Ich schäme mich

Lokadamus

Buddelmagier
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Turjan

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Ich glaube nicht, dass Du ein Touristenvisum bekommst, wenn Du das aus einem Land beantragst, wo Du kein Daueraufenthaltsrecht hast. In so einem Fall ist es unwahrscheinlich, dass Du tatsaechlich Tourist bist.

Im Prinzip muesste man Asylbewerber als separate Visums-Kategorie zulassen, um das geregelt ueber die Buehne zu bekommen. Begrenzte Kapazitaeten in Konsulaten werden dann auch gerne dazu verwendet, solche Faelle auf wenige Hundert pro Monat zu begrenzen. Solche Fluechtlinge kommen ja auch durchaus immer noch, aber die berichten ueber monatelange Wartezeiten.
 

Caesar

C
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Vielleicht interessiert es ja den ein oder andren. Meine Freundin war letzte Woche mit Menschen in Griechenland, Flüchtlingen Helfen und hat da Eindrücke aus erster Hand. Ich gebe mal einen Bericht, mit allem positiven und Negativem. Nachfragen willkommen ;)


Zuerst waren sie in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien. In dem Lager waren vor allem Menschen aus Iran, Pakistan, Marokko und Schwarzafrika die nicht durchgelassen wurden. Syrer und Afghanen kamen Problemlos über die Grenze. Anfangs war wohl auch die Kälte ein Problem und nur Lagerfeuer dienten als Wärmequelle. Da es kein Brennmaterial gab wurde viel Müll verbrannt und alles brennbare aus den umliegenden Dörfern geholt. Später hat die griechische Regierung dann Holz mit Lastern gebracht. Das Lager wurde nach 2 Tagen geräumt und alle nach Athen gebracht, dazu auch der Tagesschau Link, der relativ gut ist. Es gab bei der Räumung wohl wirklich relativ wenig Polizeigewalt, obwohl alle Helfer vorher rausgezogen wurden. Viel unangenehmer waren Verletzungen die von der mazedonischen Polizei verursacht wurden als Menschen so über die Grenze wollten.
Das Lager war an sich gut ausgestattet mit allem was man braucht, wurde bei der Räumung aber von einigen Flüchtlingen total verwüstet, medizinischer Kram wurde geklaut, der Kindergarten der eingerichtet war zerlegt, es war wohl das meiste an Infrastruktur kaputt.
Gleichzeitig war der Platz aber nach der Räumung voll mit guten Zelten, Schlafsäcken, Kleidung usw... das wurde alles in den Müll geworfen.

Weiter nach Thessaloniki weil es an der stelle niemanden mehr zum versorgen gab. Dort gab es ein selbst verwaltetes besetztes Haus das Kleidung, Nahrung und Schlafplätze für Flüchtlinge organisiert hat. Einige Aus Idomeni waren dort hin geflüchtet um nicht nach Athen transportiert zu werden.

Weiter nach Athen. Dort in das Tekwando Olympia Stadium. Das ganze wird von der Polizei mit relativ massiver Präsenz bewacht und nur Flüchtlinge dürfen rein.
Drinnen sieht es dann so aus.
Es war zumindest zu dem Zeitpunkt nicht überfüllt, aber es gab keinerlei Privatsphäre, nur wenige Zelte, die meisten schliefen einfach so auf dem Boden. Und der Feueralarm lief konstant. Die sanitären Einrichtungen sind natürlich auch nicht darauf ausgelegt. Da kann also niemand nen Winter über wohnen.


Allgemeine Beobachtungen:
Es gibt wohl unglaublich viele Hilfsgüter. Niemand muss verhungern, jeder bekommt Kleidung. Die Kehrseite davon ist, dass viele Flüchtlinge aber auch sehr schlecht mit den Dingen umgehen. Essen wird einfach liegen gelassen, Kleidung auch, man bekommt ja im nächsten Lager neues.
Es sind viele UNHCR und Ärzte ohne Grenzen Helfer vor Ort, die machen aber nur exakt das was ihnen die Regierungen erlauben und sind nur mäßig kritisch. Private Initiativen dürfen gar nicht mehr in solche Lager und müssen sich wohl mit Perso anmelden und werden dann irgend jemandem untergeordnet.
Inzwischen ist der Transport professionell organisiert. Aus Syrien kann man, mit etwas Glück, und ganz ohne Schleuser, in 7 tagen in Deutschland sein. Man wird in nen Bus oder eine Bahn gepackt, an die grenze in ein Lager gefahren, Läuft 100 m und im nächsten Land das gleiche Spiel. Dabei wird man mit Essen und Kleidung quasi zugeworfen.

