Buchkritiken - Das Topic für Leseratten, Teil 2

Doc Sternau

Chefzwerg
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Terry Pratchett
Die Nachtwächter - The Nightwatch

Die Nachtwache Ankh-Morporks ist zurück und diesmal haben sie es mit einem Gegner zu tun, der ihre Fähigkeiten übersteigt.
Carcer heißt der Bösewicht und er ist das, was man einen richtigen Unsympathling nennen würde. Schon zwei Wächter hat er umgebracht und einer davon war nichtmal im Dienst. Der junge Starkimarm hätte sicherlich nicht gedacht, dass der Verzehr einer knusprigen Ratte eine tödliche Gefahr darstellt.
Zu gerissen ist Carcer für den normalen Morporkianischen Wächter, sodass sich Sam Mumm schließlich selbst an die Verfolgung des Verbrechers macht. Die Jagd endet schließlich auf dem Dach der Bibliothek der Unsichtbaren Universität, wo es Mumm gelingt, Carcer zu stellen.
Doch dann kommt es ganz anders als gedacht. Eine magische Entladung schleudert beide, Mumm und Carcer, dreißig Jahre in die Vergangenheit, in ein Ankh-Morpork, dass sich vom bekannten unterscheidet, wie Tag und Nacht.
In dieser Vergangenheit regiert der verrückte Lord Winder die Stadt und eine geheime Einheit von 'Wächtern', die Unaussprechlichen, sind sein verlängerter Arm.
Um Carcer, der eine große Bedrohung für die Vergangenheit Ankh-Morporks darstellt, Dingfest zu machen, schlüpft Mumm in die Rolle seines ehemaligen Ausbilders bei der Wache: John Keel.
Aber dieser wird in vier Tagen bei einer Revolution sterben...

Der gerade erschienene Scheibenwelt-Roman stellt meiner Meinung nach einen neuen Höhepunkt in Pratchetts Schaffen dar. Wie man schon in den letzten Romanen merken konnte entfernt er sich zum Teil von den ursprünglichen reinen Slapstick-Werken und versucht tiefsinnige Gedanken in seinen Büchern unterzubringen.
Dies ist ihm bei 'Die Nachtwächter', meiner Meinung nach, perfekt gelungen.
Der Roman ist wahrscheinlich der ernsthafteste der Reihe und ist dabei doch witzig. Wer ein reines Gagfeuerwerk erwartet, der wird enttäuscht sein. Wer aber ein spannendes, tiefsinniges und dabei doch humoristisches Buch sucht, der wird bei den Nachtwächtern auf jeden Fall fündig.
Auch mit dem Handlungsschauplatz ist Pratchett ein großer Wurf gelungen. Endlich sieht man mal das alte Ankh-Morpork. Man erlebt, wie Schnapper sein erstes Würstchen verkauft, lernt die junge Frau, pardon, Fräulein Palm kennen und trifft den jungen Sam Mumm, der noch völlig grün hinter den Ohren als frisch gebackener Gefreiter in der Nachtwache dient.
Für jeden Scheibenwelt-Fan ein Muss, für Interessierte der mögliche Neueinstieg. Denn diesmal greift der Roman nur auf wenig Bekanntes zurück, vielmehr liefert er sozusagen den Wache Band 0.

[flüster]Anmerkung: Dieses Topic dient wie das erste dieser Art zum Posten von Buchkritiken. Kommentare sind unerwünscht und sollten in eigenen Topics abgegeben werden. Spam wird ohne Hinweis gelöscht.[/flüster] :)
 

a Vecha

Freund
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Ralf Isau
Die Neschantriologie, Band 1: "Die Träume des Jonathan Jabbok", Band 2: "Das Geheimnis des siebten Richters", Band 3: "Das Lied der Befreiung Neschans"
[flüster]Ich hoffe das darf ich jetzt, aber in gewissermaßen ist es ja Werbung[/flüster]
Von www.isau.de :
Band 1:
Der 13-jährige Jonathan Jabbok ist an den Rollstuhl gefesselt. Nur in seinen Träumen geht er auf Wanderschaft. Dort ist er der springlebendige Yonathan, der eines Tages den geheimnisvollen Stab Haschevet findet. Nur wenn dieser Stab vor den Mächten des Bösen bewahrt und in den fernen Garten der Weisheit gebracht werden kann, wird der siebte Richter von Neschan mit ihm zur Rettung der Welt antreten können. Weil kein anderer als Yonathan den Stab berühren kann, ohne sofort zu Asche zu zerfallen, muss er die weite und gefahrvolle Reise selbst antreten. Der schottische Knabe Jonathan Jabbok taucht immer tiefer in die Welt seiner Träume ein, bis er sich fragt, welches die wirkliche Welt für ihn ist: jene, die ihn nur im Rollstuhl kennt oder die andere, wo alles von ihm abhängt ...

Den Rest könnt ihr selbst hier nachschauen:
http://www.isau.de/shop/index.htm

(ich gebe es ja zu, ist schon ein bisschen länger her)
Die Geschichte ist eigentlich ganz gut beschrieben, Jonathan träumt von Yonathan welcher in einer Fanatsiewelt lebt, während er schläft, und Yonathan träumt von Jonathan, der in Schottland um 1920 lebt, während er schläft.
Es ist ziemlich interessant gemacht, wie die zwei immer mehr und mehr "zu eins werden", die Geschichte spielt, grob erzählt darum, dass Yonathan einen Stab in den Garten der Weisheit bringt, um das Böse zu vernichten sozusagen, und er erfährt dann immer mehr, was er nocht und muss.
Warum ich das Buch gelesen habe? Ich fand den Titel recht interessant, und als Rubrik stand Fantasie, das hat gereicht.
Was mich an diesem Buch so gefesselt hat, hm, erstens hat Ralf Isau hier eine neue Welt erschaffen, die ziemlich interessant ist, das Buch ist einfach schön, spannend, und hat auch eine gute Botschaft. Ebenfalls ist es gut geschrieben, der hat einen guten Stil, und die Welt, die verschiedenen Charaktere, die verschiedenen Lebewesen sind ziemlich gut ausgearbeitet, und man findet schnell seinen Favoriten, weil es mehrere Helden gibt. Es ist ein echt schönes Buch, die Ideen sind gut und gut durchgeführt und was weiß ich.
Ich bin kein Profi in sowas hier, und so spontan kann ich es auch nicht schreiben, dass es gut klingt, aber das Buch ist einfach empfehlenswert.
Ich habe nicht gerade wenig gelesen, aber dieses Buch gehört mit zu meinen Favoriten :up:
 

Darghand

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Irvine Welsh - Klebstoff


Wenn einem der Name Welsh nichts sagt, dann aber zumindest "Trainspotting" - von dem Autor kommt nämlich die Romanvorlage zu dem Junkie-Film.

"Klebstoff" ist Welsh's neuestes Buch und das erste, das ich von ihm gelesen hab.


Inhalt

Schottland, ab 1970: In einer Hochhaussiedlung am Rande von Edinburgh wachsen 4 Jungs nach den Regeln auf, die ihre alten Herren irgendwann aufgestellt hatten: Schlag keine Mädchen. Verpfeif nie jemanden. Kauf dir jede Woche eine neue Platte. Hilf immer deinen Freunden.
Die vier sind: Terry Lawson, ein Macho vor dem Herrn und selbsternannter "Frauenverwöhner", Billy Birrell, der boxende Sportfreak, Carl Ewart, ein sensibler Musikfan und DJ und schließlich der kleine Andrew Galloway, den alle nur Gally nennen, und den die Befolgung der Regeln am härtesten trifft.

Die in der Ich-Perspektive geschilderten Erlebnisse schreibt das Leben selbst, es geht ums Sex, um Alkohol, Schule, Drogen, Musik, Fußball und Einbrüche.

Mehr kann/darf zum Inhalt eigentlich nicht verraten werden, da man sonst zuviel vorwegnehmen würde.

