Entschuldigen Sie bitte, dass ich so lange auf mich warten ließ, doch die folgenden Ereignisse gehören zu den Dunkelsten in meinem Unleben als Vampir. Ich brauchte eine ganze Weile, um sie damals zu verarbeiten und noch heute, hundert Jahre später, bin ich aufs Neue entsetzt und fasziniert zugleich, wenn ich daran denke.
<i>Das tägliche Essen an Bord entwickelte sich für mich zur Qual, jeder Bissen verursachte mir Übelkeit und nichts konnte ich lange bei mir behalten. Die anderen Passagiere warfen mir mitleideige Blicke zu, für sie ltt ich an einer sehr schweren Seekrankheit und in einem gewissen Sinne tat ich dies auch. Aber ich war nicht der Einzige, dem es in diesen Tagen schlecht ging, Miss Hartmann, die junge Dame aus Deutschland, erschien nur selten zu den Mahlzeiten und wenn sie anwesend war, so machte sie einen niedergeschlagenen, ja förmlich kranken Eindruck.
Schließlich wurde ihr Fernbleiben von dem Essen nach drei Tagen so Besorgnis erregend, dass ich sie in ihrer Kabine aufsuchte, immerhin hatte ich die Medizin studiert und wenn ich schon nichts an meinem Zustand des Unlebens ändern konnte, so konnte ich doch immernoch mein Wissen nutzen, um den Menschen hilfreich zu sein.
Ich klopfte also nach wenigen Tagen auf See an die Tür von Miss Hartmanns Kabine und wartete darauf, dass sie mich herein bat.
Doch nichts geschah, nichts rührte sich in der Kabine und niemand forderte mich zum Eintreten auf.
"Fräulein Hartmann?", ich klopfte nochmals an die Tür und rief ihren Namen.
Aber auch jetzt erfolgte keine Reaktion. Scheinbar hatte sie sich wohl hingelegt und schlief, also beschloss ich, es später noch einmal zu versuchen.
Doch kaum hatte ich mich von der Tür abgewandt, da hörte ich von drinnen das Brechen und Splittern von Glas und etwas Schweres schlug dumpf auf den hölzernen Boden.
"Fräulein Hartmann? Geht es ihnen gut?", ein leises Keuchen und Rascheln antwortete mir, sonst bleib alles still. Und obwohl ich es nicht für möglich gehalten hätte, so jagte mir die beklemmende Atmosphäre eine Gänsehaut über den Rücken. Um mich befand sich nur der dunkle enge Gang des Schiffes, dessen Holzplanken im Rhythmus der Wellen knarrten. Muffiger Geruch nach feuchtem Staub kroch aus den Eingeweihten des Indienfahrers herauf und nur alle zehn Schritt erhellte eine funselige Blendlaterne die Finsternis.
Sie mögen vielleicht lachen aber in dieser Situation war mir gar nicht wohl in meiner Haut. Vorsichtig drückte ich auf die Klinke der Tür und hoffte fast, es wäre abgeschlossen und meine Einbildung hätte mir einen Streich gespielt.
Doch wie so oft, sind unsere Hoffnungen und die Realität zwei verschieden Paar Schuhe. Mit einem hässlichen Knarren sprang die Tür auf und schwang einen Spaltbreit nach innen, bevor sie von einem Hindernis gestoppt wurde.
"Fräulein Hartmann?", fragte ich ein drittes Mal durch den Türspalt in den Raum hinein, doch nur das Rauschen des Windes und das Kreischen der Möwen antworteten mir.
'Das Kreischen der Möwen?', mir schwante nichts Gutes.
Vorsichtig versuchte ich, die Tür weiter zu öffnen, merkte aber sofort, dass etwas Schweres auf der Innenseite gegen die Tür gelehnt war. Sollte das Miss Hartmann sein?
Ich drückte gegen das Türblatt, wodurch das Hindernis auf der anderen Seite scharrend weiter in den Raum geschoben wurde. Der metallische süße Geruch von Blut stieg mir in die Nase und ein dünner Faden des roten Lebenssaftes floss unter der Tür hindurch.
Schließlich hatte ich sie soweit geöffnet, dass ich mich in die kleine Kajüte quetschen konnte - was mich beinahe mein Unleben gekostet hätte.
