben würde, blendete sie das Licht. Es stach sie in die Augen, füllte ihren Kopf mit Schmerzen und ließ die Gestalt nur als schwarzen Schatten erscheinen, die auf sie herab sah.
„Was ist los?“ Es war die Stimme des Mannes mit dem meckernden Lachen, weit weg, aus einer anderen Welt. Alles, was für Alissa noch existierte, war der schwarze Umriss, der auf sie herabstarrte, regungslos, mitleidslos.
„Habt Ihr etwas gefunden?“
Die Gestalt bewegte sich immer noch nicht, behielt ihren Blick weiter auf sie gerichtet, und sagte: „Nein. Hier ist niemand.“

Als die Luke sich schloss und sie erneut in Dunkelheit tauchte, als sie hörte, wie die Schritte sich entfernten, hörte sie die Gestalt noch etwas sagen.
„Wir sollten den Süden des Gehöfs absuchen, ob vielleicht jemand entkommen ist.“
„Warum nicht den Norden?“, fragte die andere Person.
„Weil im Norden die Wälder sind. Viele Möglichkeiten, sich zu verstecken, und reichlich Nahrung um diese Jahreszeit. Wer auch immer dorthin fliehen würde, wir hätten keine Chance, ihn zu finden.“

Und als die Geräusche der Pferde leiser wurden, wusste Alissa, dass sie leben würde. Und tief, tief in ihrem Herzen, unbemerkt noch von ihren Gedanken, keimte eine Ahnung auf, wofür sie leben würde.
Mit einer bewussten Anstrengung begrub Alissa den Schrei endgültig in sich.


Zehn Jahre später fuhr eine schwarze Kutsche durch die Nacht, über eine der weniger wichtigen Straßen Amns. Die Wichtigkeit einer Straße ließ sich an der Anzahl der Schlaglöcher festmachen, die sie säumten, und mit jedem Mal, dass die Kutsche bockte und ihn unsanft aus seinen Gedanken riss, verschlechterte sich Aramands Laune spürbar.
Zwar hatte sein Auftraggeber ihm eine außerordentlich großzügige Entlohnung versprochen, doch das änderte nichts daran, dass Aramand angesichts dieser Stillosigkeit sich schon fast wieder nach seiner regulären, adligen Kundschaft sehnte.

Natürlich schützte einen eine adlige Abstammung nicht davor, moralisch zum größten nur vorstellbaren Abschaum zu gehören, ganz im Gegenteil. Jeder Bauer konnte seine Frau verprügeln, aber sich einen eigenen Folterkeller einzurichten und alle drei Monate neu zu heiraten – nun, dafür bedurfte es einfach eines gewissen Maßes an Dekadenz.
Ein Adelstitel machte niemanden zu einem besseren Menschen. Er hatte Diebe und Mörder kennengelernt, Kinderschänder und professionelle Sadisten, und all das hatte wohl mit der Zeit dazu geführt, ihn nicht mehr jeden Auftrag annehmen zu lassen.
Dennoch: Von all diesen Monstern war keines so tief gesunken, ihn in eine gewöhnliche Taverne am Ende der Welt vorzuladen wie einen ordinären Abenteurer, den man auf Schatzsuche schickte.
Letzten Endes war wohl genau dies das Problem der Händler und Zunftmeister. Mochten ihre Verfehlungen auch die grausame Bestialität des Adels missen lassen, so fehlte es ihnen wie zum Ausgleich einfach an jeglichem Stil.

Der frühere Soldat des Herzogs war nun seit drei Jahren in Pension. Er war ein Trinker, er ging zu den Huren, obwohl er verheiratet war, und die Menschen im Dorf erzählten hinter vorgehaltener Hand von den Blicken, die er seiner heranreifenden Tochter zuwarf.
Es war leicht gewesen, ihn zu finden. Und als er betrunken aus der Taverne nach Hause torkelte, als sie ihn in einer dunklen Seitengasse abfing und ihr Schwert zog, spürte Alissa kein Zögern. Sie dachte an ihre tote Familie, an ihren Vater, ihrer Mutter, ihre Geschwister. An die Schreie ihrer Schwester.
Und lange erst, nachdem er tot war, nachdem sie sein Blut von der Klinge gewischt hatte und in die Schatten verschwunden war, nachdem sie die aufgeregten Rufe der Dörfler leiser werden hörte, begann sie zu zittern. Der erlöschende Blick des Mannes fiel ihr wieder ein und wollte sie nicht loslassen, verfolgte sie, erinnerte sie an das Leben, das sie genommen.
Doch trotz des Zitterns, trotz ihrer Tränen und dem bitteren Geschmack in ihrem Mund, als sie sich vor Ekel erbrach, wusste sie, dass sie diesen Weg weiter gehen würde.
Dass es das war, was sie ihrer Familie schuldete.
Und tief in ihr gab es etwas, das diese Entscheidung begrüßte.
Etwas, das früher mal ein Schrei gewesen war.


