[Film] Der Pianist

Ciramon

Drachenkrieger
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Inhalt

Warschau 1939: der Berufspianist Wladyslaw Szpilman ist beim polnischen Rundfunk mit einem Klavierkonzert auf Sendung. Plötzlich wird das Gebäude erschüttert, ein ohrenbetäubender Knall stört die Harmonie des Stücks – der Sender wird bombardiert. Szpilman weigert sich zunächst, das Spiel zu unterbrechen, als die Studioleitung die Übertragung abbricht, begibt er sich mit ihnen nach unten.
Kurz darauf wird umgeblendet; die Wehrmacht hat die Stadt inzwischen erobert. Nun beginnt der Leidensweg des Pianisten. Als jüdischer Pole wird er zunächst vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und seiner Würde beraubt. Die Familie wird mit den anderen Warschauer Juden in neu errichtete Ghettos gesperrt, die Situation der Eingeschlossenen sollte geschichtlich bekannt sein. Nach einiger Zeit des Überlebenskampfes werden die meisten von ihnen zusammengetrieben und mit der Eisenbahn fortgebracht, auch Szpilmans Familie. Er selbst wird durch das Eingreifen eines polnischen Kapos gerettet. Eine Zeitlang arbeitet er mit einer Gruppe unter Aufsicht der Deutschen, mit Hilfe einer Bekannten kann er aus dem Ghetto fliehen. Er kommt in ständig wechselnden Verstecken unter; nach dem Aufstand der Warschauer muß er auch aus der letzten Zuflucht fliehen und irrt in der zerstörten Stadt umher. In einer Ruine schließlich wird er zufällig von einem deutschen Offizier gefunden, der ihn bis zum Abzug der Wehrmacht versteckt.

Anmerkungen

Der Film ist biographisch. Wladyslaw Szpilman lebte bis zu seinem Tod 2000 in Warschau. Man fand heraus, daß der Offizier, der ihn rettete, Wilm Hosenfeld, 1952 (!) in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager starb. Auch Regisseur Roman Polanski ist ein Überlebender der Shoah, insofern hat das Werk auch für ihn eine gewisse persönliche Bedeutung.

Meinung

Die Quintessenz der Handlung ist naturgemäß im Großen und Ganzen nicht unvorhersehbar. Die Stärken der Dramaturgie liegen in der leicht episodenhaften Erzählweise. Es wird in einzelnen Szenen konkret gezeigt, welchen Demütigungen und Belastungen die Menschen ausgesetzt waren: die Familie ist schockiert über die Anordnung des Judensterns, Wladyslaw muß feststellen, daß im Cafe keine Juden erwünscht sind, Hunger, Wahnsinn, Trauer und Elend ansehen und erleiden. Demütigungen unterschlägt Polanski genausowenig wie Erschießungen, die er filmisch nicht nur andeutet. Auch ein abendlicher Überfall eines deutschen Rollkommandos auf jüdische Familien wird vergleichsweise äußerst brutal geschildert. Man mag Polanski hier vielleicht Effekthascherei vorwerfen, aber ungeachtet der Theorie, daß angedeutete Gewalttaten schockierender wirken, sind diese Szenen doch sehr nahegehend und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Und angesichts der bekannten Grausamkeit der Besatzer wirken sie keinesfalls übertrieben oder fehl am Platze.
Trotzdem legt das Drehbuch auch Wert auf eine gewisse, unterschwellige Ausgeglichenheit: deutscher Soldat sein heißt nicht automatisch unmenschlich sein und es wird zumindest angedeutet, daß die Russen ihrerseits im Allgemeinen nicht besser waren als die Wehrmacht.
Die Schauspieler agieren sehr glaubwürdig, man kann die Besetzung guten Gewissens als gelungen bezeichnen.

Insgesamt - um ein weniges - nicht ganz so nahegehend wie manch anderer Vertreter dieses Genres, ist „Der Pianist“ doch ein eindrucksvolles und eindringliches Werk und wird seinen Platz neben „Schindlers Liste“ oder „Jakob der Lügner“ finden.
(im erweiterten Genre seien auch „Mississippi Burning“ und „American History X“ empfohlen)


Weder möge sich jemand angegriffen fühlen noch möchte ich eine Diskussion über Dekadenz und Oberflächlichkeit der Gesellschaft oder über Vergangenheitsbewältigung anstoßen. (:rolleyes:Spricht nicht gerade für die dt. Diskussionskultur, wenn man immer relativieren muß - als ob es nicht selbstverständlich wäre, Meinungen und Aussagen nicht zu verallgemeinern oder fahrlässig zu mißinterpretieren). Es soll nur erwähnt werden:

Es ist m.E. eine Schande, daß der Film in kleinen Kinos kleinerer Städte (aus Nachfragegründen) gar nicht gezeigt wird und selbst in der Großstadt bereits drei Wochen nach Filmstart erschreckend schlecht besucht ist (ca. 12 Personen).
Und zur gleichen Zeit läuft ein gigantischer Hype um „Austin Powers“...
 
