Hanks Story, part 9

Chinasky

Dirty old man
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Und weiter geht’s. Wie gewohnt zuerst die Warnung an alle Eltern und Bedenkenträger: Hank ist ein Schand- und Drecksmaul. Das bedeutet: er nimmt Worte in den Mund, mit welchen andere nicht einmal ihren Abort behelligen würden. Er ist kein Vorbild für die Jugend, sondern ein Hauptgrund für die Pisa-Katastrophe. Wer sich verhält wie er (also so redet oder denkt) gehört geteert, gefedert und für ewig und drei Tage aus dem Forum verbannt. Klar?!

Wir rekapitulieren: Hank sitzt in seinem Wohnzimmer, verkatert. In diesen Zustand absoluter Normalität dringen Sarah und Meike aus Deutschland. Zwei Blondinen! Das kann nicht gut ausgehen. Hank würde ihnen gern was reinstecken, doch sie machen’s umgekehrt und drücken ihm einen Stecker ins Ohr. Das verfrachtet ihn mitten hinein in’s Web und damit an die Schwertküste. Dort kommt er weit herum und macht sich überall nur Freunde. Wir verließen ihn im letzten Teil, als er gerade in trauter Runde solcher Freunde auf einem Wägelchen einem Erholungsurlaub auf dem Lande entgegenzuckelte. Allright Leute, schnallt Euch an, die Fahrt geht weiter!

Man merkte, daß es Richtung Norden ging. Irgendwann am frühen Nachmittag hörte der Regen auf. Es gab Graupelschauer als Ersatz. Die Ochsen mußten ranklotzen, denn die Straße fing an zu steigen. Weil der Wagen sich jetzt in Schräglage befand, rutschten wir auf unseren schmierig nassen Längsbänken zusammen. Hüfte an Hüfte klebten wir aneinander, demjenigen, der ganz hinten auf der Bank saß, wurde vom Gewicht der fünf bergauf Sitzenden der Arsch zusammengepreßt. Ich saß ganz hinten. Auf der anderen Bank hatte ein Zwerg die Arschkarte gezogen. Er schien es nicht zu merken, vielleicht besteht der Hintern von Zwergen aus Molybdänstahl. Also ließ ich mir auch nichts anmerken, sondern verengte meine Augen zu Schlitzen. Ich war ein eiskalter Typ. Einer von den harten Knochen. Mich kriegten sie nicht so schnell klein. Ich hätte dem Teufel ohne Probleme die Hörner rausgedreht. Hatte schon ganz andere Sachen weggesteckt. Das hier war gar nichts! Nur ungefähr eine dreiviertel Tonne grünliches Fleisch, das meinen Hüftknochen einer kleinen Belastungsprobe unterzog. Kein Thema. Ich schwieg, starrte in die von Graupelschleiern verhangene Bergwelt und wackelte mit dem Kopf wie eine Sexpuppe. Ab und an knackte irgendwas in mir.

Ungefähr um vier Uhr erreichten wir das Holzfällercamp. Es handelte sich dabei fast schon um ein kleines Dorf. Ein gutes Dutzend eng beieinander stehender Blockhütten bildete ein Halbrund um einen großen Platz. Der Platz bestand aus Matsch und da hindurch gezogenen Spurrillen, eingesprengten Pfützen und allerhand Abfall. Sehr übersichtlich. Unser Ochsenkarren hielt direkt auf diesem Platz. Wir durften absteigen. Kaltfeucht umschloß zur Begrüßung der Bergmodder meine Schuhe und kletterte neugierig über ihren Rand. Marlsen hatte gesagt, wir sollten unsere eigene Arbeitskleidung mitbringen. Ich besaß eine Unterhose, eine Hose, ein Hemd, einen Pullover, eine Jacke, ein Paar Strümpfe und dieses Paar Schuhe. Das war mein ganzer Besitz und ich verdankte ihn Jaheiras Schwager, der mich damals aus irgendeinem Grund in sein Herz geschlossen hatte. Mit genug Geld für mehrere Garnituren Kleidung hätte ich mir keinen Job suchen brauchen.

