Buchkritiken - Das Topic für Leseratten, Teil 2

Tolotos

Haluter
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Kurzzusammenfassung zu meinem letzten Lesestoff:

Christian Rudder - Inside Big Data
Ein Gründungsmitglied von OkCupid, der dort für Data Science zuständig ist, setzt sich mit den verschiedensten Statistiken auseinander. Mathematisch wirkt das ganze sehr kompetent ("wirkt" statt "ist", weil man natürlich die Rohdaten selbst nicht kennt, und sich daher mit einer endgültigen Beurteilung zurückhalten sollte), gleichzeitig ist es exterm unterhaltsam und oft amüsant, was man so alles an Statistiken einer Partnerbörse ablesen kann. Wer den entsprechenden Blog bei OkCupid kennt, kennt den Stil.
Nur dem Übersetzer ins Deutsche sollte man erklären, dass er in Zukunft fachkompetente Hilfe zu Rate ziehen sollte. Den Fachbegriff "graph theory" einfach wahl- und planlos mit "Funktionentheorie" (statt richtig mit "Graphentheorie") zu übersetzen, ist vor allem deshalb dämlich, weil es wirklich ein Gebiet namens "Funktionentheorie" (engl. "complex analysis") gibt. Ich habe mich im ersten Moment echt gefragt, wie man Funktionentheorie an der Stelle anwenden kann... Aber dafür kann der Autor ja nichts. 4/5

Alan Sokal - Fashionable Nonsense: Postmodern Intellectuals' Abuse of Science
Der Physiker Alan Sokal wurde mit einem Nonsens-Artikel bekannt, den er in den 90ern bei der Zeitschrift "Social Text" einreichte und der angenommen wurde. Er wollte damit zeigen, mit was für absurden Texten man bei manchen (peer-reviewten!) Journals unterkommen kann. Zu diesem Schritt bewogen hat ihn die Situation, die er im vorliegenden Buch zitiert: Einige Wissenschaftler haben behauptet, Physik und Mathematik in ihren wissenschaftlichen Arbeiten (in sozialwissenschaftlichen Gebieten) anzuwenden und haben dabei völlig hanebüchernen Unsinn verzapft. Dass Sokals Artikel angenommen wurde, wundert nach Lektüre des Buches überhaupt nicht mehr, denn während jener noch eher zurückhaltend falsches und subtile Denkfehler enthielt, sind die hier vorliegenden Zitate, die ja von Leuten aus der entsprechenden Wissenschaftscommunity kamen Unsinn vom Schlage "The penis is similar to the complex number i: Both are irrational". Während dieser Satz wenigstens noch als Metapher Sinn haben könnte (den ich aber nicht finde), soll an vielen Stellen wirklich formale Mathematik angewendet werden und es entsteht abstruses, da versucht wird, streng definierte Fachbegriffe in umgangssprachlichen Kontexten eingesetzt zu werden (Stichwort: Axiom of Choice für Recht zur Abtreibung. Seems Legit). Dabei bleibt Sokal stets fair und betont mehrfach, dass er weder einen ganzen Wissenschaftszweig noch gar sämtliche Geisteswissenschaften und nicht mal die hier zitierten Wissenschaftler angreifen will, sondern wirklich nur deren absurde Anwendungen von Mathematik und Physik. Ob sie sonst etwas wissenschaftliches geleistes habe, will und kann er nicht beurteilen. Das Buch ist dem Thema entsprechend nicht allzu spannend geschrieben und wohl nur für Leute lustig und/oder interessant, die schon mit Hochschulmathematik und oder -Physik in Kontakt waren, da man sonst meiner Einschätzung nach vieles nicht wirklich versteht. Für mich hat es sich gelohnt. 4/5

Cixin Liu - Death's End
Ich kann nur nochmal meine Worte zum zweiten Teil wiederholen: Großartige Ideen, ein glaubwürdiger und spannender Plot, aber nicht ganz so tolle Dialoge und Charaktere. Wobei letzteres schon deutlich besser geworden ist (Cheng Xin ist wesentlich interessanter als Luo Ji). Klare Empfehlung an jeden, der an Science Fiction interessiert ist. 4/5

Cathy O'Neill - Weapons of Mass Destruction: How Big Data Increases Inequality and Threatens Democracy

Eine ehemalige Mathematik-Professorin, die aber auch in der Wirtschaft als Data Scientist gearbeitet hat, prangert sehr scharft an, wie momentan Algorithmen zur Verwertung von Rohdaten in den verschiedensten Lebensbereichen (vor Gericht, bei der Polizeit, in Bewerbungsverfahren, bei Versicherungen usw) eingesetzt werden. Sie hat mit vielem sicher recht und es ist informativ/erschreckend zu lesen, wie teilweise gearbeitet wird. Rein zur Unterhaltung würde ich das Buch nicht lesen, da es sich dafür auch zu viel wiederholt. Für ihre Aussage ist das nicht schlecht, da sie ja gerade zeigen will, dass es an vielen Stellen die entsprechenden (ähnlichen) Probleme gibt. Allzu sehr in die Tiefe geht sie absolut nicht, es ist eher ein Buch für interessierte Laien. War ok. 3/5

Jeff VanderMeer - Annihilation
Ein unfassbar spannendes Science-Fiction-/Mysterybuch über eine Expedition in die sogenannte Area X. Verfasst im Tagebuchstil ist das Buch sehr spannend und prägnant, baut eine schöne Spannung auf und ist auch sehr gut geschrieben. Leider war ich mit dem Ende bisher noch nicht ganz so zufrieden, was aber größtenteils Geschmackssache ist:
Mir war alles zu mysteriös, zu vage, zu übersinnlich.
Es ist aber gut möglich, dass sich dieser momentane Kritikpunkt im weiteren Verlauf der Trilogie auflöst. Bis dorthin bleibe ich erst einmal bei 3/5, da ich das Buch momentan für sich bewerte.

Außerdem habe ich gehört:

Michael Crichton - Micro

Ein Buch rund um Doktoranden, die in einen Skandal um eine Nanotechnologie-Firma verwickelt und dabei
geschrumpft
werden. Das Buch hat bei mir einen Nerv getroffen, denn durch die Prämisse ist es möglich,
die verschiedensten Tiere, vor allem Insekten effektiv als Widersacher einzusetzen.
Losgelöst davon ist wohl recht durchschnittlich, die Charaktere sind nichts Besonderes, der Plot ist recht vorhersehbar und es wirkt auch nicht ganz so gut recherchiert, wie man es sonst von Crichton gewohnt ist. Solide Unterhaltung, die bei mir gewann, weil ich das Setting mochte. Mehr aber nicht. 3/5


@Falk: Mittlerweile habe ich übrigens auch mal mit Die Schlafwandler angefangen und bisher finde ich es sehr interessant! :up:
 

Falk

ChickenWizzardwing
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@Tolotos: Das freut mich! Dann konnte ich mich ja mal mit einem Tipp für deine fleißigen Empfehlungen hier revanchieren! :)
 

Lazarus

Lumpenbarde
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Ich hab übrigens mittlerweile die Artus-Trilogie von Bernard Cornwell gelesen und kann Tolotos nur empfehlend beipflichtend (Der Winterkönig, Der Schattenfürst, Arthurs letzter Schwur). :up:

Typische Cornwell-Romane mit allerdings noch höherem Tempo und "Action"-Dichte!

Mehrfach habe ich mich beim Lesen gefragt, warum aus dem Buch nicht schon längst eine Serie gemacht wurde.
 