Kritik

Ein Top-Buch, bei dem von vorne bis hinten alles stimmt und zusammenpasst. Die Sprache ist roh und in gewissem Sinne natürlich, man zweifelt nicht einen Augenblick an ihrer Glaubwürdigkeit. Da der Großteil in der Ich-Perspektive erzählt wird, kommt es immer wieder zu Überschneidungen in den Erzählungen, was das Ganze noch dichter erscheinen lässt.
Die Charaktere sind großartig, es macht Spaß, ihre Entwicklung über die verschiedenen Episoden bis ins Jahr 2000 zu verfolgen und immer wieder Details zu entdecken, die in diesem oder jenem Kapitel, nur aus anderer Sicht, schon erwähnt wurden. Das Buch ist in Zeitabschnitte unterteilt ("Um 1990 - Hitlers Stammlokal" usw.), die dann aus mehreren, miteinander verknüpften Mini-Kapitelchen bestehen.
Die erzählten Stories schwanken zwischen typischen Pubertäts-Erlebnissen, absurd-komischen Situationen, gefühlvolleren Momenten und wundervoll schwarzhumorigen Szenen.

Ein kleiner Auszug aus den Abschnitt-Überschriften:

"Sexualerziehung"
"Nightmare on Elm Road"
"Voll im Saft"
"Fight for the right to party"
"Kupferkabel"

(Andere werden aus Rücksichtnahme auf den guten Ton hier nicht genannt)

Wer nichts gegen eine derbe Sprache hat (WIRKLICH derbe, nichts für fanatische Oscar Wilde oder Thomas Mann-Fans), wird an der Reise durch Punk & Rave und Acid & Ecstasy seine Freude haben.
Ich hab's während der Abschlussfahrt gelesen und wurde ständig belagert, weil's so gut wie jeder gut fand.

Bewertung: :):):):):) (5/5)

ISBN: 3-462-03091-4
Verlag: Kiwi
 

Advocate

Defender Of Steel
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Buchkritiken - das Leserattentopic - Reprise

Das letzte Leserattentopic scheint ja in den Archiven verschollen zu sein und da es immer Bedarf an guten Büchern gibt, erlaube ich mir hiermit ein neues zu erstellen. Jeder, der auf der Suche nach Meinungen zu einem bestimmten Werk ist, sei herzlich eingeladen, hier zu schmökern. Es soll sich jeder so frei fühlen, neue Rezensionen zu einem Buch seiner Wahl hinzuzufügen, nur bitte ich um eines: Gib dir Mühe dabei! Kein Buch hat es verdient, kommentarlos in den Raum geworfen zu werden, auch dass nur ein Wort über Inhalt und persönlicher Meinung verloren wurde. Dass dies nicht unbedingt etwas mit der Qualität der Rezension zu tun haben muss, seht ihr sogleich: ;)

Hermann Hesse: Siddharta
suhrkamp, 121 Seiten.

[...]Siddharta hatte begonnen, Unzufriedenheiten in sich zu nähren, Er hatte begonnen zu fühlen, daß die Liebe seines Vaters, und die Liebe seiner Mutter, und auch die Liebe seines Freundes, Govindas, nicht immer und für alles Zeit ihn beglücken, ihn stillen, ihn sättigen, ihm genügen werde. Er hatte begonnen zu ahnen, daß sein ehrwürdiger Vater und seine anderen Lehrer, daß die weisen Brahmanen ihm von ihrer Weisheit das meiste und beste schon mitgeteilt, daß sie ihre Fülle schon in sein wartendes Gefäß gegossen hätten, und das Gefäß war nicht voll, der Geist war nicht begnügt, die Seele war nicht ruhig, das Herz nicht gestillt. Die Waschungen waren gut, aber sie waren Wasser, sie wuschen nicht Sünde ab, sie heilten nicht Geistesdurst, sie lösten nicht Herzenshunger. Vortrefflich waren die Opfer und die Anrufungen der Götter - aber wr dies alles? Gaben die Opfer Glück?[...]

Inhalt:
Jeder wird wohl schon einmal etwas von Prinz Siddharta gehört haben, der sich auf einen langen Weg machte, um letztendlich die Weltreligion des Buddhismus zu begründen. Hesse schrieb aber keine Biographie, auch wenn deutliche Parallelen zu finden sind.
Als Sohn eines Brahmanen fehlt es Siddharta eigentlich an nichts, was ein junger Mann benötigt: Er ist wohlhabend, wohnt in einem schönen Anwesen, hat einen besten Freund, der ihn über alles liebt und kann sich den schönen Künsten hingeben. So erwartet man von ihm auch die Nachfolge seines Vaters in der Priesterschaft anzutreten. Aber Siddharta wird von all dem nicht erfüllt. In ihm keimt der Wunsch nach Größerem auf. Er träumt ruhelos und kommt zu der Erkenntnis, dass er nicht zur Erfüllung seines Lebens gelangen würde, wenn er den Lehren seiner Lehrer folgen würde. Er sieht ein, dass nur den Weg finden kann. Und so macht er sich zusammen mit seinem Gefährten Govinda auf, um sein Glück beim Weisen Gotama zu versuchen...
Mehr sei hierzu nicht verraten :p

Meine Meinung:
Hesse wird oft als "Autor der Jugend" (oder so ähnlich ;)) tituliert, da seine Bücher oft von jungen Menschen handeln, die am Scheideweg ihres Lebens stehen. Auch dieses ist anfänglich eines davon. Würde man es auf die heutige Zeit und Kultur übertragen, könnte man (ich will mir sowas fast nicht anmaßen) sagen, Siddharta sei der Sohn eines erfolgreichen Unternehmers gutbürgerlicher Herkunft. Er wurde sein gesamtes bisheriges Leben darauf vorbereitet, das Geschäft seines Vaters weiterzuführen. Er fühlt sich zu Höherem berufen, bricht kurzerhand sein BWL-Studium ab und macht sich auf eigene Faust in die große weite Welt auf. So manch einer von uns Halbstarken kann sich vielleicht ja einen kleinen Tipp von Herrn Hesse zu Herzen nehmen, denn viele Passagen haben auch Autobiographie Züge (wie viele Bücher Hesses).
Nun etwas zur Sprache: Viele Leute meinen, der "Wert" eines Buches misst sich darin, wieviele kluge Gedanken man pro Seite darin findet. Dann müsste mein Deutschbuch zum Buch des Jahrhunderts erklärt werden, da es ja eine Zusammenfassung der wichtigsten literarischen Themen liefert. Nein, Literatur ist mehr! Literatur ist Sprache. Und Hesse beherrscht sie ohne Zweifel perfekt. Nicht umsonst heißt der Untertitel des Buches "Eine indische Dichtung"; ein Kritiker bezeichnet das Buch zudem auf der Rückseite als "eine für ihn wirksamere Medizin als das Neue Testament" - das Buch liest sich erhaben wie die Bibel, aber wirkt dabei nie hochgestochen und gestellzt (geschwollen ja :)).
Streng nach Hesse dürftet ihr jetzt aber nicht aufgrund meiner Empfehlung das Buch kaufen, sondern müsst erst eure eigenen Erfahrungen sammeln. ;)
Zu sagen wäre noch, dass diese Rezension nur mit einem kleinen Teil des Buches befasst, eine vollständige Behandlung wäre wohl wegen des hohen literarischen Kalibers vermessen.
 