Ich weiß nicht, ob es reines Glück oder einer meiner neu erwachenden Vampirsinne war, der mich im letzten Moment dazu brachte, mich fallen zu lassen. Denn kaum war ich halb in dem Raum, als etwas mit unglaublicher Geschwindigkeit auf meinen Kopf zusauste, diesen nur knapp verfehlte und splitternd die Tür zerhackte.
Mir blieb in jenem Augenblick keine Zeit, mich nach meinem Gegner umzublicken und im Nachhinein bin ich sehr froh darüber. Denn hätte ich in dieser Situation gesehen, welche Abscheulichkeit mich da angriff, ich wäre sicherlich nicht mehr unter den Unlebenden.
So rollte und schlitterte ich weiter in die Kajüte hinein, erwartend, vom nächsten Hieb zerrissen zu werden. Schließlich fand ich mich unter der Koje wieder und hörte, wie etwas mit wildem tierischen Gebrüll die Reste der Tür in Späne verwandelte.
Und trotzdem ich geglaubt hatte, dass ich als Untoter keiner Gefühle mehr fähig sei, spürte ich eine nackte kreatürliche Angst, die mich an den Rand einer Panik brachte. Jeden Augenblick erwartete ich, dass die Koje über mir zerfetzt und ich gepackt und zerrissen würde, von etwas, dessen Gebrüll wie das einer vorsintflutlichen Bestie klang.
Doch die Sekunden dehnten sich endlos, ohne das etwas geschah und verblüfft bemerkte ich, dass ich das Atmen, eine reflexartige Angewohnheit, schon seit einiger Zeit eingestellt hatte und es mir immer noch gut ging!
Es mag verrückt klingen aber in jenem Augenblick, auf einem Schiff mitten auf dem Atlantik unter der Koje einer jungen Frau, die wahrscheinlich von einer Bestie zerfetzt worden war, ging mr zum ersten Mal auf, dass ich ncht mehr atmen musste! Bis zu jenem Augenblick hatte ich unbewusst weiter meine Lungen bewegt, obwohl ich es gar nicht mehr musste.
Diese Erkenntnis traf mich so unvermittelt, dass ich die Gefahr in der ich mich befand verdrängte und meine alte Ruhe wieder fand.
Und mit meiner wiederkehrenden Gelassenheit, kam mir zu Bewusstsein, dass das Untier aufgehört hatte zu toben, ja sogar regelrecht still eworden war.
Vorsichtig lugte ch nter dem Bett hervor und erblickte etwas, von dem die Erinnerung daran mir regelmäßig die Haare zu Berge stehen lässt.
Neben der zerhackten Tür kauerte etwas, dass man weder Mensch noch Tier nennen konnte. Dichtes zottiges Fell bedeckte teilweise den Körper des Wesens, während an anderer Stelle bloße kreidebleiche Haut schimmerte.
Aber das schlimmste an dem, was ich erblickte, war sicherlich der Kopf, es war, als hätte jemad das Antlitz eines Menschen aus Wachs geschaffen und führe nun mit einer brennenden Fackel darüber hinweg. Das Gesicht schien immer wieder zu zerfließen, bewegte sich, als kröchen tausende Maden unter der Haut herum, formte sich beinahe zu einem Gesicht und stürzte dann wieder wie Gelee in sich zusammen.
Mit wachsendem Ekel aber auch Faszination starrte ich die Bestie an, bis ich merkte, dass das seltsame Gestammel der Kreatur Worte waren.
Sie waren seltsam verzerrt, als könnten sich die Stimmbänder nicht entscheiden, zu welchem Geschlecht sie gehörten und was ich hörte, ließ es mir eiskalt den Rücken hinab rinnen:
"Helfen... Ich... Sie... werde Sie... mir!... töten!"
Erst nach einer Weile erkannte ich, dass diese immer wieder wiederholten Worte zwei Sätze waren, zwei Sätze, die von zwei Wesen in einem Körper gesprochen wurden!
Ich bemerkte, dass die wallenden Gesichtszüge immer wieder zwei Formen annahmen, zwischen denen sie hin und her pendelten; das Antlitz einer jungen Frau und das Gesicht eines Mannes.
Mein Abscheu steigerte sich und hätte ich gekonnt, ich hätte mich übergeben.
Welche Teufelei der Finsternis war hier im Gange? Was war das für ein Wesen, das offensichtlich aus zweien zusammen gesetzt war?</i>