Ich hätte da ein sehr schöne Vampirgeschichte auf Lager, auch wenn sie nicht unbedingt zu Worlds of Darkness passt. Ich werde sie trotzdem mal posten.
Verrat von Geblüt
Marion Zimmer Bradley
Jeden Abend, wenn sich die Dunkelheit über das Castello di Speranza senkte, stieg die kleine Contessa Teresa hinab, um sich an ihrem Gefangenen zu weiden. Mit diesem Besuch waren gewisse Formalitäten verbunden, so zeremoniell wie die Gesten eines heidnischen Priesters, der vor dem Altar ein hohes und uraltes Ritual feiert.
Zuerst entließ sie alle ihre Bediensteten, sogar den taubstummen Rondo, der ihr gehorchte wie ein guterzogener Hund. Danach – und jede Nacht verletzte sie sich dabei an dem Stahl die zarten Hände – legte sie in ihrem Gemach die Riegel vor und versperrte an allen Fenstern die Schlösser. Hätte es, verborgen hinter dem Wandbehang, irgendeinen mythischen Beobachter gegeben, so hätte er etwas Wunderliches bemerkt: auf jedem der metallenen Verschlüsse, roh und mühsam von an solche Arbeit nicht gewöhnten Händen eingekratzt, stand das Zeichen des Kreuzes.
Nun kniete die Contessa einen Augenblick vor dem eichenen Betschemel und faltete die Hände über ihrem Rosenkranz; inzwischen nichts weiter als Gewohnheit, denn sie hatte längst aufgehört zu beten. Der Spiegel am anderen Ende des Raumes warf nur schwach ihr Bild zurück, ein schattenhaftes Muster aus Schwarz und Weiß; die schwarzen Flechten ihres Haares im Netz aus feiner Spitze; das enge Schwarz eines Trauergewandes, über dem sich die gefalteten Finger weißer Hände kreuzten, in denen Elfenbeinperlen ruhten; das Gesicht, abgemagert zu knochenbleichem Alabasterweiß, mit dem schwarzen Pinselstrich der Brauen.
Ein Gesicht, zur Weichheit und Liebe geschaffen, jetzt aber hart und grausam, die Augen ausdruckslos vor Haß, der sanfte Mund zu einer dünnen weißen Linie verzogen. Eine Heilige, von der doppelten Peitsche des Grams und der Rache, die sie geschworen hatte, in ein Ungeheuer aus dem tiefsten Schlund der Hölle verwandelt.
Die Contessa erhob sich und legte den Rosenkranz beiseite. Sie hob den Deckel einer geschnitzten Truhe und nahm eine dreischwänzige Geißel aus geflochtenem Leder heraus. An den Enden der Riemen waren kleine Stahlstücke befestigt, so scharf wie Rasiermesser; das Leder war geschwärzt, die Stahlplättchen waren von trüben, braunroten Flecken blind. Sie berührte den Stahl mit den Fingerspitzen und zog sie hastig zurück: der scharfe Stahl hatte ihr Blut getrunken.
Sie zuckte die Schultern und achtete nicht auf den Schmerz. Auf dem ledernen Griff der Peitsche, mit einem ungeschickten Messer roh eingeschnitten, zeigte sich ebenfalls das Kreuzzeichen.
Kein Knarren antwortete ihr, als sie den Riegel der Geheimtür in der Wandtäfelung zurückschob. Die Tür wurde stets geölt und in bestem Zustand gehalten. Eine Fackel in der erhobenen Hand, stieg sie, lautlos wie ihr eigener Schatten, die Stufen hinunter. Die Schleppe ihrer Röcke fegte frische Spinnweben zur Seite und ließ kleine Spinnen eilig in die Ritzen der Steine huschen.
Der Brackwassergeruch unterirdischer, stehender Tümpel drang ihr entgegen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten ihre zarten Nüstern vor diesem Gestank geschaudert; aber diese Zeit war längst vorbei. Sie wußte selbst kaum, wie sehr sich das junge Mädchen von einst verändert hatte -– vor jedem Schatten hatte sie sich gefürchtet, die zarten Finger hatten geblutet vom Kampf mit dem damals verrosteten Riegel – damals, als sie zum ersten Mal, voller Verzweiflung und Entsetzen, diese Stufen hinabgeschritten war.
Sie blieb stehen und stieß einen Seufzer aus. „Warum komme ich hierher?“ fragte sie fast laut, und wie ein Echo aus den modrigen Tiefen flüsterte und seufzte es: „Komm her.“
Zwei Drehungen der Wendeltreppe, dann trat sie in einen gewölbten Gang, erhellt von trübem Mondlicht, das durch tiefe, vor Jahrhunderten gebaute Schächte nach unten sickerte. Den Gang säumten Reste einer grimmigeren Zeit; die rostigen Stangen eines Flaschenzugs, die noch an den Strappado erinnerten; ein Kreuzgitter aus Metallstangen, wie eine harte Liege; das grausame, grünbronzene Starren einer Eisernen Jungfrau. Die Contessa würdigte diese Gegenstände, die sie früher einmal zum Erbeben gebracht hatten, kaum eines Blickes; heute erschienen sie ihr als vertraute Freunde. Sie spielte sogar einen Augenblick mit dem Gedanken – das alles ließ sich wieder in Ordnung bringen - , ehe sie um eine letzte Ecke des Ganges bog, wo ein Stahlgitter vom Steinfußboden bis an die gewölbte Decke reichte. Von der Kette an ihrem Gürtel nahm die Contessa den großen Schlüssel, schloß das Gitter auf und schritt hindurch.