Lena

Floh
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*anderes Topic heranschlepp*

Gleich zwei, die innerhalb kürzester Zeit die selbe Idee hatten! :D :)

[thread]26090[/thread]

Da hat Doc auch schon einen zweiten Teil aufgemacht. :)

[edit by Doc] Jetzt ist es wieder nur noch ein Topic. :)
 
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Advocate

Defender Of Steel
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Jetzt bin ich doch etwas verwundert :D,

danke an Doc fürs Zusammenfügen! :)
 

Lynx

Grinse-Wolf
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Ich kann sehr das Buch "He! Rebeck!" von Peter S. Beagle empfehlen!
Worum's geht weiß ich nicht mehr, ich fange das Buch gerade zum zweiten Mal an, aber ich fand es nach dem ersten Mal lesen echt toll! :)

Rezension bei Amazon: Dieses Buch ist fast schon ein Klassiker, der erste Roman von Peter S. Beagle, der vor allem durch "Das letzte Einhorn" weltbekannt wurde. Sein erstes Buch ist auch gleichzeitig sein bestes, voller Charme und Witz, aber auch melancholisch, philosophisch und spannend. Der Schauplatz der Handlung ist ein Friedhof in New York. Dort hat sich seit Jahren Jonathan Rebeck in einem Mausoleum niedergelassen, bis jetzt unbemerkt von der Außenwelt, und führt ein zurückgezogenes Leben, friedliches Leben. Begleitet wird er dabei von einem (sprechenden) Raben, der ihn mit gestohlener Nahrung versorgt, - und den Toten. Den Toten, die nach der Beerdigung als Geister aus ihren Gräbern aufstehen, wie schwerelos, unsichtbar für alle Lebenden - nicht aber für Jonathan Rebeck und den Raben. Er informiert sie über den Friedhof, erzählt ihnen ein, zwei Geschichten oder spielt eine Partie Schach gegen sie, meistens aber beobachten die Geister Besucher, vor allem ihre eigenen Familienangehörigen. Mit der Zeit aber werden die Geister immer müder, verlieren immer mehr das Interesse an der Welt der Lebenden, bis sie sich schließlich nach einigen Wochen zum ewigen Schlaf in ihren Gräbern niederlegen. Eines Tages aber wird dieses Idyll gestört: Zwei neue Geister treffen ein. Michael, der seinen Tod nicht akzeptieren kann, in ohnmächtiger Wut sträubt er sich gegen seinen Zustand; und Laura, erst 29 Jahre alt, die aber ihrem Schlaf freudig entgegensieht. Mr. Rebeck lernt derweil Mrs. Klapper kennen, die auf dem Friedhof das Grab ihres verstorbenen Mannes besucht. Die beiden freunden sich an, aber für Mr. Rebeck beginnt ein anstrengendes Versteckspiel: Er kann gegenüber Mrs. Klapper nicht zugeben, daß er auf dem Friedhof haust, nie kann er sie über die Grenzen des Freidhofes hinaus begleiten und immer neue Ausreden muß er ersinnen. Das sind die beiden miteinander verwobenen Handlungsstränge des Romanes: Die aufkeimende Freundschaft Mr.Rebecks mit Mrs. Klapper und die aufkeimende Freundschaft Michaels mit Laura. Wird Mr. Rebeck weiter auf dem Friedhof leben können, wie wird sich die Michaels Beziehung zu Laura entwickeln, was ist das Geheimnis von Michaels Todes - das sind die Fragen des Buches. Dieses Buch ist eines der schönsten, das ich je gelesen habe. Der Autor vermag es, lebensnahe Charaktere zu zeichnen und viele kleine Episoden zu schreiben, witzig (in etwa bei der Konversation zwischen dem Raben und einem Eichhörnchen (der Rabe haßt Eichhörnchen)) oder auch tiefgründig und wehmütig (z.B. als Michael und Laura auf einer Mauer sitzend das Rendezvous eines jungen Paares beobachten und über die Liebe philosophieren). Das Buch ist ein Fantasy-Buch, aber wer vor allem an Büchern wie Drachenlanze und Co interessiert ist, sollte es sich vielleicht noch einmal überlegen; umgekehrt sollte jemand, der normalerweise wenig für dieses Genre übrig hat, ruhig einmal zu diesem Buch greifen - es lohnt sich!
 
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Reuda

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Nick McDonnell - Zwölf

Zwölf ist das Erstlingswerk vom damals 17-jährigen McDonell. Es gab einen großen Hype um dieses Buch und es wurde allgemein ziemlich hochgepriesen. Als Harald Schmidt dieses Buch in irgendeiner Büchersendung vorstellte und lobte, habe ich es mir dann auch geholt. Ich hab mir gedacht, was Dirty Harry gefällt, muss auch dir gefallen. Denkste....

Inhalt
Das Buch handelt im allgemeinen von White Mike, einem Drogendealer, der erfolgreich seine Schule abgeschlossen hat und seinen Lebensunterhalt nun mit Drogen verdient, bevor er plant auf das College zu gehen. White Mikes Kunden sind reiche weiße Highschool-Schüler, die in den Schulferien gegen die Langeweile kämpfen und dabei viel Geld ausgeben. Während ihre erfolgreichen Eltern im Urlaub oder auf Geschäftsreise sind, feiern sie in deren New Yorker Villen Sex- und Drogenpartys. Es ist kurz nach Weihnachten und an Silvester soll die größte Party aller Zeiten stattfinden. Eine Aufgabe für White Mike.

Das Buch beschreibt ziemlich direkt und unverblümt die Geschehnisse aus der Sicht der jeweiligen dekadenten Kids, und benutzt die dementsprechende Sprache. Jeder hat seine eigene problemreiche Geschichte zu erzählen und alle Handlungsstränge kommen wie von selbst auf die große Party zusammen, die in einem großem Fiasko endet.

Fazit
Mann, was bin ich da auf einen Medienhype reingefallen. Das Buch ist literarisches Fast-Food. Auf 230 Seiten gibt es ganze 98 Kapitel zu bestaunen. Kleine Leseprobe gefällig?
Kapitel 58
"Scheiß Forty-Fifth Street? Was soll die Scheiße?"

Das war ein ganzes Kapitel! Es war das Kürzestes, aber das Längste umfasst auch nur 4-5 Seiten. Mann fragt sich was das soll. Prosa gleich null. Ok, es ist vom einem 17-Jährigen geschrieben, aber auch der Spannungsbogen ist quasi nicht vorhanden und es hat auch keinen wesentlichen inhaltichen Werdegang. Das Buch kann man auf dem Weg von A nach B in der Bahn oder im Bus lesen und dann auch wieder vergessen.
P.S. Harald Schmidt hat später in seiner Sendung zugegeben, dass er das Buch nie wirklich gelesen hat. Er hatte keine Zeit sich auf die Büchersendung vorzubereiten, hat sich einfach die aktuelle Focuskritik und die ersten Seiten des Buchs durchgelesen und wollte bei seiner Buchkritik nichts Anbrennen sagen.:rolleyes:

Beurteilung
:down::o
 
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Karn Westcliff

"Die Geschichte"
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James Clemens 5-bändige Fantasy-Saga / Heyneverlag Festeinbände

1. - Das Buch des Feuers / 510 S.

500 Jahre sind vergangen, seit der Gott Chi das Land Alasea verlassen und in die Hände des Herrn der dunklen Mächte übergeben hat. Doch eine letzte Hoffnung für das Gute besteht noch:
Ein sagenhaftes Artefakt, das Buch des Blutes, in das noch vor der Invasion des Herrn der dunklen Mächte die Kraft des Guten eingeschlossen wurde. Allerdings kann das Buch seine magische Kraft nur entfalten, wenn es von der dreizehnjährigen Elena geöffnet wird - denn sie ist die Hexe, die bereits vor langer Zeit dafür gesorgt hatte, dass das Land Alasea zurückfinden kann zur Magie des Chi.

Elena jedoch weiß zunächst nichts von ihrer Bestimmung und sich ihrer auch dann nicht bewusst, als der Herr der dunklen Mächte seine Truppen aussendet und eine gnadenlose Hetzjagd auf das Mädchen und ihre Begleiter beginnt.

2. - Das Buch des Sturms / 638 S.

Noch immer ist Elena und ihre kleine Gruppe von Beschützern auf der Suche nach dem Buch des Blutes.
Weit entfernt liegt es in der versunkenen Stadt A'loatal, in den tiefen Tälern des mächtigen Insel-Gebirges.
Doch auch die dunklen Mächte sind auf der Suche nach der mythischen Stadt, um der Magie habhaft zu werden und den entscheidenden Sieg zu erringen.
Und ihre dämonischen Kräfte sind erbarmungslos - heftige Stürme, Spinnenwesen, rachsüchtige Hexen und giftige Fabelwesen sollen Elena von ihrem Weg abbringen. Ein gefahrvoller Wettlauf mit der Zeit beginnt, und noch ahnt Elena nicht, dass einer ihrer Gefährten ein falsches Spiel treibt.......

3. - Das Buch der Rache / 702 S.

