Nachdem ME3 mich erstmal total abgelenkt und dann am Ende dafür gesorgt hat, das mir der Dampf von kochendem Blut aus den Ohren schoss, hab ich meine eloquente Meinung über DX: HR endlich fertig ausformuliert, welches ich mir vor ein paar Wochen für nen 10er bei Amazon.uk jekooft habe. In dem Sinne, Bühne frei.
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Deus Ex HR ist voll doll toll!
Mit Abstrichen…
Ich mag das allgemeine Artdesign. Die Grafik leistet technisch kein Meisterwerk und verwöhnt das geneigte Spielerauge mit matschigen Texturen, dem Fehlen von all den angesagten hippen Effekten, die die Teenies heutzutage so mögen, teilweise recht grobschlächtigen Polygonmodellen, (Gesichts-)Animationen von vorgestern und zitternden Köpfen in Dialogen, aber sie schafft es ebenfalls, den angepeilten Stil sehr gut rüberzubringen. Für mich sieht das Spiel wie das originale DX in modern aus und damit hat es eigentlich alles richtig gemacht.
Falsch macht es dann allerdings etwas ganz anderes. Es gibt krasse Unterschiede in der Qualität der Figuren. Die Hauptfiguren sehen wesentlich besser aus als die Nebenfiguren. Das ist ein ständiger Stilbruch zwischen hin und her und ist einfach mies. So etwas macht man nicht. Zumindest nicht mehr 2011.
Die Soundeffekte finde ich unaufdringlich und sehr passend, aber auch einen Tick zu passiv. Ich mag diese verschmelzenden Effekte auf der einen Seite sehr, auf der anderen Seite finde ich allerdings auch, dass ein klein wenig Kawumm nichts schadet. Ausgezeichnet sind Soundeffekte, wenn man sie während des Spiels nicht wirklich bemerkt, aber ein paar Tage/Wochen/Jahre später an etwas denkt und einen SFX aus dem Spiel im Kopf hat (als Beispiel führe ich mal den SFX an, den Marines/Firebats in StarCraft machen, wenn sie einen Bunker betreten).
Die Musik hatte ich nicht ausgedreht. Was auch immer das jetzt genau besagt, es indiziert vor allem erstmal, dass sie nicht grauenhaft ist. Das Maintheme hingegen kommt mir ein wenig zu generisch und bemüht fabriziert vor, aber na gut.
Sehr erfreuen tun mich die Sprecher. Das sind nämlich nicht die 0815-Leute, die man inzwischen überall hört, sondern größtenteils mir kaum bis vollkommen unbekannte Leute. Dazu passt es dann auch, dass ausgerechnet Adams Sprecher irgendwie nicht so wirklich perfekt ist. Für mich klingt der immer so, als ob er kontinuierlich einen Asthmaanfall hat oder gerade aus einer Woche Heiserkeit rauskommt. Nach einer Stunde ging’s dann, aber so richtig warm geworden bin ich mit ihm nie. Womit ich nicht die schauspielerische Leistung abtue, die finde ich super. Nur die Stimme selber eher weniger.
Was cover-based-Shooter-Mechaniken angeht, macht DX: HR alles richtig. Es gibt in jedem Areal mehr hüfthohe Deckungen als Yesterday-Covers, man kann um Ecken krauchen, man kann stehen und hocken, man kann von Deckung zu Deckung hechten, man kann aus der Deckung hervorlugen, man kann aus der Deckung feuern, man kann über Deckungen rüberspringen und eigentlich fehlt nur die Möglichkeit, sich in Deckung zu schmeißen. Und ja, das Wortspiel da oben funktioniert nur auf Englisch so wirklich, aber ich musste total lange wie ein Psychopath kichern, als mir das beim Unterhosenbügeln eingefallen ist…
Und als ob mich ein Lob für Gameplay nicht schon genug ärgern würde, muss ich gleich noch weitermachen, denn die Levels sind richtig gut designed. Sehr verwinkelt und vertrackt mit immer mindestens zwei, meist aber drei bis vier, Wegen, irgendwo hinzukommen. Und relativ groß sind die Areale auch noch. Seitdem alles für Konsolen entwickelt wird, sieht man das in dieser Art von Spiel ja kaum noch.
Bei den Augs finde ich toll, dass sie dem Health- und Energyreg eine Lorebegründung gegeben haben. Dadurch wird’s nicht unbedingt besser, aber wenigstens logischer. Generell ist der Kram allgemein recht interessant und man braucht nichts davon zwingend um voranzukommen, was wiederum eine freie Charaktergestaltung erlaubt. Das einzige wirklich vollkommen Unnütze ist die Schwierigkeitsanzeige beim Hacken, die man auch ohne Aug hat.