Als die Kutsche nach einer langen und sehr unbequemen fahrt endlich ihr Ziel erreicht hatte, war Aramands Laune endgültig kurz davor zu kippen.
Er öffnete die Kutschentür, ein Schwall eiskalter Regen schlug ihm ins Gesicht, und der Tiefpunkt war erreicht.
In den zwei Sekunden, die der Kutscher brauchte, um ihn zu erreichen und den Schirm über ihn zu halten, waren große Teile von ihm bereits durchnässt.
Aramand verspürte den starken Drang, den Kutscher ob seiner Unfähigkeit anzuschreien, rechtzeitig bei ihm zu sein. Statt dessen nahm er ihm den Schirm ab, betrachtete zufrieden die immer nasser werdende Gestalt vor sich, und gab ihm Anweisungen, die Pferde unterzustellen, sie abzureiben, sicherzustellen, dass sie genug frischen Hafer und warmes Heu hatten.
Das war seine persönliche Verantwortung. Aramand machte deutlich, dass er es nicht dulden würde, wenn er diese Verantwortung einem Stallburschen übertragen würde.

Er besah sich den vor Kälte zitternden Mann noch eine Weile, der mit klammen Händen versuchte, das Zaumzeug der Pferde zu lösen, bis die Stimme in seinem Inneren zu laut wurde, um sie noch ignorieren zu können.
Er seufzte.
„Und wenn ihr damit fertig seid, kommt in den Schankraum und wärmt Euch auf.“
Verflucht nochmal. Er wurde langsam weich.

Er drehte sich um, ignorierte das dankbare Gestammel des Kutschers und öffnete die Tür, die in die Taverne führte.
Eine Wand aus reinem Schall presste sich gegen ihn, brach über ihm zsuammen und ließ ihn einen Schritt zurücktaumeln. Irgendwo auf der Bühne konnte er eine große, grüne Gestalt ausmachen, die auf eine erschreckend große Axt einschlug. Die Axt jaulte irrwitzigerweise ob dieser Behandlung, ein Klagen, dass ergänzt wurde durch das guturrale Geschrei des Halborks.
Aramands linkes Auge begann zu zucken.
Irgendjemand würde für diesen Mangel an Respekt ihm gegenüber bezahlen müssen.

Die Jahre waren nicht freundlich zu dem Mann gewesen, der einst mit meckernder Stimme über das Schicksal ihrer Familie gelacht hatte. Ein Schlaganfall hatte ihn geblendet, und er lebte allein in einer ärmlichen Behausung in den Slums der Stadt.
In den ersten Sekunden hatte Alissa Mitleid verspürt, als der alte Mann ihre Anwesenheit bemerkte, hilflos den Kopf hin und her warf und immer wieder mit zitternder Stimme fragte, wer dort sei.
Doch dann kam ihre Erinnerung zurück, an das kleine Mädchen, dass sie einst gewesen war, an ihre eigene Angst, an das Unverständnis gegenüber den Schrecken, der über sie und ihre Familie hereingebrochen war, und ihr Mitleid erlosch.
Dieser Mann hatte kein Mitleid mit ihr gehabt. Er hatte gelacht. Hatte sie verspottet.
Sie schlug zu, und der erste Schlag reichte nicht aus, den Mann zu töten. Auch nicht der zweite, oder der dritte.
Und während aus verständnislosem Stammeln erst Flehen und dann unartikuliertes Schreien wurde, sagte sie kein einziges Wort.


Als der Jubel langsam abgeklungen war und er es sich an der Theke bequem gemacht hatte, stellte
Iliela ihm einen Krug Schwarzbier vor die Nase und gab ihm ein paar Kupferstücke als Wechselgeld zurück.
„Ich würde sagen, die Wette hast du verloren.“
Tork grinste breit und nahm einen Schluck. „Ich versteh nicht genau, was du meinst.“
Sie nahm einen nassen Lappen, machte aus einer kleinen Bierpfütze auf dem Tresen eine große und fixierte einen Punkt hinter ihm.
„Du hast mit ihm gewettet, dass deine vorgebrachte Ballade eher im Stande ist, ihr Herz zu erobern als seine.“
„Oh.“ Mit einer gelangweilten Miene fischte Tork eine Fliege aus seinem Krug und schnippte sie weg. „Tja... und seine Ballade war ziemlich gut, hm?“
„Machst du Witze? Ihr Götter, wie der mit Worten umgehen kann. Diese Gleichstellung mit einer Wildblume am Rande eines regenbogenfarbenen Wasserfalles...“
„Ja, die war gut. Auch die Technik. Für die Melodie nimmt man eigentlich zwei Gitarren, das war'n ein paar ziemlich gute Griffwechsel.“
„Genau das sag ich doch, der war fantastisch.“
„Hm.“ Tork prüfte mit den Fingernägeln seine Bartstoppel. „Und du meinst, ich hab jetzt wirklich keine Chance?“
„Du hast sie mit einer läufigen Hündin verglichen, der du einen Knochen zum dran kauen geben möchtest.“
„Naja, das war eigentlich eine ziemlich süße Metapher für...“
„Ich weiß, wofür das eine Metapher war, und es war verdammt nochmal nicht süß.“
„Aber den Leuten hat's gefallen.“
„Ja, und darum hat die ganze Meute auf sie mit dem Finger gezeigt und immer wieder deinen Refrain mitgegröhlt.“
Tork zuckte mit den Achseln. „Naja... okay. Das hab ich dann wohl versaut. Jetzt schuld ich dem Kerl ein Bier.“
Er grinste.
„Aber da sind ja auch noch die Jungs da hinten, mit denen ich um einen ganzen Berg an Goldstücken gewettet habe, dass seine Ballade nicht ausreichen würde, sie ins Bett zu kriegen.“
Trotzig erhobenen Hauptes stolzierte eine junge Frau hinter ihm auf den Ausgang zu, dicht gefolgt von einem Elfen mit hervorstechend hübschen Gesichtszügen.
„Aber Schönheit, oh zarte Verheißung, du Stern, der in der einsamen Nacht der sich nach Liebe verzehrenden Seele scheinen mag, bedenke doch...“
„Lass die Finger von mir! Ihr Männer seid doch alle gleich!“
Mit einem Knall schlug sie die Tavernentür hinter sich zu und verschwand in der Dunkelheit. Der Elf schenkte Tork einen hassenden Blick, dann folgte er ihr.
Tork nippte erneut an seinem Bier. „Und ich fürchte ja, die Wette hab ich gewonnen.“
Iliela blinzelte.
„Tork?“
„Hm?“
„Du bist eine schreckliche Person.“
Er zuckte mit den Achseln. „Ich hab dir doch mal diese Geschichte erzählt, wie ich meine Seele verkauft hab, um besser Gitarre spielen zu können.“
„Hast du. Mehrfach.“
Er zwinkerte ihr zu. „Wenn du dich mit dem Teufel einlässt, verändert sich nicht der Teufel.“