Marlsen teilte unsere Gruppe verschiedenen Blockhütten zu. Jede Hütte hatte eine Nummer. Ich kam als einziger in die Hütte Nummer 7. Sieben war meine Glückszahl.
„Okay“, sagte Marlsen, „Ihr hab eine Viertelstunde, euren Kram in eurer Unterkunft zu verstauen und euch umzuziehen. Danach treffe ich euch vor Main Hall, dem großen länglichen Haus dort drüben.“ Er deutete auf ein ziemlich großes Gebäude, das den Hüttenhalbkreis an der linken Seite direkt an eine Felswand angelehnt abschloß. Wir gingen los, jeder in seinen Holzverschlag.

Die Blockhütten trugen Nummern. Aber sie waren nicht nach diesen Nummern angeordnet. Es dauerte eine Weile, bis ich Nummer Sieben fand. Sie lag fast am entgegengesetzten Ende zur Main Hall. Sie maß ungefähr neun mal sieben Meter, mit niedriger Decke. Es stank drinnen nach Füßen und angeschimmeltem Brot. Aber es war warm und trocken. Außer einem Koksofen standen sechs Betten herum, sechs Spinde, ein großer runder Tisch und vier Stühle. Ich fragte mich, wo die restlichen zwei sitzen sollten, falls die Bude mal voll belegt war. Im Moment schien aber außer mir nur ein anderer Typ hier zu wohnen, er hatte sich das Bett neben dem Tisch ausgesucht. Alle anderen sahen unbenutzt aus. Ich nahm das Bett ganz hinten in der Ecke. Es lag zwar direkt unter einem Fenster, das garantiert nicht dicht abschloß. Aber ein bißchen Zug nahm ich in Kauf, wenn ich dafür beim Schlafen den Rücken frei hatte. Vor dem Bett standen zwei Spinde und schirmten es so ein wenig ab.
Ich zog meine Schuhe aus, ging vor die Tür, kratzte den Dreck ab. Dann stellte ich sie auf einen der Stühle, zog mich bis auf Hemd und Unterhose aus, hängte meine restlichen Klamotten auf die Bügel in einem der freien Spinde, legte mich in mein Bett, zog die Decke bis hoch ans Kinn und schlief ein.
Als ich geweckt wurde, war es schon dunkel. Die Tür ging auf und ich hörte ein bißchen Rumpeln und Poltern. Jemand zündete eine Öllampe an. Ich kniff die Augen zu und stellte mich schlafend. Jemand kam relativ nahe an mein Bett ran und hielt die Lampe hoch, um mich besser begutachten zu können. Danach hörte ich noch ein bißchen Rumgeschlurfe, das Quietschen von Spindtüren, ein dünnes Husten, Geräusche von jemandem, der sich Arbeitsklamotten vom Leib schälte, eine Portion Rotze hochzog, ausspuckte, eine Öllampe ausdrehte, sich in ein Bett legte, ein Weilchen rumstöhnte und zu schnarchen begann. Mein Zellengenosse schien erträglich. Bald war ich wieder eingeschlafen.