Was mich, meisterlich eingefädelt, zum Hackingminigame bringt. Ich bin kein großer Freund von Minigames, die allermeisten nerven mich nach dem dritten mal (ME1/2), manche veranlassen mich dazu, ein Spiel mit Alt+F4 zu killen und von der Platte zu schmeißen (Alpha Protocol) und andere kotzen mich nicht nur nach dem dritten mal an, sondern schaden meinen Zähnen, da ich so mit ihnen so knirsche, während ich das Minigame immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer wieder machen muss, weil ich nicht drum herum komme (z.B. das moderne Schloßknacken-Minigame).
Das Hacken in HR hat mir aber auch am Ende noch Spaß gemacht. Man muss sich nicht zu sehr konzentrieren, aber trotzdem aufpassen, man kann planen und gezielt vorgehen, man kann es sich entsprechend einfacher machen mit den Nukes und Viruses und es gibt sogar richtig gute Belohnungen in Form von endgeil krassa Öxpie.
Seltsam ist allerdings, dass man auch mit Zugangsdaten an die Restriktionen des Hacklevels gebunden ist, sprich auch mit legitimem Einloggen eines Kontos kann man die Geschütztürme nicht ausschalten, wenn man das Aug nicht hat. Das macht keinen Sinn whatsoever…
Mein einziges Problem mit der Mainstory liegt darin, dass sich der Fokus mehr oder weniger komplett weg von den Verschwörungstheorien über sich miteinander im Krieg befindliche Geheimbünde und Regierungsorganisationen bewegt hat und es jetzt um corporate warfare geht. Nimmt man die Illuminaten (und die Knights Templar), Majestic 12, die UNATCO und FEMA aus Deus Ex raus, bricht alles zusammen. Nimmt man die Illuminaten, FEMA und VersaLife aus DX: HR raus, ändert sich rein gar nichts, weil die nur ein paar Mal fast schon alibihalber namentlich erwähnt werden.
Das ist ausgesprochen schade. Vielleicht aber auch eine Folge des Zeitgeists, denn in den 90ern hat das Interesse an diesen Dingen geblüht wie der französischen Atompilze auf dem Mururoa-Atoll, während heute kein Hahn mehr danach kräht.
Ansonsten ist die Story durchaus interessant (wenn auch vorhersehbar), hat die eine oder andere kleine (wenn auch vorhersehbare) Wendung und legt mir keine dieser bodenlosen Plotlöcher in den Weg, die mich in finstere Verzweiflung stürzen, oder piesackt mich mit vollkommen unsinnigen Abschnitten, bei denen ich mir einen Schnuller in den Mund stecke, damit das Hirn sich auf das Niveau dessen, was die Augen sehen und die Ohren hören müssen, einpendeln kann.
Die ganzen Nebenquests sind auch in Ordnung. Manche sind eher durchschnittlich, manche aber auch richtig, richtig gut.
Ich konnte eigentlich nur eine einzig wirkliche schlechte Sache an dem ganzen Storykonglomerat finden. Und zwar haben die ganzen Entdeckungen und Erforschungen, die man so machen kann, keinen Einfluss auf die Welt. Oder anders gesagt, es ist nicht möglich in Dialogen Punkte anzusprechen oder zumindest im Verlauf des Gesprächs zu erwähnen, die man entdeckt hat. Zum Beispiel ist Adams Badezimmerspiegel kaputt und die Hausverwalterin erzählt einem immer, dass der Ersatz noch nicht da ist. Wenn man ihren Computer hackt, liest man eine Email, in der die Lieferfirma ihr schreibt, dass der Spiegel seit vier Wochen im Lagerhaus liegt und jetzt zurückgeschickt wird. Die Tante ist offensichtlich ne Rassistin (oder was auch immer man ist, wenn man hemmungslos seiner irrationalen Abneigung gegen Augs frönt), aber man kann sie darauf nicht ansprechen. Es gibt noch ein paar andere Sachen, die ganz besonders Adams ehemalige Liebste und seinen Boss betreffen, die man zwar finden, aber nicht benutzen kann. Das konnte sogar DX damals schon besser.
Womit ich endlich zu den Abstrichen kommen kann, die mir als zynischer Negativfokussierer sowieso das Liebste sind!
Die Enden sind ausgesprochen billig. Ein Raum mit vier Knöppen und ein Video mit unterschiedlichen, vollkommen belanglosen Voiceovers? Also bitte. Mal unabhängig davon, wie man die Enden per se finden mag, ist das schlicht armselig und entwertet irgendwo all die Mühe, Detailverliebtheit und Liebe, die in alles davor geflossen ist. Da hätte mehr kommen können und eigentlich auch müssen. Ich verlange noch nicht mal, dass man die Enden irgendwo im Verlauf des Spiels oder des letzten Abschnitts (wie damals bei DX) entscheidet, aber vier Knöpfe direkt nebeneinander und ein sechzig Sekunden langes Video mit Gelaber ist zu wenig.