Der frühere Kommandant der Soldaten war in Ehren gealtert. Er hatte sich von seiner Pension ein hübsches Haus auf einem Hügel der Stadt gekauft, wo er mit seiner Familie lebte. Es hieß, er sei ein treusorgender Familienvater. Ein liebender Ehemann.
Und er war es, der den Angriff auf ihre Familie befohlen hatte.
Wie ihr einer seine Untergebenen nicht ganz freiwillig verraten hatte, war er außerdem das, was man in Soldatenkreisen einen „Harten Hund“ nannte.
Er machte diesem Ruf alle Ehre.
Sie hatte ihn geschlagen. Sie hatte ihn geschnitten. Und er hatte sich nach wie vor geweigert, den Namen des Mannes auszuspucken, der damals geholfen hatte, all die Morde zu verschleiern. Er blieb ruhig, und strahlte trotz all der Misshandlungen immer noch eine unerschütterliche Würde aus.
Dann hatte sie seine Tochter in den Raum geführt.
Es hatte das Mädchen zwei Finger gekostet, bis der alte Mann einen Namen genannt, und weitere vier, bis sie ihm geglaubt hatte.
Sie hatte trotzdem weitergemacht. Bei ihr, und etwas später bei seiner Frau.
Am Schluss war von der Würde nichts mehr übrig geblieben.


Geduldig trommelte der Regen gegen die Scheiben, einen konstanten Schleier bildend, der es unmöglich machte, weiter zu sehen als ein paar Meter.
Nicht, dass das eine besonders traurige Sache gewesen wäre. In diesem kleinen Dorf gab es vermutlich sowieso nicht viel mehr zu sehen als den großen Misthaufen, auf dem der Hahn jeden Morgen den Beginn eines weiteren, ereignislosen und dabei doch unendlich klischeebeladenen Tages ankündigte.
Aramand seufzte und trank einen weiteren Schluck von dem Wein, den ihm die Kellnerin gebracht hat, ein hübsches Ding mit Sommersprossen, von denen er unter anderen Umständen nur allzu gerne herausgefunden hätte, welche Körperstellen sie noch bedeckten.
Aber nicht heute, nicht jetzt. Der Wein war einer von zwei Sorten in der Auswahl gewesen (die zweite war „weiß“), und was der Ork dort mit seiner Gitarre angestellt hatte, wäre selbst dann noch ein Musterbeispiel für Niveaulosigkeit gewesen, wenn Aramand den Text nicht verstanden hätte, der sich hinter dem Gegrunze verborgen hatte.
Zwei Tische weiter von ihm feierte ein junger Mann die Geburt seines ersten Sohnes, als wäre er der erste Mann, der es geschafft hätte, sein unwürdiges Erbgut weiter zu geben, und die ewigen Hochrufe und Gratulationen zehrten an seinen Nerven.