Als Elena und seine Gefährten auf dem Weg nach A'loatal das Meer erreichen, bäumt sich das Böse erneut auf:
Mörderische Ungeheuer, schwarze Magier, Verräter in den eigenen Reihen versuchen den Zusammenhalt der Verbündeten zu sprengen. Der Kampf gegen die dämonischen Kreaturen scheint immer aussichtsloser, und Elena wird auf ihre bisher härteste Probe gestellt

4. - Das Buch der Prophezeiung / 680 S. (Jetzt im September erst erschienen)

Kurze Zeit sah es so aus, als hätten Elena und ihre Gefährten einen entscheidenden Sieg über den Herrn der Dunklen Mächte errungen: Sogar an das mythische »Buch des Blutes«, in dem die Kräfte des Guten eingeschlossen sind und mit dessen Hilfe der Bann des Bösen gebrochen werden kann, sind sie herangekommen. Doch plötzlich wartet eine neue Aufgabe auf Elena, die größer und komplizierter scheint als alles bisher Erlebte: Die Stadt Aloatal muss erobert werden – doch dazu gilt es vier mächtige Wehrtore zu zerstören. Die Tore sind aus schwarzem, hartem Stein und von einem ungeheuer bösen Zauber umschlossen. Elenas mutigste Gefährten werden ausgesandt, um die Tore zu sprengen. Aber keiner von ihnen wird unversehrt zurückkehren...


Band 1 Das Buch des Feuers gibt es auch als Taschenbuch.

Fazit: Enorm spannende, fesselnde Saga. Erheblich kurzweiliger erzählt als HdR mit sehr plastischen Figuren die man am liebsten überhaupt nicht verlassen würde. Jedes Buch mußte bei mir an einem Tag dran glauben und ich kann jedes unumwunden weiterempfehlen!!! .....nur dumm das der fünfte und letzte Band noch nicht verfügbar ist ;)
 

Belgarion

Düsterdichter
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Sagt, dürfte ich einen kleinen Textauszug bringen, wenn cih eine Rezension schreibe, damit man versteh,t was ich an dem Autor so mag?
 

Chinasky

Dirty old man
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@Bellorian: Warum nicht? Solange es Deiner Argumentation nur als Anschauungsmaterial dient, sehe ich da kein Problem. Einfach darauf achten, daß Deine Ausführungen länger sind als die verwendeten Zitate. ;)


T.C. Boyle: “Ein Freund der Erde” – dtv, ISBN 3-423-13053-9


Siskiyou Forest, Juli 1989. Ty Tierwater hat Windeln an. Ein Dreißigjähriger in Windeln. Neben ihm sitzt seine 13jährige Tochter Sierra. Auch in Windeln. Neben ihr seine Lebensabschnittsgefährtin, Andrea, ebenfalls in Windeln. Selbst der das Ende der Reihe einnehmende, eigentlich nur aus gesunden Muskeln bestehende Teo trägt heute Windeln. So sitzen sie auf umgedrehten Wassereimern und warten auf den Sonnenaufgang. Mitten auf der Straße, dort, wo sie am schmalsten ist. Hier müssen die Holzfäller mit den schweren Rodungs-Maschinen durchkommen. Jene Holzfäller, die im Interesse der Industrie die letzten Urwälder der USA plätten. Heute nicht. Heute sitzen Ty, Teo, Sierra und Andrea hier. Ihre Füße stecken in der Straße. Der Beton bindet überraschend schnell ab. Die vier Protestler hören das Donnern der herannahenden Bulldozer.

T.C. Boyle hatte schon spätestens in seinem Roman „Americà“ das Thema Umweltzerstörung entdeckt. Während in jenem Buch die Einwanderungspolitik, der Umgang der USA mit den mexikanischen Wirtschaftsflüchtlingen, noch die erste und die Umwelt nur die zweite Geige spielte, hat er in „Ein Freund der Erde“ endlich das wirklich wichtigste Thema überhaupt angepackt: den Umgang der Menschen mit der Erde.

Sante Ynez, Dezember 2025. Es regnet. Dies ist nicht weiter der Rede wert, bemerkenswerter wäre eher mal ein regenfreier Tag hier, in Kalifornien. Ty Tierwater lebt immer noch. Er ist weit in den 70ern, aber noch rüstig, einer der sogenannten Jung-Alten, dem medizinischen Fortschritt und seinem Mäzen Mac sei Dank. Mac war mal ein großer Pop-Star und ist unglaublich reich, und wie so viele Superreiche hat er seinen Spleen: Er bezahlt Ty dafür, die letzten größeren Landsäugetiere dieser Welt zu retten. In jahrelanger Arbeit haben sie die Gehege für die Löwen, das Warzenschwein, die Hyänen gebaut. Nur stehen diese Gehege inzwischen unter Wasser, denn es regnet ja in einem fort. Und zwar waagerecht – denn noch enervierender als der Regen ist der Wind. Vor kurzem wurde eine Frau aus der Nachbarschaft von einer Fahnenstange, die eine Böe von einem Hausdach abgerissen hatte, sauber gepfählt und an den Container gepinnt, als sie gerade den Müll entsorgen wollte. Eine typische Todesart heutzutage.
Dummerweise ist die Patagonische Füchsin ausgebüchst. Vielleicht die letzte ihrer Art. Wurde ihr der Stall über dem Kopf weggerissen? Unterspülte der Regen den Zaun? Fest steht, daß sie sich momentan in der Waschküche einer nahegelegenen Appartmentanlage verkrochen hat und dort auf einer erbeuteten Siamkatze herumbeißt. Hoffentlich holt sie sich in der Waschküche keinen Schnupfen, denn die liegt im Parterre und steht somit knöcheltief unter grünlich-braunem Wasser...

Was hier entworfen wird, ist ein Bild der nahen Zukunft, das wir alle so nicht wahrhaben wollen: 11 Milliarden Menschen wuseln auf der Erde herum und der Treibhauseffekt hat es abgelehnt, den Naturgesetzen zu trotzen, ist also mit aller Macht über die Erde hereingebrochen. Die Zukunft besteht daher vorzugsweise aus Schlamm, Sturm und den sich wie die Krätze vermehrenden Siamesischen Zwergwelsen, deren Urahnen irgendein Aquariumfreak mal in einen nordamerikanischen Bach entließ. Regen, Regen, Regen – der Schimmelpilz frißt sich durch alle Gebäude, Holzmöbel modern, was nicht mit Stahlseilen gesichert ist, weht weg (z.B. Dächer, Autos, Menschen), und im übrigen geht mal wieder eine jener Grippen um, die von Mal zu Mal tödlicher werden. Nein, das alles ist nicht lustig, es ist kalt und glitschig und man spürt die Gicht in den Knochen.
Gegen Sturmschäden ebenso wie gegen Wassereinbruch kann man sich schon lange nicht mehr versichern, Geld verdienen heute nur noch diejenigen, die Abdeckplatten für Fenster herstellen. Oder Stahlseile...
In Rückblenden wird erzählt, wie es dazu kam, und zwar aus der Perspektive des Ökoaktivisten Ty, der anfangs eigentlich nur aus Langeweile mal eine Öko-Party besuchte und sich dort in die ganz in ihrem Engagement aufgehende Andrea verknallte.

Bei T.C. Boyle kann man sich darauf verlassen, daß es bei diesem Rekapitulieren der letzten 26 Jahre nicht an deftigsten Details, absurd-grotesken Unfällen, todtraurigen Begebenheiten und schreiend komischen Szenen fehlt. Manchmal ist es mir schon ein bißchen zuviel, daß derartig viele seltsame Zufälle gerade dem Protagonisten begegnen, denn die Spannung der Geschichte überstrahlt mitunter ihre Botschaft: Daß wir spätestens heute ernsthaft beginnen sollten, so ein Zukunftsszenario zu verhindern. Das Jahr 2025 ist nicht mehr weit weg. Und doch scheint das Einzige, was uns hierzulande beschäftigt, das Nullwachstum der Wirtschaft in diesem Jahr zu sein. Und vielleicht der Tornado „Isabel“, der momentan Washington überquert.
Das Denken in Zusammenhängen scheint nicht die Stärke der Menschen zu sein. T.C. Boyle deckt dieses Grundübel in seinem Roman gnadenlos auf. Und daß er dies auf eine unterhaltende Art tut, läßt hoffen, daß er einige Leser tatsächlich mal zum Nachdenken – und dann vor allem auch zum Handlen! – anregt.