„Guten Abend, Contessa“, sagte der an die Wand gekettete Mann.
Die Contessa neigte das Haupt. „Auch Euch einen guten Abend, Messire“, antwortete sie mit ihrer melodischen Stimme, deren Wohlklang ihr so in Fleisch und Blut übergegangen war, daß selbst die Verwandlung von der Jungfrau in einen Teufel nichts daran ändern konnte.
Sie betrachtete den Mann vor ihr von oben bis unten. Seine Arme steckten in eisernen Manschetten, die mit langen Ketten, die durch einen festen Ring liefen, an der Wand befestigt waren. Fußfesseln aus Stahl, mit einer Kette verbunden, umschlossen seine Beine. Die Kleidung bestand nur aus einem zerlumpten weißen Hemd und blutfleckigen ledernen Reithosen; aber als er sich verbeugte, fing sich der Schein der Fackel in seinem blonden Haar und der an der Wand tanzende Schatten hatte einen Umriß wie von breiten Schwingen.
Die Frau blieb vorsichtig außer Reichweite der Kette und ließ die Augen über sein Gesicht schweifen , das dünn, scharf und von verhaltener Sinnlichkeit war. Als er den Kopf wieder hob, begegnete sein Blick, in dem ein seltsamer Funke brannte, dem ihren. Er schauderte wie unter einem furchtbaren Schmerz. Der lange Blick war fast ein Liebesblick. Immer von neuen erschütterte die sonderbare Schönheit des Angeketteten die Contessa. Schönheit? Ein wunderliches Wort, aber es war Schönheit – die Schönheit eines ruhelosen, gefangenen Adlers, der in der wilden Verzweiflung und Qual seines unmenschlichen Hungers die Luft mit seinen Schwingen peitscht. Aber er senkte als erster den Blick, auch wenn in seiner Stimme jetzt melodischer Spott lag.
„Ihr seid schön heute Abend, Madonna“, sagte er. „Ich bedaure, Euch nicht die Hand küssen zu dürfen.“
Es zuckte über ihr Gesicht wie von einem Gefühl, für das es keine Erklärung gab. „Nun“, versetzte sie abrupt. „küßt sie doch, wenn ihr das wollt“, und sie streckte ihm die schlanken Finger, verletzt und blutend, entgegen. Es war eine Gebärde des Spottes, aber er ergriff ihre Hand, beugte sich tief darüber und berührte sie mit den Lippen. Plötzlich aber bäumte er sich auf, wie von jähem Wahnsinn ergriffen; die gefesselten Hände zerquetschten beinahe ihr Handgelenk und rissen es gierig an seine Lippen. Mit einer blitzschnellen Bewegung nahm sie die Peitsche hoch, riß die andere Hand los und schlug mit einem einzigen, brutalen Hieb zu. Sekundenlang zuckte er zurück, und schon war sie außer Reichweite. Ihre Augen flammten.
„Ich hatte es ja vergessen“, höhnte sie, „es ist Vollmond, und Ihr – hungert!“
Er stand zusammengesunken in seinen Ketten und würdigte ihren Spott keiner Antwort. Erst viel später bemerkte er ruhig: „Ja, wieder Vollmond. Sind Eure Träume nicht böse, Madonna?“
Sie erbebte, als wollte sie die Erinnerung von sich weisen, erwiderte jedoch: „Ich schätze mich glücklich, wenn Ihr kein größeres Unheil anrichten könnt, als mir böse Träume zu schicken.“ Ein Anflug von Ekel verzerrte ihren Mund wie im Krampf. Sie trat plötzlich zurück und hob von neuem die Peitsche.
„Angelo Graf Fioresi!“ rief sie mit hallender Stimme. „Ihr habt Euer letztes Opfer gehabt – Vampir!“
Sie lachte laut auf.
„Drei Monate schon halte ich Euch in Ketten und sehe Eure Stärke schwinden und Euren üblen Hunger wachsen!“
Auf einmal zerrte er wild an den Ketten, aber es war nur ein schwacher Ausbruch und bald fiel er erschöpft zurück, lehnte sich an die Wand und sank zusammen.
„Einst hättet Ihr diese Ketten sprengen können“, fuhr sie fort und lächelte in grausamem Triumph, „hätte ich nicht in jede Fessel das Kreuz geritzt. Heute, glaube ich, würden selbst gewöhnliche Ketten Euch binden.“
Auf seine Hände gestützt, richtete er sich auf.
„Madonna“ sagte er mit leiser Stimme, „mein Leben liegt in Eurer Barmherzigkeit. Ihr könnt ihm nach Belieben ein Ende setzen. Niemand könnte Euch einen Vorwurf machen, begehrtet Ihr meinen Tod. Warum aber bereitet es Euch Vergnügen, mich zu quälen?“
„Das fragt Ihr noch?“ schrie sie mit hoher, gepeinigter Stimme – ein letzter Hauch des jungen Mädchens, das sie vor noch nicht drei Monaten gewesen war. „Ihr, der Ihr als Freier in dieses Schloß kamt und meinen Vater mit List täuschtet, indem Ihr Euch als den Enkel seines ältesten Freundes ausgabt? Wie oft hat er von Euch gesprochen und gesagt, in Eurer Gesellschaft fühle er sich, als sei der Freund seiner Jugend von den Toten zurückgekehrt. Er ahnte nicht, wie wahr er sprach.“
Der Graf schüttelte den Kopf.