Draußen verwandelte sich das Tintenschwarz der Nacht gerade in ein bräunliches Grau. Ich erwachte mit Kopf- und Rückenschmerzen. Seit eineinhalb Tage hatte ich nichts mehr gegessen und seit mehr als zwei Tagen keinen Alkohol mehr gesehen. Normalerweise hätten sich zu diesem Zeitpunkt schon meine Gedärme verknotet und ich in meinem eigenen kalten Schweiß bootfahren können. Die gute Landluft schien die Symptome etwas zu mildern. Trotzdem brauchte ich jetzt dringend etwas zu trinken. Mein Zimmergenosse wachte gerade auf.
„Hi, bist du einer von den Neuen?“, fragte er.
„Yep, bin gestern angekommen.“
„Dachte ich mir schon. Hat Marlsen euch gestern nicht gleich seine große Einführungsrede gehalten und die Arbeitsplätze zugeteilt? Ich frag nur, weil du schon so früh in der Koje lagst.“
„Die Einführung hab ich mir geschenkt. War müde.“
Er lachte. „Ja, man muß hier gleich zeigen, daß man keiner von denen ist, die sich rumschubsen lassen.“
„Genau.“
„Ich heiße Tom. Wie ist dein Name?“
„Hank.“
„Hallo Hank!“, sagte er.
„Hallo Tom.“, sagte ich. Und dann: „Sag mal, weißt du, wo man hier was gegen den Durst kriegen kann?“
„Du meinst, so’n kleinen Muntermacher?“
„Jep, etwas in der Art.“
„Ich hab ne angebrochene Flasche im Spind stehen. Weinbrand. Wenn du’n Schluck möchtest?!“
„Wäre nicht abgeneigt.“
„Okay, genehmigen wir uns einen und begrüßen diesen herrlichen neuen Tag!“, sagte er. Er wälzte sich aus dem Bett, ging rüber zu seinem Spind, schloß ihn auf und holte eine gut halbvolle Flasche raus. Auf einem an die Wand genagelten Brett standen ein paar alte, schmutzige Gläser. Er nahm sich zwei davon und kam zu mir rüber. Er setzte sich auf den Rand von meinem Bett, wischte den Dreck aus den Gläsern mit einer Ecke seines Hemdes raus und schenkte dann uns beiden ein. Er machte die Gläser randvoll und reichte mir eins davon. Seins hob er hoch.
„Na denn, Hank: Willkommen im Lager!“
„Vielen Dank für die freundliche Aufnahme!“
Wir leerten unsere Gläser beide auf ex. Es war der letzte Fusel. Eisenspäne mit Glasscherben gewürzt. Garantiert illegal gebrannt. Wahrscheinlich würden wir davon erblinden. Als das Zeug allerdings mein Körperzentrum erreichte, entspannte sich dort so einiges. Angenehme Wärme breitete sich in mir aus. Meine Hände wurden ruhig. Das Klopfen in den Schläfen ließ nach. Das Zeug mochte reines Gift sein, aber es wirkte. Tom schenkte nach. Wir kippten bedächtig das zweite Glas und sahen durch die bereiften Fensterscheiben dem Morgen beim Heraufdämmern zu.
„Du, Hank?“
„Yep.“
„Hast du Lust, wenn ich mit bei dir unter die Decke krieche und mich ein bißchen wärme?“
„Oh Shit, Mann, versteh mich nicht falsch, ich will nicht undankbar erscheinen oder so. Aber das ist einfach nicht meine Richtung.“
„Naja, auch egal. Komm, aller guten Dinge sind drei.“
Der schwule Tom schenkte ein drittes Mal ein.


„Hey Chinasky, wo hast du gestern gesteckt?“ schnauzte mich Marlsen an, als ich mich bald darauf mit den anderen in der großen Hütte anfand, in welcher das Frühstück eingenommen wurde.
„Hatte mich im Wald verlaufen.“
„Im Wald verlaufen? Sag mal, willst Du mich verscheißern?“
„Nein, Sir, ich war im Wald und wollte mir einen Überblick über die anstehende Arbeit verschaffen. Aber es wurde schon verdammt früh dunkel und so, und dann hab ich mich verlaufen und erst vor ein paar Stunden durch pures Glück wieder zurückgefunden.“
Ich setzte meinen intensivsten Dackelblick auf. Konnten solche Augen lügen? Marlsen war sich nicht ganz sicher.
„Okay, Chinasky, das eine Mal laß ich dir das noch durchgehen.“
„Vielen Dank, Sir!“
„Aber jetzt gibt’s ein Problem. Die anderen neuen Jungs sind schon alle auf ihre Arbeitsgruppen eingeteilt worden. Ich weiß nicht, wohin ich Dich stecken soll...“
Tom mischte sich ein: „Mister Marlsen, ich bräuchte ganz dringend jemanden, der mir beim Auszeichnen hilft. Ich komme mit der Arbeit nicht mehr hinterher, und Hank hat den richtigen Blick für sowas. Er war doch mal Künstler, hat ein ästhetisches Empfinden und all das.“
Marlsen grunzte. „Hmpf! Ästhetisches Empfinden. Scheiße! Dieser verdammte Sauerkrautfresser will sich bloß vor richtiger Arbeit drücken.“
„Doch, doch, Mister Marlsen. Er kann mir wirklich helfen. Er wäre die beste Lösung! Er hat den Blick drauf, er kennt sich aus mit den Bäumen und den Standorten und dem gesunden Wachstum und so. Er hat sich ja gleich gestern noch einen ersten Eindruck verschafft. Das zeigt, er hat die richtige Einstellung zur Waldhege und –pflege.“ Tom schwallte Marlsen noch geschlagene fünf Minuten voll, während ich daneben stand und mein Förstergesicht zog. Schließlich war Marlsen die Diskussion leid:
„Na meinetwegen... Komm nachher zu mir ins Büro, Chinasky und ich sag Dir genau, was zu tun ist.“
Ich hatte den Job. Obwohl ich Tom gar nicht rangelassen hatte...