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Stian

Rosebud
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Polanski wie man es gewohnt ist. Ein wirklich berührend in Szene gesetzter, toller Film.

In unserem Kino lief er im Kindersaal :rolleyes: und das gesamte Parkett war leer. Wir saßen mit 5 Leuten drin.
 

Lynx

Grinse-Wolf
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@Stian: Das ist bei guten Filmen meistens so. Aber ist auch nett, kann man die Fuesse wenigstens auf den Sitz vor einen legen, ohne dass sich jemand beschwert... :rolleyes: ;)
 
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Stian

Rosebud
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@Lynx

Leider nicht, im Kino wo ich war achten die schonmal drauf, was so im Saal passiert - und wenn nur eine Handvoll Leute drin sind erlaubt man sich lieber nichts :D
 

Chinasky

Dirty old man
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Naja - das Thema 3.Reich allein wird heute auch niemanden mehr ins Kino locken. Und Polanski ist halt ein Regisseur für Filme, die nicht als Blockbuster taugen. Wohl dem, der in einer Stadt mit "Programmkinos" wohnt. :)
 

Estefan

Away from Keyboard
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Ich mochte den Film überhaupt nicht.

Einige Längen, widerlich und ultrabrutal.

Diese Szene beispielsweise, wo die Nazi-Typen diese Familie auf die Straße jagen, umlegen und mit dem Auto über die Körper fahren - bäääh nöh wenn ich gewusst hätte, dass so Zeug da drin kommt, wär ich da garantiert nicht rein.

Dabei dachten wir noch, der Film wär relativ harmlos, weil da "FSK 12" auf dem Plakat stand, aber ich frag mich, wie der eine Altersfreigabe für 12-jährige gekriegt hat - "Starship Troopers" mit FSK 18 fand ich harmlos dagegen.

Für mich war "Der Pianist" eindeutig zu krass.
 

Tirion

Orkischer Philosoph
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hmmm ...

tja, so hab's ich auch noch entdeckt ... war am Kino-Dienstag drin gewesen. Und das große Kino war bis zur fünften Reihe fast komplett gefüllt ... nach mittlerweile 4 (?) Wochen. Also nix mit Desinteresse. Allerdings sind wir hier in Münster, was den Kinobesuch angeht, sowieso eine Art Ausnahme ... erstens, was die Gesamtzahl angeht, und zweitens, nun ja, eine gewisse Verachtung für "Austin Powers" & co.

Fand ihn persönlich sehr beeindruckend, auch wenn er sicher einige Längen hatte (Überlänge). Bei den Exekutionsszenen musste ich auch einmal wegsehen, nichts für schwache Gemüter. Wobei es eben, und das schlägt schwer auf den Magen, wirklich so abgegangen ist. Aber auch andere Bilder wirkten sehr einprägsam: der leere Hof nach der Deportation, auf dem die ganzen umsonst gepackten Koffer liegen geblieben waren zum Beispiel.

Und was ich auch selten erlebt habe: während des Abspanns, dem Klavierspiel, sind alle drin geblieben ...
 

Ciramon

Drachenkrieger
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Bei uns immerhin ein großer Teil..

Weiß eigentlich jemand, in welcher Szene die Mondscheinsonate verwendet wurde? Sie ist im Abspann erwähnt, habe sie im Film aber nicht erkannt.
 

Lynx

Grinse-Wolf
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Ich will jetzt keinen neuen Thread aufmachen, aber einen Film empfehlen:

Gloomy Sunday (Das Lied vom traurigen Sonntag)
Das ist wirklich wunderschön, am Ende relativ schockierend, spielt auch Anfang des 2. Weltkrieges (wobei das aber erst gegen Ende die Handlung beruehrt). :up: :)
 

Stian

Rosebud
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Kein Thread zum neuen Bond? Ich war in der Premiere drin, gestern nochmal. Allein wegen dem großartigen Intro... das beste am Film sind wohl die ersten 10-20 Minuten, das Feeling ist genau so wie in den Moore-Filmen. Endlich mal wieder die "bösen Kommunisten", die JB so kultig gemacht haben.

Ausserdem gibt es viel fürs Auge: Ein realitätsgetreu belebtes Havanna, die Wälder Nordkoreas, ein hervorragend modellierter Eispalast. Und die schöne Halle Berry :D

Ansonsten extrem actionlastig, ähnlich viel SciFi wie Moonraker. Auch wenn ich mich bisher nicht mit Herrn Brosnan anfreunden konnte, der Film ist genial! Und ich habe ein paar Sachen immer noch nicht kapiert...
 
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Dynaheir

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In Freiburg läuft Der Pianist mal wieder nur im Friedrichsbau, da dann aber relativ gut besucht.
Ich war mit ner Freundin drin und fand ihn letztlich gut, obwohl er auch schlicht anstrengend war.
Ich glaub, daran liegt es eben; viele gehen ins Kino, um abzuschalten, dann setzt man sich lieber in ein großes Kino, um sich was Seichtes anzugucken. Mach ich ja auch manchmal so ;)
 
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