„Nein“, versetzte er müde. „Wenn Ihr schon diese alte, traurige Geschichte wiederholen müßt, so erzählt sie richtig. Daß Wesen wie wir vom Tode auferstehen, ist nur ein Ammenmärchen. Wir sterben nicht, sondern leben ein Vielfaches der Spanne sterblicher Menschen, wenn nicht ein Unfall unser Dasein beendet, oder - oder – wenn man uns zu lange unseres anderen Lebensquells beraubt.“
Ihr verzerrtes Gesicht schien in der schwachen Beleuchtung zu schwanken.
„Sei dem, wie ihm wolle. Euer alter Freund, mein Vater, wurde krank und starb. Dann starb Rico, mein Bruder -–an einer verzehrenden Krankheit. Zuletzt wurde Cassilda, die Schwester, die mir Mutter war, als ich mutterlos zurückblieb, in ungeweihte Erde gelegt – und noch immer suchtet Ihr mich zum Weib zu nehmen.“
„Madonna, Ihr nennt mich ein Ungeheuer . . .“
„Könnt Ihr es bestreiten?“ rief sie. „Könnt Ihr Euch einen Menschen nennen, Ihr, der Ihr in den Monaten, seit ich Euch hierherbrachte, weder Speise noch Trank berührtet?“
„Ich habe Euch zugestanden, daß ich kein Mensch von Eurer Art bin“, antwortete er mit gesenktem Kopf. „Mein Volk ist weit älter als das Eure, Madonna; Vielleicht wurde es erschaffen, bevor noch Euer Gott Eurer eigenen Rasse die Herrenrechte verlieh. Wie manche Tiere ernähren wir uns, wenn wir die Jugend hinter uns gelassen haben, ausschließlich vom Blut lebendiger Wesen. Bis zu meinem dreißigsten Jahr glaubte ich, wie andere Menschen zu sein. Und doch habe ich Eure Verwandten nicht getötet, Contessa. Aber wenn ich es getan hätte – was dann? Eurer ältester Bruder Stefano wurde im Duell mit dem Herrn von Monteno erschlagen, und doch sind Montenos Angehörige hier im Castello di Speranza geehrte Gäste. Ich wußte nicht“ – plötzlicher Schmerz schien ihn zusammenzucken zu lassen – „als ich hierherkam, daß Eure Sippe dem Tod längst verfallen war.“
„Ihr lügt!“ kreischte sie, und die Peitsche pfiff durch die Luft und traf den Mann im Gesicht und an der Brust. Er stieß einen heiseren Schrei aus, und über das Gesicht des Mädchens glitt ein teuflisches Lächeln.
„Es erfreut mein Herz, zu sehen, daß Ihr leiden könnt!“ rief sie. „Leidet, wie ich gelitten habe!“
Der Peitschenhieb hatte Blut hervorspringen lassen. Mit seltsam gierigem Lächeln betrachtete sie die scharlachroten Tropfen.
„Nehmt Euch in acht, Herrin“, sagte Angelo Graf Fioresi sanft. „Ich suchte das Blut von Menschen, um nicht zu sterben; Ihr sucht es um Eures Vergnügens willen.“
Wieder hob sie die Peitsche und ließ sie kann sinken.
„Warum kann ich Euren Tod nicht begehren?“ rief sie. „Warum habe ich Euch nicht gleich erschlagen? Warum kann ich Gottes holde Erde nicht von einem Wesen wie Euch befreien?“
„Und weshalb sind Eure Träume so böse“, fragte er leise, „und weshalb habt Ihr mich einst geliebt, Madonna? Euer Gott hat seinen Getreuen die Rache verboten. Warum konntet Ihr mich nicht erschlagen und seiner Rache und der Hölle überlassen – oder seiner Gnade?“
Sie drehte sich ruckartig um und floh den Gang entlang und die Wendeltreppe hinauf. Ihre Schritte hallten hart in der Nacht wider. Und Angelo, Graf Fioresi, Mann, Ungeheuer, Vampir, was immer er war, verbarg das Gesicht in den Händen und weinte.
Die Contessa riß weit die Fenster auf und zitterte, als der Nachtwind den Gestank des Verlieses aus ihrem Gewand blies; sie hätte gern gekniet, aber die Worte des Vampirs brannten in Ihrem Herzen: Gott hat die Rache verboten.
Was ist aus mir geworden? fragte sie fast staunend. Sie legte sich in ihr großes Bett, aber sie fürchtete sich vor dem Einschlafen, so stark war das Grauen, das sie empfand, wenn sie an die Träume dachte, die sie heimsuchten. Sie sagte sich, es müsse sich um einen üblen Zauber des Vampirs handeln, den sie in Fesseln hielt; aber in den Vollmondnächten war das Entsetzen so furchtbar, daß sie kein Auge zu schließen wagte. Sie lag da und dachte daran, wie sie das Ungeheuer in Menschengestalt, das jetzt in ihrem Kerker lag, gefangen hatte.