Nach dem Frühstück ging ich rüber zu Marlsens Büro.
„Hör mal, Kraut, du hast Schwein gehabt. Tom sagt, du bist der perfekte Mann zum Auszeichnen. Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben kann, aber meinetwegen. Merk dir jedoch: ein Patzer, und du bist deine Farbeimer los und wirst zu den Schleppern eingeteilt. Klar soweit? Okay. Ich teile Dir die Areale Planquadrat 17h bis 17j zu. Das ist ein einfaches Waldstück im Norden, da solltest Du zurecht kommen. Bis übermorgen mußt du da fertig sein, denn dann sind die Fäller mit den Arealen 16h bis 16j fertig. Mach hinne, damit die nicht auf dich warten müssen, verstanden?“
„Jawohl, Sir, bis übermorgen werde ich dort alle Bäume ausgezeichnet haben.“, sagte ich und wollte losziehen.
„Chinasky?!“
„Ja, Sir?“
„Mach den Job verdammt nochmal gründlich, klar? Und beachte das Rauchverbot im Wald!“
„Ich denke dran, Sir!“
„Gut, dann mach dich vom Acker!“
„Sehr wohl, Sir, wir sind ja Waldarbeiter und keine Ackerknechte...“
„Willst du mich verscheissern?“
„Nein Sir, das war als Scherz gemeint, mit Verlaub...“
„Selten so gelacht. Also los, ihr werdet nicht für’s Rumstehen bezahlt!“

Als ich draussen war, ging ich über den Platz rüber so weit in den Wald, bis mich keiner mehr sehen konnte. Von einem Baumstumpf fegte ich mit dem Ärmel ein paar Klumpen Schnee runter, setzte mich hin und steckte mir eine an. Versonnen blickte ich den mäandernden Fäden des blauen Dunstes nach. Aus den Nadeln der Fichte über mir löste sich ein Tropfen und ditschte mir auf die Nase. Ich dachte an Sally, die jetzt bestimmt noch ihren weichen Hintern in den warmen Kissen hin und her wälzte. Ich dachte daran, wie verführerisch sie morgens immer roch, wenn sie am Abend vorher nicht ebensoviel gesoffen hatte wie ich. Ich dachte daran, wie ich sie manchmal beim Schlafen beobachtet hatte, wie sie leise und unverständlich irgendwelche Sachen im Traum nuschelte, mit reizend gespitzten Lippen, wie sie, ohne aufzuwachen, sich mit den Händen durch ihre rotgoldenen Haare fuhr und sie dadurch noch mehr durcheinanderbrachte. Ob Sally mich vermißte? Ob sie es bedauerte, ihren armen Hank in diese gottverdammte Gegend geschickt zu haben? Ob sie befürchete, ich könne mir hier im arschkalten Wald eine Lungenentzündung zuziehen?
Ich schnippte die Kippe ins Gebüsch, wuchtete mich hoch und machte mich auf die Suche nach Tom.

Meine Arbeit sah so aus: Ich kriegte zwei kleine Eimer. Einen mit roter und einen mit blauer Farbe. Damit wurde ich in das Waldstück geschickt, welches als nächstes „durchforstet“ werden sollte, und das Marlesen großkotzig als Areal bezeichnet hatte. Die Bäume in diesem Areal waren unterschiedlich groß, lang, dick, dünn, krumm, grade. Die kleinen Bäume mußten stehen bleiben für später. Die großen Bäume mußten abgehackt werden. Aber auch nicht alle, denn ein paar mußten stehenbleiben aus irgendwelchen ökologischen Gründen. Nur zweierlei Arten von Bäumen wurden geschlagen: Die guten Stämme, die glatt und gerade emporwuchsen, mit wenig Ästen in den unteren Regionen und einer vernünftigen Dicke, daß man daraus breite Bretter, Planken oder sogar Furniere herstellen konnte. Solche Bäume wurden mit einem blauen Kreuz markiert. Das blaue Kreuz bedeutete: Dieser Baum soll geschlagen werden, und zwar ganz unten an der Erde, damit wenig Holz verloren geht. Der Stamm muß ordentlich behandelt werden, auch beim Transport aus dem Wald heraus. Denn er ist viel Geld wert.