Er seufzte erneut, lauter diesmal.
Er könnte jetzt in einem Schloss sitzen, um dort fürstlich zu dinieren. Der Wein würde aus dem besten Anbaugebiet kommen, das das Land aufzuweisen hatte, und serviert von Kammerzofen, die er nicht einmal hätte ansprechen müssen, damit sie des nachts sein mit Seide bezogenes Himmelbett wärmten. Ein einziger Kommentar in Richtung des Hausherren hätte gereicht.
Und alles, was er dafür tun müsste, wäre, ein weiteres schmutziges Geheimnis zu bewahren.
Einen weiteren Mord.
Eine weitere Vergewaltigung.
Während er an seinem sauer schmeckenden Wein nippte und darauf wartete, dass sein Auftraggeber sich endlich die Mühe machen würde, aufzutauchen, dachte er an all die Erlebnisse, die zu diesem Augenblick geführt hatten. An all die höhnisch grinsenden Gesichter, die ihm Dank aussprachen, und an all das Grauen, das auf die Gesichter der Toten gebannt war, die er unauffällig zu verscharren beigetragen hatte.
Und an ein kleines Mädchen in einem Kellerloch, dass ihn aus mit Tränen gefüllten Augen ängstlich anstarrte.
Er schnaubte. Zumindest konnte er sich wohl nicht vorwerfen, überstürzt gehandelt zu haben. Er hatte sich viel Zeit genommen, um zu dem Schluss zu kommen, der ihn nun in diese Taverne geführt hatte, auf diese erste Stufe seines Abstiegs.
Und doch auch in die einzige Richtung, die es ihm ermöglichte, morgens noch in den Spiegel schauen zu können.
Vielleicht war es nicht der angenehme Weg, den er hier einschlug. Aber, und der Gedanke trug einen schwachen Trost in sich, vielleicht war es endlich der Richtige. Vielleicht hatte er damals, als er das kleine Mädchen gerettet hatte, endlich und vielleicht zum ersten mal ins einem Leben etwas wirklich richtig gemacht.


Mit ausdruckslosem Gesicht betrachtete Alissa die beiden Toten, die vor ihr im Schlamm lagen, eine junge Frau und ein Elf, der ihr gefolgt war. Das Blut wurde schneller vom Regen weggewaschen, als dass sich eine Lache hätte bilden können, nur eine schmale, rosa gefärbte Spur zog sich über den Boden, die sich langsam verlief.
Als sie ihren Weg zu der Taverne fortsetzte, ging sie nicht sofort durch die Tür, sondern verharrte vor ihr, beugte sich vor und brachte leise zwei Keile in dem Türspalt an, so dass sie sich nicht ohne weiteres von innen öffnen lassen würde. Dann umrundete sie das Gebäude, in Richtung der Stallungen.

Sie fand zwei Männer dort, einen alten und einen jungen, die sich unterhielten.
Ein geworfenes Messer, einen gezielten Schwertschlag später, und sie war wieder allein.

Als Alissa die entzündete Laterne von ihrem Haken nahm und sie betrachtete, musste sie wieder an das blendende Licht denken, dass sie damals eingehüllt hatte, als der Fremde sie gerettet hatte. Ob er wohl geahnt hatte, wie ihr Weg geendet war?
Vielleicht.
Vielleicht hatte er gewusst, dass der einzige Weg, für Gerechtigkeit zu Sorgen, darin bestand, sie am Leben zu lassen, auf dass sie ihre Rache nehmen konnte.

Ja. Alissa lächelte. Bestimmt war es so.
Und als sie die Laterne auf das Heu warf und sah, wie sich die Flammen ausbreiteten, dankte sie ihrem Retter, bevor sie nach draußen ging.

Die Menschen in der Taverne würden das Feuer bemerken und versuchen, zu fliehen. Die verkeilte Tür würde sie nicht alle aufhalten, aber sie würde die Panik weiter schüren, und die Flucht verlangsamen.
Und Alissa würde sie alle töten. Jeden einzelnen, und zuletzt, ganz am Schluss, den Mann, den man Aramand nannte. Er sollte lernen, was es hieß, machtlos zusehen zu müssen, wie jeder in der eigenen Reichweite starb, ohne dass man etwas dagegen tun konnte.

Oh ja. Alissas Lächeln wuchs in die Breite.
Sie würde für Gerechtigkeit sorgen, und dem Leben, dass ihr Retter ihr geschenkt hatte, Sinn verleihen.
 

Enigma

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Scot d'Arnd

Ein großer Fehler

Tork, die Arme auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen verborgen, sah auf, als Aramand durch die kleine Tür gehumpelt kam. Eigentlich müsste er ihn jetzt nach seinem affigen Gehstock mit dem goldenen Adlerkopf fragen, aber er entschied, dem Kerl seinen Modegeschmack zu lassen. Warum sollte es ihn auch kümmern, wenn sowieso alles am Arsch war?

„Da draußen steht ein Haufen ungewaschener, langhaariger Clowns, die sich wie benebelt gegenseitig anspringen und dabei versuchen, im Ton von Ogern Laute zu artikulieren“, begrüßte ihn Aramand und legte seinen schweren Mantel ab. Er sah wütend aus. „Solltest du nicht da raus gehen und sie solange anbrüllen, bis sie sich müde zurück in ihre Höhle verziehen und sich mit Holzknüppeln in den Schlaf prügeln?“

„Das sind meine Fans da draußen“, erwiderte Tork und merkte dabei selber, wie merkwürdig kraftlos er klang. Ach, was ein Scheiß. Morgen waren sie es bestimmt nicht mehr.

„Ich bin durch mehr Bier gestapft, als ein Zwerg in seinem ganzen Leben verträgt, und dabei haben mir wildfremde Vollversager ins Ohr geschrien, sie wollen Tork“, sagte Aramand und musterte dabei seine Stiefel, die ein wenig am Boden kleben blieben. „Wenn ich keine so gute Seele wäre, wäre wahrscheinlich einer von denen eines plötzlichen, unerklärlichen Todes gestorben.“ Jaja, er war schon immer eine ganz eigene Art von Freund gewesen...