Damals, als er zu ihnen gekommen war, fand man ihn stets zugegen. Zuerst hatte sie geglaubt, er wäre ein Bewerber um Cassildas Hand, denn ihre Schwester war die Ältere und Schönere; aber ihr gegenüber zeigte er nichts als eine sonderbar höfliche Freundlichkeit. Es war diese Freundlichkeit, die sie mit all dem Grauen nicht in Einklang bringen konnte. Als ihr Vater und kurz darauf ihr Bruder gestorben waren, hatte sie geweint. „Das Schicksal verfolgt mich; Ihr könnt mich nicht mehr wollen.“ Er hatte lächelnd geantwortet: „Vielleicht wird das Unglück müde werden, Euch zu quälen, wenn Ihr erst meine Gattin seid.“
Aber es war in diesen Tagen, als liege ein böser Zauber über allem, denn auch im Dorf gab es viele Todesfälle, als gehe eine geheimnisvolle Krankheit um. Zuletzt starb sogar Cassilda; aber der Priester des Schlosses, Vater Milo, verbarg ihren Leichnam vor Teresa.
An diesem Tag war Angelo zu ihr gekommen, als sie vor der Kapelle weinte – ja, jetzt erinnerte sie sich: nie hatte er sich innerhalb der Türen der Kapelle aufgehalten – und in seinem offenen und schönen Gesicht hatte etwas Trauriges gestanden, das sie für aufrichtiges Mitleid gehalten hatte. War es wirklich höllenschwarze Heuchelei gewesen?
„Teresa, Teresa, ich kann es nicht ertragen, Euch so allein zu sehen!“
Jetzt grübelte sie: Was wäre wohl geschehen, wenn sie seinen Bitten nachgegeben hätte? Hätte er die Kapelle tatsächlich betreten können? Ihre Kreuzzeichen bannten ihn; hätte er sie überhaupt heiraten können?
Hätte sie nicht sogar ihren Zweck schon erreicht, wenn sie ihn mit Hilfe eines Sakramentes gebunden hätte?
Abends hatte Vater Milo, mit verzerrtem Gesicht und vor lauter Entsetzen zitternd, sie in die Kapelle gezogen und das Kreuzzeichen über ihr gemacht. Er hatte sie auf seiner Bank Platz nehmen lassen, während er selbst vor ihr stehenblieb, die Züge voller Schmerz und Grauen. Zuerst hatte sie seiner weitschweifigen Erzählung von seltsamen Todesfällen im Dorf, von Malen an der Kehle ihres Vaters und Bruders, seiner Andeutung von einem noch gräßlicheren Geschehen in Verbindung mit Cassildas Tod, gar nicht recht zugehört. Nur langsam und ungläubig begriff sie, was er ihr mitteilen wollte: daß diese Todesfälle das Werk eines Vampirs waren!
„Aber das ist doch nur böswilliger Aberglaube!“ rief sie abwehrend. Er schüttelte den Kopf.
„Nein, Teufelswerk ist es – von jemandem verrichtet, der mit dem Teufel im Bunde steht!“ erwiderte Vater Milo mit blassem, verhärmtem Gesicht. Langsam, Wort für Wort, hatte er sie überzeugt. Auch wenn sie die schrecklichen Geschichten, die er ihr dann erzählt hatte, anfänglich nur halb geglaubt hatte – daß man den Grafen in Fledermausgestalt aus den Fenstern des alten Turms hatte herausfliegen sehen und daß eine fromme Frau aus dem Dorf Leichentücher und Sarggeruch gespürt hatte, als er vorbeiging - , endlich war sie doch überzeugt, kniete vor dem Priester nieder, und leidenschaftlicher Zorn und Schreck wallten heiß in ihrem Herzen auf.
„Was können wir tun?“
Und Vater Milo hatte langsam geantwortet: „Die Bestie muß sterben:“
„Der Tod allein würde nichts nützen!“ rief sie voller Qual, das Gesicht so weiß wie ihr Trauerschleier. „Ich erinnere mich – in der Nacht, bevor sie starb, kam Cassilda an mein Bett und weinte, und ich – ich wußte nicht, warum!“
Vater Milo legte ihr die Hand auf den Kopf. „Trage das, was ich dir jetzt sagen muß, mutig, meine Tochter. Cassilda starb durch eigene Hand, aus Angst vor dem gleichen Schicksal.“
Teresa schrie auf vor Schmerz. „Dann kann der Tod allein für dieses Ungeheuer nicht genügen! Er muß leiden – leiden, wie die Meinigen und ich gelitten haben!“
„Die Rache gehört Gott allein“, schalt der Priester. „Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich habe gehört, daß diese furchtbaren Geschöpfe des Teufels nicht wirklich sterben können, sondern in ihren Särgen weiterleben und sich daraus erheben, um das Blut lebendiger Wesen zu suchen. Tochter, ich muß nach Rom reisen und Dispens erbitten, damit ich mit diesem – diesem Monstrum verfahren kann, wie es erforderlich ist, um uns für immer von ihm zu befreien.“
„Ihr müßt noch heute nacht abreisen.“
„Zuerst aber müssen wir hier alles sicher machen“, antwortete der Priester, „damit er Euch nichts Böses antun oder Euch vernichten kann wie Eure Familie. Seid auf der Hut, doch zeigt keine Änderung in Eurem Benehmen, denn er darf nicht vermuten, wir wüßten, wer er ist. Wenn ich zurückkehre, können wir ihn unschädlich machen und in seinem Sarg einen wirklichen Tod sterben lassen, auf daß Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit ihn strafen oder ihm vergeben möge.“
Teresa bedeckte das Gesicht mit den Händen. „Ein Ungeheuer aus dem Grab – und ich liebte ihn!“ flüsterte sie. „Gottes Barmherzigkeit? Ich möchte ihn auf ewig in der Hölle brennen sehen!“
Der Priester bekreuzigte sich und schüttelte traurig den Kopf.