Eine Schwäche des Romans soll nicht verschwiegen werden: Die formale Qualität des Buches ist nicht so hoch wie in den letzten Werken T.C. Boyles, ab und an wird der Zeigefinger ein klein wenig zu hoch gehalten und die Leichtfüßigkeit noch in den tragischsten Momenten, wie man es aus „World’s End“ oder „Willkommen in Wellville“ von ihm kennt, macht sich hier etwas rar. Zu viel wird erklärt, werden Fakten ausgebreitet, die vor allem eines klar machen: Daß Boyle ziemlich gründlich recherchiert haben dürfte für dieses Buch. Er kennt sich sehr gut aus in jenem hochkomplexen Zusammenspiel verschiedenster ökologischer Faktoren, er hat sehr überzeugende Ideen, wie sich die weltweite Klimaerwärmung im Detail auswirken könnte. Nebenbei bekommt der Leser eine kleine Einführung in das Einmaleins der Ökosabotage (wie lassen sich Drainagerohre am besten verstopfen? Mit Volleybällen...) oder es werden Errungenschaften der Technik (das Bildtelefon am Handgelenk) in einer Ausführlichkeit beschrieben, die eigentlich nicht nötig wäre. Ein Großteil des Buches ist aus der Ich-Perspektive geschrieben, und leider macht sich der Held dabei zuviele Gedanken, die nur dazu da sind, seinem Publikum (also dem Leser) all jene Phänomene zu erklären, die ihm eigentlich inzwischen selbstverständlich sein müßten.

Diese Schwächen des Buches sind aber verzeihlich und schaden im übrigen der Spannung nicht allzusehr. Dieser Roman von T.C.Boyle ist nicht sein litararisch bedeutendster Wurf. Aber vom Inhalt her sein wichtigstes Werk. Und somit unbedingt empfehlenswert!
 
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Chinasky

Dirty old man
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Hhmmm - in welchem der Literatur-Topics soll ich meine momentane Empfehlung unterbringen? Hab mal dieses reanimiert, obwohl ich eigentlich noch keine fertige Buchkritik schreiben kann, da ich gerade erst etwas über die Hälfte gekommen bin...
Dennoch:

Neal Stephenson : Cryptonomicon

Kaufen! Lesen!! Zeit mitbringen!!! Geduld haben!!!!

Tja. Soviel als Quick-Installations-Manual :D

Eigentlich schreib ich diese Kritik schon jetzt, weil vor allem Punkt 3 bei diesem Buch der Knackpunkt ist. Es handelt sich um ein dickes Buch. Kanppe 1200 Seiten (inklusive Anhang). Und diese Seiten sind recht eng bedruckt. Und zwar nicht mit belanglosen Landschaftsschilderungen, die man mal eben locker überfliegen könnte. Es steht sehr viel drin in diesem Buch, es kommen viele Charaktere vor, es werden viele Erzählstränge parallel entwickelt, die in verschiedenen Zeiten spielen. Da könnte dem einen oder anderen nach den ersten zweihundert Seiten schon mal der Überblick flöten gehen, insbesondere, wenn man, wie ich, mal längere Lesepausen einlegt und nachher erst wieder weiter vorn nachgucken muß, wer denn nun nochmal wie hieß und worauf nochmal Bezug genommen wird... Auch kommt die Story, weil eben soviele Figuren eingeführt und entwickelt werden müssen, nur langsam in Fahrt, beziehungsweise man versteht anfangs nicht, wo die Fahrt gerade lang geht, und man muß ein Weilchen warten, bis dieses angenehme "Ah, jetzt kapier ich, was das überhaupt soll!"-Erlebnis zum ersten Mal auftritt.

Stephenson ist in diesem Buch gnadenlos anspruchsvoll. Er nimmt auf Sonntanachmittagsnachdemkaffee-Leser keine Rücksicht, er wiederholt auch komplizierte Sachverhalte nicht zigmal, er geht davon aus, daß der Leser aufpaßt und sich die Fakten merkt.
Und es tauchen viele Fakten in diesem Buch auf!
Es geht - alles in allem - um Kryptografie. Es geht um das Rennen der Verschlüsselungs-Abteilungen während des 2. Weltkrieges. Auf der einen Seite die Deutschen mit ihrem Enigma-Verschlüsselungssystem, auf der anderen Seite die Alliierten, die, nachdem sie den Code endlich geknackt hatten, alles daransetzen mußten, diesen Umstand zu verheimlichen.
Das ist das erste Hauptthema. Das zweite Hauptthema ist die Kryptografie in der Gegenwart: In einem fiktiven Pazifik-Sultanat wird ein Knotenpunkt für das Internet installiert. Einige amerikanische "Hacker" und Kryptographie-Experten sind hier geschäftlich engagiert. Es werden Glasfaserkabel und ähnliches verlegt und dabei stößt man - mehr oder minder zufällig - auf ein U-Boot, daß während des WKII hier versank, und auf dem man Reste eines kryptografischen Schlüssels findet...

Diese beiden Erzählstränge werden allerdings mehrfach auseinandergedröselt, indem z.B. die Geschichte aus dem WK2 einmal aus der Sicht eines Marines erzählt wird, der für eine geheime Abteilung scheinbar sinnlose Spezialaufträge ausführen muß (z.B. einen Frachter gegen die norwegische Küste krachen zu lassen), einmal aus der Sicht eines japanischen Soldaten, der nach der Bombardierung seines Schiffes durch Amerikaner tagelang im Pazifik paddelt, bis er an einem von Menschenfressern besiedelten Strand landet und dann durch den Dschungel zum nächsten japanischen Stützpunkt schleppen darf. Oder aus der Sicht eines musikalisch und mathematisch Hochbegabten, der die höchste Sicherheitsstufe "Ultra Mega" hat, die so hoch ist, daß sie selbst schon wieder geheimgehalten werden muß... ;)
Irgendwann wird klar, daß manche dieser WK2-Charaktere sich wohl forgepflanzt haben dürften, denn ihre Namen tauchen auch im Gegenwarts-Erzählstrang wieder auf... Das Ganze ist so komplex und mannigfaltig aufgebaut, daß ich hier seitenlang spoilern könnte, ohne zuviel zu verraten. Nicht nur, weil die Wendungen der Geschichte(n) so zahlreich sind, sondern auch, weil die Art, wie erzählt wird, ihrerseits schon ausreichen würde, dieses Buch zu empfehlen.
Denn obwohl Stephenson wie gesagt den Leser gnadenlos mit Fakten zuknallt, tut er dies doch auf eine sehr unterhaltsame Art und Weise. Erstmal ist er kein Warmduscher, was die Drastik seiner Erzählweisen angeht. Blut, Schweiß, Urin und sonstige Körperflüssigkeiten fließen hektoliterweise, wie in einem Buch über Kriegszeiten nicht anders zu erwarten. Gnadenlos werden Nebenfiguren in den Tod gejagt und das, was die Hauptfiguren so zu durchleiden haben, möchte man gar nicht unbedingt im Kino zu sehen bekommen... Aber so brutal manche Schilderungen sind, so witzig sind andere. Und Stephenson guckt auch genau hin: Wie z.B. ein Geschäftsmeeting im Kreise der Dotcoms abläuft, das ist so detailliert und nuanciert geschildert, daß man immer wieder sich dabei ertappt, wie man das Buch kurz auf den Schoß legt, gegen die Wand starrt und bei sich sagt: "Aha, so läuft das also!"
Vor allem das Hauptthema, die Kryptologie und ihre Probleme, wird derartig lebendig und anschaulich behandelt, daß ich dieses Thema, an das ich bis dato keinen überflüssigen Gedanken verschwendete, auf einemal hoch spannend fand. Allein die Fragen der Wahrscheinlichkeiten: Könnte ein deutscher Geheimdienstmitarbeiter eventuell mißtrauisch werden, wenn nach ihm vorliegenden Unterlagen in einem englischen Büro die Durchschnittsgröße der weiblichen Mitarbeiterinnen allzu hoch ist, weil er dadurch Rückschlüsse auf ihre Tätigkeit ziehen könnte? Und falls ja - wie könnte man diese Durchschnittsgröße auf dem Papier ändern?
Oder das Problem der kaputten Fahrradkette: Ein Glied dieser Kette sorgt dafür, daß sie abspringt - wenn es auf jenen Kettenkranz-Zahn gerät, der seinerseits etwas verbogen ist. Wie weit kann man mit diesem Rad fahren? Gibt es eine Möglichkeit, beim Beginn der Fahrt das Pedal so zu stellen, daß ein etwaiger Fahrraddieb schon nach 50 Metern nicht mehr weiterkäme? Oder umgekehrt: Besteht die Möglichkeit, daß sich dieses Kettenglied und dieser Kettenkranzzahn niemals treffen, daß also die Kette nie abspringt?