Es gibt viel zuviel XP und irgendwie hatte ich schon am Ende vom Detroit alle Augs aktiviert, die ich brauchte. Vielleicht ist das nicht vorhandene Balancing der Preis für die komplette Freiheit in der Charentwicklung, aber ich denke, dass hätte man besser lösen können.
Das ganze wird noch schlimmer, wenn man einen Stealther spielt, denn Schleicher kriegen in fast schon lächerlichem Ausmaß mehr XP durch Hacken, Krauchtouren, Gegner und Abschlussboni als non-stealther. Wenn ich wen erschieße, gibt’s 20XP, bei einem Kopfschuss 30XP, ein stilles Ausschalten hingegen gibt 50XP und ein doppeltes stilles Ausschalten 125XP. Plus Ghost (500XP) und Smooth Operator (250XP) am Levelende. Und dadurch, dass man durch die Bank weg immer nur 4000XP fürs nächste Aug braucht, läppert sich das doch extrem mit der Zeit.
Das ist ein grundlegender Designfehler. Wenn sie eine Spielweise so extrem bevorzugen und es nicht auf die Reihe kriegen, das auszubalancieren, dann sollen sie einfach alle anderen Spielweisen rausnehmen und das Spiel zu einem reinen Stealther machen, damit man wenigstens weiß, woran man ist.
Außerdem ist das Spiel auch auf Give me Deus Ex fast schon beleidigend einfach. Ich musste nur bei der Stelle mit der Rettung mal wirklich aufpassen. Und nicht weil das schwer war, sondern weil ich Pacifist gemacht habe und da die Entfernungen zwischen Gegnern ein Problem werden konnte. Eigentlich schade, aber letztendlich hat es mich auch nicht so überrascht. Als alter Sack ist man das ja inzwischen gewohnt.
Wie ich mitbekommen habe, stießen die Bosse auf wenig Gegenliebe. So wenig sogar, dass sich die Buben und Mädels von Eidos gleich zweimal dafür entschuldigt haben. Durchaus verständlich, erfüllen Bosse doch normalerweise zwei grobe Aufgaben:
1. Sie testen den Spieler auf alles, was er/sie bis jetzt im Spiel gelernt hat.
2. Sie funktionieren als Handlungsknoten und treiben die Story voran.
Bei Human Revolution versagen sie in beidem. Weder braucht es irgendetwas Bestimmtes außer stumpfem Ballern mit der normalen Popelpistole (oder die bequem platzierten explosiven Fässer/Schränke/etc) um sie fertig zu machen, noch haben sie irgendeinen Platz in der Story. Klar, sie sind allesamt total badass motherfuckas, brechen überraschend bei Sarif Industries ein, verschmieren die Wände von Dr. Reeds heimeliger Forschungsabteilung mit den blutigen Innereien der netten Mitarbeiter und schmeißen Adam anschließend durch einen riesigen Flatscreen genau in den Serverschrank mit der Pornosammlung, aber dann verschwinden sie komplett von der Bildfläche und tauchen nacheinander genau passend zum wohligen Vibrieren meines Bossdars wieder auf, welches mir mitzuteilen versucht, dass es Zeit für eine Runde bitchslapping ist. Irgendeine storyrelevante Funktion haben sie nicht. Und man kann sie noch nicht mal auslassen, wie den juten Günni damals.
Und als letzten Punkt habe ich den Missing Link-DLC auf meiner Liste. Für mich war er einer dieser Mittelmaßdiamante, wo man alles Schlechte und alles Gute zusammensteckt und dann solange presst, bis sich die Dinge gegenseitig neutralisieren und nichts mehr zu sehen ist. Nicht das mir die Dreizwanzig den letzten Krümel von der Wampe geklaubt haben, aber für die zehn Tacken, die er außerhalb der Steamsales kostet, ist es imho schwach. Was mich hingegen richtig geärgert hat, ist die Integration in das Hauptspiel. Die ist nämlich scheiße – weil nicht vorhanden. Keine Ahnung was so etwas soll, but I do not approve.