„Es betrübt mich, daß ihr so übel redet“, sagte er tadelnd.
„Könnt Ihr der Gnade Gottes Grenzen setzen?“
„Für diesen Teufel – ja!“
„Und doch hat ein großer Heiliger einst zu Satan selbst gesagt: Auch dir darf ich Gottes Gnade verheißen, so du nur darum betest. Denkt doch, Teresa: Graf Fioresi ist ein tapferer Soldat und ritterlicher Hofmann. Er hat diesen teuflischen Fluch viele Jahre getragen, und für ihn muß es die wahre Hölle sein, verstoßen vor dem Angesicht Gottes. Könnt ihr leugnen, daß der barmherzige Gott ihm eines Tages vielleicht doch noch vergeben könnte?“
„Wenn ich das glaubte“, rief sie leidenschaftlich aus, „würde ich einen Weg finden, ihm diese Vergebung auf ewig fernzuhalten – ihn leben und leiden zu lassen, wie meine Familie und ich gelitten haben!“
Der Priester hatte schlicht erwidert: „Ihr seid überreizt, und das ist kein Wunder. Betet zu Gott, daß er Euch Eure gedankenlosen Wort verzeiht.“ Er reichte ihr die Hand zum Aufstehen. „Ich muß heute nacht noch fort; kommt jetzt mit in Euer Gemach, wir müssen dort alles sicher verwahren.“
Seine Hände waren es, die dann das Zeichen des Kreuzes in alle Türen und Fenster geritzt und sie mit Weihwasser besprenkelt hatten. Die Haupttür hatte er als letzte übriggelassen, aber als er sich ihr zuwenden wollte, überfiel Teresa ein plötzliches, würgendes Entsetzen. Und hätte es ihr Leben gegolten, sie konnte es nicht ertragen, von Zaubersprüchen eingeschlossen zu sein, auch wenn es fromme Zaubersprüche waren.
„Diese Tür will ich selbst von innen mit meinem Kruzifix versiegeln“, sagte sie, und noch während sie sprach, war der Plan in ihrem Kopf vollendet.
„Vielleicht ist es besser so“, erwiderte er nachdenklich. Aus seinem Gewand zog er eine kleine Phiole. „Gebt ihm das in den Wein“, erklärte er, „und Gott möge uns vergeben, Tochter. Es wird ihn wenigstens in den ersten Tod schicken. Wenn ich aus Rom zurückkehre, werden wir den Vampir dann mit Pflock und Feuer vernichten.“ Ehrfürchtig reichte er ihr einen Rosenkranz. „Ein großer Heiliger hat ihn gesegnet; es ist ein Erbstück meiner Familie. Der Rosenkranz wird ihn hindern, von den Toten aufzuerstehen, bis ich zurück bin.“
Er hatte ihr segnend die Hand auf den Kopf gelegt. „Und merkt Euch“, hatte er streng hinzugefügt, „vergeßt diese bösen Rachegedanken! Ich befehle Euch beim Heil Eurer Seele, betet für die Seele dieses verlorenen Gottesschafes; betet für die Seele von Angelo Fioresi.“
Aber die Worte waren in ein hartes Herz gefallen. Sie neigte das Haupt, innerlich jedoch rief sie: „Niemals!“
Eigenhändig bereitete sie für die erste Wegstrecke des Priester Speise und Trank; doch als sie ihm Lebewohl sagte und sein Zelter davonschritt, hatte sie sich umgedreht, und zum ersten Mal war ihr Lächeln grausam gewesen, als sie die kleine Phiole umklammerte. „Aber Ihr werdet nicht zurückkehren“, murmelte sie, „und mein ist die Rache.“
Als sie sich von der Tür abwandte, begegnete sie Graf Angelos lächelndem Blick und zwang sich, zurückzulächeln und ihm die Hand zum Kuß zu reichen.
„Warum hat der Priester uns verlassen?“
„Um die Heiratserlaubnis für uns zu besorgen“, entgegnete sie gleichmütig.
„So sind wir allein?“ Er zog sie lächelnd an sich. „Möge seine Reise schnell sein.“
Aber seine Stirn hatte sich in befremdliche Falten gelegt, und Teresa bebte und schrak zurück vor seinem Kuß. „Nicht jetzt!“
In der Nacht lag sie wach. Sie fühlte sich wie die gefesselte Ziege, die man anpflockt, um den umherstreifenden Berglöwen herbeizulocken. Das bleiche Licht aus der offenen Tür lag auf ihrem Gesicht, und sie wartete auf den Schritt und auf den Schatten an dieser Tür, der so war wie von schwarzen Schwingen. Angstvoll hielt sie das Kreuz fest und dachte: Es ist wahr – der Vampir bewegt sich wie eine Katze oder ein Gespenst, auf lautlosen Füßen.