Dann gab es die anderen Bäume, die zwar auch alt und ausgewachsen waren, aber krumm und schief und mit vielen Ästen. Diese Bäume sollten auch geschlagen werden, allein schon, damit andere Bäume, die nachwuchsen, mehr Licht bekamen. Aber das Holz dieser Krummbäume war kaum zu gebrauchen, es taugte höchstens zum Schreddern. Solche Bäume kriegten einen blauen Kringel. Der bedeutete: Dieser Baum muß raus, aber viel Mühe braucht man sich mit ihm nicht zu machen. Ab damit, meinetwegen auch erst in Hüfthöhe.

Dann gab es noch die jungen Bäume. Wenn einer dieser Bäume besonders vielversprechend aussah, dann bekam er ein rotes Kreuz. Das hieß: Dieser Baum darf momentan auf keinen Fall berührt werden, er soll wachsen und gedeihen und wenn wir mehr Zeit hätten, sollten wir ihn jeden Tag mit liebevoller Geste gießen. Um solche Zukunftsträger herum mußte aber Platz geschaffen werden, damit sie sich entfalten konnten: krummes Kroppzeug in ihrer Nähe wurde vernichtet. Allerdings durfte auch nicht zu viel Platz um sie herum frei werden, damit sie weiterhin schön nach oben statt zur Seite wuchsen: Alleinstehende Bäume mochten schön sein, aber ihr Holz war viel zu astig.

Die vierte Kategorie waren Bäume, die zwar noch jung, aber schon verdorben waren: Bäumchen, die krumm und schief wuchsen, deren Spitzen von Schädlingen befallen waren, sodaß sie um die Ecke und nicht gerade empor wachsen würden in den nächsten Jahren. Diese Exemplare mußten vernichtet werden, weil sie oft Krankheitserreger oder Schädlinge enthielten und außerdem ihren properen Nachbarn die Nährstoffe streitig machten. Sie kriegten einen roten Kringel: Weg damit, ohne viel Aufwand.

Tom nahm mich die ersten zwei Stunden mit und erklärte mir, worauf ich zu achten hatte, welche Bäume welche Farbe bekamen und welche Bäume auch gar nicht bemalt werden mußten

„So, jetzt du!“, sagte Tom, „Die Buche da drüben, was würdest du ihr für ein Zeichen geben?“
Die Buche ragte bestimmt 15 Meter glatt empor, bevor sich der erste kleine Seitenast schüchtern hervortraute.
„Blaues Kreuz.“
„Richtig! Wunderbar! Du hast das Auge, Hank, du bist ein Naturtalent! Klasse! Okay, der kriegt ein Blaues Kreuz. Und die beiden kleinen schrumpeligen Krüppelfichten nebenan?“
„Hhm. Ich würde sagen...“
„Jaaa?“
„Rote Kringel drauf.“
„Richtig! Genial! Hank, du hast es raus, du bist ein Profi, keiner kann dir das Wasser reichen!“
Tom hüpfte vor Freude im Kreis. Ich hatte die Prüfung bestanden und durfte nun allein losziehen.

Ich ließ mir Zeit bei der Arbeit. Ich trug jetzt Verantwortung, für den Wald, für das Land, für kommende Generationen. Allerdings war es anstrengend, mit zwei Eimern gleichzeitig durch die Gegend zu rennen. Wenn ich eine Hand frei behalten wollte, mußte ich sie entweder beide in einer Hand tragen, oder ich mußte sie mir an dem Gürtel befestigen, wofür sie extra eine bestimmte Art von Gürtelhaken an den Griffen hatten. Dann klöterten sie aber gegeneinander wie Bulleneier, sobald ich mich schneller als eine mit Baldrian behandelte Nacktschnecke bewegte. Ich nahm also zuerst nur den roten, später nur den blauen Farbeimer und malte die Bäume an. Immer abwechselnd ein Kreuz und einen Kreis. Dazwischen ließ ich immer zwei Bäume unbemalt. Das war mein System. Wenn ich eins gelernt habe im Leben, dann dieses: Arbeite nach System! Keine unnützen Denkanstrengungen bei der Arbeit! Flexibilität verbraucht viel zu viel Kalorien. Ich wurde für die Zeit bezahlt, die man mir stahl, nicht für meine Seele. Man konnte sich beim Arbeiten nicht auf die eigenen Träume von Sally und ihren phänomenalen Brüsten konzentrieren, wenn man die ganze Zeit angestrengt darüber nachdachte, welcher Baum nun welche Art von Zeichen benötige. Ich verteilte die Farbe im Wald, das mußte genügen. Um es nicht zu eintönig wirken zu lassen, korrigierte ich manchmal, strich einen Kreis durch und machte ein Kreuz darunter oder andersrum. Das sah dann so aus, als hätte ich mir besonders viele Gedanken bei einem Grenzfall gemacht und hätte ein vorschnell gefaßtes Urteil nach ernsthafter Prüfung des Falles doch noch revidiert. Ich war ein ganz schlauer Fuchs. Pinselschwingend marschierte ich durch die Botanik und meditierte über Sallys Möpse.

