Neologismus - auch ein schönes Wort, das man öfter mal irgendwo unterbringen sollte!
Aber meine Frage ist noch nicht beantwortet.
Was den Rechtschreibnazi angeht, so darf man den, auf sich selbst bezogen, durchaus mal verwenden, finde ich. So, wie auch den Inquisitor - je nachdem, ob's angezeigt ist oder nicht.
Als Synonym hätte ich vielleicht Rechtschreib
taliban nehmen können - immerhin assoziiert man die fanatische Ablehnung aller Regellockerungen ja auch mit diesen netten Herren, die gern schon mal Musikcassettenverkäufer umbringen und so weiter. Aber ich dachte, daß, gerade auf die deutsche Sprache bezogen, der Nazi den noch besseren Anküpfungspunkt für die entsprechenden Assoziationen abgebe.
So konstatiere ich in letzter Zeit häufiger mal diese knöchern-rückwärtsgewandte Art der Besserwisseritis an mir, wenn ich mich über falsche Formulierungen in Zeitungsartikeln oder Nachrichtensendungen mehr aufrege als über die teilweise skandalösen Sachverhalte, über die berichtet wird. Da muß ich dann unwillkürlich zurückdenken an einen Abend vor rund 30 Jahren. Damals saß ich mit meinem (noch lebenden... *sniff*) Opa und drei weiteren älteren Herrschaften in Opas Wohnzimmer. Die drei anderen - zwei Frauen und ein Mann - hatte Opa wohl zum Kaffeekränzchen oder so eingeladen, möglicherweise auch, um einfach mal mit seinem wohlgeratenen Enkel (damals konnte man ja noch nicht absehen, daß....) vor ihnen anzugeben. Das war das erste Mal, daß ich mit dem, was man wohl "latenten Antisemitismus" nennen könnte, wenn der sich denn auch auf rassistische Abneigung gegen die Polen bezöge, in Berührung kam. Alle drei BesucherInnen waren vermutlich Ostvertriebene und während man bei Kaffee und Kuchen sich über die Leute im Stadtteil austauschte, stellte sich heraus, daß alle, denen man Schlechtes nachsagen konnte, "wahrscheinlich auch von 'nem Pollacken" abstammten... Das fand ich, der in der Schule gerade die Weimarer Republik und die Anfänge des 3. Reiches durchgenommen hatte, schon bemerkenswert, wie das Hegen und Am-Köcheln-Halten von Ressentiments hier in freier Wildbahn zu beobachten war. Ohne zu mucken schaute ich mit dem Kaffeekränzchen den "Blauen Bock" und ließ kein Wörtchen des Abscheus über meine Lippen kommen ob der unsäglichen Musik und der dümmlichen Schunkel-Witzchen, die da aus dem Fernsehschrank drangen. Nach dem "Blauen Bock" kam dann irgend eine Nachrichtensendung, wahrscheinlich die Tagesschau oder "heute" oder so. Und in der wurde, wie der Zufall es so wollte, über ein Treffen der Sudetendeutschen oder Vertriebenenverbände berichtet. Der Bericht war deutlich kritisch (für die Kinder unter Euch: die Vertriebenenverbände waren damals diejenige Lobbygruppe, welche die Grenzen zu Polen und Tschechien - der Tschechoslowakei... - nicht anerkennen wollte, und das hatte - noch vor dem Fall der Mauer - Auswirkungen auf den sog. Ost-West-Dialog), und die kritischen Worte kamen aus dem hübschen Mund einer jung-adretten Korrespondentin vor Ort.
Verbittertes Schweigen der bis dahin recht angeregt schwatzenden Kafferunde war die Reaktion auf diesen TV-Bericht. Bis dann, als schon ins Studio zurückgeschaltet worden war, eine der beiden Vetteln das, was wohl mehrheitliche Meinung war, apodiktisch zusammenfaßte: "Langhaarige Schickse*!" (Zur Ehrenrettung meines Opas sei gesagt: er selbst stammte zwar auch aus dem Osten Deutschlands, war aber nie ein Nazi, sondern gesinnungsmäßig immer Sozialdemokrat gewesen, und schämte sich wohl auch für seine Kaffenkränzchen-Gäste vor mir. Wochen später, als ich mich mal beiläufig nach deren Ergehen erkundigte, sagte er tatsächlich: "Mit denen habe ich nichts mehr zu tun, die waren mir zu alt im Kopf."
Hhmm... Warum langweile ich Euch mit dieser Anektdote? Weil daher meine Assoziation des Nazis mit jemandem stammt, der in einer Situation, bei der es um Inhaltliches geht, seine (wütende) Kritk am Formalen festmacht. Als vor Kurzem der Profalla und der Friedrich uns Deutsche im Fernsehen dadurch beleidigten, daß sie im Zusammenhang mit der Snowden-NSA-Affäre dumme Ausreden, Lügen und Nebelkerzen zur prime time absonderten, regte ich mich am allermeisten über grammatiklisch falsche Formulierungen Profallas auf. Am liebsten hätte ich "langhaarige Schickse!" gerufen, wenn's denn gepaßt hätte...
*Witzigerweise ist die
Schickse ursprünglich ein jiddisches Schimpfwort für eine nicht-jüdische Frau, das wohl über das Rotwelsche Einzug in den deutschen Sprachgebrauch nahm...