Trotzdem ist der Gesundheitszustand vieler Menschen nicht so gut. Einige können nicht mehr laufen weil sie Knie oder Knöchelverletzungen von Schlagstöcken haben. Sehr viele Säuglinge haben Infektionen weil die Mütter scheinbar nicht selbstständig zu den medizinischen Zelten gehen. Bei persönlicher Ansprache wird Hilfe dann aber sehr gerne angenommen. Zwei Tage wurde nur damit verbracht Babys in einem Lager die Windeln zu wechseln und Infektionen die durch schlechte Hygiene entstehen bei denen zu behandeln.
Allgemein ist die Hygiene wohl das größte Problem weil es viel zu wenige Duschen gibt.

In Athen wurde das Auto mit den Hilfsgütern aufgebrochen und alles was es so gab geplündert. Das war sehr unangenehm. Allgemein gibt es wohl große Aggressionen unter den Flüchtlingen, die sich aber je nach Nationalität unterscheiden.
Die Syrer, insbesondere Familien mit Kindern sind sehr freundlich und dankbar und angenehm im Umgang. Auch die Schwarzafrikaner und Afghanen waren angenehm und unproblematisch. Probleme gab es vor allem mit Iranern, viele von denen sind wohl Heroinabhängig und auf Entzug, einige schmuggeln auch Heroin und verkaufen es dann dort. Das führt zu allgemeiner Aggression und Beschaffungskriminalität. Und am unangenehmsten waren wohl marokkanische junge Männer von denen es viele gab. Das war scheinbar auch die reichte Gruppe mit teuren Kleidern und Telephonen. Beide Nationalitäten werden nicht weiter gelassen und vermutlich abgeschoben, aber das führt zu heftiger Gewalt zwischen den Flüchtlingen. Mehrmals wurden Angriffe, meist von Marokkanern und Iranern auf andere Flüchtlinge beobachtet, wo dann die Polizei massiv mit Schilden und Schlagstöcken einschreiten musste um die angegriffenen zu schützen. Auch die Helfer wurden teilweise massiv bedrängt bei der Ausgabe von Kleidung und essen.
Das alles wurde mehrfach beobachtet, aber auch und gehäuft in Athen in der Olympiahalle.
Nachdem die Ausgabe von Hilfsgütern an Flüchtlinge nicht mehr sinnvoll möglich war wegen der Aggression, wurde entschieden das ganze an griechische Obdachlosen und Kinderheime zu verteilen.
Es gibt seit der Krise doch verstärkt Armut in Griechenland, und das kam sehr gut an. Viele der Griechen waren nicht besonders Glücklich darüber, dass die Flüchtlinge alles bekommen, gleichzeitig aber oft viel mehr Geld als sie selber haben.
Allerdings waren die Griechen mit denen Kontakt bestand sehr sehr freundlich und Hilfsbereit, keiner fand deutsche sch***e, keiner fand es schlecht, dass den Flüchtlingen geholfen wird.


Die ganze Situation ändert sich aber quasi Täglich, es gibt immer neue Zäune was die Route verschieben wird, demnächst geht sie vermutlich durch Albanien und Bosnien, weil es da wohl auch wärmer ist.


Der Bericht ist nicht vollständig, das sind alles nur persönliche Eindrücke, man kann das schwer generalisieren. Niemand der Beteiligten war besonders Polizei und Staatsfreundlich, alle wollten soviel helfen wie möglich. Photos gibt es in den nächsten Tagen.

Ich hoffe das war interessant und hilfreich. Fragen leite ich gerne weiter :)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Toran

Schattenritter
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Ein sehr interessanter Bericht :up:, ich habe die Lage aus Fernsehberichten anders (viel schlimmer / Hungersnot) eingeschätzt.

Was die "Wegwerfmentalität" betrifft so ist es leider teilweise so, dass man Sachen für die man selber nicht hart arbeiten muss um sie zu erwerben, leider nicht richtig wertschätzt und sie entsprechend behandelt.
 

Matthew McKane

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Von Wegwerfmentalität zu sprechen, ist da wohl kaum angebracht. Die Leute sind auf der Flucht. Wo sollen die denn mit den Kleidern usw. hin? Ist doch klar dass niemand unnötig schmutzige Wäsche mit sich rumschleppt. Was man nicht mitnehmen kann, muss man halt dalassen.
Wenns schon nicht genug Duschen gibt, wirds wohl kaum genug Waschmaschienen und Trockner geben.
 

Caesar

C
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Das ganze betraf nicht nur Kleidung. Auch Nahrung lag überall sehr ungegessen rum, die Kleidung war nicht schlecht und kaputt sondern noch gut und sauber. Und nicht nur die Flüchtlinge haben das weggeworfen, auch die Räumtrupps der Regierung haben das ganze Zeug dann einfach entsorgt, das hätte man gut Nutzen können. Der Mensch mit den Photos ist noch irgendwo verschollen, dann wird es glaube ich deutlicher.
Und natürlich war das nicht jeder. Aber es war wohl sehr sehr auffällig.
 