Wir Waldarbeiter gehörten verschiedenen Völkern an, wie ich bald erfuhr. Die grünhäutigen Riesen waren Halborks. Die kleinen Panzerschränke waren Zwerge. Dann lebten noch eine Hand voll Menschen im Camp und Tom war, wie sich irgendwann herausstellte, ein Elf. Er hatte lange, spitze Ohren.

Die Halborks hielten zusammen. Die Zwerge hielten zusammen. Die Menschen nicht.

Genaugenommen war ich der einzige menschliche Waldarbeiter, die anderen arbeiteten in der Küche, im neben dem Essenssaal befindlichen Drugstore oder in der Buchhaltung. Marlsen war der Boß hier. Er saß den ganzen Tag in seinem Büro und betatschte seine Sekretärin. Sonst gab es kaum Frauen im Camp, von einer alten Köchin und einer verwarzten Waschfrau mal abgesehen.

Die Arbeitsteilung unter uns Waldarbeitern war einfach: Tom, der Elf, verstand was von Bäumen, von der Hege und Pflege und so weiter. Deswegen war er der Auszeichner, der mit seinem kenntnisreichen Blick entschied, welche Bäume gefällt und welche verschont werden sollten. Für die Zwerge gab es keinen erkennbaren Unterschied zwischen einer Zitterpappel und einer Krüppelkiefer. Dafür waren sie in einer Disziplin unschlagbar: große, scharfe, schwere Äxte zu schwingen. Sie waren also die Holzfäller.
Die Halborks verstanden sogar noch weniger von Bäumen als die Zwerge. Pflanzen waren für sie lediglich wehrlose Wesen, denen man ungestraft weh tun durfte. Sie transportierten die Bäume ab, welche die Zwerge gefällt hatten. Pro Baumstamm wurde da selten mehr als ein Ork benötigt. Sie hatten stählerne Schlepphaken mit einem Hohlgriff am Ende. Damit schlugen sie in die Stämme. Dann krachten sie mit dem Baum im Schlepptau durchs Unterholz und machten sich einen Spaß daraus, möglichst viele unbeteiligte Büsche, junge Schößlinge und Farnkräuter mit niederzuwalzen.

Nach der Arbeit gab es nicht viel Zerstreuung im Camp. Im Drugstore konnte man Zigaretten, Bier und Erdnüsse zu überhöhten Preisen kaufen. Zwar hatte ich noch kein Geld, aber man konnte anschreiben lassen in Höhe eines Monatsverdienstes. Offiziell gab es keine Getränke ausser Bier und Limonade zu erstehen.
Überall im Camp waren Schilder mit mahnenden Appellen aufgestellt worden: „Arbeiter, bewahre dir deine Gesundheit! Trunkenheit im Wald kann zu Arbeitsunfällen führen! Die Ameisen sind die größten Arbeiter der Welt und sie trinken nie!“ Dazu gab es Zeichnungen von fröhlich und nüchtern schuftenden Waldameisen und daneben Bilder von augenscheinlich betrunkenen Halborks, denen ein Baum auf den Schädel knallte. Sehr suggestiv, diese Aufklärungsplakate.

Aber alle wußten, daß der Drugstore-Verkäufer hinten im Lager einige Kisten mit Schnaps, Whisky und anderen Spezialitäten stehen hatte. Dieses illegale Zeug war natürlich noch viel mehr überteuert als die legalen Waren. Ich wäre wohl mit meinem Monatskredit nicht weit gekommen, wenn Tom nicht einen Hang zu den Karten gehabt hätte.
Er spielte ebenso begeistert wie schlecht Poker. Anfangs hatte ich gemeint, er habe eine besonders abgefeimte Art, den Gegenspieler zu verunsichern. Doch nach ein paar Anfangsverlusten hatte ich raus, daß man ihm am Gesicht seine Karten so deutlich ablesen konnte, wie wenn er sie offen auf den Tisch gelegt hätte. Falls er ein mieses Blatt hatte, hingen seine Mundwinkel knapp über dem Hosenbund. Falls er dagegen ein Full House oder gar einen Straight Flash auf der Hand hielt, grinste er über alle vier Backen. Eigentlich war es unter meiner Würde, sowas auszunutzen. Aber der Drugstore-Mann war knallhart und gab mir keinen Rabatt bei meinen Großeinkäufen. Daher war ich gezwungen, Tom zu schröpfen.

