Auf Steam gehen gerade die Sales los, das Spiel ist gerade für fünf Euro dabei und ist ein weiterer jener Titel, die von der Fachpresse völlig zu Unrecht mit einem... 'meh' abgespiesen wurden. Zeit also, mal wieder den Rächer der Enterbten zu spielen...
Das Licht der Sonne spiegelt sich in den Wellen, die gegen die Docks von Hong Kong branden. Ein nachtschwarzer Sportwagen fährt zu der Anlegestelle vor, an der ein paar brutal aussehende Gestalten herumlungern, und ein junger Mann im maßgeschneiderten Anzug, die Designersonnenbrille auf der Nase, steigt aus.
Ruhigen Schrittes geht er zum Kofferraum seines Wagens und holt eine Brechstange heraus, um dann, langsam und ohne jede Hast, auf die Gangmitglieder zuzulaufen, die der Meinung sind, sie müssten in seinem Revier dealen.
Ladies and Gentlemen, I present to you:
Sleeping Dogs
Eine offene Sandboxwelt wie aus GTA, ein Nahkampfsystem wie aus der Arkham Asylum-Reihe, ein Fernkampfsystem nicht unähnlich dem vom Max Payne, und Parcour laufen darf man mittendrin auch noch. In Hong Kong. Eingebettet in eine Story, die direkt von John Woo kommen könnte, als John Woo noch gute Filme gemacht hat.
Warum habt ihr das Spiel noch nicht gespielt?
Ihr spielt Wei Cheng, Undercoverpolizist und neues Mitglied bei den Triaden. Und wer Infernal Affairs oder das Remake The Departed gesehen hat, kennt ungefähr die Story. Zu der später mehr.
Was Sleeping Dogs so interessant macht, ist vor allen Dingen das Setting. Wir haben hier eben nicht zum zehntausendstenmal einen New York- oder L.A.-Klon, sondern Hong Kong. Ein Hong Kong, das atmosphärisch herrlich dicht ist (in den ersten Minuten des Spiels bin ich erst mal stehengeblieben und habe ein paar Minuten damit verbracht, mir den Löwentanz anzusehen, der auf einer Bühne vor dem Night Market aufgeführt wird), und sich auch spielerisch auswirkt. Denn da die Waffengesetze hier ein bisschen strenger sind als in Amerika (Kunststück), dauert es auch mal eben zwei, drei Spielstunden, bis einem das Spiel zum ersten mal eine Waffe in die Hand drückt – die man dann nach der Mission auch wieder wegwirft. Die meisten Kämpfe außerhalb von Missionen laufen via Nahkampf ab, und hier klaut das Spiel recht offensichtlich von Arkham Asylum. Blocken, kontern, schlagen... gerade am Anfang braucht es ein bisschen, um den richtigen Flow zu finden, da die Figur nur ein recht eingeschränktes Bewegungsspektrum hat. Nach ein paar Trainingseinheiten in der örtlichen Kung Fu Schule kommt es dann aber zu einigen wirklich spektakulären Szenen.
Das wirklich Neue am Kampfsystem sind dann die Environment-Attacks, die es einem ermöglichen, einen Gegner mal eben durch ein Aquarium zu werfen oder in einen Tieftöner zu treten. Das sieht stylish aus und tut auch durchaus Not, wenn dann mal eben zwanzig Thugs auf einen zukommen.
An der Stelle greift dann die Zensur. Die deutsche Version hat die Attacken entschärft, und es ist glaube ich zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich das als eine gar nicht Mal so schlechte Sache ansehe. Die US-Version spricht recht deutlich von Environment-Kills, und in meinen Augen macht das Geschichte kaputt.
Ein Undercover-Agent, der einen Angreifer durch eine Telefonzelle tritt, ist etwas, an das ich glauben kann. Ein Undercover-Agent, der in Notwehr ein paar Gegner über den Haufen schießt, ist etwas, woran ich glauben kann.
Ein Undercover Agent, der irgendein armes Schwein mit dem Gesicht voran durch eine Kreissäge schiebt? Schlagartig ist das nicht mehr die Geschichte von einem eigentlich anständigen Menschen, der durch den Glanz und den Luxus des Triadenlebens in Versuchung geführt wird, sondern die Geschichte eines durchgeknallten Soziopathen, der dank den Triaden mal so richtig die Sau rauslassen kann.
Was auch eine Art ist, die Geschichte zu erzählen. Ich bevorzuge aber die erste Variante, auch wenn das bedeutet, dass die Kämpfe ein bisschen schwerer sind, weil man eben nicht mehr so viele Möglichkeiten hat, die Umgebung für sich arbeiten zu lassen.
Anyway. Wenn man dann irgendwann eine Waffe in die Hand gedrückt kriegt, ist die Inszenierung erstklassig. Da wird geschossen, Dinge fliegen in die Luft, man kann Mooks als Geisel nehmen, über Deckung hechten und ganz generell jedes Actionfilm-Klischee abfeiern, auf das man Lust hat.