Toran

Schattenritter
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Genau das habe ich mit "Wegwerfmentalität" gemeint.

Wobei ich mich nicht nur auf die "Flüchtlingskrise" sondern auf das ganz "normale Verhalten" im Alltag bezogen habe.
 

Matthew McKane

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Ich war ja nicht vor Ort. Ich kann mir halt nur viele gute Gründe vorstellen, aus denen ich als Flüchtling Sachen liegen lassen würde.
Wenn man nur 2 Hände zum Tragen hat, kann man halt nicht gross was mitnehmen. Und wenn man wie beschrieben, mit Nahrung und Kleidung zugeschüttet wird, aber kaum Möglichkeiten hat, was mitzunehmen, bleibt das doch fast zwangsläufig liegen. Oder würdest du sagen, da war jede Menge Platz für Gepäck in den Bussen?
 

Lokadamus

Buddelmagier
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Das erinnert mich spontan an meine Bundeswehrzeit, wo in der Kantine sich einer immer zig Scheiben Wurst aufs Tablet gepackt hat. Davon hat er 2 oder 3 gegessen und die anderen Scheiben gingen mit dem Tablet wieder zurück.

Kurz gesagt, nur weil ich zugeschüttet werden, heißt es nicht, dass ich alles mitnehmen muss. Ich brauch auch nicht die 6er Packung Wasser mitnehmen, wenn 1 oder 2 Flaschen für die nächste Zeit reichen.
 

Toran

Schattenritter
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Dass man als Flüchtling nicht mit grossem Gepäck reisst dürfte jedem klar sein. Da hat man wenn überhaupt das Allernötigste dabei und ev. nen paar persönliche Habseligkeiten.

Lagerräumung/verlegung
Es wurde geschrieben, dass ein Hilfslager geräumt und auch noch gute Sachen weggeworfen wurden weil das Hilfslager verlegt wurde. Warum kann man die guten Sachen nicht mit ins neue Lager mitnehmen?
- Ist das unmöglich oder einfach nicht wirtschaftlich?
- Oder hat man einfach einen "unbegrenzten Nachschub"?

Und warum verwüstet man das Lager wenn man woanders hin verlegt wird?
- Aus Frust?
- Wenn das zu gut für mich ist kriegt es kein anderer?
... Das sind Sachen die ich schwer nachvollziehen kann...


Alltag in Deutschland?
Ich hatte vor etwa 2,5 Jahren ne PS3 mit ca. 10 Spielen zu verschenken. Also fragte ich in 2 "Heimen" nach
wo schwer erziehbare Jugendliche betreut werden. Der Kontakt wurde von ner Bekannten vermittelt welche die
Jugendlichen dort medizinisch versorgt. Lief 2* in etwa so ab:

F: Habt ihr Interesse an ner PS3 mit 10 Spielen?
A: Was sollen wir mit dem alten Schrott? Für unsere Kidds ist das Beste gut genug.
F: Habt ihr ne PS4?
A: Nee, wovon sollen wir uns die leisten können? Kannst uns aber gerne eine schenken! 2 Controller, Spiele, Kamera...

Dürfte wenig überraschen, dass ich keine PS4 verschenkt habe.


Gute Klamotten gehabt, die nicht mehr passen. Daraufhin einige Hilfsorganisationen kontaktiert.
Fast alle verkaufen die Klamotten für Spottpreise anstatt sie direkt den Bedürftigen zukommen zu lassen.
Statt 25 Teile zu verteilen wurden die verkauft und 1 Teil "verteilt". Ich habe dann ne Organisation gefunden
die alle 25 Teile verteilt hat.


Ich war vor nen paar Jahren auf ner Kreuzfahrt. Da haben sich ne Menge Leute am kalten Buffett die Teller
bis oben voll geladen. Zurück auf den Platz ... 3 Bissen probiert... Teller weggestellt... Neuen geholt... Bis zu 5*...


Hat zwar mit dem Thema nicht viel zu tun, ist aber trotzdem was wo sich die Verantwortlichen mMn schämen könnten.
 

Chiburi

Kampfhase
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@ C

danke für den Bericht. War sehr interessant zu lesen.


Zum Thema Schämen/Fremdschämen:

Habe letztens einen alten "Focus" (Oktober 2015) entdeckt, der auf seinem Titelblatt das nationalkonservative Paradoxon aufs Schönste auf den Punkt bringt.

In großen Lettern über dem Bundesadler: "Braucht Deutschland einen Zaun? Warum das große Willkommen uns überfordert."

Etwas kleiner, oben rechts :rolleyes:
"Macho-Maschine
670 PS - Probefahrt im neuen Ferrari blablabla"


Also... finanziell überfordert kann schonmal nicht gemeint sein, oder wie darf ich das verstehen.. :hae:
 
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