Von derlei "praktischen Problemen" (das defekte Rad wird von einem der Mathematiker genutzt, die während ihres Studiums Ausflüge auf's Land unternehmen) ausgehend wird der Leser langsam an die diffizieleren Probleme der Cryptologie herangeführt und ist irgendwann sogar geneigt, die mathematischen Gleichungen nachzurechnen, die in dem Buch ab und an auftauchen.

Aber nicht nur das Hauptthema Kryptologie ist gut recherchiert. Auch die anderen Details scheinen alle sachlich zu stimmen und werden so anschaulich geschildert, daß man nie das Gefühl hat, hier hätte einer mal im "Lexikon für besonders exotische Phänomene" nachgeschlagen, um seine Geschichte zu würzen.
Dabei ist die Sprache auch noch originell (soweit sich das in einer Übersetzung spüren läßt), die Vergleiche sind oft so treffend, daß man innerlich mit dem Kopf nicht: Ja, genau so ist es! Dabei scheint der Autor die verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und deren spezielle soziale "Codes" bestens zu kennen. Ob es sich um japanische Geschäftsleute, kalifornische Computerfreaks, britische Unteroffiziere oder phillipinische Damen der High Society handelt - alle verhalten sich anders und man versteht, warum sie sich so verhalten...

Ich gestehe - hätte man mir vorher erzählt, worum es sich hauptsächlich in diesem Buch handelt, ich hätte es mir nicht gekauft. Was interessieren mich japanische WK2-Soldaten, was haben Mathematiker der 30er Jahre oder Geschäftsleute aus dem IT-Business mit mir zu tun?
Zum Glück aber hatte ich vorher die beiden Romane "Snow Crash" (Stephensons Debut-Roman, ein Science fiction) und "Diamond Age" (auch ein SF, aber eher ein Roman über Kindererziehung mittels intelligenter Bücher...) gelesen und wußte, daß der Mann eigene Gedanken hat.
"Cryptonomicon" hat mich bisher (bin auf Seite 840, möchte aber irgendwie gar nicht, daß es auch mal ein Ende hat ;) ) in dieser Einschätzung voll und ganz bestärkt. Der Mann wird von Buch zu Buch besser, aber ich frage mich, wie er sich das nächste Mal noch toppen will? :eek:
 
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Amasius

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Ja, Cryptonomicon ist wirklich ein sehr gutes Buch - wie von Stephenson nicht anders zu erwarten. :up: Zwar fand ich die meisten Charaktere etwas flach, doch es gibt Ausnahmen, insbesondere historische Persönlichkeiten wie Alan Turing. Und davon abgesehen ist Cryptonomicon sehr zu empfehlen - ebenso komplex wie verständlich geschrieben. Dieses Kunststück beherrschen nur sehr wenige Autoren.

Noch zwei kurze Lesetips von mir:


1.) Was gut und böse ist von P.D. James

P.D. James ist eine der ganz großen britischen Krimiautorinnen und dieses Buch ist das beste, was ich bislang von ihr gelesen habe, nur der deutsche Titel ist doof. (Originaltitel: A Certain Justice) Es geht um eine sehr erfolgreiche Karriere-Anwältin, die für einen jungen Mörder den Freispruch erwirkt. Wenig später teilt ihr ihre Tochter mit, dass sie diesen Mann heiraten wird. Und dann wird die Anwältin ermordet... Anspruchsvoll, gut recherchiert und vor allem psychologisch stimmig regt das Buch zum nachdenken an.


2.) Die Kunst des Liebens von Erich Fromm

Dieses Buch ist fast fünfzig Jahre alt, doch das Thema Liebe gerät ja nie aus der Mode.;) Erich Fromm war Psychoanalytiker und "Die Kunst des Liebens" war seinerzeit mit 5 Mio. verkaufter Exemplare ein Weltbestseller. Ich habe es vor einiger Zeit als Neuauflage für nur 4 Euro (ca. 160 Seiten) gekauft, es müsste also noch erhältlich sein.

In dem Buch stehen so kluge Sachen wie:

"Die meisten Menschen sehen das Problem der Liebe in erster Linie als das Problem, selbst geliebt zu werden, statt zu lieben und lieben zu können."

"Der dritte Irrtum, der zu der Annahme führt, das Lieben müsste nicht gelernt werden, beruht darauf, dass man das Anfangserlebnis, "sich zu verlieben", mit dem permanenten Zustand "zu lieben" verwechselt.

"Infantile Liebe folgt dem Prinzip: "Ich liebe, weil ich geliebt werde." Reife Liebe folgt dem Prinzip: "Ich werde geliebt, weil ich liebe." Unreife Liebe sagt: "Ich liebe dich, weil ich dich brauche." Reife Liebe sagt: "Ich brauche dich, weil ich dich liebe."
 

Chinasky

Dirty old man
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"Quicksilver" von Neal Stephenson

Dieses Topic hat erst eine Seite? :eek: Und war auf die allerhintersten Bänke des Forums verrutscht? Was ist mit Euch, Ihr Leser und Leserinnen der Heiligen Hallen der Weisheit und des Wissens - wie wollt Ihr wissen, wenn Ihr nicht lest?

Okay, ich muß es jetzt hervorholen und, wie der Zufall so will, wegen desselben Autoren wie in meinem letzten Post hier: Neal Stephenson. Er hat gerade die langjähre Nummer 1 meiner Top-Autorenliste, nämlich Franz Kafka, abgelöst. Und dies, obwohl er doch auf Englisch schreibt und mich also sprachstilistisch schon mal gar nicht betören kann. Umso schwerer wiegt eben, was er schreibt.
Es geht um das Buch "Quicksilver". Warum man es in der deutschen Übersetzung nicht mit "Quecksilber" genannt hat, ist eine jener Fragen, die wohl nie eine vernünftige Antwort finden werden, aber egal. Quicksilver ist der erste Band einer Trilogie, deren zweiter und dritter Band bislang noch nicht übersetzt vorliegen. Ein Skandal, eine Dreistigkeit sondergleichen, denn sie sind schon vor über einem Jahr auf Englisch erschienen und das sollte doch eigentlich genügen zum Übersetzen, schließlich war die Trilogie lang genug vorher angekündigt worden und Sthephenson ist nach "Snowcrah" und "Diamond Age" ja kein unbekannter Schreiberling, bei dem man noch überprüfen müßte, ob sich die Übersetzungskosten überhaupt lohnen...
Aber schon dieser erste Band hat es in sich: Über 1100 Seiten ist er lang, und die sind nicht mit belanglosem Zeugs vollgestopft wie manche Fantasyschwarte.
Worum geht's.
Es handelt sich um einen Roman, der im Barock-Zeitalter spielt. Einer Zeit, die meiner Meinung nach etwas vernachlässigt wird in der Literatur und auch im Film, wahrscheinlich, weil sie so verdammt komplex und schwierig zu verstehen war, weil sie nicht mit ein paar Stereotypen wie z.B. das Mittelalter beschreibbar ist. Mir fällt kein wirklich spannender Roman über diese Zeit ein, wenn man mal absieht von "Gefährliche Liebschaften" oder den "Drei Musketieren". Höchstens der "Simplicissimus" von Grimmelshausen, aber nun ja, der ist schon arg alt... Und so mußte also ein Amerikaner herkommen, um diese Epoche literarisch zu beleben.