„Merkwürdig, wo immer du auftauchst, dreht sich alles nur um dich, oder?“, fragte Tork. „Ich stehe vor den Scherben meiner Karriere, gerade hat meine Bühne gebrannt, mein Ein und Alles ist verschwunden und ich habe Kopfschmerzen. Aber das ist alles kein Problem, denn wenn man lange genug das egozentrische Gelaber eines selbstverliebten Spießers anhört, dann erkennt man, dass all dies nur Nichtigkeiten sind, wenn man sie mit deiner Größe und Herrlichkeit vergleicht.“ Er atmete schwer aus. Wo war das denn hergekommen?

Aramand stand dort kurz wie erstarrt und hob dann immerhin eine Augenbraue. Ein plötzliches Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. „Wenigstens erkennst du die Zusammenhänge noch“, sagte er. Er zog einen Hocker an sich heran, wischte mit seinen Handschuhen darüber und setzte sich. „Da wir jetzt alle ein wenig Dampf abgelassen haben, kannst du mir sagen, was so wichtig ist, dass du mich unbedingt in dieses – sagen wir mal – Etablissement rufen musstest?“

Der Kerl lernte es einfach nicht. Durchatmen, Junge, jetzt rumbrüllen bringt auch nichts. Also atmete Tork durch. „Da ich ja jetzt soviel von deiner Aufmerksamkeit habe, wie du überhaupt für andere Lebewesen als dir selbst übrig hast“, begann er betont langsam. „Ich stecke in der Scheiße, du musst mir helfen.“ Der Hexer wollte den Mund öffnen, aber Tork wusste eh, was er zu sagen hatte. „Ja, ich weiß, soviel hättest du dir denken können. Wenn du mir hier aber auch noch meine Theatralik nimmst, muss ich dich plattmachen.“

Aramand hob abwehrend die Hände. „Natürlich.“ Er grinste dabei unerträglich.

„Ah, leck' mich doch“, kommentierte Tork daher. „Auf jeden Fall habe ich mich mit den falschen Leuten angelegt und -“

„Du bist doch so eine friedliche Seele.“

„Kannst du mal die Schnauze halten? Der Scheiß ist ernst!“ Tork stand auf. Auf- und abgehen war, in diesem Kämmerchen schwierig, also ließ er es einfach bleiben. „Im Großen und Ganzen ist das sowieso alles deine Schuld." Moment! Das stimmte sogar. Warum war er da nicht früher drauf gekommen? Natürlich war das alles seine Schuld!

Aramand lachte auf. „Das wird gut“, sagte er. „Wie? Wie in aller Welt soll ich für die Probleme von Tork dem Metal-Barden verantwortlich sein?“

„Lord Manliwar“, rief Tork und grinste kurz über den überraschten Blick. Dann fiel ihm wieder ein, wie scheiße sein Leben doch im Moment war und das Grinsen verschwand wieder.

„Dein Gitarrenmacher?“, überlegte Aramand. „Was hat der mit deinen... Oh.“ Bittere Erkenntnis. „Ich verstehe.“ Für eine Winzigkeit sah der Hexer schuldbewusst aus. Es hielt nicht lange. „Warum sollte er es denn an dir auslassen?“

„Genau, warum sollte er es an mir auslassen?“ Tork zuckte die Schultern. „Ich habe bezahlt. Ich habe sogar mehr bezahlt, als vereinbart war. Ich habe mich sogar bedankt. Ich habe ihn sogar, und das bereue ich zutiefst, an meine Bardenfreunde weiter empfohlen. Was ich nicht getan habe – und ich glaube, hier liegt irgendwo der Hund begraben – , war seine Tochter erst ordentlich durchzureiten, sie wie eine schlechte Liedzeile von meinem Zettel zu streichen und dann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.“ Irgendwie zeichnete sich auf Aramands Gesicht Zufriedenheit ab. Er bewies genug Anstand, um es rasch zu verdecken. „Und weißt du auch, warum ich das nicht gemacht habe?“

Er wollte fortfahren, aber Aramand kam ihm zuvor. „Weil du keine gebrauchte Ware nimmst?“

Tork stocke. Wow, das war mal frauenfeindlich. „Du bist'n Arschloch“, meinte er daher.

Aramand zuckte mit den Schultern. Tork wusste, dass er immer etwas härter tat, als er wirklich war. Dennoch musste er dem Hexer nicht alles durchgehen lassen. „Und nein, das ist nicht der Grund“, fuhr Tork fort. „Wie jeder Mann, der gerne Frauen mag, habe ich natürlich darüber nachgedacht. Und es war auch nicht die Tatsache, dass sie nicht halb so alt ist, wie ich. Nein! Was mich in erster Linie davon abgehalten hat, war die Tatsache, dass ihr Vater nicht nur sehr reich, sondern auch noch ein verdammter Zauberer war. Und ich rede hier nicht von einem Zauberer, er einen Goblin mit einem magischen Geschoss umnietet. Nein, ich rede von einem Zauberer, der vor mehr als einhundert Zeugen durch ein brennendes Höllenportal auf meine Bühne gekommen ist, um mir den Slasher wegzunehmen.Deshalb hab ich's seiner Tochter nicht besorgt.“

