<i>An dieser Stelle unterbrach van Helsing wieder einmal seine Erzählung, um einen weiteren kleinen Schluck aus seinem Glas zu nehmen. Zwar wurde ein Vampir vom Alkohol nicht trunken, trotzdem wusste Abraham noch immer oder vielleicht gerade durch seine, im Vergleich zu Sterblichen, lange Lebensspanne, den Genuss des herben brennenden Getränks zu schätzen.
Er blickte kurz in die Runde und entdeckte ein neues Gesicht unter den Anwesenden.
„Oh, Madam, war ich so in meinen Bericht versunken, dass ich euer Eintreten nicht bemerkte? Entschuldigt bitte meine Unhöflichkeit und seid auch ihr willkommen in dieser geselligen Runde, in der Lebende und lebende Tote friedvoll beisammen sitzen. Wünscht auch ihr etwas zu trinken? Ich bin sicher, dass Mildreth noch mehr heiße Schokolade gemacht hat. Aber Tee, Kaffee oder auch einen Schluck Brand kann ich euch anbieten. Sagt einfach, wonach euch der Sinn ist.
Aber ich schweife ab. Ich werde jetzt ein paar Tage überspringen, da in diesen nichts interessantes passierte. Siegfried und Wilhelm erwiesen sich als eine Art Aufpasser, die mich keine Minute aus den Augen ließen. Es war das erste Mal, dass ich längere Zeit Vampiren so nahe war! Vieles was sie mir erzählten, war neu für mich und die Informationen drohten meinen Geist zu überfluten und doch hatte ich das Gefühl, dass sie mir etwas verschwiegen. Etwas, dass von bedeutender Wichtigkeit für mich war!“
Fünf Tage später verließ ich mit meinen beiden Aufpassern den Frankfurter Hof, eines der besten Hotels am Platz. Ich hatte die letzten Tage genutzt und Nachforschungen angestellt, was aus meinen im Orient Express zurück gebliebenen Sachen geworden war. Zu meiner großen Freude, hatte der Schaffner sie in Verwahrung genommen und so erhielt ich sie drei Tage später am Frankfurter Bahnhof ausgehändigt. Zwar wunderte sich der Bahnhofsvorsteher über meinen ungewöhnlichen Wunsch, die Sachen nur des Nachts entgegen nehmen zu wollen aber scheinbar war er Exzentriker gewöhnt und übergab sie mir kommentarlos.
An jenem Abend war es soweit, wir machten uns auf, um den Feind des Prinzen zur Strecke zu bringen. Beziehungsweise geleiteten mich meine Begleiter ein Stück, um dann in einer kleinen Schankstube auf meine Rückkehr zu warten.
Ich sollte das Opfer in seiner Wohnung aufsuchen, niederstrecken, das Herz entfernen und damit zu meinen Aufpassern zurück kehren.
Wenn ich heute darüber nachdenke, ich wusste fast nichts über das Opfer. Einzig seine Adresse und dass es der Feind des Prinzen war. Es war Wahnsinn, sich auf solch einen Handel einzulassen. Aber damals, diese neue Welt war so fremd für mich, beinahe jeder Zwang, den ein Vampir anzuwenden versteht, drängte mich dazu, Sachen zu tun, bei denen mir nur vom Gedanken daran schlecht wurde!
In meiner Ledertasche klapperten ein paar Sachen, die laut Aussage Siegfrieds durchaus gegen einen Vampir Effekt zeigten. Ein Revolver, eine Flasche Weihwasser, das um so stärker wirkte, je gläubiger der Anwender des gesegneten Wassers war. Außerdem mehrere Pflöcke, von denen einer sogar eine stählerne Spitze besaß, da einige Vampire die Angewohnheit entwickelt hatten, sogenannte Herzplatten zu tragen. Dicke Bleche, die sie sich unter die Haut setzen ließen, um einen eindringenden Pflock abzuwehren. Und schließlich ein Hammer. Meine Begleiter hatten höhnisch gelacht, als sie sahen, dass ich eine großen schweren Vorschlaghammer einsteckte, schließlich war ich in der Lage, den Pflock mit der puren Kraft meines Körpers in den Vampir zu rammen aber ich wollte an meinen alten Methoden festhalten.
Mit einer Droschke fuhren wir los, nach kurzer Zeit setzte ich meine Aufpasser ab, noch einmal wurde mir eingeschärft, dass ich nicht versuchen sollte zu fliehen, man würde mich auch weiterhin beobachten. Dann war ich allein und vor mir lag die schwere Aufgabe, jemanden, obschon ein Vampir, so doch jemand, der mir nichts getan und mit dem ich keinen Hader hatte, zu vernichten.
Viel zu schnell verging die Kutschenfahrt, obwohl sie länger als eine Viertelstunde dauerte.
Als die Droschke ins Dunkel davon ratterte, stellte ich verblüfft fest, dass die Adresse, die man mir gegeben hatte, die einer kleinen Vorstadtkirche war! Konnte es möglich sein, dass eine unheilige Kreatur an solch einem heiligen Ort hauste?