Tolotos

Haluter
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Jeff VanderMeer - Authority
Jeff VanderMeer - Acceptance

Habe jetzt also Southern Reach zu Ende gelesen. Weiß nicht genau, ob ich die Trilogie wirklich empfehlen kann (das erste Buch für sich genommen auf jeden Fall!). Weiter gilt, dass der Schreibstil sehr stark ist. Weiter gilt, dass VanderMeer sehr gut darin ist, Atmosphäre zu erzeugen. Außerdem werden einige interessante Themen angeschnitten (etwa die Perspektive von GhostBird). Leider bleiben nicht nur die Antworten auf die übernatürlichen Fragen aus (das ist denke ich nur folgerichtig, denn es gehört zu dem, was die Bücher erzählen, dass nicht alles erklärt werden kann), sondern auch auf einige "menschlichere Fragen". Damit meine ich - warum hat wer wann was gemacht? Da hätte ich mir etwas mehr Aufklärung erwartet. So fühlt man sich am Ende ein wenig wie am Ende von Lost, nur dass man dort etwas mehr Vorwarnzeit hatte. Außerdem ist schade, dass in beiden Teilen relativ wenig passiert. Sie leben vor allem von Introspektive in verschiedene Charaktere, von myteriösen Ereignissen und Fragen und eben von Atmosphäre. Trotzdem hat mir Authority noch gut gefallen, Acceptance etwas schlechter. Vielleicht aber auch deshalb, weil ich in einem dritten Teil einfach eher Antworten erwarte und daher eine andere Perspektive hatte... Ich bleibe jeweils bei 3/5, fand den letzten Teil dabei am schwächsten und den ersten mit Abstand am besten. Vielleicht hätte dieser als Einzelwerk auch doch eine etwas höhere Bewertung verdient als ich oben gegeben habe, aber eben mit der Warnung "Erwarte keine Antworten".


Jorge Cham, Daniel Whiteson - We have no Idea: A Guide to the Unknown Universe

Einer der Autoren steckt hinter den PHD-Comics, was man an den Illustrationen merkt. Es geht darum, was die Wissenschaft heute alles noch nicht weiß (z.B: Dunkle Materie, dunkle Energie, kleine Teilchen, Urknall, was sind Zeit und Raum usw). Das ist auf sehr flapsige Art gemacht. Den entsprechenden Humor muss man mögen... Ich empfand ihn als "zum schmunzeln" aber selten als wirklich lustig und manchmal auch als etwas bemüht. Trotz diesem flapsigen Stil kam ich mir so vor als würde ich einiges lernen und mit meinen mangelnden Physik-Kenntnissen fühlte es sich so an, als wäre das auch im Kern richtig. Bei ein, zwei Aussagen, die aber auch mal mathematischen Inhalt hatten und die völlig falsch waren (Beispiel: Bei der Zahl "0,0000....00001" würden "unendlich" (!) viele Nullen vor der 1 stehen (bzw. stehen können)), kam ich dann aber ins Grübeln ob nicht bei den anderen Inhalten auch Fehler sind, die ich nur nicht bemerkt habe... Da mir fachliche Korrektheit in einem solchen Buch schon wichtig ist und die beiden Stellen die ich fand, für mich schon eklatant waren, gebe ich daher nur 3/5 statt 4/5 Sternen...
 

Paladin

Your average writer
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Regarding Annihilation: Ich hab das erste Buch über Weihnachten gelesen und kann es nur weiterempfehlen. Der beste Vergleich, den ich ziehen kann, ist: Der Grusel von Lovecraft, aber halt in kompetenter Prosa. Und mit weniger Rassismus.
 

Arodon

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Weil ich Tolotos Besprechung gerne mag und auch schon das ein oder andere Buch das er empfohlen hat, gekauft habe, nehme ich mir mal vor hier auch einzusteigen und zu den von mir gelesen Büchern was zu sagen - mal sehen wie lange ich das durchziehe.

Juan Gabriel Vasquez: Das Schweigen der kleinen Dinge
Der Ich-Erzähler ist ein junger kolumbianischer Jura Professor der Mitte der 90er in Bogota Opfer eines Anschlages wird und nur knapp überlebt. Ein Bekannter von Ihm (dem der Anschlag scheinbar gegolten hat) kommt dabei ums Leben. Thema des Buches ist nun zum einen wie sich das Überleben bzw. das verletzt-werden auf das weitere Leben des Protagonisten auswirkt, zum anderen, wie er sich hineinsteigert mehr über das Leben seines ermordeten Bekannten zu erfahren. In Zuge dessen wird die Geschichte von dessen amerikanischer Ex-Frau erzählt und in den Fokus genommen, dass fand ich spannend und auch pointiert und überaschend. Ganz nebenbei werden dabei harte Absurdidäten der Entwicklungshilfe in den 70ern dargestellt und auch ansonsten gibt es ein-zwei sehr packende Erzählelemente.
Während mir die Geschichte des Bekannten und seiner Ex-Frau sehr gefiel und mich überzeugt hat fand ich Charakterentwicklung und Storyline des Erzählers relativ vorhersehbar und unspannend.
Aber ich mag Romane, die einem ein fitzelchen Einblick in ein anderes Land geben, darum reicht es für 3/5.

Gaze Boralioglu: Der Fall Ibrahim
Ein junger Mann nahmens Ibrahim ist in Istanbul verschwunden, das ist die Information die man von Anfang an hat. Eine Reporterin versucht herauszufinden, was geschehen ist und reist daher durch die Türkei (In der Heimat, Unterwegs und Istanbul sind die drei Kapitel) und interviewt verschiedene Menschen die ihm in seinem Leben begegnet sind. Der springende Punkt in dem Buch ist, dass die ausschließliche Erzählform die Niederschriften dieser Interviews (insb. nur die Antworten der entsprechenden Leute) ist, nichts sonst.
Diese Erzählstrategie funktioniert sehr gut, es wird unfassbar deutlich wie verschieden die Wahrnehmung von verschiedenen Seiten sind, es wird gleichzeitig sehr deutlich was passiert und warum gewisse Leute gewisse Bilder erzählen.
Manche Sachen bleiben auch sehr lange offen, man weiss eigentlich bis zum Ende nicht wo das ganze hinführt.
Mir ist zum Beispiel relativ unklar was es jetzt eigentlich mit den 1000 Dollarn auf sich hat. Irgendwann erzählt ja irgendwer davon dass er nen Haufen Geld dabei hatte, aber vielleicht hat sich das der Onkel nur ausgedacht um zu erklären warum er abgehauen ist?
Der Nachteil der Erzählperspektive ist natürlich, dass man alle Leute nur ganzganz kurz kennenlernt und eigentlich die ganze Zeit denkt, uiii, da würde ich jetzt aber gerne mehr drüber wissen oder den kennenlernen, aber man fliesst einfach weiter und kommt nie wieder zurück, das ist gewöhnungsbedürftig, aebr eigentlich sehr schön.
Achja, die Lebensgeschichte von Ibrahim ist irgendwie auf jeden Fall sehr tragisch und auch brutal, dadurch das man aber weiss das am Ende das Verschwinden steht kommt die Tragik nicht plötzlich (und daher bei mir auch nicht stark) sondern ist einfach immer präsent.
Ich habe es auf jeden Fall gerne gelesen (an einem Wochenende) und im Nachhinein finde ich es auf jeden Fall lesenswert, beim Lesen selber hat es mich irgendwie nicht so unfassbar gepackt. 3,5/5.
 

Tolotos

Haluter
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@Arodon: Danke für das Lob. Dein Beitrag hat mir auch etwas gebracht, das zweite vorgestellte Buch hört sich sehr interessant an. Ist vorgemerkt.

Ich habe lange nichts mehr gepostet, denn das letzte "Buch", das ich gelesen habe, war eine ganze Webserie und diese hatte 1,7 Mio. Wörter. Das ist ungefähr soviel wie alle fünf Bücher von ASOIAF. Damit ist man eine Weile beschäftigt:

Wildbow - Worm
In der Webserie Worm geht es um eine Welt, in der Superkräfte alltäglich sind. Die Protagonistin ist eine Teenagerin, die die Fähigkeit hat, Insekten zu kontrollieren. Gelegentlich liest man auch mal Kapitel aus anderen Blickwinkeln, aber hauptsächlich wird die Geschichte aus ihrer Sicht erzählt. Die größte Stärke von Worm ist sicherlich das überragende Worldbuilding - das Setting wirkt sehr durchdacht und im Rahmen des vorgegeben Settings auch sehr realistisch - es gibt etwa universitäre Forschung zu Superkräften und dazu, wie diese zustande kommen; es gibt eine riesige Internet-Community inklusive Fanbase zu den verschiedenen Superhelden und -Schurken; gute PR nimmt eine wichtige Rolle für verschiedene Organisationen ein usw. Das sind jetzt Dinge, die eher am Rande angeschnitten werden, aber gerade an solchen "Randthemen" merkt man oft, wie "breit" die Welt wirklich durchdacht ist. Eine weitere Stärke sind die sehr guten Charaktere, die sich bis auf einige Pyschopathen in die verschiedensten Graustufen aufteilen. Das kann man etwa mit ASOIAF vergleichen: Auch hier gibt es einige Ramsay Boltons, die vielleicht etwas zu langweilig gezeichnet sind, aber die meisten Charaktere sind eben nachvollziehbare Personen, die man nicht einfach als "gut" oder "böse" klassifizieren kann.
Sehr interessant in dieser Hinsicht sind z.B. Rachel/Bitch, von der man nach einiger Zeit erfährt, dass eine Nebenwirkung ihrer Kraft ist, dass sie menschliche Interaktion nicht versteht und eher "wie ein Hund" denkt/einordnet/reagiert - kein Wunder, dass sie ständig gereizt ist und sich dumm/unterlegen fühlt, wodurch sie sehr aggresiv auftritt. Oder aber die Entwicklung von Armsmaster (zu Defiant).
Moralische Fragen sind auch einer der Hauptpfeiler des Inhalts. Die alte Frage nach dem Zweck, der die Mittel heiligt erhält nochmal eine andere Ebene, wenn "Precog"-Superkräfte, d.h. solche, die in einem gewissen Rahmen die Zukunft vorhersagen können, vorkommen. An der Stelle sollte man auch erwähnen, dass die vorkommenden Superkräfte sowohl größtenteils sehr kreativ sind, als auch sehr clever und interessant eingesetzt werden. Gleichzeitig werden diese Kräfte meistens sehr klar definiert, spätestens wenn man aus Sicht der entsprechenden Person liest (klar, die anderen müssen ja nicht unbedingt wissen, was wer genau kann). Schließlich hat Worm mich auch in emotionaler Hinsicht an einigen Stellen deutlich mitgenommen, etwa
der erste Auftritt eines Endbringers, von Leviathan, der sehr gut verdeutlich, was solche Kämpfe bedeuten. Der erste Auftritt von Behemoth. Für mich aber vor allem das Ende von Eidolon (bzw. die Erklärung von Scions Worten), das eine sehr dramatische Wucht hatte.
Das Ende der Serie hat mir auch gut gefallen, wobei ich ein Ende noch vor dem finalen Epilog sogar noch etwas besser gefunden hätte.
Nachteile hatte Worm aus meiner Sicht aber auch: Der Fokus liegt für mich zu sehr auf den Kämpfen. Diese sind sehr gut geschrieben und abwechslungsreich, dadurch fand ich es noch okay, aber etwas weniger wäre für mich hier trotzdem interessanter gewesen - sehr oft kommt es zu kapitellangen Kampfszenen. Zwischenzeitlich gab es für mich deutliche Pacingprobleme:
Die Abfolge S9/Coil/Echidna war zu sehr "ohne Atempause". Das soll sicherlich verdeutlichen, wie extrem Taylors Leben in dieser Zeit war, aber für mich war das in der Form wieder so extrem, dass es meine Suspension of Disbelief gebrochen hat. Sogar falls jemand der das, was hier beschrieben wird so dicht hintereinander so gut übersteht, vorstellbar ist, so ist es für mich schwerer mit einem solchen jemand Empathie zu empfinden, da das einfach "zu weit weg" ist.
Außerdem hat man einen Großteil der Serie schon den Eindruck, dass es einen Plotarmor für Hauptpersonen in folgendem Sinn gibt:
Zum einen übersteht Taylor schon sehr viele sehr extreme Sachen ohne wirklich dauerhafte Konsequenzen (fast alles kann irgendwann geheilt werden). Zum anderen kann man sich lange Zeit nicht vorstellen, dass einer der Undersider wirklich sterben könnte. Spätestens als Grue sein Martyrium durch die S9 übersteht, empfand ich das als etwas gezwungen. Die Erklärung war in dieser Situation durchaus logisch, aber dadurch, dass es schon einige Male angetäuschte Tode gab (insbesondere Tattletale beim Angriff von Leviathan) hatte ich spätestens dann den oben erwähnten Eindruck, dass niemand der Undersider sterben kann. Sehr zu gute halten muss man dem Buch an dieser Stelle aber, dass das Ganze auf Grue durchaus sehr realistische Konsequenzen hat. Dadurch hat diese Stelle für mich im Nachhinein sehr gewonnen.
Schließlich war der Plot um
die Slaughterhouse 200,
für mich klar der schwächste Teil der Serie:
Einerseits war diese Bedrohung in ihrer Ankündigung jetzt wirklich völlig "over the top" - wie wird man noch gefährlicher als die Slaughterhouse 9? - Man nimmt einfach 20 mal die Slaughterhouse 9. Andererseits war die Bedrohung in ihrem wirklichen Auftreten dann geradezu lächerlich harmlos. Dort werden mal eben zwei Mannequin ausgeschaltet, dort ein King und vier Hatchet Faces und acht Crawler oder einige Siberians usw. Und das alles ohne dass man je (außer im finalen Kampf mit den Harbringern usw.) Angst haben musste, dass irgendeinem Helden irgendwas passieren kann. Vorher war es eher noch so, dass ein Mitglied der S9 es direkt mit einigen Capes aufnehmen und gewinnen konnte (sehr gut in der Hinsicht z.B. der erste Auftritt von Shatterbird). Und jetzt lassen die sich gleich reihenweise abschlachten. Ich habe schon mitbekommen, dass sie als Klone schlechter als das Original waren. Aber in diesem Ausmaß wurde ihnen wirklich fast alles an Bedrohlichkeit genommen...
Insgesamt hat mir Worm sehr gut gefallen, aber es hatte für mich eben auch durchaus merkliche Schwächen. Ich vergebe 4/5 Punkten.
Vor dem Sequel muss ich aber jetzt erst mal noch etwas anderes lesen.
 

Tolotos

Haluter
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Cormac McCarthy - The Road
Ein Vater und sein Sohn sind in einer Welt nach einer undefinierten Katastrophe unterwegs und versuchen zu überleben. Ein Buch, das ich nur sehr schwer einordnen kann. Einerseits ist die Atmosphäre, die erzeugt wird bedrückend und erzeugt wirklich Endzeitstimmung. Und bringt einem damit auch zum Nachdenken - was würde man selbst in so einer Situation machen: Würde man nur des Überlebens willen überleben wollen? Oder des Überlebens seines Kindes wegen? Ist Überleben unter solchen Umständen etwas positives? Auf der anderen Seite bin ich mit dem Schreibstil leider nicht gut klargekommen... Sowohl die Satzkonstruktionen als auch der Wortschatz wirkten mir manchmal zu "gezwungen künstlerisch/regelbrechend", ohne dass ich darin einen Mehrwert erkennen konnte. Ein Beispiel um zu zeigen, was ich meine ist die Verwendung von "dont" statt "don't". Dieses Beispiel an sich ist nicht dramatisch, aber es illustriert ganz gut, was mich auch an anderen Stellen/Konstruktionen gestört hat. Die Dialoge wiederum, an denen ich auch schon Kritik gelesen habe, sind zwar sehr abgehackt/knapp, aber gerade dadurch illustrieren sie für mich sehr gut die Stimmung der beiden Protagonisten. Insgesamt vergebe ich 3/5 Punkten.