„Das meinst du jetzt nicht ernst, oder?“ Eigentlich stellte Aramand nie so dämliche Fragen. „Manliwar hat sich auf deine Bühne gezaubert und dir deine Gitarre weggenommen?“

„Nein, er ist durch ein verdammtes Feuerportal auf meine Bühne gestiegen und mir den Slasher brutal aus den Händen gerissen, während er mit dröhnender Stimme in mein Publikum brüllte, dass ich nie wieder Musik machen werde“, stellte Tork richtig. Solche kleinen Details machten die Geschichte doch erst spannend. „Sie haben das für die beste Bühneneinlage in der Geschichte des Hardcore Metal gehalten. Wahrscheinlich erwarten sie, dass ich wieder auf die Bühne komme und mir meinen Slasher vom Oberschurken zurückhole. Die warten seit einer Stunde.“ Er holte tief Luft und: "MEINE VERDAMMTE BÜHNE HAT GEBRANNT!"

Aramand stand auf und wirkte ein wenig unvorbereitet ob dieser Nachricht. Klar, in der Welt von Aramand dem Großen passierten solche bescheuerten Dinge eben nicht. Dann aber nickte er verstehend. „Das macht Sinn“, behauptete er. Gut, jetzt war Tork neugierig. Wie in aller Welt machte das Sinn? „Manliwar will sich an mir rächen, aber er ist nicht dumm genug, es mit mir persönlich aufzunehmen.“ Tork verdrehte die Augen. „Also nimmt er sich eben dich vor.“

„Warum? Weil er weiß, dass wir für gute Kumpels sind?“, herrschte Tork ihn an.

„Das scheint wohl nicht mehr unser kleinen Geheimnis zu sein“, gab Aramand zu und zuckte wieder so unerträglich mit den Schultern. Er dachte kurz nach und seufzte dann. "Na gut. Ich gestehe, ich hätte nicht -"

"Warte! Davon will ich nichts verpassen." Tork ließ sich eilig auf seinen Stuhl fallen, presste die Knie zusammen wie so ein Schulstreber, legte die Hände brav auf seine Oberschenkel und sah mit begeistertem Blick zu Aramand hinauf. "Der Fehlerlose gesteht einen Fehler ein! Wow, dass ich das noch erleben darf! Weiter, weiter!"

Aramand runzelte die Stirn, erwiderte dann aber: "Nicht in diesem Leben."

Tork warf gespielt entrüstet die Arme in die Luft. "Komm schon, du enttäuschst das Publikum. Wir alle ..." Er nickte in die leere Kammer hinter sich. "... warten doch darauf, dass wir endlich den Menschen Aramand hinter der göttergleichen Maske kennenlernen. Ich-scheiße-Blüten-Aramand kann sich doch nicht so einfach aus der Affäre ziehen. Komm schon, wir alle haben Fehler."

"Es scheint dir gar nicht mehr so schlecht zu gehen. Vielleicht sollte ich deine Gitarre einfach bei Lord Manliwar lassen, du scheinst ja auch ohne prächtig zurecht zu kommen."

"Ey, darüber macht man keine Witze", widersprach Tork ernst. "Der Slasher ist mein Leben. Du wüsstest, was er mir bedeutet, wenn du selber ein Leben hättest." Was wäre er, der Metall-Barde, ohne seinen Krachmacher.

"Leben ist was für die Sterblichen, ich komme ohne aus", sagte Aramand und legte seinen Mantel wieder an. "Sag deinen Nieten, sie sollen morgen Abend wiederkommen. Die Vorstellung von Manliwar schlag ich doch um Längen." Er öffnete die Tür und humpelte davon.

"Du hast irgendwo einen großen Fehler." Tork schüttelte den Kopf.

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Aramand hatte Kopfschmerzen, Fußschmerzen und Halsschmerzen. Er musste husten, sein Mantel war voller Ruß und sein Haar angesengt. Und das Tork grinste wie ein betrunkenes Kleinkind, hob seine Stimmung auch nicht gerade. Der dämliche Ork saß halb, lag halb auf einem Sandsack, zupfte auf seiner Axt herum und sah glücklich in den nun leeren Zuschauerraum.

"Was ein geiler Abend", rief er plötzlich. "Was ein geiler Abend! Blitze, Funken, Licht, ein Blizzard und dann dieses wild gewordene Feuerelementar. Einfach geil!"

Aramand rieb sich die Schläfe. "Hast du getrunken? Ich hab auf deiner Bühne um dein Leben und, noch viel wichtiger, mein Leben gekämpft. Ohne mich wäre die Hälfte deines Publikums jetzt tot oder läge im Sterben."

"Ohne dich hätte ich dieses Problem nie gehabt, Problemlöser", grinste Tork und schlug einmal kräftig in die Saiten. Ein Dröhnen erfüllte die Halle. Kopfschmerzen! "Die Fans sind glücklich, ich hab meinen Slasher und du hast einen ordentlichen Arschtritt kassiert. Ein rundum gelungener Abend." Er fuhr sich durch seine lächerlichen Flechthaare und lachte laut auf.