Langsam beugte sich der Schatten über sie, bis die vollen Lippen ihren Hals berührten, und als wache sie gerade erst auf, murmelte sie: „Angelo?“
„Liebste . . .“
„Wartet“, hauchte sie und umklammerte das Kreuz in ihrer Hand, „die Tür ist noch offen.“
„Nicht doch“, flüsterte er und drehte sich um, aber blitzschnell war sie hingehuscht, hatte die Tür zugeschlagen und den Riegel mit dem Kruzifix vorgelegt. „Nun“, rief sie, weiß wie ihr Nachtgewand, „laßt mich sehen, ob ihr gehen könnt, wie ihr kamt, Angelo, Graf Fioresi – Teufel, Ungeheuer, Mörder – Vampir!“ Sie warf sich auf ihn, das Licht in der erhobenen Hand. Er fuhr herum wie ein in die Enge getriebenes wildes Tier, sprang jäh zu den verriegelten Fenstern hinüber und zu der anderen Tür. Vergeblich.
Sie sagte mit schwankender Stimme: „Ich habe es immer nur halb geglaubt. Bis jetzt. Als ungeheuerliche Lüge erschien es mir und ist doch wahr.“
Der Graf streckte die Hände nach ihr aus. Abwehrend hob sie das Kreuz. Sie hatte erwartet, er werde sich auf sie stürzen, um sie zu ermorden, aber er rührte sich nicht. „Teresa“, flehte er, „es ist nicht so, wie ihr denkt. Ich bitte Euch – ich flehe Euch an: hört mir zu, bevor es zu spät ist.“
Aber sie war so voller Wut und Empörung, daß sie nicht hören wollte. Sie griff nach der Peitsche und fuhr auf ihn los. Hiebe prasselten auf sein Gesicht und auf seine Schultern. Er schrie und riß ihr mit einer einzigen Bewegung den Riemen aus der Hand und schleuderte ihn zu Boden.
Nehmt Euch in acht, Herrin“, sagte er mit gedämpfter Stimme, „ich weiß vieles, das Ihr nicht wißt. Und ich sage Euch, Teresa, daß Ihr in diesem Augenblick in größerer Gefahr seid, als sie Euch von mir drohen könnte. Wollt Ihr mich anhören – mir nur kurze Zeit zuhören, um Eures Vaters willen, der tot im Sarge liegt?“
„Euch anhören, Ungeheuer, Mörder, Grabschänder?“ kreischte sie, und ein trübes Lächeln zog über sein Gesicht.
„Das alte Märchen, daß ich aus einem Totensarg auferstehe?
Nein, Herrin, ich kenne den Tod noch nicht. Und ich will auch noch nicht sterben. Doch wenn ihr mich jetzt tötet, geratet ihr selbst in Gefahr, darum hört mich erst an.“
Wieder näherte er sich ihr, als wollte er sie packen und zwingen, seinen Worten zu lauschen; aber sie riß das Kruzifix vom Betschemel und hielt es vor sich. Er zuckte zurück, und sie sagte begierig: „Also ist zumindest dieser Aberglaube wahr?“ Er wich zurück und bedeckte das Gesicht mit dem linken Arm.
“Zum Teil wahr, Teresa; ich kann Euch nicht schaden, solange Ihr dieses Symbol Eures Glaubens tragt, das Zeichen, daß Ihr unter Gottes Schutz steht. Und dennoch, zum letzten Mal flehe ich Euch an . . .“
„Wollt Ihr mich mit Worten betören?“ schrie sie. Das Kruzifix in der Hand, hob sie die Peitsche vom Boden auf und ließ sie von neuem auf seine geduckte Gestalt niedersausen. „So könnt Ihr bluten und leiden?“ rief sie triumphierend.
“Wie Ihr selbst“, murmelte er und sank auf die Knie. Teresa schützte sich mit dem Kreuz und schwang die Peitsche. Sie genoß jedes dumpfe Aufklatschen und auch die dünnen Blutstriemen, die nach und nach kreuzweise über seinen Körper liefen. Schließlich stand sie keuchend über ihm; blutig und bewußtlos lag er ihr zu Füßen. Mit vorsichtigen Blicken, denn sie fürchtete, die Ohnmacht könnte vorgetäuscht sein, lief Teresa zu ihrer Truhe und zerrte die schweren Ketten hervor. Ihre eigenen zarten Finger hatten mit dem Diamantring Kreuze in alle Hand- und Fußschellen geritzt. Dann ließ sie Rondo, den Taubstummen, holen und schleifte mit seiner Hilfe den Grafen die tiefe Treppe hinunter und schloß zitternd die Ketten an die Mauer des Verlieses. Ihr war übel vor Grauen, aber zugleich erfüllte sie tiefe Befriedigung über das Gelingen ihres ersten Racheplans. Fast bewußtlos fiel sie auf das Bett.
„Reiß die Fenster auf“, befahl sie Rondo mit einer Geste, „ich werde ohnmächtig!“
Als er sich entfernt hatte, schlief sie ein, aber sie hatte böse Träume. Ihr war, als stehe sie auf und schleiche als stummes Gespenst aus dem Schloß. Wirre, schreckliche Bilder von Blut und sterbenden Gesichtern geisterten durch ihren Kopf. Sie erwachte und entdeckte, daß sie im Schlaf gewandelt war und halb aus einem der bleiverglasten Fenster lehnte.
Hat er mich behext? grübelte sie und sank im wachsenden Tageslicht auf ihr Bett und schlief.