Als ich an die Tür der Pfarrei klopfte, hörte ich kurz darauf schlurfende schwere Schritte. Eine dicke ältliche Frau, die ihre besten Jahre schon weit hinter sich hatte, öffnete mir. Etwas überrascht blickte sie mich an, dann murmelte sie: „Also doch!“, bevor sie mich nach drinnen winkte: „Der Vater hat sie schon erwartet...“
Jetzt war ich endgültig verwirrt. Hatte der Prinz nicht gesagt, dass mein Opfer nichts wüsste, ja regelrecht sorglos war? Wie konnte es mich dann erwarten?
Mit einem seltsamen flauen Gefühl im Bauch folgte ich der Frau, die mich in ein kleines Arbeitszimmer brachte, in dem ein alter Mann, der die Gewänder eines Priester trug, saß und eine Pfeife rauchte.
„Ah! Van Helsing! Kommen Sie! Nehmen Sie Platz!“, er hatte für einen Geistlichen eine sehr ungewohnte abgehackte Sprechweise. Meine Gedanken sagten mir, dass er nicht das Ziel sein konnte, sein durfte aber meine vampirischen Sinne bestätigten nur, was ich längst wusste und mit aller Macht zu leugnen versuchte. Der Vater war ein Vampir! Und er kannte mich!
„Jetzt schauen Sie nicht so, sie werden nicht gekreuzigt!“, er lachte kurz spöttisch und deutete noch einmal auf einen Stuhl.
„Ich bin froh, dass sie endlich gekommen sind, ich bin schon viel zu lange auf dieser unglückseligen Welt. Und auch die Kleider eines Priesters können nicht mehr über meine wahre Art hinweg täuschen. Nur der Glaube ließ mich die letzten 900 Jahre überdauern, 900 lange Jahre! Wir beide haben etwas gemeinsam wissen Sie?! Wir wurden beide zu diesem Leben gezwungen, weil wir in unserem Menschsein gegen die Finsternis kämpften. Einst war ich Inquisitor der heiligen römischen Kirche. Heute würde man mich als Mordbrenner beschimpfen aber die Sterblichen sind so dumm. Sie stolzieren mit ihrer neuartigen Technik durch die Gegend, denken wunder was für tolle Geschöpfe sie wären und sehen dabei nicht, dass sie nur die Nahrung für eine immer schneller wachsende Schar von Untoten sind! Sie verurteilen Menschen, die einen tieferen Einblick in die Finsternis hatten, in der unsere Welt immer mehr versinkt. Oh ja, die Kirche weiß schon lange von den Kainskindern aber sie ließ dieses Wissen nie nach außen dringen. Immer nur wenige Eingeweihte Krieger Gottes wurden auf den Kampf gegen die dunklen Mächte eingeschworen. Ich war einer von ihnen. Einer der wenigen Inquisitoren, deren Aufgabe es war, die Vampire zu jagen und zu vernichten, wo wir ihrer nur Angesichtig wurden.
Und das war mein Verhängnis.
Im Jahre 1334 wurde ich nach Transsilvanien geschickt. Noch heute ist es eine raue Gegend aber damals, war sie die Hölle. Von Süden drohten die Türken, die immer wieder marodierend einfielen, raubten, mordeten und vergewaltigten und von Norden zogen die Kreuzzügler ein ums andere Mal durch das Land und zerstörten das, was die Türken noch übrig gelassen hatten.
Aber das waren die normalen Bedrohungen, mit denen damals weite Teile Europas zu kämpfen hatten. Viel schlimmer waren die Mächte des Übernatürlichen, die sich die Karpaten als ihr schauriges Schlachtfeld auserwählt hatten.
Vampire, Werwölfe, wandelnde Tote und weit schlimmere Kreaturen der Höhle lieferten sich einen Krieg, bei dem es keinen Gewinner geben konnte.
Und mitten in diesem Chaos saß, wie eine fette Spinne in ihrem Netz, Graf Vlad Dracul, von vielen nur noch ‚Tepesh’ genannt. Einst war er einer von meinem Orden gewesen, ein Drachenritter, ausgesandt, Transsilvanien gegen die Eindringlinge, menschlicher und übermenschlicher Natur, zu verteidigen.
Aber die ständige Berührung und Konfrontation mit der Dunkelheit korrumpierte ihn. Sie verdrehte seine Gedanken, ließ sein Herz erstarren. Schließlich begann er, seine Feinde, vor allem die menschlichen auf bestialische Weise zu morden. Er spießte sie lebendigen Leibes auf Pfähle und weidete sich an dem Anblick der zuckenden blutenden Körper. Lauschte dem grauenhaften Schreien seiner Opfer und trank ihr Blut. Oh ja, viele denken, Dracula wurde einst gebissen aber es ist so, dass er anfing zu beißen, als er noch kein Vampir war! Seine grauenhaften Ausschweifungen wurden immer schlimmer und schließlich begann er, die Herzen seiner Opfer zu verzehren. Und in einem Land wie Transsilvanien dauerte es nicht lange, bis er dabei auch das Herz eines Vampirs in seinem grenzenlosen Wahnsinn verzehrte.</i>