Eines Abends, als ich schon über einen Monatslohn von ihm gewonnen hatte, beging ich einen Fehler. Daß es sich um einen Fehler handelte, kam aber erst viel später raus.

Er guckte so traurig, als er jetzt schon zum fünften oder sechsten Male ein absolut mieses Blatt auf der Hand hielt, und da konnte ich mit meiner weichen Seele nicht anders.
„Hör mal, Tom – warum bluffst Du nicht zwischendurch auch mal ein bißchen?“
„Blufffst? Was ist bluffen?“
„Naja, was meinst Du denn, warum wir die Karten so halten, daß der andere sie nicht sehen kann?“
„Weil das so die Regel ist?!...“
„Ja klar, aber welchen Sinn hat diese Regel denn wohl?“
„... ?!...“
Und so weihte ich ihn in die Grundlagen des Bluffens ein. Er verstand nur halb und bluffte nachher dermaßen schlecht, daß mir beinah die Tränen kamen. Er aber war froh, etwas Neues gelernt zu haben.

Manches sollten wir vielleicht lieber nie lernen.
 

a Vecha

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Uff, ich würde es ja lesen, aber zuerst muss ich die anderen Teile noch lesen ;)
 

Eregion der Gerechte

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Wie haben wir darauf gewartet.:up:
 

Eagle

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Muss mich jetzt auch mal zu Wort melden :up
 

Nebressyl

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*rofl*
Genial wie immer. :up: :D
 

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Wie gewohnt, verdammt gut, Hank! :D
:up::up:
 

Cassandra

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:up: Danke Hank, ist wie immer genial :D
 

Advocate

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So langsam fängst du an, hier jeden mit deinen Geschichten ohne Belang zu langweilen, Hank.


Nein, war nur Spaß ;), mach weiter, deine stories sind natürlich wie immer eine wunderbare Lektüre an einem Sonntagsnachmittag. :)
 

Ulmo der Valar

Phlegmatischer Vala
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Wieder mal den Nachmittag verschwendet :rolleyes:
Aber dafür doch liebend gerne! :up::up:
 

Lexor

Bogenschmuggler
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mae govannen

Du toppst dich aber auch immer wieder selbst! :D Und das heute gleich zweimal. ;)
 

Timestop

Running out of Time
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Leider bin ich nicht zu konstruktiver Kritik fähig, daher.....
:D

einfach super :up::)


mehr......*lechz*
 

Beego

Tochter der Bastet
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Ich habe eine Beschwerde:
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Es ist zu kurz! ;)
 

Night Shadow

Papaschlumpf
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Danke Hank :) :up:

Ich werde Marlsen als herausragendes Beispiel in den "Kleynen Leytfaden fuehr noergelnde Moderatoren" aufnehmen :D ;)
 

Chinasky

Dirty old man
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Vielen Dank mal so in die Runde. :)

Aber eigentlich hatte Advocate schon recht mit seinem wohl eher nur halb ironisch gemeinten Statement: Mir selbst gefällt dieser Teil nicht so gut, er ist eine Art ungeratenes Kind, weswegen ich mich auch so schwer tat, ihn überhaupt mal vorzustellen... Es passiert ja nicht viel und irgendwie fehlen der Drive, der Saft.
Aaaaber: es brauchte mal eine Verschnaufpause, um die Startblöcke festzuzurren, aus welchen dann vielleicht der zehnte Teil lossprinten mag. In diesem Sinne: Danke an alle, die sich diesen Teil angetan haben, ich hoffe, sie mit dem nächsten für die Mühe entlohnen zu können. ;)

@Nighti: Na, ob der Leytfaden so kleyn sein wird, da habe ich so meine Zweifel... :p
 

Belgarion

Düsterdichter
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*So* schlecht isser gar net ;)
Weder so brutal oder sonstwas wie die andren... aber das gibts in jedem Buch (und es ist besser als in manchen Büchern weil zumiindest ncoh irgendwas passiert ;)
 
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