"Manliwar und seine psychotische Hexentochter sitzen im Gefängnis, vier oder fünf Feuerelemantare sind gebannt und ich stehe mit dir auf einer Bühne", konstatierte Aramand. "Insgesamt ein klares Verhältnis." Er sah sich nochmal in diesem dreckigen Schuppen um und fand, dass das Verhältnis deutlich zu Gunsten Manliwars ging.

"Du bist auf der Bühne vor dem alten Tork niedergekniet und hast mir mein Schätzchen überreicht", sagte Tork und streichelte seine Gitarre, während sein dummes Grinsen immer breiter wurde. "Gilt das nicht als vollwertiger Arschtritt für Aramand den Fehlerlosen?" Wieder lachte er laut auf. Aramand verzog schmerzverzerrt sein Gesicht und fasste sich an die Stirn. "Was ist los mit dir?"

"Hör auf, hier herumzugröhlen", verlangte Aramand, während er sich die Stirn massierte.

"Ich bin's, Mann! Ich halt nie das Maul!", rief Tork und ließ einen weiteren Schwall schmerzenden Lärms durch die Halle branden. Wenn Tork wütend war, war er lästig. Wenn er weinerlich war, ein Ärgernis. Aber wenn er sternhagelvoll und glücklich war, dann war es nur Aramands tiefe Gutmütigkeit, die ihn davon abhielt, den Halbork langsam erfrieren zu lassen. "Aber weil du es bist, werde ich wenigstens leiser Ich sein." Als ob...

"Zu großzügig, aber ich gehe jetzt sowieso", sagte Aramand und nahm seinen Gehstock, der an der Bühnenwand lehnte. Er humpelte, seitdem eine wenig dankbare Sukkubus ihm in den Fuß geschossen hatte. Die Wunden heilten nur langsam.

"Ja, lass mal wieder was von dir hören", verabschiedete ihn Tork und winkte, obwohl Aramand noch nicht einmal losgegangen war.

"Jaja." Aramand humpelte die Treppe an der Bühnenseite herunter. Weg hier, einen Träumertrank schlucken und dann für eine Stunde hinlegen, das brauchte er jetzt. Ach, und vergessen, dass diese Abende je stattgefunden haben.

Er hatte die Halle zur Hälfte durchquert als: "Aramand." Er drehte sich nochmal um und sah Tork, ernst in die Leere starrend und schwankend am Rand der Bühne stehend, die Gitarrenaxt in der Hand. "Fällt es dir so schwer, mal was getan zu haben, wofür kein normaler Mensch sich schämen muss?" Aramand schwieg. Tork ließ enttäuscht die Schultern hängen, als hätte er eine Antwort erwartet. Dann seufzte er. "Wie auch immer: Danke. Ehrlich."

Aramand nickte und wandte sich ab. Wie auch immer...
 

Kraven

Lernender
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Ohne zu Zögern geht dieser Punkt an Scot.

Ich habe gelacht bei dieser Geschichte. Laut. Zwischenzeitlich immer wieder gegrinst, und bei manchen Gelegenheiten den spontanen Drang verspürt, einen Moshpit zu starten (Manliwar :D:up: ).
Die Geschichte an sich könnte runder sein, aber das wird durch das Zusammenspiel der Charaktere sowas von ausgeglichen... ich mag es wirklich, wie gut du Tork getroffen hast.

*verneigt sich*
Hat mir grad den Tag gerettet :)
 

Micha

Kutte
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Wow, also ich bin ja eigentlich ein Fan von Kravens Schreibstil... aber Idee und Ausformulierung sowie generell die Dialoge zwischen beiden lassen mich den Punkt an Scot geben.

Außerdem hats mir nicht ganz so gut gefallen, dass in Kravens Geschichte eine komplett fremde Person die Hauptrolle spielt und sein eigentlicher Charakter quasi nur schmückendes, aber verzichtbares Beiwerk ist.

[ironie]Wenn ich schon keine Ahnung habe, wie ich einen Metalbarden in ne Mittelaltergeschichte einbinden soll, dann soll der, der sich den Charakter ausgedacht hat, sich nicht so einfach aus der Affäre ziehen können.[/ironie] :D
 

Timestop

Running out of Time
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Mein Punkt ging an Kraven.
Gut, die beiden Hauptdarsteller sind nur Randfiguren und bringen den Schuss Humor (spitze) rein der das ganz kontrastiert, Abseits der eigentlichen Story, wo eine psychotische Kill Bill-Heroin (obwohl da gar nichts heroisches mehr bleibt) auf wirklich drastischte Art Rache übt (obwohl da ein anderer hiesiger Charakter ja viel passender gewesen wäre für). Und so den Magen verklebt bei der Darstellung der Rache hat mir hier schon lange kein Schreiberling mehr.
Die Vorlage so perfekt wie möglich eingesetzt. Das offene Ende, naja, verzeihen wir es mal.

Und dabei bringt Scot sein bestes Werk indem er eine kurze, humorvolle Episode macht und alles persifliert was bei 666 nicht auf den Bäumen ist. Kravens Tork darf Amarand sogar ein bisschen verbal in die Eier treten. Toll.
 