Ivan Ertlov - Kolonie: Im Schatten der Matriarchin

Das Buch handelt von einer Invasion sehr menschenähnlicher (vor allem im Denken) Außerirdischer, der sog. Onur. Dabei wird Wert darauf gelegt, dass eine solche Invasion als Vernichtungskrieg nicht unbedingt Sinn macht, sondern ähnlicher zu unserem Imperialismus (siehe auch den Titel) ablaufen könnte. Ich mag viele der Ideen des Buches - die Idee, die Kolonialisierung in dieses Szenario zu übertragen fand ich spannend. Obwohl die extreme Ähnlichkeit der Onur zu Menschen irgendwie etwas "einfallslos" wirkt. Aber für die Grundprämisse ist sie natürlich nötig, daher ist das in der Form schon okay. Krieg so darzustellen, dass er oft von Missverständnissen und Einzelnen ausgelöst wird, während ein Großteil der Handelnden auf beiden Seiten "gut"/"vernünftig"/... handeln, finde ich interessant. Und ich mag es auch, wenn Szenarien sehr gut in die Realität eingebettet sind.
Trotzdem konnte mich das Buch leider nicht wirklich überzeugen... Woran lag das? Einerseits, und das war mein Hauptproblem, sind für mich die Charaktere absolut belanglos/austauschbar, vor allem auf menschlicher Seite. Während die Onur teilweise interessant waren (v.a. die Matriarchin), teilweise aber auch etwas klischeehaft waren (v.a. Ashkarr), waren die menschlichen Charaktere eigentlich alle sehr farblos.
Ein weiterer Kritikpunkt waren Stellen, an denen einzelne Akteure so schwer von Begriff waren, dass man als Leser sogar irritiert ist. Beispiele:
Wenn man seine eigentliche Feuerkraft nicht zeigt und der zuständige Entscheidungsträger seinem Untergebenem gegenüber erklärt, dass die verwendete Taktik Analogien zum Bluffen beim Pokerspiel hat, aber "dass man genau das Gegenteil mache, wie mit einem beschissenen Blatt so zu machen, als ob man gute Karten hätte" - dann ist es einfach nicht glaubwürdig, dass als Antwort kommt "Warum feuern wir so wenig? Und was hat das mit Bluffen zu tun?"
Eine ähnliche Szene gibt es schon einmal am Anfang, wenn das Affenmenschen-Briten-Beispiel von Jan Köhler. Am Ende davon kommt "Eine nette Geschichte, aber was hat das mit dem galaktischen Zoo zu tun?", obwohl die Analogie sehr offensichtlich wirkt. Das sind die eklatantesten Stellen. Dass die Onur teilweise extreme Fehler begehen, wird wiederum durch deren mangelnde Kreativität/Improvisationsfähigkeit usw. sinnvoll erklärt. Ein Feind, der auf wirklich jede Finte reinfällt, ist aber eben auch nicht unbedingt spannend.
 

Schuck

Fürst des Chaos
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Schöne Kritik zu The Road. Lese immer wieder davon, wie es auf reddit gehypet wird, aber bin mit dem Buch auch nicht recht warm geworden und hab es irgendwann nach der Hälfte liegen gelassen, was ich selten tue. Eventuell irgendwann noch einmal anpacken, hat ja auch nicht mal 300 Seiten.
 

Elric the Grey

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Ich lese gerade "Per Anhalter durch die Galaxis" und was soll ich sagen?
Das Buch ist einfach herrlichst bescheuert! :D

Das Buch wollte ich eigentlich schon vor 25 Jahren lesen... aber besser spät als nie. :)
 

Tolotos

Haluter
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Wow, ich habe hier ja schon ewig nichts mehr reingeschrieben. Ich habe nicht gar nichts gelesen in der Zwischenzeit, aber weniger, weil ich viel weniger Zeit hatte und entsprechend hatte ich auch weniger Zeit, Kurzbeschreibungen der gelesenen Bücher zu schreiben... Ich versuche trotzdem mal zusammenzufassen, was ich noch in Erinnerung habe, ausführlicher, je kürzer es her ist, dass ich die enstprechenden Bücher gelesen habe. Bewertungen kann ich mit dem Zeitabstand zwar nicht mehr seriös abgeben, aber sie stehen zum Glück auf goodreads.

Brandon Sanderson - The Final Empire (Mistborn #1)
Brandon Sanderson - The Well of Ascension (Mistborn #2)
Brandon Sanderson - The Hero of Ages (Mistborn #3)

Habe ich als gute bis sehr gute Fantasy-Trilogie in Erinnerung, die durch ein interessantes Magiesystem, sympathische Charaktere und überraschende, aber sehr glaubwürdige Twists besticht in Erinnerung. In dieser Hinsicht und auch allgemein hat mir besonders der zweite Teil sehr gefallen. Im ersten Teil war ich nicht ganz so überzeugt vom Plot, zumindest zu Beginn (Achtung, enthält auch Spoiler zum Ende des ersten Buches):
Eine Heist-Idee, zum Umstürzen eines Diktators passt für mich irgendwie nicht und hat meinen Suspension of Disbelief gestört. Vor allem, weil der dann erklärte Plot nicht so genial wirkt, dass es zum Heist-Setting passt. Klar steckt später noch ein weiterer Plan dahinter, aber ich fand am Anfang ja auch irritierend, dass die anderen Charaktere diesen Plan für vielversprechend halten und die wissen davon ja nichts.
Leider weiß ich nicht mehr so viel mehr von meinen Eindrücken. 3/5; 4/5; 3/5.

Christopher Clark - Die Schlafwandler: Wie Europa in den ersten Weltkrieg zog
Wurde ja oben schon empfohlen. Ein Buch über die Entstehung des ersten Weltkrieges in all seiner Komplexität, das sehr gut recherchiert wirkt. Ich habe mich sehr gut unterhalten und informiert gefühlt. Ich würde das Buch nicht zu sehr "auseinandergezogen" lesen (das habe ich gemacht), weil man dann gegen Ende manche der Hintergründe vom Anfang, die natürlich immer noch wichtig sind, nicht mehr gut kennt und wieder nachlesen muss. 4/5

Jordan Ellenberg - How not to be Wrong
Ein Buch darüber, wo mathematische Ideen im Alltag interessante Überlegungen/Argumente liefern. In meiner Erinnerung recht stark auf Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie fokussiert, was aber natürlich auch Sinn macht. War ganz nett zu lesen, ich glaube, ich habe auch was dabei gelernt, wobei es trotzdem für interessierte (!) Laien lesbar war. Allzu viel habe ich aber leider nicht mehr davon in Erinnerung. 3/5

Leila Schneps - Math on Trial: How Numbers get Used and Abused in the Courtroom
Das Buch beschreibt 10 Fälle, in denen mathematische/statistische Argumente vor Gericht falsch benutzt wurden (manchmal etwas lose interpretiert: Ponzi). Jedes der Kapitel trägt dabei den Namen des aufkommenden Fehlers, wobei das manchmal etwas lose benutzt wurde (Fehler: "Mathematical Madness").
Als Anekdotensammlung zum beschriebenen Thema funktioniert das Buch gut. 3/5

Dan Josefsson - Der Serienkiller, der keiner war und die Therapeuten, die ihn schufen
Der Titel beschreibt das Buch schon: Es geht um aufgedeckte "vergessene Erinnerungen" im Fallbeispiel eines Serienmörderfalls in Schweden. Dass man Erinnerungen auch "erzeugen" kann, wenn man sie eigentlich "herstellen" will, hatte ich vorher schon auf dem Schirm. Wissenschaftlich eingeordnet wird das hier nicht, es werden die Geschehnisse und Fehler im Fall "Sture Bergwall" aufgerollt und ausführlich beschrieben. 3/5

Philipp P. Petersson - Flug 39
Science-Fiction-Roman über einen Flug in die Vergangenheit, mit dem Ziel, Hitler zu töten
und den Auswirkungen nachdem das geglückt ist
In meiner Erinnerung ganz netter Plot, aber keine erinnerungswürdigen Charakter. Weiß leider nicht mehr viel davon. 3/5

Fredrik Backman - Kleine Stadt der großen Träume
Ein Buch über eine skandinavische Kleinstadt, die Jugendmannschft des ansäßigen Eishockey-Vereins und verschiedene Person, die mit dieser in Berührung sind (Vorsitzender, Trainer, Tochter des Trainers, verschiedene Spieler), später auch
über eine Vergewaltigung und den Umgang damit in der Dorf-Atmosphäre und die Freiheiten eines "Stars"
Ich interessiere mich überhaupt nicht für Eishockey (was möglicherweise helfen könnte), fand dieses Buch aber extrem gut. Jeder Charakter ist ausgearbeitet, glaubwürdig und interessant, die Interaktionen sind faszinierend und passen zu den gut etablierten Charakteren, das Buch schafft es sehr gut, Emotionen zu wecken.
(v.a. Wut, aber auch etwas Traurigkeit)
Am Anfang wusste ich nicht, ob einer so großer Cast an Figuren wirklich notwendig ist (obwohl sie mich alle interessiert haben), aber
dadurch werden die verschiedensten Reaktionen auf die Vergewaltigung und den Umgang mit den entsprechenden Vorwürfen abgedeckt und dadurch, dass alle Charaktere gut etabliert sind, sind diese glaubwürdig.
4/5