Die Story fängt so an, als ob Adam immer dahin wollte, wo er landen würde, käme nicht das dazwischen, was dazwischen kommt. Was im Hauptspiel irgendwie noch ganz anders klang, denn da wollte er ja zu seinem Ziel. Außerdem verliert man alles, was man besaß und erlernt hatte (ohne Sinn, weil Adam sich als allererstes sein Zeug holt, was dann aber logischerweise nicht mein Zeug ist). Der Obermaxe von Produzent hat in einem Interview gesagt, dass Spieler total gefesselt und begeistert von dem DLC sein werden, weil sie eine ganz neue, verletzliche Seite von Adam kennen lernen werden. Darauf habe ich beim Spielstart „Fuck you, hippie!“ gezischt. Ich weiß nicht, inwiefern Adam im DLC verletzlicher ist. Vielleicht zerkratzt er sich den Lack seiner Unterarmklingen, wenn er das Rückrad von jemandem durch dessen Brustkorb hindurch an die nächste Wand nagelt. Oder er bekommt leichte Gehörgangsschäden, weil seine ganzen Waffen mit den netten Schalldämpfern flöten gegangen sind. Jedenfalls ist er alles andere als verletzlich, sondern schlichtweg wieder der Level-0-Kacknoob mit dem ich 40 Stunden vorher in der oben erwähnten heimeligen Forschungsabteilung gestartet bin.
Ich bin mir allerdings durchaus bewusst, dass nicht alle Leute einen Charakterreset mitten im Spielverlauf als schlecht betrachten (was es ja auch nicht wirklich ist, aber auf mich so wirkt), von daher…
Letztendlich gehört aber das, was man im DLC entdeckt, in das Hauptspiel, weil es die Charaktere und Organisationen stärkt und bestimmte Aspekte des Endes erst verständlich macht. Und wenn sie das schon als DLC verkloppen wollen, dann sollen sie es wenigstens ordentlich ins Spiel einbauen, wie sich das gehört. Und halt einen Extra-Punkt im Menu für ein neues Missing Link-Spiel hinzufügen für die Leute, die schon durch sind.
Und weil ich da oben gelogen habe, kommt jetzt noch ein weiterer Punkt: Der Preorder-DLC ist eine Frechheit. Ohne den gibt’s keine Silenced Sniper Rifle, weil man – vollkommen unverständlich und entgegen jeder Logik – auf das normale Sniper Rifle keinen Schalldämpfer schrauben kann. Das ist eine so dermaßen billige, armselige und cockslap-in-the-face-artige Arschkopftaktik für release revenue durch PreOrders (könnte ja sein, dass das Spiel Mist ist und das dumme Vieh nachher noch Testberichte liest und dann nicht kauft), dass sich Eidos damit endlich auch auf meine Hassliste manövriert hat, auf der ich ihnen schon seit langem ein Plätzlichen warmhalte. Natürlich ist die Hassliste inzwischen so lang geworden, dass ich gar nicht mehr weiß, wer da alles drauf ist. Wobei, schätzungsweise jeder, mich eingeschlossen…
Die größte Errungenschaft von DX: HR ist vermutlich, dass es sich von der ersten Minute an wie ein DX-Spiel anfühlt – was auch immer das jetzt genau bedeuten mag, gab es bis jetzt doch nur ein DX, welches sich wie ein DX anfühlt. Die Welt, die HR zeichnet, besitzt genau wie DX damals diesen unwiderstehlichen und einnehmenden Charme von etwas gut durchdachtem. Von etwas mit Substanz hinter der Fassade, von etwas mit mehr als nur Programmcode hinter dem Eyecandy und den Gimmicks, die man in den Topf schmeißt, weil sie cool sind und jede Oma so was heutzutage in ihre Spiele einbaut. All die Personen, Organisationen und technischen Errungenschaften haben Hintergründe, Motivationen, Entwicklungen, Werdegänge und Geschichten. Obendrein kommt dann die relative Nähe zur Gegenwart, die ein Gefühl von Erkennen und Verbundenheit ermöglicht.
Manchmal wird das Spiel ein wenig zu albern mit den Insidern und Eastereggs, weil sie die Story/den Levelverlauf vorwegnehmen (gerade Eliza Cassan und Picus TV sind da so ein Beispiel), aber viele Anspielungen sind auch sehr schön und geradezu ein respektvolles Kopfnicken an den Nerd und/oder Deus Ex-Kenner von damals.
Alles in allem kann ich Deus Ex: Human Revolution guten Gewissens den zertifizierten Wedge-hasst-alles-Neue-aber-das-hier-sehr-viel-weniger-Stempel auf die glänzende Hülle drücken und das Spiel vorbehaltlos allen DX-Fans empfehlen. Und die Meisten anderen dürften auch ihren Spaß damit haben.
Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass mich kein anderes Spiel aus 2011 so in den Bann gezogen hat wie Human Revolution. Auch wenn ich es erst 2012 gespielt habe.