In der Abenddämmerung erwachte sie und stieg schaudernd hinab in die Krypta; aber ihre Furcht ließ nach, als sie ihren Feind in Ketten sah. Und so gewöhnte sie sich daran, jeden Abend in die Kellergewölbe hinabzusteigen . . .
Als die Tage vergingen, dachte sie immer weniger an andere Dinge, so daß sie schließlich nur noch für den Augenblick lebte, wenn sie vor den Gefesselten trat und in seine wilden Augen blickte – die Augen eines in einen Käfig gesperrten Falken. Wenn sein Flehen ihr allzu lästig wurde, brachte sie ihn mit der grausamen Peitsche zum Schweigen, in die sie mittlerweile ebenfalls das Kreuz geschnitten hatte, damit er sie ihr nicht aus der Hand reißen konnte.
Noch immer peinigten sie die üblen Träume. Der Zauber schien sich auf das ganze Schloß auszubreiten, denn einige der Diener flohen, und andere kamen zu ihr und berichteten von Todesfällen im Dorf; aber sie verscheuchte sie wie summende Fliegen. Der Todbringer ist tief unten sicher angekettet, dachte sie; sie können diese Todesfälle nicht mehr übernatürlichen Heimsuchungen zuschreiben und nicht jedes Sterben auf diese Art erklären! Sie war ungeduldig mit ihnen und grausam, denn sie sehnte sich nur danach, hinabzusteigen und sich an ihrem Gefangenen zu weiden, um dann in Ihr Gemach zurückzukehren und dann augenblicklich den Schlaf der völligen Erschöpfung zu schlafen.
Das Volk im Dorf murrte, weil Vater Milo nicht wiederkehrte. Sie schickten alte Frauen zu ihr, die sie bitten sollten, einen neuen Priester zu suchen. „Wollt ihr mir Befehle erteilen?“ schrie sie sie an und lief im Zimmer auf und ab. Als die Abordnung geflohen war, starrte sie sich entsetzt im Spiegel an und dachte: Sie werden mich für eine Wahnsinnige halten.
So kamen und gingen drei Monde, und kaum etwas änderte sich. Dann kam eine Nacht, in der Angelo sich kaum rührte, als sie ihn ansprach. Er lag anscheinend bewußtlos im Stroh und in seinen Ketten.
Endlich schlug er die Augen auf und murmelte: „Weidet Euch nur an mir, soviel Euch behagt, Madonna. Das Ende naht. Aber ich sehe wohl, wie Ihr immer tiefer und tiefer ins Verderben geratet. Um Eurer selbst willen bitte ich Euch: macht ein Ende.“
„Ei was“, spottete sie, „der Teufel war krank, ein Mönch wollt er sein! Soll ich Euch wirklich als Priester in Vater Milos Kapelle setzen?“
„Ich bin kein grausames Ungeheuer“, entgegnete er, „obwohl ich Euch keinen Vorwurf machen kann, wenn Ihr mich dafür haltet. Und doch, Teresa, bin ich hier sicher angekettet. Warum also sterben Eure Leute?“
Sie zuckte gleichgültig die Achseln. „Diese Leute sterben wie die Fliegen. Bin ich der Hüter ihrer Körper oder Seelen?“
Das gefesselte Geschöpf warf ihr einen sonderbar berechnenden Blick zu. „Einst hättet Ihr nicht so gesprochen. Einst wart Ihr fromm und gut.“
„Und wenn ich ein Teufel aus der Hölle wäre – wer, wenn nicht Ihr, hätte mich dazu gemacht?“
Fast lachte er. „Nein, nein – vor mir habt Ihr Euch wohl behütet; doch habt Ihr Euch nicht selbst zum Ungeheuer gemacht?“
„Schweigt!“ kreischte sie. „Schweigt!“ Sie ließ die Peitsche voll auf sein Gesicht niedersausen, und mit einem furchtbaren Schrei sank er zusammen. Das Blut sprang aus den zerfetzten Lippen. Sie ließ die Peitsche fallen und kniete neben ihm nieder. „Er hat die Wahrheit gesprochen; das Ende naht“, dachte sie. „Hier soll er liegenbleiben in Ewigkeit.“
Das Kruzifix, das sie noch immer trug, pendelte hin und her und warf sonderbare Schatten auf ihren Gefangenen. Unwillkürlich kam ihr ein Einfall.
Ich habe meine Rache gehabt. Es ist noch nicht zu spät, den Haß von mir zu werfen und zu tun, was Vater Milo mich geheißen hat: sein Leiden zu enden und ihn Gottes Gnade zu überlassen. Ich brauche ihm nur das Herz zu durchbohren. Er hat gesagt, daß er nicht von den Toten auferstehen kann. Trotzdem kann ich die Totengebete für ihn beten und Buße tun. Dann werde auch ich zu Gottes Gnade zurückfinden. Und Angelo – Angelo wird zu Staub zerfallen, wie es längst hätte geschehen müssen, und seine Seele wird sich vor Gott verantworten für alle seine Missetaten.
Sie hatte das seltsame Gefühl, das Verlies wimmele von Geistern, die sie ansahen und warteten; ihr war, als stehe sie an einem Kreuzweg und warte darauf, daß man einen Verurteilten hängte oder begnadigte; und das verurteilte Opfer war sie selbst. Sie konnte den Haß von sich werfen und um Barmherzigkeit bitten, oder . . .