Scott Turrow - The Burden of Proof
Das Erstlingswerk, des Autors, "Presumed Innocent" hat mich wie oben beschrieben sehr überzeugt. Das zweite Buch kommt für mich (!) daran leider bei weitem nicht ran. Das liegt vor allem am uninteressanten Thema: ein Fall aus der Finanzbranche (Unterschlagung, Insider-Handel oder sowas, weiß nicht mehr genau) ist halt nicht genau so interessant wie Mord. Im Hauptfokus steht auch eher die Familie des Protagonisten, des Anwalts Sandy Stern, der aus dem ersten Teil bekannt ist. Das aber durchaus auf eine interessante und einem Krimi angemessene Art. Ein weiterer merklicher Unterschied zu "Presumed Innocent" war, dass es kaum oder keine Gerichtsszenen gab, die mir dort ja besonders gut gefielen. Trotzdem wurde eine interessante Geschichte mit ein paar Twists erzählt und ich fühlte mich gut unterhalten. Nur halt nicht so gut, wie ich gehofft hatte. 3/5

Claire North - Touch
Was ich noch weiß ist, dass die Prämisse faszinierend ist (es gibt Menschen, die durch Berührung in andere Körper übergehen und dann in deren Körper weiterleben können. Diese bilden eine Paralellgesellschaft), die Konsequenzen der Prämisse interessant ausgearbeitet sind, der Schreibstil sehr schön ist, aber der Plot mich nicht allzusehr interessiert/mitgerissen hat. Weiß aber nicht mehr genau, warum bzw. was genau mich gestört hat. 3/5

Jeffrey Toobin - The Run of his Life: The People vs. O.J. Simpson

Habe die Serie "The People v.s O.J. Simpson gesehen", in der es um den Mordprozess gegen den schwarzen Footballspieler O.J. Simpson Anfang der 90er geht. Die Serie beruht auf diesem Buch eines in den Fall am Rande involvierten Journalisten. Es beschreibt sehr ausführlich die verschiedenen Beteiligten (Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Zeugen, Richter, Opfer + Umfeld, O.J. Simpson + Umfeld) und den Ablauf des Prozesses. Wenn man sich mit dem Prozess beschäftigt, beschäftigt man sich automatisch auch mit Rassismus, Sexismus (die Staatsanwältin war eine Frau und manchmal stand eher ihre Frisur im Mittelpunkt als ihre Arbeit) und dem amerikanischen Justizsystem (Wie sinnvoll sind Jurys?).
Ein sehr interessantes Buch. Manche der sehr objektiv wirkenden Erklärungen/Beschreibungen, gerade von Fehlern einer der Seiten werden aber im als nächstes aufgeführten Buch (geschrieben von der Staatsanwälting des Falls) recht überzeugend widerlegt. Wer jetzt "recht hat", ist von außen natürlich schwer zu beurteilen. 4/5

Marcia Clark - Without a Doubt
Buch der Staatsanwältin aus dem O.J-Simpson-Prozess, größtenteils über diesen Prozess. Man merkt
die Wut, sowohl über den verlorenen Prozess, als auch über den Umgang mit ihr während und nach dem Prozess.
Wird manchmal so ausschweifend, wirkt auch nicht immer objektiv, bietet aber noch einmal eine interessante weitere Perspektive auf den Fall, wenn man daran interessiert ist. 3/5

Nicolai Worm - Volkskrankheit Fettleber
Hat mich sehr geärgert. Hat mein Arzt mir empfohlen, um einer ebensolchen Fettleber entgegenzuwirken. Am Anfang wirkt es auch wie seriöse Information, wobei die eingestreuten Erfahrungsberichte irgendwelcher Leute mit ihrer Fettleber schon seltsam wirken. Im letzten Kapitel entpuppt es sich dann als Werbung für einen speziellen Eiweiß-Shakes des Autors. Auch wenn es gut möglich ist, dass die allgemeinen Informationen der ersten Kapitel trotzdem richtig sind, macht das das Buch so unglaubwürdig, dass man darüber eben nichts mehr sicher sagen kann. Wäre es nicht eine Empfehlung meines Arztes gewesen, hätte ich mir wahrscheinlich schon durch die Aufmachung denken können, dass es eher Werbung ist. 1/5

Alexander Stevens - Verhängnisvolle Affären - Wenn Online-Dates beim Anwalt landen
Der Anwalt und Autor des Buches "Sex vor Gericht" schreibt ein paar weitere interessante Anekdoten zu Fällen, die er erlebt hat, die diesmal alle in Verbindung zu Online-Dating im weitesten Sinen stehen. Die Fälle sind alle schöne Anekdoten: Meistens amüsant, manchmal vielleicht auch etwas erschreckend. Es geht dabei kaum um die Arbeit eines Anwalts oder die Situation vor Gericht, sondern mehr um die Erzählung größtenteils völlig absurder Fälle. Das Buch ist vielleicht etwas kurz. 3/5

Dennis E. Taylor - We are Legion, We are Bob (Bobiverse #1)
Sehr interessante Prämisse: Bob, ein Mensch aus unserer Zeit stirbt, hat sich aber einfrieren lassen. Er erwacht in der Zukunft,
aber sein Gehirn wurde auf einen PC hochgeladen. Er führt dann ein Leben als von-Neumann-Sonde, die sich dementsprechend auch replizieren kann.
Hard-Sci-Fi, die viel Wert auf die wissenschaftlichen Fakten legt, aber auch interessante Fragen zur Grundsituation aufwirft.
Ist man noch die gleiche Person? Wie ist die psych. Situation von Bob? Der Umgang mit Einsamkeit? Aber auch die grenzenlosen Möglichkeiten?
Leider sind die verschiedenen Plotstränge etwas dünn und uninnovativ und außer Bob bzw.
den Bobs
kommen nicht wirklich interessante andere Charaktere vor. Trotzdem ist das Setting interessant genug, dass ich weiterlesen werde. 3/5

Außerdem habe ich noch eine Podcast-Empfehlung, aber nur für die Leute, die einer meiner letzten Buchempfehlungen gefolgt sind:
We've got Worm ist eine Arc-by-Arc-Analyse der Web-Serie Worm, die ich oben beschrieben und sehr gelobt habe. Der Podcast ist sehr interessant und hat mir wieder soviel Lust auf die Serie (und ihre Fortsetzung) gemacht, dass ich tatsächlich angefangen habe, diese ein zweites Mal zu lesen (bin jetzt bei Arc 22 von 30). Da Worm ca. 5.000 Seiten hat und mein erster Durchgang weniger als ein Jahr her ist, ist das eine beachtliche Leistung. Es gibt auch viele Aspekte (gerade thematischer Art), die ich erst beim zweiten Lesen richtig zu schätzen weiß! Ich schätze Worm jetzt noch etwas besser ein als vorher schon und habe auch meine Bewertung auf 5/5 angepasst. Kann jedem nur empfehlen, diese Serie zu lesen, hier noch einmal spoilerfreie Gründe dafür:
- Unfassbar komplexes und ausgefeiltes Worldbuilding: Man hat stets das Gefühl, das "im Hintergrund" der Haupthandlung andere Dinge existieren und passieren, wodurch die Welt lebendig wirkt.
- Ausgefeilte und realistische Charaktere. Wildbow hat ein überragendes Talent dafür, in den Interlude-Auftritten aus der Sicht von Nebencharakteren diese in sehr kurzer Zeit zu nachvollziehbaren, dreidimensionalen (nicht immer, aber oft auch sympathischen) Charakteren zu machen. Da diese dann auch im Lauf der Haupthandlung weiter vorkommen und sich natürlich konsistent zu ihrer Charakterisierung verhalten, sind die vorkommenden Charaktere (und das sind viele) immer ausgereift und interessant.
- Was auch zum vorherigen Punkt beiträgt: Wildbow schafft es, in fast allem, was er schreibt, kleine Charakter-"Beats" der vorkommenden Charaktere unterzubringen (ohne dass das aufdringlich ist).
- Realismus: Man hat das Gefühl, dass Wildbow versucht darüber zu schreiben, was in der realen Welt passieren würde, wenn es Superkräfte gäbe. Ein Aspekt davon ist sicher, dass die Superkräfte selbst immer klar definierte Regeln haben (die der Leser aber natürlich nicht immer wissen muss, je nachdem, was die Charaktere wissen, aus deren Sicht man liest!) und dass es im Laufe der Geschichte tatsächlich so wirkt, als würden Dinge zumindest plausibel erklärt (weiß nicht genug über Physik und habe auch nicht genug nachgedacht, um mehr als gefühlte Plausibilität attestieren zu könnne). Der wichtigere Aspekt ist für mich, dass sich das Setting und die Reaktionen der Welt realistisch anfühlen: Es gibt wissenschaftliche Studien über Superkräfte; Organisationen von Superhelden müssen sich um PR kümmern; einige vergleichbare Dinge, die ich wegen Spoilern nicht ansprechen kann.
- Immer wieder werden interessante (wenn auch nicht unbedingt neue) moralische Fragen angeschnitten (aber selten explizit ausgesprochen). Allein durch die vielfältigen Reaktionen von Lesern merkt man auch, dass der Text keine Antwort vorgibt, aber sehr wirkungsvoll zum Nachdenken anregt.
- Dazu und zu den Charakteren passt auch, dass es im wesentlichen keine "Gut"-"Böse"-Aufteilung gibt. Die vorkommenden Charaktere sind komplexe Personen, die man nicht so einfach auf diese Art sortieren kann. Sicher gibt es davon einzelne Ausnahmen, aber sogar bei den extremeren Fällen schafft Wildbow es, wenn er aus deren Sicht schreibt immer mal wieder, doch noch zumindest Nachvollziehbarkeit ihrer Handlungen zu vermitteln.
- Ein episches, aber nicht übertriebenes und absolut zu den Themen und der Geschichte passendes Ende.
- Weitere klare Stärken, die aber für mich längst nicht so wichtig sind, wie die Punkte oben: Einzelne, interessante Twists, die aber nicht aus dem Nichts kommen, sondern subtil vorbereitet werden. Extrem kreative Ideen für mannigfaltige Superkräfte sowie Anwendungen dieser. Gut geschriebene, abwechslungsreiche und übersichtliche (mit In-Story-Gründen für die Übersichtlichkeit) Actionsequenzen.
- Kleine Probleme beziehen sich meistens auf einzelne Passagen und Probleme, die dort dadurch entstanden sind, dass es gemäß des Formats keinen normalen Editing-Prozess gab. Dabei geht es aber eher um Pacing o.ä., nie um logische Konsistenz der Handlung, die immer erhalten bleibt.
 