Mantis

Heilende Hände
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Mein Punkt ging an Kraven.

Obwohl ich zugeben muss, dass mich Scots Geschichte durchaus auch zum Lachen gebracht hat, und ich auch finde, dass Scot Tork ziemlich gut getroffen hat... völlig überzeugen konnte mich diese Geschichte nicht. (Warum, kann ich nicht gut begründen...)
Trotzdem: diese Geschichte finde ich bedeutend besser als deine bisherigen in diesem Wettbewerb. :up:

Überzeugen konnte Kravens blutiger Rachefeldzug mit unbekannter Protagonistin zwar auch nicht völlig, aber, naja, ich schätze, das fiel bei mir unter "Bauchentscheidung". Schwierig zu beschreiben, was es nun tatsächlich ist, was mich dazu gebracht hat die Geschichte ohne Pause durchzulesen (was ich zur Zeit bei vielen anderen Geschichten nicht schaffe), ab er es hat etwas mit dem Gefühl zu tun, das Schreibstil, Thema und Protagonisten in mir verursachen.
 

Christa

Universaldilettantin
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Mein Punkt geht an Scot d'Arnd.

Kravens Geschichte ist zwar gut geschrieben, aber sie erzählt für meinen Geschmack zu wenig von Tork und Aramand.
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Großes Kompliment. Gaaaanz knapp geht mein Punkt an Kraven, aber eigentlich finde ich das schon wieder unfair.

Denn Scot schreibt die beste Geschichte bisher in seiner Wettbewerbskarriere, und das heißt was, denn ich fand alle seine Geschichten gut. Der Mann kann einfach erzählen. Das ist stimmig, die Bilder sind farbenfroh, plastisch und nicht kitschig oder überladen, die da in meinem Kopf entstehen. Und das geht mir schon seit seinem Vorstellungspost so, dass ich mir immer wieder sage: warum liest man sonst nix von dem, das ist einfach gut. Ich hab auch die ganze Zeit Lust, mit eine Pelle und Aramand Geschichte zu schreiben, einfach weil der rechtschaffene strubbelige unerfahrene Ermittler mal auf diesen glatten, mit allen Wassern gewaschenen Verschleierer treffen muss. Und Scot gelingt es - besser als Kraven - eine richtige Fantasy-Geschichte zu schreiben, und trotzdem Tork als Metal-Barden rauskommen zu lassen, der seinem Instrument natürlich einen Namen gibt - usw. Außerdem kriegt Aramand jetzt auch mal ein paar Schrammen ab, auch das tut dem Char einfach gut.

Kraven dagegen schafft diesmal keine so brillante Tork-Geschichte, tatsächlich wird der Barde nicht wirklich gebraucht für den Plot. Und so hundertprozent stimmig ist dieses Kill-Bill-Setting nicht an allen Punkten. Denn warum müssen der Barde und die Schankmaid sterben? Die Hauptperson will Rache nehmen, und das blutig - aber warum sie völlig unbeteiligte metzelt, scheint mir nicht plausibel. Wollte da der Erzähler seine Lust an der Schilderung des im Regen verrinnenden Blutes einfach noch mal ausleben?

Aber genau damit hat er mich gekriegt: Das kann keiner so gut wie er, diese ausgestalteten Szenen, diese Tiefenschärfe jedes einzelnen Bildes, diese Intensität bei der man nicht nur Farben und Formen, sondern auch Geräusche, Gerüche und Temparaturen wahrzunehmen meint, wenn man irgendwelche digitalen Buchstaben vom Monitor abliest. Und das ohne weitschweifig oder kitschig zu werden, sondern mit einfach mit Präzision, mit Können und Genie.

Also überreiche ich Scot die ehrenvolle Fahne der klassichen Erzählkunst und Kraven den Punkt.

ZORA
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Punkt an Kraven, und zwar eindeutig und sofort nach dem ersten Lesen beider Geschichten.

Nachdem ich die überragenden Geschichten von Mantis, Micha und skull gelesen habe, wollte ich Kraven vs Scot nicht mit zu hohen Erwartungen lesen, also habe ich eine Pause eingeschoben.

Stilmäßig gibts diesesmal gottlob nichts zu meckern, also kann ich mir der Himmel sei Dank den Versuch sparen, zu erklären, was ich an einem Stil schlecht finde. Das ist nämlich tierisch schwer, da sitze ich dann Stunden dran, und später werde ich dann auch noch für meine Wortwahl beschimpft.

Kravens Geschichte hat mich von Anfang an mitgerissen und gefesselt. Gerade die Einleitung ist einfach absolut meisterhaft. Später wirds so richtig düster, als die Rächerin beginnt, auch Unschuldige wie die Familien der Täter brutal abzuschlachten. Bedrückend ! Insgesammt von der Qualität der Geschichte mindestens sehr nach dran an dem, was Micha etc gemacht haben.

Scot hat mehr so eine Art Posse geschrieben. Bevor sie mich wirklich mitreißen konnte, war sie auch schon wieder vorbei. Das konnte für mich mit Kravens Geschichte eindeutig nicht mithalten, selbst wenn man den Schönheitsfehler mit einrechnet, das Kraven die Hauptfiguren nur so nebenbei erwähnt hat.
 
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