Ihre Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln der schrecklichsten Grausamkeit. Niemals, niemals würde sie auf das Vergnügen verzichten, das sie hier gefunden hatte! Nein, er sollte leiden, leiden in Ewigkeit! Wer hatte Gottes Vergebung denn schon nötig? Es gab so viele, die außerhalb seines Reiches lebten!
„So ist es denn zu spät“, sagte er plötzlich. Sie schrak zurück. Aber er setzte sich auf und kam unaufhaltsam näher, packte sie mit hartem Griff und sprengte die Ketten an Händen und Fußknöcheln.
Teresa kreischte laut auf, wich angstvoll zurück und wollte aufstehen. Sie stolperte über die zu Boden gefallene Peitsche, stürzte auf die Steine und Angelo, der sich erhoben hatte, machte einen Schritt und stand nun vor ihr.
„Ich wollte Euch retten“, sagte er. „Denkt an Eure bösen Träume, Teresa. Begannen sie nicht lange, ehe ich nach Castello di Speranza kam? Vor vielen Jahren heiratete eine Frau der Fioresi in die Sippe der Speranza; und ich wußte, daß wenigstens einer aus Eurer Familie es besitzen würde – das Geblüt meines Geschlechtes. Wäre es Rico gewesen, hätte ich ihn als Knappen in meine Dienste genommen, um über ihn zu wachen und ihn zu schützen. Ich – ich hätte Euch gerettet“, murmelte er fast unhörbar, „Euch behütet wie etwas, das kostbarer war, als mein Leben. Ich habe über Euch gewacht, für Eure Sicherheit gesorgt, Euch geschützt, ohne zu ahnen, was Ihr wart, obwohl ich zu spät kam, Euren Vater zu retten . . .“
Sie schrie auf vor Grauen, als sie die Bedeutung seiner Worte begriff, aber er fuhr unerbittlich fort.
„Als Rico den Tod fand, ertrug ich es nicht länger, und verzweifelt, nur auf Euren Schutz bedacht, entdeckte ich alles Cassilda. Ich – ich ahnte nicht, daß sie sich vor Entsetzen selbst das Leben nehmen würde. Ich glaubte, wir beide könnten gemeinsam über Euch wachen, bis ich Euch nach und nach erklären könnte, was Ihr wart, ohne daß Ihr Schaden davontrugt. Ihr hättet Euch damit abfinden können – nicht als mit etwas Grauenhaftem, sondern einfach als mit einer anderen Art von Leben; einer anderen Natur, die nach eigenen Gesetzen lebt, ohne Harm für andere. Nein, ich habe Eure Angehörigen nicht getötet“, sagte er. „Seit zweihundert Jahren lebe ich schon so. Seit dem Jahr, in dem ich zuerst erfuhr, was ich war, ist kein Mensch unter meiner Berührung gestorben. Ich weiß, wie man - Leben nimmt – und nicht mehr Schaden zufügt, als der Aderlaß des Baders. Ich bin weder böse noch grausam, Madonna, weil ich lebe, wie ich muß."
Er beugte sich über sie. Sie fuhr zurück, vor Angst außer sich, und stieß ihm das Kruzifix entgegen.
„Nein“, meinte er sanft und nahm sie bei den Schultern, „es wird Euch nicht mehr schützen.“
Fast traurig fügte er hinzu: „Ich bin aufgewachsen in der Furcht vor diesem Zeichen. In meinem innersten Herzen und Hirn steht es eingegraben, daß ich keinen Menschen anrühren darf, der Gott aufrichtig um Gnade anfleht. Solange Ihr nicht ahntet, was Ihr wart, Teresa, solange Ihr in wirklicher Frömmigkeit an Eurem Glauben hingt, konnte ich das Symbol Eurer ernstlichen Überzeugung nicht überwinden. Und auch das Kreuz, das Ihr in meine Ketten ritztet, war ein Hindernis für mich, denn Ihr dachtet dabei, daß Ihr andere damit vor meiner Bosheit schützen wolltet. Jetzt aber seid Ihr selber böse geworden. Ihr habt die Lehren Eures Glaubens verworfen. Ihr könnt den Schutz Eures Gottes nicht mehr anrufen. Das Kreuz ist für Euch nur noch ein leeres Symbol, und es kann mich nicht halten.“
Er riß ihr das Kruzifix vom Hals, betrachtete es traurig und legte es beiseite.
„Vielleicht habe ich niemals eine Seele besessen“, sagte er müde, „Ihr aber, Teresa, habt die Eure fortgeworfen. Ihr seid ein solches Ungeheuer, daß Ihr selbst unter meinem Volk nicht leben könnt.“
Das Letzte, was die Contessa wahrnahm, war sein schmerzzerrissenes Gesicht, das sich in einem Purpurnebel, in den sie hineinstürzte wie in den Tod, auf sie herabsenkte.
Stunden später liefen die Dorfbewohner zusammen, um zuzuschauen, wie das Castello di Speranza in Feuersgluten einstürzte. Niemand bemerkte den stillen, von Narben entstellten Mann, der schweigend in den Wald hineinritt, gebeugt wie von langer Qual, im Sattel zusammengesunken vor Gram und Schmerzen. Er sah kein einziges Mal zurück in die lodernden Flammen, sondern ritt weiter, den Kopf tief auf dem Hals des Pferdes, und immer wieder flüsterte er: „Teresa! Teresa! Teresa!“