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Vernochan

Schabrackentapir
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Bezüglich Mistborn:
Ausgerechnet, der Sturzversuch hat deine Suspension of Disbelieve gestört? Das zu versuchen fand ich durchaus nachvollziehbar. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass jemand auf einmal zum Halbgott/Gott wird... Das fand ich schon eher... stretchy :D
 

Tolotos

Haluter
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Letzteres stört mich nicht, ich vermute, weil ich bei solchen fantastischeren World-Building-Anteilen vor allem dann ein Problem habe, wenn sie inkonsistent sind. Vielleicht auch noch, wenn sie zu einfache Lösungen präsentieren öder ähnliche "erzählerische Regeln verletzen". Dann aber sicher unbewußt.
Wenn ich jetzt nochmal darüber nachdenke: Vielleicht war es etwas zu sehr Deus Ex Machina... Das weiß ich nicht mehr... Also wie ich das damals fand.

Wegen dem Umsturz: Ich glaube auf mich wirkt schon alleine nicht glaubwürdig, dass ein Umsturz auf diese Art geplant wird (Rebellen engagieren Diebesbande - ich weiß nicht mehr wie es inhaltlich ist, aber in meiner Erinnerung liegt recht schnell die komplette Planung bei Kelsier & Co nicht nur die Planung des Planelementes Raubzuges, was eigentlich ihr Metier wäre).

Dann finde ich auch seltsam, dass dieser eigentlich recht simple Plan eine so große Erfolgschance verspricht, dass er so viele so überzeugte Anhänger gewinnt: Das passt für mich nicht dazu, dass das Final Empire als so mächtig dargestellt wird, dass es sehr lange (hunderte Jahre? Tausende Jahre?) keinen ernsthaften Rebellionsversuch gab. Natürlich kann es auch sein, dass solche Versuche einfach durch Propaganda nicht erwähnt werden, aber dafür deutet zumindest in meiner Erinnerung auch für den Leser nichts hin.

Ich meine - Unfrieden zwischen den Häusern erzeugen und dann die wichtigste Resouse des Lord Rulers stehlen hört sich so an, als sollte es (zumindest ein Teil davon, wenn nicht in dieser Kombination) schon vorher versucht worden sein und nicht derart revolutionär wirken.

Die ganze restliche Stimmung ist für mich auch so, als wäre alles sehr hoffnungslos, das Final Empire sehr stark und ein Umsturzversuch fast unmöglich. Das beißt sich für mich etwas mit dieser "Heist"-Stimmung am Anfang. Ich glaube, bei Kelsier gehört es auch zur Charakterisierung, dass er übertrieben optimistisch auftritt, wenn ich mich richtig erinnere, daher macht das für die Charaktere oder zumindest für einzelne Charaktere schon Sinn.
Trotzdem war das für mich als Leser (zumindest in meiner Erinnerung) dissonant: Hoffnungsloser Umsturzversuch vs. beschwingt-lockere Heist-Movie-Atmosphäre. Vielleicht hat das zu meinem Problem beigetragen?

Ich weiß leider nicht mehr alles so klar, und habe bestimmt jetzt auch sachliche Fehler im Text oben gemacht. Im Nachhinein ärgert mich gerade bei dieser Trilogie (die ich als erstes nach meiner Pause hier gelesen habe, also vor fast einem Jahr), dass ich nicht viel zeitnäher darüber geschrieben habe. Dann könnte ich jetzt viel besser meine Eindrücke austauschen. Und ich wusste ja durch deine Empfehlung von vorher, dass gerade diese Trilogie hier durchaus jemand interessieren könnte.
 

Tolotos

Haluter
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Dennis E. Taylor - For We Are Many (Bobiverse #2)

Ich hatte Spaß beim Lesen dieses Buchs. Es hat mich weiter gut unterhalten und sehr nahtlos an Buch 1 angeknüpft. Aber es hat auch sehr viele Probleme, und ich könnte daher gut verstehen, wenn andere abgeschreckt wären:
- Immer noch wenig interessante Charaktere abseits von Bob
- Die Plotlines sind alle nicht sonderlich innovativ, zusätzlich erhalten sie aber auch nicht viel Tiefe, weil es eben einige gibt durch die Art des Hauptcharakters.
- was auch schon im ersten Teil auffiel, aber ich dort irgendwie nicht erwähnt habe, wird hier noch deutlicher und mittlerweile stört es mich auch: Die für mein Gefühl mangelnde Fantasie des Autors - im Wesentlichen alle ausserirdischen Lebensformen werden nicht beschrieben, sondern als "wie... " charakterisiert, also a la "wie eine Mischung aus Fledermaus und Schwein" oder "wie Raptoren in Jurassic Parc aussahen nur mit schärferen Zähnen und [kleinen Unterschieden]" etc. Ich glaube, dass das zeigen soll, dass in der Welt des Buchs die Panspermie-Theorie wahr ist, aber in diesem Ausmaß wirkt es leider eher albern und eben... fantasielos.
Das war viel negatives. Ich fühle mich wie gesagt gut unterhalten von dem Buch, aber kann schwer den Finger auf die positiven Punkte legen. 3/5
 

Tolotos

Haluter
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Dennis E. Taylor - All these Worlds (Bobiverse #3)
Ich habe nicht viel neues zu sagen, was nicht schon bei Teil 2 gestimmt hat. Liest sich ganz nett, hat mich gut unterhalten, aber ist nichts besonderes, behält auch die Schwächen von Teil 2. Eine Storyline war vielleicht etwas besser als die meisten Sachen vorher (weil etwas weniger vorhersehbar). 3/5

Stefan Harbort - Wenn Kinder töten

Wie durch den Titel schon beschrieben, werden Fälle geschildert (insgesamt 10), in denen Kinder zu Mördern wurden (oder sonstwie töten). Die einzelnen Fälle sind naturgemäß meist sehr erschreckend. Man sollte aber (natürlich?) nicht erwarten, viel aus dem Buch zu lernen: Allenfalls im Anhang wird auch etwas systematischer auf die Gesamtheit an Fällen eingegangen. Für sich genommen ist jeder Fall durchaus "interessant", wenn man so etwas denn lesen will. 3/5
 