Die zwei Hauptprotagonisten des Romans sind Daniel Waterhouse und Jack Shaftoe. Leuten, die das "Cryptonomicon" gelesen haben, dürften diese Namen vertraut sein. Vielleicht handelt es sich ja um Vorfahren der Waterhouses und Shaftoes der Neuzeit? Eine dritte Hauptfigur ist Eliza, später zur Gräfin de la Zeur geadelt. Eine im übertragenen Sinne bärenstarke Frauenfigur, wie sie mir bislang selten in Büchern untergekommen ist.
Daniel Waterhouse enstammt einer wohlhabenden Puritanerfamile in London, sein Vater war ein weitbekannter Prediger, der wegen seiner Religion ziemlich deftig bestraft wurde (Nase und Ohren wurden ihm abgeschnitten, was er aber recht gut überstand). Daniel wird Mitglied der Royal Society, der ersten Vereinigung von Naturwissenschaftlern (die sich damals "experimentelle Naturphilosophen" nannten). Ausserdem ist er ein enger Freund Isaac Newtons, mit dem er sich eine "Studentenbude" teilt.

Jack Shaftoe ist der König der Vagabunden. Er enstammt einer bettelarmen Londoner Unterschichtsfamilie und wird also ins Stehlen und Betteln hineingeboren. Die häufigen Hinrichtungen sind für ihn und seinen Bruder Bob eine lukrative Einnahmequelle, denn sie verdienen sich schon früh ein gutes Zugeld, indem sie sich an die Beine von Gehenkten hängen, um so deren Tod zu beschleunigen - zumindest in den Fällen, wo die zum Tode Verurteilten oder deren Angehörige vorher etwas für diese Dienstleistung zahlten... :fies:

Beide, Daniel Waterhouse und Jack Shaftoe kommen in ihrem Leben weit in Europa herum und lernen tout le monde kennen. Jack, als König der Vagabunden, hat freilich einen noch höheren Bewegungsradius als Daniel. So heuert er in seiner Jugend bei Piraten an und macht einen Abstecher in die Südsee, kommt aber später nach Deutschland, wo er für einen Kurfürsten in dessen Armee dient, welche eigentlich nur Scheinbelagerungen ausführt, weil der Kurfürst das Kriegsspielen (im wahrsten Sinne des Wortes) so liebt. Während die Pest in Europa umgeht und auch in Paris haust, verschlägt ihn just dieser Grund dorthin: Schließlich verlassen alle reichen Pariser ihre Häuser... Später sorgt sein wenig legaler Lebenswandel dafür, daß er aus Paris fliehen muß - und so findet er sich wenig später als Sölner in einer polnischen Armee wieder, die den Wienern zu Hilfe eilt: immerhin wird diese Stadt gerade von den Türken belagert... Jack hat wenig Lust zu kämpfen, er möchte eigentlich nur Beute machen, und so trifft er, nachdem die Türken schon in heilloser Flucht befindlich sind, auf eine Haremsdame: Eliza. Details werden nicht verraten, aber allein dieser Abschnitt ist absolut kurios und ebenso witzig wie spannend.

Wenig später befinden sich Jack und Eliza schon im Harz, wo sie irgendwie an Wilhelm Leibniz geraten. Und Jack platzt natürlich noch in eine echte Walpurgisnacht auf dem Brocken... :D
Genug von Jack, obwohl er noch ein gutes Stück weiter herumkommt...
Daniel Waterhouse ist ein Wissenschaftler-Typ. Eher langweilig und halt puritanisch, ein kleiner Schißhase auch, der ungern irgendwo anecken möchte, was in einer Zeit, wo in Cambridge Ehrenzwistigkeiten unter Studenten gern mit dem Säbel ausgefochten wurden, nicht so ganz einfach ist. Daniel ist ein "Mann der zweiten Reihe", was daran liegt, daß er früh an Isaac Newton gerät und dessen Genialität schnell erkennt. Also unterstützt er diesen seinen Freund lieber, statt sich selbst zu profilieren. Dennoch reichen seine Leistungen, um ihn in den erlauchten Kreis der Royal Society zu bringen. Einem Zirkel von Naturwissenschaftlern in einer Zeit, wo Experimente noch eher etwas für Gelehrte eigentlich Unwürdiges waren und man sich am liebsten mit Archimedes oder Aristoteles beschäftigte. Die Royal Society ist anders: Da werden Hunde seziert und Käfer, da werden Sterne beobachtet und Wasserwagen erfunden. Kristalle gezüchtet und Prismen geschliffen, die ersten Mikroskope eingesetzt und eine "philosophische Universalsprache" entwickelt (letzteres endet natürlich in einem kompletten Reinfall). Ausserdem werden haufenweise pyrotechnische Experimente gemacht und man widmet sich der Alchemie...
Aufgrund seiner puritanischen Herkunft sitzt Daniel Waterhouse immer ein bißchen zwischen allen Stühlen, was aber auch seine Vorteile hat, weil man ihn deswegen häufig als potentiellen Vermittler sieht. So wird er schließlich zum "Höfling".
Ebenso wie Eliza, welche es inzwischen mit Jack Shaftoe zusammen nach Amsterdam verschlagen hat, und die dort ihr Händchen für den Börsenhandel entdeckt. Denn Amsterdam war ja die Wallstreet der barocken Welt, hier wohnten all die Juden, die sich in den nagelneuen Papiergeld-Transaktionen am besten auskannten, hier landeten all die Waren aus den Schiffen der Ostindischen Handelskompanie, hier wurde auf Tuche und Tulpen, Blei (wichtig für Kriegsführung) und Gerste (als Pferdefutter ebenfalls wichtig für den Krieg) gewettet. Eliza schafft es mit Köpfchen und sicherlich auch ihrem guten Aussehen, an Geld zu kommen und somit näher an die adeligen Kreise zu rutschen. Kurze Zeit später findet sie sich als eine Art Agentin in Versailles wieder, wo sie für verschiedene Leute, unter anderem für Wilhelm von Oranien, spioniert, während sie gleichzeitig den Adeligen am Hofe des Sonnenkönigs durch ihre Kenntnisse des Aktienmarktes hilft, die teure doppelte Haushaltsführung (Paris und Versailles) zu finanzieren.

Mehr Details würden Euch jetzt wohl nur ermüden, aber seid gewiß: ich habe nicht mal an der Oberfläche dessen gekratzt, was Euch in diesem Buch erwartet. Dutzende imposanter Figuren treten darin auf und erst ein Blick in das Namensregister am Ende macht deutlich, welche dieser Figuren nun tatsächlich real existierten und welche sich Stephenson ausgedacht hat.

Was mich an dem Buch so fasziniert hat, ist der Umstand, daß ich in eine fantastische Welt entführt werde, die eben nicht in irgendeinem Parallel-Universum existiert, sondern die hier, in Europa existierte. In eine Zeit, die soooo lange noch gar nicht her ist, und die so prall voll mit Ereignissen und Umbrüchen war, wie man es sich kaum vorstellen kann: hier entstand die Neuzeit, das Bürgertum, die Gedankenfreiheit, der Insiderhandel, die Präzisionsuhr, das binäre System... Was ich bewundere, ist er Rechercheaufwand, der für dieses Buch betrieben werden mußte. Daten und Fakten prasseln auf jeder Seite nur so auf einen ein. Anfangs ist das wirklich etwas anstrengend zu lesen, bei all den Personen- und Ortsnamen schwirrt einem schier der Kopf. Und Stephenson macht es einem auch nicht gerade komfortabel leicht, sich gemütlich reinzulesen. Denn er sprint in den Zeitebenen hin und her, daß einem schwindelig wird: Die Erzählung beging 1713 in Boston (Amerika), um kurz danach in die 1660er Jahre vom Cambridge zurückzuspringen. Auch wird zwischen den verschiedensten Textsorten abgewechselt: Mal hat man es mit einem Theaterdrama zu tun, dann liest man das Protokoll einer Zusammenkunft der Royal Society, hernach wieder folgen lange Briefpassagen. Jedes Kapitel wird von Originalzitaten eingeleitet, die nur entfernt mit dem jeweiligen Inhalt zu tun haben. Während das im ersten Drittel des Buches etwas nervend ist, weil man sich erstmal daran gewöhnen muß, fand ich es am Ende einfach nur noch geil. So bleibt die Geschichte immer überraschend und man freut sich über die intelligente Art und Weise, wie man selbst gerade verschaukelt und geneckt wird. Denn eines wiederkehrenden Erzähltricks darf man sich sicher sein: daß immer dann, wenn's gerade richtig spannend wird, zu einem anderen Schauplatz umgeschaltet wird. :D
Natürlich machen all die Vor- und Rückblenden später einen Sinn, wenn sich nämlich die Geschichte dann sozusagen in schon bekannte Gebiete bewegt und man sowas wie einen Zuhause-Effekt erlebt.