Naja, fast jedes. Kann ich in Zeitlupe zur Seite springen und mit zwei Waffen gleichzeitig feuern? Nein, denn mit zwei Waffen gleichzeitig zu feuern und irgendetwas zu treffen, ist nicht realistisch. Wei Cheng ist schließlich ausgebildeter Polizist.
Ist es hingegen möglich, während der vollen Fahrt in Zeitlupe aus einem Auto zu springen und im Flug mit
einer Waffe fünf Mooks auszuschalten, die da vor einem eine Straßensperre aufgebaut haben? Hell yeah!
Ich möchte ein Auto klauen, das vor mir fährt. Blockiere ich seinen Weg, steige aus meinem Wagen aus und gehe mühsam zum Auto meiner Wahl, um es zu klauen wie jeder dahergelaufene Straßengangster? Ain't nobody got time for that! Wir fahren auf dem Highway an das Ding ran, springen aus unserem Auto auf das Dach unseres neuen Traumgefährts und springen von dort aus mit den Füßen voran durch das Beifahrerfenster. Warum? Weil wir's können!
Zwischendurch könnt ihr auf Hahnenkämpfe wetten, einen örtlichen Fight Club besuchen, an illegalen Straßenrennen teilnehmen oder auch die Karaokebar eures Vertrauens besuchen. Letzteres zaubert mir immer wieder ein Lächeln auf's Gesicht, wenn Wei sich in einer seiner ersten Undercover-Missionen hinstellt und The Clashs 'I fought the law (and the law won)' anstimmt. Leider, leider leider gibt es keine Mikro-Option für dieses Minigame, aber ich hoffe in der Hinsicht auf den Nachfolger
... es gibt im Prinzip noch jede Menge Dinge, die man erwähnen müsste, aber ich kürze es einfach mal ab: Sleeping Dogs ist ein extrem stimmungsvolles, stilistisch dichtes Spiel - zumindest nach den ersten ein bis zwei Stunden, wenn man dann auch wirklich auf diese offene Welt losgelassen wird.
Und die größte Stütze dabei ist eben wirklich die Story, was ich bei Sandboxspielen so in dieser Form bisher eher als Ausnahme empfunden habe. Ich meine, klar, besagte Story ist nicht unbedingt reich an Überraschungen, aber greift wieder der Vergleich mit John Woo: das Wie interessanter ist als das Was.
Wenn ihr zu einer Hochzeit eingeladen werdet und die Braut lang und breit darüber schwadroniert, wie perfekt dieser wunderschöne Tag werden soll, wisst ihr schon, dass ihr da am besten bewaffnet hingehen solltet. Klar.
Aber: Wenn ihr dann, nachdem natürlich alles zur Hölle fährt, durch die Rauchschwaden nach draußen stolpert, im linken Arm ein verletztes Triadenmitglied, mit der Rechten gegnerische Mooks niederschießend... dann strahlt dieses Spiel einfach derart viel Atmosphäre aus, dass man ihm die Überraschungsarmut gerne verzeiht.
Die Sprachausgabe ist auch in der deutschen Version englisch, was eine gute Sache ist, und die Sprecher machen ihre Sache allesamt sehr gut.
Der Soundtrack selbst ist recht HipHop-lastig, was vermutlich nie mein Genre sein wird... aber es ist
kantonesischer HipHop, was auf der einen Seite einen Exotenbonus gibt, und auf der anderen Seite auch einfach die perfekte Untermalung ist, wenn man gerade über die Highways der Stadt gleitet, die neonbeschienene Skyline vor sich, und den feindlichen Triadenmitgliedern die Reifen wegschießt, die einen gerade verfolgen
Schwächen? Ja, hat es. Wie gesagt, die erste Stunde ist ein bisschen zäh, weil geradlinig. Das Kampfsystem braucht ein bisschen, um sich zu entwickeln.
Ich finde es auch schade, dass die Parcoureinlagen fast ausschließlich in Missionen vorkommen. Wenn man außerhalb von diesen gerade von der Polizei verfolgt wird, muss man schon sehr genau wissen, wohin man rennen muss, um ihnen mit ein paar gekonnten Sprüngen über die Dächer zu entkommen. In der Regel ist es aussichtsreicher, sich ein schnelles Auto zu klauen und die Flucht auf die Art anzutreten.
Damit verbunden: Das Spiel gibt sich etwas geerdeter als zum Beispiel GTA, was auch heißt, dass die Stadt mehr Kulisse als großer Spielplatz ist. Es ist selten, dass man einfach mal so zum Spaß durch die City fährt, auf der Suche nach der nächsten Rampe oder einem herumstehenden Panzer (den es nicht gibt).
Sprich, das Spiel lässt einen außerhalb der Haupt- und Nebenmissionen etwas hungrig zurück. Was okay wäre und eine dieser Sachen, denen man mit DLCs abhelfen könnte, wenn, ja wenn... wenn Square Enix nicht den Support für die deutsche Version eingestellt hätte. Keine DLC für uns.
Trotzdem: Für fünf Euro? Jederzeit. Auch für zwanzig bis dreißig, es lohnt sich.