Tolotos

Haluter
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Walter Schlegel - Recht verrückt - Die skurrilsten & unglaublichsten Fälle aus deutschen Gerichtssälen
Die Fälle waren durchaus skurril und durchaus interessant. Wenn auch eher auf dem Level, dass man darüber schmunzelt bzw. denkt "Ach, interessant/absurd, dass das so geht", nicht auf dem Level, an dem sie wirklich aufsehenserregend sind. Der Inhalt ist also solider Durchschnitt. Die Form ist leider deutlich schlechter: Kein guter Stil, einiges an Fehlern und auch die Interpretationen sind nicht immer logisch. Manchmal dachte ich sogar "Ja, dieser Fall ist absurd, aber genau in die umgekehrte Richtung wie der Text suggerieren will". Kann ich also nicht als gutes Buch bezeichnen, wenn man auch in den einzelnen Fällen (sehr leichte) Unterhaltung finden kann. 2/5

Isaac Asimov - Foundation (Foundation #1)

Ein sehr, sehr ungewöhnliches Buch. Das Ungewöhnlichste zuerst: Es gibt keine Charaktere. Natürlich nicht in jeder Auslegung des Begriffs, es kommen schon handelnde Personen vor, aber diese sind so wenig mit Tiefe versehen, dass ich sie nicht guten Gewissens als Charaktere bezeichnen kann. Diejenigen, die etwas mehr beschrieben sind, sind dann auch noch öfter (außer vielleicht im "ersten Teil") Klischees und dann auch noch sehr ähnliche Klischees (Seldon/Mallow). Trotzdem hat mir das Buch sehr gut gefallen. Und normalerweise sind gute Charaktere für mich eines der wichtigsten Gütekriterien einer Geschichte. Warum hat es mir gefallen? Einerseits werden einige interessante (wenn auch aus heutiger Sicht nicht sehr überraschende) soziopolitische Thesen und Ideen vorgestellt. Es werden Teile unserer Geschichte nachgebildet bzw. deren wichtigste Stellen herausgearbeitet. Andererseits mag ich an den einzelnen "Teilen", in die das Buch aufgeteilt ist auch die Art wie ein Szenario/Rätsel präsentiert wird und man am Ende die Lösung (die man auch selbst hätte finden können) erfährt - fast wie in einem klassischen Whodunit-Murder-Mystery-Book. Am besten gelungen für mich im zweiten Teil des Buchs. Durch diese Struktur liest sich das Buch aber auch eher wie fünf (thematisch verbundene) Kurzgeschichten - dann fallen auch die fehlenden Charaktere weniger auf. Und das passt soweit ich informiert bin auch gut zur Entstehungsgeschichte des Buchs, das wohl zunächst in Form der einzelnen Teile in Magazinen veröffentlich wurde. Erwähnen sollte man wohl auch noch, dass dieses Buch sicher sehr wegweisend für viele Ideen der SciFi-Literatur, die wir heute kennen war (z.B: Trantor als "Stadt-Planet"). 4/5
 

Mindriel

Traumläufer
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Foundation und auch die Nachfolger kann ich auch nur empfehlen, wenn man Interesse an SciFi hat. Asimov hatte eine unglaubliche Vorstellungskraft, und konnte diese in galaktischer Ausdehnung auch darstellen.

Angenehme Träume,
Mindriel
 

Tolotos

Haluter
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Isaac Asimov - Foundation and Empire (Foundation #2)
Hat mir etwas besser gefallen, als der erste Teil der Reihe, obwohl einige der Schwächen erhalten bleiben. Statt fünf Kurzgeschichten waren es dieses Mal zwei (ziemlich unabhängige) Novellen. Diesmal gab es Charaktere, die aber größtenteils recht blass oder klischeehaft blieben. Trotzdem machen die Ideen es wert, das Buch zu lesen. Im ersten Teil geht es vor allem darum,
dass Individuen keine große Rolle für Seldons Plan spielen. Das Erwähnen und Ausarbeiten dieser Idee fand ich sehr positiv und das Plotdevice "Psychohistory" wurde für mich damit ins deutlich Glaubwürdigere verschieben.
Auch nochmal außerhalb des Spoilers: Diese Idee hat mir sehr gut gefallen. Als Geschichte funktioniert der erste Teil gerade wegen seiner Idee für mich nicht sehr gut,
da die Charaktere eben im Endeffekt unwichtig sind.
Der zweite Teil beschreibt dann
das erstmalige Abweichen (?) vom Seldon-Plan, zumindest aus Sicht der ersten Foundation. Auch dass ein solches Abweichen stattfindet hat mir sehr gut gefallen, denn dass auch sehr fortschrittliche Wissenschaft über große Menschengruppen eine sehr lange Zeit so akkurat in die Zukunft vorhersagen kann, wie es vorher rüberkam, war für mich vorher schon ein Problem des Konzepts. Außerdem wird auf diese Art wieder Spannung generiert, die beim vorherigen "Die Foundation gewinnt sowieso" durchaus etwas verlorenging...
Der zweite Teil funktioniert auch als Geschichte deutlich besser. Er endet mit einem sehr vorhersehbaren (aber inhaltlich absolut gelungenen) Twist. 4/5
 

Tolotos

Haluter
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Zurück aus dem Urlaub, dann hat man immer einiges gelesen.

Isaac Asimov - Second Foundation

Ist schon ein bißchen her. Der erste Teil mit der Suche des Mules nach der Second Foundation war okay, wirkte aber in seinen Handlungswendungen am Ende auch etwas gezwungen. Nicht mein Lieblingsteil der Series. Dafür war der zweite Teil mit der Protagonistin Arkady Darell nicht nur der erste, mit einem wirklich gelungen Hauptcharakter, sondern er enthielt auch interessante und glaubwürdige Wendungen am Ende. Dieser Teil hat mir sehr gut gefallen. Insgesamt 4/5.

Marcus Clarke - For the Term of his Natural Life
Ein australisches Buch aus dem 19. Jahrhundert über einen jungen unehelichen Sohn einer reichen Familie, der durch widrige Umstände verurteilt wird, nach Australien verschifft zu werden und sein Schicksal in verschiedenen Sträflingskolonien. Während ich den Plot des Buches sehr interessant, wenn auch manchmal etwas konstruiert, fand, konnte ich mit dem Schreibstil und vor allem der Persepektive nichts anfangen. Das ganze Buch ist so unpersönlich geschrieben und verweilt so "weit weg" von seinem Protagonist, dass dessen eigentlich sehr tragisches Schicksal mir nur selten nah ging. Sehr schade, das Buch an sich hatte viel Potential. Trotzdem grade noch so 3/5.

Brooke Magnanti - Sex, Lies & Statistics

Ein sehr interessantes Sachbuch, in dem es vor allem um den Stand der Wissenschaft zum sinnvollen Umgang mit Prostitution und die Haltung der Restgesellschaft dazu geht (angeschnitten werden auch Pornographie u.ä.). Die Autorin, die sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Callgirl Erfahrungen gesammelt hat (wobei letzteres sehr unwichtig ist, da sie den Job natürlich in einer sehr privilegierten Position ausgeübt hat), kritisiert einerseits, wie die Medien und viele Regierungsvertreter (in Großbritannien) mit dem Thema umgehen und wie sie sehr fragwürdige Statistiken verfälscen oder sinnvolle Statistiken verfälschen oder falsch interpretieren. Andererseits beschäftigt sie sich auch mit der Perspektive der Betroffenen und was aus deren Sicht und aus Sicht der Verbände, die wirklich an der Basis mit Straßenstrich-Prostituierten zusammenarbeiten (aber z.B auch aus Sicht von Amnesty International u.a.) sinnvoll wäre: Dekriminalisierung wie in Neuseeland. Das untermauert sie sowohl mit Argumenten als auch mit Forschung. Andere Ansätze werden deutlich kritisiert, nicht nur die völlig verrückte Kriminalisierung auch der Prosituierten, die es in Teilen von Amerika gibt, sondern auch Legalisierung (wie in Deutschland) oder das schwedische Modell der Freier-Kriminalisierung. Sehr interessantes und aufschlussreiches Buch, das meine Meinung zu dem Thema beeinflußt hat. Wobei man natürlich für eine intensive Auseinandersetzung sowohl die Quellen des Buches prüfen als auch weitere Quellen nutzen müsste. 4/5