Dennoch: Wie anhand mancher amazon-Rezension zu erkennen, ist dieser Erzählstil nicht nach jedermanns Geschmack. Ein Rezensent hörte schon nach nicht einmal dreihundert Seiten zu lesen auf, weil er die Geschichte langweilig fand. Nun ja, wenn man bedenkt, daß alle drei Bände der Trilogie auf mehr als 3000 Seiten kommen, dann sollte einem eigentlich klar sein, daß man nach einem Zehntel dieses Volumens so gerade mal die "Einführung" hinter sich gebracht hat. Bis Leibniz, eine der wichtigsten Nebenfiguren des Buches, zum ersten Mal persönlich auftritt, sind wir schon auf Seite 320!

Dieses Buch ist also keines für Nebenbeileser oder für Leute, die sich nicht anstrengen mögen beim Lesen. Sthephenson begeht nicht den Kardinalfehler der meisten Autoren, nämlich den Leser zu unterfordern. Die Geschichten, die erzählt werden, sind nicht simpel, es gibt keine Guten und Bösen - denn immerhin hält er sich weitgehend an die historischen Fakten, wenngleich er die mit einer unbändigen Fabulierkunst natürlich ausschmückt und bereichert. Es kommt viel Politik vor in diesem Roman und viel Wissenschaft. Auch die Cryptologie kommt vor, insbesondere in Bezug auf das I-Ging und Kreuzstich-Stickereien... ;) Es kommen sehr brutale Szenen vor und ab und an wird an der Ekelschwelle gekratzt.
Aber dadurch wird das Buch andererseits auch so authentisch und lebendig: Nichts wird ausgeblendet, weder die prunkvollen Feste am Königshof, noch das elende Sterben an der Beulenpest.
Vor allem aber lernt man so gewaltig viel über diesen unseren Kontinent, lernt auch, warum Europa irgendwie zusammengehört, wie Europa die Moderne gebiert... Eigentlich gehört Sthephenson der Karlspreis verliehen!
 
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Danako

Sagenkundiger
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Als angehender Historiker muss ich mir wohl einen Stephenson kaufen, zumal ich momentan völlig unterbeschäftigt bin. Bleibt zu hoffen, dass meine geistige Kapazität für solch ein "Jahrhunderwerk" ausreicht.

Ich schreib später vielleicht noch was ins Topic über Haruki Murakami. Leider kam ich erst sehr spät das erste mal mit japanischer Literatur in Berührung und das ausgerechnet in Neuseeland. Erschwert wird mir das ganze aber dadurch dass ich bis alles von ihm auf Englisch gelesen habe, was mich doch leicht zweifeln lässt dass ich möglicherweise kleine Nuancen nicht wahrnehmen konnte. Zudem kann ich auch nicht eben schnell nachschlagen, da die meisten meiner Murakami Bücher gerade an Freunde verliehen sind und sich in grösstenteils in Japan und Australien befinden. :D Also entweder neu kaufen oder um die halbe Welt senden lassen. Mittlerweile macht sich die Globalisierung also auch in meinem Leben bemerkbar. :rolleyes:
 
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MK

Palading
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Keine Buchkritik (ist literarisch auch nicht so anspruchsvoll), eher eine Empfehlung, weil's was zum Schmunzeln ist und nicht ungenannt bleiben sollte:

Der weiße Neger Wumbaba - Kleines Handbuch des Verhörens von Axel Hacke.

Es geht um Liedtexte, die gerne falsch verstanden werden ("Der weiße Neger Wumbaba" lautet eigentlich "Der weiße Nebel wunderbar" aus dem Lied "Der Mond ist aufgegangen"). Ein schönes kleines Buch für zwischendurch, wenn man mal schlecht gelaunt ist oder so. ;)
 

El Gaucho

Aus den 9 Höllen
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Ich habe neulich etwas Interessantes entdeckt:
die Reihe Einsamer Wolf. Es handelt sich um interaktive Geschichten, quasi Singleplayer-Rollenspiele zum Lesen.
Kennt das jemand?
Ich werde mir mal eins bestellen; gebraucht sind sie ja billig.
 

Reuda

Letzter
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Oh jaa, die Einsamer Wolf-Reihe. Das war die erste "Rollenspiel"-Erfahrung überhaupt. Ich hab die während der Schulzeit immer von einem Freund geliehen und regelrecht verschlungen bis Band sieben oder acht.
Jahre vergingen und man fing an sich für was anderes zu interessieren .:D Dann kam das Internet und man bekam seinen eigenen Internetanschluss. Die Welt von Amazon und Ebay ließen alte, nostalgische Jugenderinnerungen und -wünsche wieder hervorkommen. Und das erste was ich im Internet erworben habe, waren alle Bände von Einsamer Wolf. Etwas was ich vorher in den normalen Geschäften nie geschafft habe, weil sie überall vergriffen waren und nicht produziert wurden, wurde auf einmal möglich. Mann war das ein geiles Gefühl als Erwachsener was nachzuholen, was als Jugendlicher einfach nicht möglich war und man doch so sehr wollte.:D
Um ehrlich zu sein, die letzten beiden Bände hab ich nie gelesen, da wurde es zu schwer zahlenmäßig zu überleben. ;)
 

Karn Westcliff

"Die Geschichte"
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Zu Quicksilver:

Ich kann da Hanks Ansicht nur teilen!!!
Diejenigen, welche nach 300 Seiten aufgehört haben: Selber schuld:p! Die ersten 400 Seiten herrscht ein eher ungewöhnliches Erzählkonzept. Werden normalerweise in Historienromane Geschichten fiktive Personen in die tatsächlich passierte Geschichte eingebettet, sodass diese eher zum interessanten Rahmenkonzept degradiert wird, wird bei Quicksilver dies umgedreht. Hier wird die Geschichte zum eigentlichen Erzählthema, während die Person des Daniel Waterhouse nur der fasziniert staunende Betrachter ist, der alles zu einem roten Faden verbindet. Erst wenn Jack (und kurz darauf Eliza) auftauchen, kommt so eine Art eigene Personengeschichte (oder besser Handlung) auf, wie man sie kennt. Allerdings wird die 'echte' Geschichte, niemals soweit in den Hintergrund gedrängt, wie in vielen anderen Historienromanen.

Das ist etwas vergeichbar mit Tilman Röhrig 'Ein Sturm wird kommen von Mitternacht' (Über Attila und Konsorten) oder Rita Monaldi/Francesco Sorti 'Imprimatur' und 'Secretum'. Ersteres mit dem geschichtlich erzählenden Stil von Quicksilver ( bei Jack und Eliza), letztere mit den machiavelistischen Intrigen von Hof und Kirche (was vor allem bei Eliza der Fall ist).
Quicksilver bietet das alles in einer faszinierenden Melange. Allerdings muß man auch den bildgewaltigen Erzählstil eines Umberto Ecco mögen. Gerade der Anfang des Buches fordert eine hohe Konzentrationsgabe des Lesers, um alle Feinheiten mitzukriegen. Man merkt deutlich, wie der Erzählfluß von Seite zu Seite sich dann immer mehr einer überbordenden Erzählfreude a la Ecco hingibt. Wer sich da nicht reinkniet, ist selber schuld ;).

@Hank
Weißt du schon etwas von den beiden Folgebänden? Welche Titel sie im Deutschen haben werden? Im Buch wird da ja noch überhaupt keine Werbung dafür gemacht. Im Englischen sind sie ja schon längst erschienen.


Edit: Hier mal ein paar passende Links zu der von mir genannten Literatur:
http://www.ullsteinbuchverlage.de/claassen/buch.php?id=8001&page=buchaz&sort=&auswahl=A&pagenum=1
http://www.ullsteinbuchverlage.de/listtb/buch.php?id=8002&page=suche&auswahl=a&pagenum=1&page=buchaz
http://www.buchinformationen.de/rezension.php?id=1585
 
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Random

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Der zweite Teil der Barock-Trilogie wird auch auf deutsch "Confusion" heißen, soll jetzt im September erscheinen (Info bei Amazon)
 
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