Joscha Remus - Gebrauchsanweisung für Australien

Im Gegensatz zu sonstigen Büchern von der Art, die ich über andere Länder gelesen habe, nicht von einem Expat, sondern von einem Reisenden geschrieben (bzw. zumindest wirkt es so, ich habe mich nicht wirklich informiert, was der Autor wirklich macht). Zu jedem der typischeren Touristenziele (alles ander Ost- und Südküste, Outback, Darwin, Perth) und zu einigen generellen australischen Besonderheiten werden kleine Anekdoten zum Besten gegeben und lustige oder interessante Fakten dargelegt. Kann man lesen, vor allem, wenn man selbst gerade Bezug zum Land hat, ist jetzt aber auch nicht übermäßig spannend. 3/5

Craig Barton - How I Wish I'd Taught Maths: Lessons Learned from Research, Conversations with Experts, and 12 Years of Mistakes
Ein sehr interessantes Buch eines Mathe-Lehrers, der wohl jahrelang mit sehr wenig Lehrergestütztem Unterricht Erfolg hatte und viel Lob einheimste, sich dann aber nach 12 Jahren in dem Job mit Kognitionspsychologie u.ä beschäftigt hat, was seine Perspektive auf optimales Lehren extrem verändert hat. In diesem Buch stellt er viele Fehler da, die er vorher gemacht, sowohl prinzipielle als auch sehr konkrete, erklärt kurz, warum er das heute für falsch hält, verweist auf Paper, die dafür als ausführlichere Quelle dienen und erklärt dann, was er heute macht. Auch wenn es mit Lehre an der Universität (der für mich relevante Teil der Lehre) nicht viel zu tun hat, fand ich dieses Buch doch sehr aufschlussreich und habe es gerne gelesen. Man sollte aber einiges mit Mathematik und mit Lehre anfangen können (eines davon reicht nicht!), sonst würde ich dieses Buch nicht empfehlen. 4/5
Weitere Gedanken zum Buch (durch den Post bin ich auch darauf aufmerksam geworden): https://gowers.wordpress.com/2018/12/22/how-craig-barton-wishes-hed-taught-maths/

Agatha Christie - Murder in the Mews

Nach langer Pause habe ich mein Christie-Projekt wieder fortgesetzt. Hier handelte es sich um vier Kurzgeschichten, von denen eine sehr gut (Murder in the Mews), eine gut (Dead Man's Mirror), eine belanglos (...) und eine sogar richtig schlecht (Triangle in Rhodes) war. Damit komme ich insgesamt auf eine durchwachsene 3/5

John C. McCrae (Wildbow) - Glow-Worm

Nachdem ich Worm ein zweites Mal gelesen habe (für 5.000+ Seiten ist das innerhalb eines Jahres schon eine beachtliche Leistung des Stoffs, mich dazu zu bringen. Ist ja nicht so, als ob ich keinen Backlog hätte) und diesmal, unterstützt vom exzellenten Podcast We've Got Worm vieles noch deutlich besser würdigen konnte (insbesondere das Ende, das mir vorher schon gut gefallen hat, das aber beim ersten Lesen aufgrund der emotionalen Verbindung zu Taylor fast nicht sinnvoll zu Würdigen ist, insbesondere was seinen Umgang mit den Themen des Buchs angeht. Mittlerweile würde ich tatsächlich sagen, dass ich kein anderes serielles Werk (TV-Serie, Filmserie, Buchserie o.ä) kenne, dass auf eine so herausragende Art endet. Das schließt Werke mit sehr, sehr gutem Ende wie etwa The Shield oder Breaking Bad mit ein), will ich jetzt endlich mit der Fortsetzung Ward anfangen. Dazu steht zunächst mal der Prolog/Zwischen-Text Glow-Worm auf dem Programm - ein Prolog in Form von Ausschnitten aus einem Internet-Forum. Sehr interessant, wie man in diesem Format Personen charakterisiern kann, obwohl man nur deren Auftreten im Internet (keine Gedanken o.ä, dazu) als Mittel zur Verfügung hat. In seiner Natur als Prolog kann man den Text ansonsten naturgemäß noch schlecht einordnen, ohne Ward zu kennen. Es verspricht aber wieder extrem gut zu worden.

Matt Fraction - Sex Criminals Vol. 1
Ein Comic über eine Frau, deren Orgasmus die Zeit stoppt, der mich extrem positiv überrascht hat. Da es nur Vol. 1 ist, werden eher die (beiden) Hauptcharaktere und einige Nebencharaktere eingeführt sowie das Konzept vorgestellt, als dass es viel Handlung gibt, aber das, was ich gelesen habe, hat mir sehr gefallen. Sowohl mag ich die Charaktere, als auch den Zeichen- und "Panelorganisations"-Stil, vor allem aber haben mir die immer wieder vorkommenden Einschübe von Meta-Humor gefallen. Als jemand, der die Serie "Community" u.ä. liebt, war das genau mein Ding und hat den ohnehin sehr guten Comic für mich nochmal deutlich aufgewertet. Ich bleibe mal bei 4/5, weil eben plot-technischnoch nicht allzu viel passiert ist und eine noch höhere Einordnung daher schwerfällt. Die Serie werde ich definitiv weiterlesen.
 

Tolotos

Haluter
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Richard David Precht - Tiere denken
Ein Buch, das in vier Sinnabschnitte unterteilt ist: Biologische Gründe, warum man Tiere und Menschen oder Tiere voneinander ab einer gewissen Entwicklungsstufe unterscheiden sollte/könnte, insbesondere in Hinblick auf moralische Grundsätze; Kulturgeschichte, wie das in vergangenen Zeiten gehandelt wurde und vor allem, welche Außenseitermeinungen es sogar im eher tierunfreundlichen Rom oder Griechenland gab; ein philosophischer Abschnitt zu Theorien von Singer & co und was der Autor darauf erwidert sowie ein Abschnitt zur praktischen Einordnung vieler Tierrechtsthemen wie Vegetarismus, Zoos, Tierversuche usw.
Die ersten beiden Teile haben mir (bis vielleicht auf die Fixierung auf den prozentualen Unterschied im Genom) extrem gut gefallen. Ich habe dort, gerade im zweiten Teil, einiges gelernt und die Informationen waren auch gut aufbereitet und in einem schönen Stil aufgeschrieben. Z.B. vom Verhältnis der Ägypter zu Tieren oder auch von vielen eher unbekannteren historischen Personen hatte ich vorher noch nie etwas gehört. Der vierte Teil ist auch gut. Dort steht zwar nicht spektakulär neues drin, aber eine sinnvolle Auseinandersetzung mit den verschiedenen Themen und Idealvorstellungen des Autors, was sich vielleicht in Zukunft im jeweiligen Bereich ändern könnte/sollte. Leider war gerade der dritte Teil eine Enttäuschung. Im Vorwort behauptet der Autor, eine Konkurrenztheorie zu Singer & Co zu haben, die deren Schwächen aushebelt. Was er dann vorstellt ist mehr oder minder nur, dass man die Bevölkerung nicht mit zu radikalen Ideen überraschen sollte, weil diese eher zur Ablehnung führen und daher schrittweise vorgehen sollte. Das mag pragmatisch Sinn machen und je nach Definition ist es vielleicht sogar wirklich eine ethische Theorie (z.B. in den Utiliarismus gekleidet), aber für mich war es halt weniger die Frage "Was sollte man anstreben?" sondern eher die Frage "Wie erreicht man am pragmatisch am besten, dass ein bestmögliches Ziel eintrifft?" im Vordergrund. Das ist zwar eine interessante und wichtige Frage, aber ich denke, dass auch anderen bewußt ist, dass man sich diese Frage stellen muss und dass es daher keine gute philosoph. Konkurrenztheorie ist... Für mich war das etwas irreführend.
Da ich das Buch vor allem wegen dem philosophischen Teil gelesen habe, bleibe ich daher bei einer 3/5. Bei einer anderen Schwerpunktsetzung findet man es sicher besser.

Agatha Christie - Appointment with Death

Die vorgestellte Psychologie der unterdrückten Familienmitglieder war vielleicht etwas simpel, aber der eigentliche Film war spannend und hatte eine nette Auflösung, die ich zwar erahnt habe, die mir aber trotzdem sehr gut gefallen hat. 4/5
 
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